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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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auch den ganzen Sprachgeist sowie die ganze Wissenschaft, Kunst,
Cultur und Sitte alteriren mußte. Solche Beispiele sind zugleich
ein Kriterium für die autodidakte Erlernung lebender Sprachen
und von der eindringlich wirkenden Gewalt derselben, wenn man
mitten in dem Volke, welches die Sprache redet, der Strömung
des phonetischen Sprachelements ausgesetzt ist. Sehr wichtig ist
das auch für den schwierigen Unterricht der Taubstummen, denen
die Sprache ja nur wie ein Bild auf dem Papier oder auf den
Lippen der mit ihnen durch Mundgesten oder auch mittels Finger-
und Naturbilder redenden Personen erscheint; daher kommen denn
auch bei Taubstummen die eigenthümlichsten Schreibfehler und Ver-
stöße gegen das phonetische Sprachelement vor, wie sie selbst bei
ungebildeten nicht taubstummen Personen kaum möglich sind.

Von solchen Wortlautgleichungen wird man bei lebenden
Sprachen häufig überrascht. Man bemerkt sie jedoch bei der Ver-
tiefung in die logische Wortbedeutung der Sprache, welche man
redet, nicht so leicht, und sie werden meistens nur auffällig, wenn
sie gesucht und dadurch erst besonders hervorgehoben werden. Daß
sie aber bei dieser Hervorhebung erst recht als bloße Zufälligkeit
und ihre Bedeutsamkeit dann auch desto gemachter und sie darum
auch wieder desto platter erscheinen, versteht sich von selbst, wie
das ja recht sichtbar ist in der bekannten, wenn auch zusammen-
hangslosen, doch nicht ganz witzlosen Glosse über einen mildthätigen
Damenverein in einer kleinen deutschen Stadt:

Servile tamen legendarum indicasse da mites dicant se
statuisse,

bei welcher man schwerlich ohne Jnspiration den Schlüssel in der
verwegenen schlechten deutschen Lautgleichung finden dürfte:

Sehr viele Damen legen darum in die Kasse, damit es die
ganze Stadt wisse!

Aehnliche Spielereien sind: Distinguendum, d. h. dies Ding
wend' um, Bezeichnung für ein Doppelkelchglas. Oder: Custos
dicat se tot,
d. h. Kuh stoß die Katze todt. Oder: Odi lineam
hausisti merum sex urbe idem manum in succus en!
d. h. O

auch den ganzen Sprachgeiſt ſowie die ganze Wiſſenſchaft, Kunſt,
Cultur und Sitte alteriren mußte. Solche Beiſpiele ſind zugleich
ein Kriterium für die autodidakte Erlernung lebender Sprachen
und von der eindringlich wirkenden Gewalt derſelben, wenn man
mitten in dem Volke, welches die Sprache redet, der Strömung
des phonetiſchen Sprachelements ausgeſetzt iſt. Sehr wichtig iſt
das auch für den ſchwierigen Unterricht der Taubſtummen, denen
die Sprache ja nur wie ein Bild auf dem Papier oder auf den
Lippen der mit ihnen durch Mundgeſten oder auch mittels Finger-
und Naturbilder redenden Perſonen erſcheint; daher kommen denn
auch bei Taubſtummen die eigenthümlichſten Schreibfehler und Ver-
ſtöße gegen das phonetiſche Sprachelement vor, wie ſie ſelbſt bei
ungebildeten nicht taubſtummen Perſonen kaum möglich ſind.

Von ſolchen Wortlautgleichungen wird man bei lebenden
Sprachen häufig überraſcht. Man bemerkt ſie jedoch bei der Ver-
tiefung in die logiſche Wortbedeutung der Sprache, welche man
redet, nicht ſo leicht, und ſie werden meiſtens nur auffällig, wenn
ſie geſucht und dadurch erſt beſonders hervorgehoben werden. Daß
ſie aber bei dieſer Hervorhebung erſt recht als bloße Zufälligkeit
und ihre Bedeutſamkeit dann auch deſto gemachter und ſie darum
auch wieder deſto platter erſcheinen, verſteht ſich von ſelbſt, wie
das ja recht ſichtbar iſt in der bekannten, wenn auch zuſammen-
hangsloſen, doch nicht ganz witzloſen Gloſſe über einen mildthätigen
Damenverein in einer kleinen deutſchen Stadt:

Servile tamen legendarum indicasse da mites dicant se
statuisse,

bei welcher man ſchwerlich ohne Jnſpiration den Schlüſſel in der
verwegenen ſchlechten deutſchen Lautgleichung finden dürfte:

Sehr viele Damen legen darum in die Kaſſe, damit es die
ganze Stadt wiſſe!

Aehnliche Spielereien ſind: Distinguendum, d. h. dies Ding
wend’ um, Bezeichnung für ein Doppelkelchglas. Oder: Custos
dicat se tot,
d. h. Kuh ſtoß die Katze todt. Oder: Odi lineam
hausisti merum sex urbe idem manum in succus en!
d. h. O

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[87/0121] auch den ganzen Sprachgeiſt ſowie die ganze Wiſſenſchaft, Kunſt, Cultur und Sitte alteriren mußte. Solche Beiſpiele ſind zugleich ein Kriterium für die autodidakte Erlernung lebender Sprachen und von der eindringlich wirkenden Gewalt derſelben, wenn man mitten in dem Volke, welches die Sprache redet, der Strömung des phonetiſchen Sprachelements ausgeſetzt iſt. Sehr wichtig iſt das auch für den ſchwierigen Unterricht der Taubſtummen, denen die Sprache ja nur wie ein Bild auf dem Papier oder auf den Lippen der mit ihnen durch Mundgeſten oder auch mittels Finger- und Naturbilder redenden Perſonen erſcheint; daher kommen denn auch bei Taubſtummen die eigenthümlichſten Schreibfehler und Ver- ſtöße gegen das phonetiſche Sprachelement vor, wie ſie ſelbſt bei ungebildeten nicht taubſtummen Perſonen kaum möglich ſind. Von ſolchen Wortlautgleichungen wird man bei lebenden Sprachen häufig überraſcht. Man bemerkt ſie jedoch bei der Ver- tiefung in die logiſche Wortbedeutung der Sprache, welche man redet, nicht ſo leicht, und ſie werden meiſtens nur auffällig, wenn ſie geſucht und dadurch erſt beſonders hervorgehoben werden. Daß ſie aber bei dieſer Hervorhebung erſt recht als bloße Zufälligkeit und ihre Bedeutſamkeit dann auch deſto gemachter und ſie darum auch wieder deſto platter erſcheinen, verſteht ſich von ſelbſt, wie das ja recht ſichtbar iſt in der bekannten, wenn auch zuſammen- hangsloſen, doch nicht ganz witzloſen Gloſſe über einen mildthätigen Damenverein in einer kleinen deutſchen Stadt: Servile tamen legendarum indicasse da mites dicant se statuisse, bei welcher man ſchwerlich ohne Jnſpiration den Schlüſſel in der verwegenen ſchlechten deutſchen Lautgleichung finden dürfte: Sehr viele Damen legen darum in die Kaſſe, damit es die ganze Stadt wiſſe! Aehnliche Spielereien ſind: Distinguendum, d. h. dies Ding wend’ um, Bezeichnung für ein Doppelkelchglas. Oder: Custos dicat se tot, d. h. Kuh ſtoß die Katze todt. Oder: Odi lineam hausisti merum sex urbe idem manum in succus en! d. h. O

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/121>, abgerufen am 24.11.2024.