Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

Bild:
<< vorherige Seite

gedeutet hat. Treffend sagt Schäfer, a. a. O., S. 56, daß der
Verfall der Sprache der Abnahme der geistigen Bildung entsprochen,
daß an den Höfen die Vorliebe für das Französische um sich ge-
griffen habe und die Gelehrten desto stolzer auf ihr scholastisches
Latein gewesen seien, je mehr die classischen Studien durch die
theologischen Streitigkeiten verdrängt wurden, daß die deutsche
Muttersprache von ihnen vernachlässigt worden sei und selbst die
Predigten die Kraft des volksmäßigen Ausdrucks verloren hätten.
Gewiß ist, daß im 17. Jahrhundert die Gaunersprache aus der
tiefsten Erniedrigung der Sprache der Bildung die größte Aus-
beute machte und wie mitten im tiefsten materiellen Elende des
Volkes, so auch im tiefsten Elende der Sprache sich verstärkte und
belebte und das sprachlich Erworbene um so geflissentlicher bei-
behielt, je mehr die Sprache der Bildung wieder nach Reinheit zu
streben und alles in der frühern Erniedrigung aufgedrungene Fremd-
artige und Unlautere von sich abzuwerfen anfing. Daher beson-
ders kommen in der Gaunersprache die mancherlei italienischen,
französischen, schwedischen und andere fremdsprachliche Ausdrücke,
welche keineswegs moderne Zusätze sind.



Dreiundzwanzigstes Kapitel.
b) Die maccaronische Poesie.

Unter allen Sprachmischungen erscheint die maccaronische
Mischung, obwol sie der jüdisch-deutschen Mischung am nächsten
kommt, sowol in Rücksicht auf ihre Form als auch auf ihren Um-
fang und Zweck am beschränktesten. Sie hatte in keiner Weise
irgendeine Vorbildung, sondern entsprang im 15. Jahrhundert
plötzlich aus dem Kopfe eines aus dem Kloster flüchtig gewor-
denen und in das Vagantenleben hineingerathenen witzigen
italienischen Dichters und hielt in dem Bereiche der romanischen
Sprachfamilie wie ein lustiger Fasching ihre vereinzelten Umzüge,
ohne doch irgendwie volksthümlich und am allerwenigsten auf

gedeutet hat. Treffend ſagt Schäfer, a. a. O., S. 56, daß der
Verfall der Sprache der Abnahme der geiſtigen Bildung entſprochen,
daß an den Höfen die Vorliebe für das Franzöſiſche um ſich ge-
griffen habe und die Gelehrten deſto ſtolzer auf ihr ſcholaſtiſches
Latein geweſen ſeien, je mehr die claſſiſchen Studien durch die
theologiſchen Streitigkeiten verdrängt wurden, daß die deutſche
Mutterſprache von ihnen vernachläſſigt worden ſei und ſelbſt die
Predigten die Kraft des volksmäßigen Ausdrucks verloren hätten.
Gewiß iſt, daß im 17. Jahrhundert die Gaunerſprache aus der
tiefſten Erniedrigung der Sprache der Bildung die größte Aus-
beute machte und wie mitten im tiefſten materiellen Elende des
Volkes, ſo auch im tiefſten Elende der Sprache ſich verſtärkte und
belebte und das ſprachlich Erworbene um ſo gefliſſentlicher bei-
behielt, je mehr die Sprache der Bildung wieder nach Reinheit zu
ſtreben und alles in der frühern Erniedrigung aufgedrungene Fremd-
artige und Unlautere von ſich abzuwerfen anfing. Daher beſon-
ders kommen in der Gaunerſprache die mancherlei italieniſchen,
franzöſiſchen, ſchwediſchen und andere fremdſprachliche Ausdrücke,
welche keineswegs moderne Zuſätze ſind.



Dreiundzwanzigſtes Kapitel.
b) Die maccaroniſche Poeſie.

Unter allen Sprachmiſchungen erſcheint die maccaroniſche
Miſchung, obwol ſie der jüdiſch-deutſchen Miſchung am nächſten
kommt, ſowol in Rückſicht auf ihre Form als auch auf ihren Um-
fang und Zweck am beſchränkteſten. Sie hatte in keiner Weiſe
irgendeine Vorbildung, ſondern entſprang im 15. Jahrhundert
plötzlich aus dem Kopfe eines aus dem Kloſter flüchtig gewor-
denen und in das Vagantenleben hineingerathenen witzigen
italieniſchen Dichters und hielt in dem Bereiche der romaniſchen
Sprachfamilie wie ein luſtiger Faſching ihre vereinzelten Umzüge,
ohne doch irgendwie volksthümlich und am allerwenigſten auf

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0108" n="74"/>
gedeutet hat. Treffend &#x017F;agt Schäfer, a. a. O., S. 56, daß der<lb/>
Verfall der Sprache der Abnahme der gei&#x017F;tigen Bildung ent&#x017F;prochen,<lb/>
daß an den Höfen die Vorliebe für das Franzö&#x017F;i&#x017F;che um &#x017F;ich ge-<lb/>
griffen habe und die Gelehrten de&#x017F;to &#x017F;tolzer auf ihr &#x017F;chola&#x017F;ti&#x017F;ches<lb/>
Latein gewe&#x017F;en &#x017F;eien, je mehr die cla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Studien durch die<lb/>
theologi&#x017F;chen Streitigkeiten verdrängt wurden, daß die deut&#x017F;che<lb/>
Mutter&#x017F;prache von ihnen vernachlä&#x017F;&#x017F;igt worden &#x017F;ei und &#x017F;elb&#x017F;t die<lb/>
Predigten die Kraft des volksmäßigen Ausdrucks verloren hätten.<lb/>
Gewiß i&#x017F;t, daß im 17. Jahrhundert die Gauner&#x017F;prache aus der<lb/>
tief&#x017F;ten Erniedrigung der Sprache der Bildung die größte Aus-<lb/>
beute machte und wie mitten im tief&#x017F;ten materiellen Elende des<lb/>
Volkes, &#x017F;o auch im tief&#x017F;ten Elende der Sprache &#x017F;ich ver&#x017F;tärkte und<lb/>
belebte und das &#x017F;prachlich Erworbene um &#x017F;o gefli&#x017F;&#x017F;entlicher bei-<lb/>
behielt, je mehr die Sprache der Bildung wieder nach Reinheit zu<lb/>
&#x017F;treben und alles in der frühern Erniedrigung aufgedrungene Fremd-<lb/>
artige und Unlautere von &#x017F;ich abzuwerfen anfing. Daher be&#x017F;on-<lb/>
ders kommen in der Gauner&#x017F;prache die mancherlei italieni&#x017F;chen,<lb/>
franzö&#x017F;i&#x017F;chen, &#x017F;chwedi&#x017F;chen und andere fremd&#x017F;prachliche Ausdrücke,<lb/>
welche keineswegs moderne Zu&#x017F;ätze &#x017F;ind.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <div n="3">
            <head>Dreiundzwanzig&#x017F;tes Kapitel.<lb/><hi rendition="#aq">b)</hi> <hi rendition="#b">Die maccaroni&#x017F;che Poe&#x017F;ie.</hi></head><lb/>
            <p>Unter allen Sprachmi&#x017F;chungen er&#x017F;cheint die maccaroni&#x017F;che<lb/>
Mi&#x017F;chung, obwol &#x017F;ie der jüdi&#x017F;ch-deut&#x017F;chen Mi&#x017F;chung am näch&#x017F;ten<lb/>
kommt, &#x017F;owol in Rück&#x017F;icht auf ihre Form als auch auf ihren Um-<lb/>
fang und Zweck am be&#x017F;chränkte&#x017F;ten. Sie hatte in keiner Wei&#x017F;e<lb/>
irgendeine Vorbildung, &#x017F;ondern ent&#x017F;prang im 15. Jahrhundert<lb/>
plötzlich aus dem Kopfe eines aus dem Klo&#x017F;ter flüchtig gewor-<lb/>
denen und in das Vagantenleben hineingerathenen witzigen<lb/>
italieni&#x017F;chen Dichters und hielt in dem Bereiche der romani&#x017F;chen<lb/>
Sprachfamilie wie ein lu&#x017F;tiger Fa&#x017F;ching ihre vereinzelten Umzüge,<lb/>
ohne doch irgendwie volksthümlich und am allerwenig&#x017F;ten auf<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0108] gedeutet hat. Treffend ſagt Schäfer, a. a. O., S. 56, daß der Verfall der Sprache der Abnahme der geiſtigen Bildung entſprochen, daß an den Höfen die Vorliebe für das Franzöſiſche um ſich ge- griffen habe und die Gelehrten deſto ſtolzer auf ihr ſcholaſtiſches Latein geweſen ſeien, je mehr die claſſiſchen Studien durch die theologiſchen Streitigkeiten verdrängt wurden, daß die deutſche Mutterſprache von ihnen vernachläſſigt worden ſei und ſelbſt die Predigten die Kraft des volksmäßigen Ausdrucks verloren hätten. Gewiß iſt, daß im 17. Jahrhundert die Gaunerſprache aus der tiefſten Erniedrigung der Sprache der Bildung die größte Aus- beute machte und wie mitten im tiefſten materiellen Elende des Volkes, ſo auch im tiefſten Elende der Sprache ſich verſtärkte und belebte und das ſprachlich Erworbene um ſo gefliſſentlicher bei- behielt, je mehr die Sprache der Bildung wieder nach Reinheit zu ſtreben und alles in der frühern Erniedrigung aufgedrungene Fremd- artige und Unlautere von ſich abzuwerfen anfing. Daher beſon- ders kommen in der Gaunerſprache die mancherlei italieniſchen, franzöſiſchen, ſchwediſchen und andere fremdſprachliche Ausdrücke, welche keineswegs moderne Zuſätze ſind. Dreiundzwanzigſtes Kapitel. b) Die maccaroniſche Poeſie. Unter allen Sprachmiſchungen erſcheint die maccaroniſche Miſchung, obwol ſie der jüdiſch-deutſchen Miſchung am nächſten kommt, ſowol in Rückſicht auf ihre Form als auch auf ihren Um- fang und Zweck am beſchränkteſten. Sie hatte in keiner Weiſe irgendeine Vorbildung, ſondern entſprang im 15. Jahrhundert plötzlich aus dem Kopfe eines aus dem Kloſter flüchtig gewor- denen und in das Vagantenleben hineingerathenen witzigen italieniſchen Dichters und hielt in dem Bereiche der romaniſchen Sprachfamilie wie ein luſtiger Faſching ihre vereinzelten Umzüge, ohne doch irgendwie volksthümlich und am allerwenigſten auf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/108
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/108>, abgerufen am 22.11.2024.