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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Das Zuplanten und das Chilfen erfordert die äußerste Gewandt-
heit, und gilt daher bei den Gaunern als Bravourstück, dessen sie
sich gern und laut unter ihresgleichen berühmen, sobald ihnen
ein solches Geschäft gelungen ist. Es ist auch die Hauptgrund-
lage bei der Taschenspielerkunst, womit eine Unzahl reisender
Gauner das Publikum in Erstaunen zu setzen weiß. Das Ein-
verständniß der Gauner zeigt sich aber am gefährlichsten bei den
Besuchen, zu denen sich die wirklichen und angeblichen Angehörigen
des gefangenen Gauners in die Gefängnisse zu drängen suchen,
um letzterm Geld und Fluchtmittel zuzuplanten. Ungeachtet der
Gegenwart des Gefängnißbeamten und seiner genauesten Auf-

nicht weniger als 30 Thaler, die er einem Handelsmann beim Wechseln aus der
Geldkatze gestohlen hatte, diesem wieder zuzuplanten, als derselbe ihn anhielt,
ihm ins Quartier folgte und dort auf Wolff Moses' Verlangen sein Geld
nachzählte, welches er nun mit Staunen ganz richtig fand. Jn einem andern
Falle wußte Jakob Bernhardt, aus dem lübeckischen Dorfe Moisling, in einem
berliner Laden, wo er Medaillen stehlen wollte, und von dem zuvor gewarnten
Ladenbesitzer nebst zwei im Laden versteckten Polizeibeamten scharf beobachtet
wurde, nicht nur dennoch vier Medaillen zu stehlen, sondern auch bei seiner
Arretirung unvermerkt dem ihn begleitenden Polizeicommissarius in die Tasche
zuzuplanten. Vgl. Thiele, a. a. O., II, 111. Unübertroffen bleibt jedoch
die Gewandtheit und Frechheit des Cartouche. Als er nämlich am meisten in
Paris von sich reden machte, äußerte der König einmal bei der Abendtafel,
er möchte den Cartouche doch wol einmal sehen. Andern Morgens auf dem
Wege nach dem Audienzsaal, in Begleitung zweier Kammerherren, bemerkte
der König in einem Zimmer einen Menschen, der die filbernen Wandleuchter
zu poliren schien. Die Leiter, auf welcher er stand, drehte sich sowie der
König sich näherte, und wollte umfallen. Der König sprang sogleich hinzu
und hielt sie mit den Worten: "Nehmen Sie sich in Acht, Sie konnten leicht
verunglücken". Cartouche stieg jetzt von der Leiter, machte dem Könige seine
Verbeugung mit den Worten: "Ew. Majestät sind ein zu gnädiger Monarch,
unter dessen Schutz ich nie verunglücken werde." Der König lächelte über
diese Worte des vermeinten Leuchterputzers, und ging in den Audienzsaal, in
welchem er sofort in die Tasche nach seiner Dose griff. Zu seinem Erstaunen
lag in der Dose ein Billet: "Cartouche hat die Ehre gehabt mit Ew. Maje-
stät zu sprechen. Er konnte die filbernen Wandleuchter nehmen und auch
Ew. Majestät Dose, denn sie waren in seinen Händen; allein Cartouche raubt
seinem Könige nichts. Er wollte nur Ew. Majestät Wunsch erfüllen." Na-
türlich hatte Cartouche sich sogleich aus dem Staube gemacht. Vgl. "Neuestes
Räuber-, Diebs- und Gaunerarchiv" (Quedlinburg 1812), S. 138.

Das Zuplanten und das Chilfen erfordert die äußerſte Gewandt-
heit, und gilt daher bei den Gaunern als Bravourſtück, deſſen ſie
ſich gern und laut unter ihresgleichen berühmen, ſobald ihnen
ein ſolches Geſchäft gelungen iſt. Es iſt auch die Hauptgrund-
lage bei der Taſchenſpielerkunſt, womit eine Unzahl reiſender
Gauner das Publikum in Erſtaunen zu ſetzen weiß. Das Ein-
verſtändniß der Gauner zeigt ſich aber am gefährlichſten bei den
Beſuchen, zu denen ſich die wirklichen und angeblichen Angehörigen
des gefangenen Gauners in die Gefängniſſe zu drängen ſuchen,
um letzterm Geld und Fluchtmittel zuzuplanten. Ungeachtet der
Gegenwart des Gefängnißbeamten und ſeiner genaueſten Auf-

nicht weniger als 30 Thaler, die er einem Handelsmann beim Wechſeln aus der
Geldkatze geſtohlen hatte, dieſem wieder zuzuplanten, als derſelbe ihn anhielt,
ihm ins Quartier folgte und dort auf Wolff Moſes’ Verlangen ſein Geld
nachzählte, welches er nun mit Staunen ganz richtig fand. Jn einem andern
Falle wußte Jakob Bernhardt, aus dem lübeckiſchen Dorfe Moisling, in einem
berliner Laden, wo er Medaillen ſtehlen wollte, und von dem zuvor gewarnten
Ladenbeſitzer nebſt zwei im Laden verſteckten Polizeibeamten ſcharf beobachtet
wurde, nicht nur dennoch vier Medaillen zu ſtehlen, ſondern auch bei ſeiner
Arretirung unvermerkt dem ihn begleitenden Polizeicommiſſarius in die Taſche
zuzuplanten. Vgl. Thiele, a. a. O., II, 111. Unübertroffen bleibt jedoch
die Gewandtheit und Frechheit des Cartouche. Als er nämlich am meiſten in
Paris von ſich reden machte, äußerte der König einmal bei der Abendtafel,
er möchte den Cartouche doch wol einmal ſehen. Andern Morgens auf dem
Wege nach dem Audienzſaal, in Begleitung zweier Kammerherren, bemerkte
der König in einem Zimmer einen Menſchen, der die filbernen Wandleuchter
zu poliren ſchien. Die Leiter, auf welcher er ſtand, drehte ſich ſowie der
König ſich näherte, und wollte umfallen. Der König ſprang ſogleich hinzu
und hielt ſie mit den Worten: „Nehmen Sie ſich in Acht, Sie konnten leicht
verunglücken“. Cartouche ſtieg jetzt von der Leiter, machte dem Könige ſeine
Verbeugung mit den Worten: „Ew. Majeſtät ſind ein zu gnädiger Monarch,
unter deſſen Schutz ich nie verunglücken werde.“ Der König lächelte über
dieſe Worte des vermeinten Leuchterputzers, und ging in den Audienzſaal, in
welchem er ſofort in die Taſche nach ſeiner Doſe griff. Zu ſeinem Erſtaunen
lag in der Doſe ein Billet: „Cartouche hat die Ehre gehabt mit Ew. Maje-
ſtät zu ſprechen. Er konnte die filbernen Wandleuchter nehmen und auch
Ew. Majeſtät Doſe, denn ſie waren in ſeinen Händen; allein Cartouche raubt
ſeinem Könige nichts. Er wollte nur Ew. Majeſtät Wunſch erfüllen.“ Na-
türlich hatte Cartouche ſich ſogleich aus dem Staube gemacht. Vgl. „Neueſtes
Räuber-, Diebs- und Gaunerarchiv“ (Quedlinburg 1812), S. 138.
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[80/0092] Das Zuplanten und das Chilfen erfordert die äußerſte Gewandt- heit, und gilt daher bei den Gaunern als Bravourſtück, deſſen ſie ſich gern und laut unter ihresgleichen berühmen, ſobald ihnen ein ſolches Geſchäft gelungen iſt. Es iſt auch die Hauptgrund- lage bei der Taſchenſpielerkunſt, womit eine Unzahl reiſender Gauner das Publikum in Erſtaunen zu ſetzen weiß. Das Ein- verſtändniß der Gauner zeigt ſich aber am gefährlichſten bei den Beſuchen, zu denen ſich die wirklichen und angeblichen Angehörigen des gefangenen Gauners in die Gefängniſſe zu drängen ſuchen, um letzterm Geld und Fluchtmittel zuzuplanten. Ungeachtet der Gegenwart des Gefängnißbeamten und ſeiner genaueſten Auf- 2) 2) nicht weniger als 30 Thaler, die er einem Handelsmann beim Wechſeln aus der Geldkatze geſtohlen hatte, dieſem wieder zuzuplanten, als derſelbe ihn anhielt, ihm ins Quartier folgte und dort auf Wolff Moſes’ Verlangen ſein Geld nachzählte, welches er nun mit Staunen ganz richtig fand. Jn einem andern Falle wußte Jakob Bernhardt, aus dem lübeckiſchen Dorfe Moisling, in einem berliner Laden, wo er Medaillen ſtehlen wollte, und von dem zuvor gewarnten Ladenbeſitzer nebſt zwei im Laden verſteckten Polizeibeamten ſcharf beobachtet wurde, nicht nur dennoch vier Medaillen zu ſtehlen, ſondern auch bei ſeiner Arretirung unvermerkt dem ihn begleitenden Polizeicommiſſarius in die Taſche zuzuplanten. Vgl. Thiele, a. a. O., II, 111. Unübertroffen bleibt jedoch die Gewandtheit und Frechheit des Cartouche. Als er nämlich am meiſten in Paris von ſich reden machte, äußerte der König einmal bei der Abendtafel, er möchte den Cartouche doch wol einmal ſehen. Andern Morgens auf dem Wege nach dem Audienzſaal, in Begleitung zweier Kammerherren, bemerkte der König in einem Zimmer einen Menſchen, der die filbernen Wandleuchter zu poliren ſchien. Die Leiter, auf welcher er ſtand, drehte ſich ſowie der König ſich näherte, und wollte umfallen. Der König ſprang ſogleich hinzu und hielt ſie mit den Worten: „Nehmen Sie ſich in Acht, Sie konnten leicht verunglücken“. Cartouche ſtieg jetzt von der Leiter, machte dem Könige ſeine Verbeugung mit den Worten: „Ew. Majeſtät ſind ein zu gnädiger Monarch, unter deſſen Schutz ich nie verunglücken werde.“ Der König lächelte über dieſe Worte des vermeinten Leuchterputzers, und ging in den Audienzſaal, in welchem er ſofort in die Taſche nach ſeiner Doſe griff. Zu ſeinem Erſtaunen lag in der Doſe ein Billet: „Cartouche hat die Ehre gehabt mit Ew. Maje- ſtät zu ſprechen. Er konnte die filbernen Wandleuchter nehmen und auch Ew. Majeſtät Doſe, denn ſie waren in ſeinen Händen; allein Cartouche raubt ſeinem Könige nichts. Er wollte nur Ew. Majeſtät Wunſch erfüllen.“ Na- türlich hatte Cartouche ſich ſogleich aus dem Staube gemacht. Vgl. „Neueſtes Räuber-, Diebs- und Gaunerarchiv“ (Quedlinburg 1812), S. 138.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/92>, abgerufen am 27.11.2024.