Mit der Vollendung des Diebstahls ist der Besitz des ge- stohlenen Guts noch nicht gleich gesichert und die Gefahr der Entdeckung noch nicht gleich beseitigt. Der Gauner weiß, daß der Besitz einer gestohlenen Sache ein schweres Jndicium gegen ihn ist. Deshalb ist seine erste Sorge, das Gestohlene sofort aus seinen Händen in die der Genossen zu geben, deren Gegenwart oder Betheiligung beim Diebstahle gar nicht oder doch schwieriger zu beweisen ist. Dieses rasche und heimliche Fortgeben in die Hände der Genossen heißt zuplanten1), und geht äußerst behende und rasch von statten, da bei allen gewagtern Unter- nehmungen, die ein Zuplanten nöthig und nützlich machen, sich die Genossen jedesmal dazu bereithalten, das Gestohlene dem Diebe rasch abzunehmen. So ist oft schon eine Uhr oder Dose längst aus dem Theater, ehe der noch bei dem Diebe sitzende Bestohlene (Balhei) dieselbe vermißt. Der Balhei hat nun selbst bei dem dringendsten Verdacht keinen Beweis gegen den Dieb, und setzt sich bei einer Anschuldigung den gröbsten Beleidigungen oder sogar einer lästigen gerichtlichen Procedur aus. Oft ist aber auch der Verdacht so rasch und dringend, daß der Gauner das Gestoh- lene nicht schnell genug den Genossen zustecken kann. Hier kommt es nun darauf an, dem Balhei selbst oder dem ersten besten in der Nähe befindlichen Unbekannten unvermerkt das Gestohlene zu- zuplanten, was häufig bei der erstaunlichen Fertigkeit der Gauner glänzend gelingt, und dann den anschuldigenden Balhei in die peinlichste Situation versetzt. Frappant sind die Fälle, welche Thiele bei Gelegenheit der Löwenthal'schen Untersuchung erzählt. 2)
1) D. h. zupflanzen, in die Hand eines Dritten pflanzen. Dies Wort steht der Bedeutung nach mit der Kawure in enger Beziehung, s. das Ka- pitel Kawure. Die spanische Gaunersprache, Germania genannt, hat Plantar, eingraben, kawure legen.
2) Jn dem einen Falle wußte der Gauner Wolff Moses am 18. Mai 1830
Vierundzwanzigſtes Kapitel. γ) Das Zuplanten.
Mit der Vollendung des Diebſtahls iſt der Beſitz des ge- ſtohlenen Guts noch nicht gleich geſichert und die Gefahr der Entdeckung noch nicht gleich beſeitigt. Der Gauner weiß, daß der Beſitz einer geſtohlenen Sache ein ſchweres Jndicium gegen ihn iſt. Deshalb iſt ſeine erſte Sorge, das Geſtohlene ſofort aus ſeinen Händen in die der Genoſſen zu geben, deren Gegenwart oder Betheiligung beim Diebſtahle gar nicht oder doch ſchwieriger zu beweiſen iſt. Dieſes raſche und heimliche Fortgeben in die Hände der Genoſſen heißt zuplanten1), und geht äußerſt behende und raſch von ſtatten, da bei allen gewagtern Unter- nehmungen, die ein Zuplanten nöthig und nützlich machen, ſich die Genoſſen jedesmal dazu bereithalten, das Geſtohlene dem Diebe raſch abzunehmen. So iſt oft ſchon eine Uhr oder Doſe längſt aus dem Theater, ehe der noch bei dem Diebe ſitzende Beſtohlene (Balhei) dieſelbe vermißt. Der Balhei hat nun ſelbſt bei dem dringendſten Verdacht keinen Beweis gegen den Dieb, und ſetzt ſich bei einer Anſchuldigung den gröbſten Beleidigungen oder ſogar einer läſtigen gerichtlichen Procedur aus. Oft iſt aber auch der Verdacht ſo raſch und dringend, daß der Gauner das Geſtoh- lene nicht ſchnell genug den Genoſſen zuſtecken kann. Hier kommt es nun darauf an, dem Balhei ſelbſt oder dem erſten beſten in der Nähe befindlichen Unbekannten unvermerkt das Geſtohlene zu- zuplanten, was häufig bei der erſtaunlichen Fertigkeit der Gauner glänzend gelingt, und dann den anſchuldigenden Balhei in die peinlichſte Situation verſetzt. Frappant ſind die Fälle, welche Thiele bei Gelegenheit der Löwenthal’ſchen Unterſuchung erzählt. 2)
1) D. h. zupflanzen, in die Hand eines Dritten pflanzen. Dies Wort ſteht der Bedeutung nach mit der Kawure in enger Beziehung, ſ. das Ka- pitel Kawure. Die ſpaniſche Gaunerſprache, Germania genannt, hat Plantar, eingraben, kawure legen.
2) Jn dem einen Falle wußte der Gauner Wolff Moſes am 18. Mai 1830
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Vierundzwanzigſtes Kapitel.
γ) Das Zuplanten.
Mit der Vollendung des Diebſtahls iſt der Beſitz des ge-
ſtohlenen Guts noch nicht gleich geſichert und die Gefahr der
Entdeckung noch nicht gleich beſeitigt. Der Gauner weiß, daß
der Beſitz einer geſtohlenen Sache ein ſchweres Jndicium gegen
ihn iſt. Deshalb iſt ſeine erſte Sorge, das Geſtohlene ſofort aus
ſeinen Händen in die der Genoſſen zu geben, deren Gegenwart
oder Betheiligung beim Diebſtahle gar nicht oder doch ſchwieriger
zu beweiſen iſt. Dieſes raſche und heimliche Fortgeben in die
Hände der Genoſſen heißt zuplanten 1), und geht äußerſt
behende und raſch von ſtatten, da bei allen gewagtern Unter-
nehmungen, die ein Zuplanten nöthig und nützlich machen, ſich
die Genoſſen jedesmal dazu bereithalten, das Geſtohlene dem
Diebe raſch abzunehmen. So iſt oft ſchon eine Uhr oder
Doſe längſt aus dem Theater, ehe der noch bei dem Diebe ſitzende
Beſtohlene (Balhei) dieſelbe vermißt. Der Balhei hat nun ſelbſt
bei dem dringendſten Verdacht keinen Beweis gegen den Dieb, und
ſetzt ſich bei einer Anſchuldigung den gröbſten Beleidigungen oder
ſogar einer läſtigen gerichtlichen Procedur aus. Oft iſt aber auch
der Verdacht ſo raſch und dringend, daß der Gauner das Geſtoh-
lene nicht ſchnell genug den Genoſſen zuſtecken kann. Hier kommt
es nun darauf an, dem Balhei ſelbſt oder dem erſten beſten in
der Nähe befindlichen Unbekannten unvermerkt das Geſtohlene zu-
zuplanten, was häufig bei der erſtaunlichen Fertigkeit der Gauner
glänzend gelingt, und dann den anſchuldigenden Balhei in die
peinlichſte Situation verſetzt. Frappant ſind die Fälle, welche
Thiele bei Gelegenheit der Löwenthal’ſchen Unterſuchung erzählt. 2)
1) D. h. zupflanzen, in die Hand eines Dritten pflanzen. Dies Wort
ſteht der Bedeutung nach mit der Kawure in enger Beziehung, ſ. das Ka-
pitel Kawure. Die ſpaniſche Gaunerſprache, Germania genannt, hat
Plantar, eingraben, kawure legen.
2) Jn dem einen Falle wußte der Gauner Wolff Moſes am 18. Mai 1830
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/91>, abgerufen am 28.07.2024.
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