Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.zeit, in welchem Falle meistens die Flucht versucht, wenn nicht 1) Einen solchen sehr pikanten Fall erzählt Thiele, a. a. O., I, 37.
Hirsch Salomon Wohlauer, der im Jahre 1830 das Logis eines in Berlin anwesenden fremden Leinwandhändlers aufgeschlossen, aus einer Schublade 62 Thaler entwandt hatte, und schon im Begriff war fortzugehen, wurde vom unerwartet dazu kommenden Bestohlenen noch im Zimmer betroffen. Ohne die mindeste Verlegenheit redete Wohlauer jenen an, wie er so unvorsichtig sein könne, die Thür offen zu lassen, die er offen gefunden habe, als er gekommen sei, um Leinwand zu kaufen. Wohlauer kaufte hierauf dem Bestohlenen noch ein Stück Leinwand ab, bezahlte es mit dem gestohlenen Gelde und entfernte sich unangefochten. zeit, in welchem Falle meiſtens die Flucht verſucht, wenn nicht 1) Einen ſolchen ſehr pikanten Fall erzählt Thiele, a. a. O., I, 37.
Hirſch Salomon Wohlauer, der im Jahre 1830 das Logis eines in Berlin anweſenden fremden Leinwandhändlers aufgeſchloſſen, aus einer Schublade 62 Thaler entwandt hatte, und ſchon im Begriff war fortzugehen, wurde vom unerwartet dazu kommenden Beſtohlenen noch im Zimmer betroffen. Ohne die mindeſte Verlegenheit redete Wohlauer jenen an, wie er ſo unvorſichtig ſein könne, die Thür offen zu laſſen, die er offen gefunden habe, als er gekommen ſei, um Leinwand zu kaufen. Wohlauer kaufte hierauf dem Beſtohlenen noch ein Stück Leinwand ab, bezahlte es mit dem geſtohlenen Gelde und entfernte ſich unangefochten. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0090" n="78"/> zeit, in welchem Falle meiſtens die Flucht verſucht, wenn nicht<lb/> zur Gegenwehr und Gewalt gegriffen wird. Am Tage iſt die<lb/> Gegenwart eines Fremden, der beim Aufſtoß ſogleich nach einem<lb/> Herrn Müller, Meyer oder Fiſcher u. ſ. w. fragt, einigermaßen<lb/> unverdächtig anzuſehen, namentlich wenn er ſich als Geſchäfts-<lb/> mann zu irgendeinem Gewerbe, als zum Zahnausziehen, Friſiren,<lb/> Raſiren, Klavierſtimmen, Tapeziren, Uhrenaufziehen, oder die<lb/> weibliche Gaunerin als Hebamme, Lavementſetzerin, Putzhändlerin<lb/> beſtellt, in Gaſthöfen auch wol fich ſogar für eine disponible<lb/> Perſon ausgibt. Selbſt im ſchon aufgeſchloſſenen Zimmer kann<lb/> der Dieb beim Aufſtoß ſich als für ein ſolches Gewerbe beſtellt<lb/> geltend machen und ſein Eintreten durch die offengefundene Thür<lb/> artig entſchuldigen. <note place="foot" n="1)">Einen ſolchen ſehr pikanten Fall erzählt Thiele, a. a. O., <hi rendition="#aq">I,</hi> 37.<lb/> Hirſch Salomon Wohlauer, der im Jahre 1830 das Logis eines in Berlin<lb/> anweſenden fremden Leinwandhändlers aufgeſchloſſen, aus einer Schublade<lb/> 62 Thaler entwandt hatte, und ſchon im Begriff war fortzugehen, wurde vom<lb/> unerwartet dazu kommenden Beſtohlenen noch im Zimmer betroffen. Ohne die<lb/> mindeſte Verlegenheit redete Wohlauer jenen an, wie er ſo unvorſichtig ſein<lb/> könne, die Thür offen zu laſſen, die er offen gefunden habe, als er gekommen<lb/> ſei, um Leinwand zu kaufen. Wohlauer kaufte hierauf dem Beſtohlenen noch<lb/> ein Stück Leinwand ab, bezahlte es mit dem geſtohlenen Gelde und entfernte<lb/> ſich unangefochten.</note> Aus gleicher Vorſicht geht der ſchon mit<lb/> geſtohlenen Sachen bepackte Dieb ſtets rückwärts die Treppen<lb/> hinab, indem er bei herannahendem Geräuſch ſofort die Treppen<lb/> hinanſteigen kann, als ob er Sachen an Herrn Müller, Meyer,<lb/> Fiſcher u. ſ. w. <hi rendition="#g">bringen</hi> will, wobei er denn meiſtens von dem<lb/> Beſtohlenen ſelbſt als in eine falſche Wohnung gerathen, aus dem<lb/> Hauſe gewieſen wird, das er denn auch mit einer flüchtigen Ent-<lb/> ſchuldigung raſch verläßt. Andere feſte Regeln können kaum an-<lb/> geführt werden. Die jedesmalige Situation gibt die Rorm, beim<lb/> Aufſtoß den Freier zu meiſtern, damit der Maſſematten vollſtändig<lb/> „gehandelt“ werde.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [78/0090]
zeit, in welchem Falle meiſtens die Flucht verſucht, wenn nicht
zur Gegenwehr und Gewalt gegriffen wird. Am Tage iſt die
Gegenwart eines Fremden, der beim Aufſtoß ſogleich nach einem
Herrn Müller, Meyer oder Fiſcher u. ſ. w. fragt, einigermaßen
unverdächtig anzuſehen, namentlich wenn er ſich als Geſchäfts-
mann zu irgendeinem Gewerbe, als zum Zahnausziehen, Friſiren,
Raſiren, Klavierſtimmen, Tapeziren, Uhrenaufziehen, oder die
weibliche Gaunerin als Hebamme, Lavementſetzerin, Putzhändlerin
beſtellt, in Gaſthöfen auch wol fich ſogar für eine disponible
Perſon ausgibt. Selbſt im ſchon aufgeſchloſſenen Zimmer kann
der Dieb beim Aufſtoß ſich als für ein ſolches Gewerbe beſtellt
geltend machen und ſein Eintreten durch die offengefundene Thür
artig entſchuldigen. 1) Aus gleicher Vorſicht geht der ſchon mit
geſtohlenen Sachen bepackte Dieb ſtets rückwärts die Treppen
hinab, indem er bei herannahendem Geräuſch ſofort die Treppen
hinanſteigen kann, als ob er Sachen an Herrn Müller, Meyer,
Fiſcher u. ſ. w. bringen will, wobei er denn meiſtens von dem
Beſtohlenen ſelbſt als in eine falſche Wohnung gerathen, aus dem
Hauſe gewieſen wird, das er denn auch mit einer flüchtigen Ent-
ſchuldigung raſch verläßt. Andere feſte Regeln können kaum an-
geführt werden. Die jedesmalige Situation gibt die Rorm, beim
Aufſtoß den Freier zu meiſtern, damit der Maſſematten vollſtändig
„gehandelt“ werde.
1) Einen ſolchen ſehr pikanten Fall erzählt Thiele, a. a. O., I, 37.
Hirſch Salomon Wohlauer, der im Jahre 1830 das Logis eines in Berlin
anweſenden fremden Leinwandhändlers aufgeſchloſſen, aus einer Schublade
62 Thaler entwandt hatte, und ſchon im Begriff war fortzugehen, wurde vom
unerwartet dazu kommenden Beſtohlenen noch im Zimmer betroffen. Ohne die
mindeſte Verlegenheit redete Wohlauer jenen an, wie er ſo unvorſichtig ſein
könne, die Thür offen zu laſſen, die er offen gefunden habe, als er gekommen
ſei, um Leinwand zu kaufen. Wohlauer kaufte hierauf dem Beſtohlenen noch
ein Stück Leinwand ab, bezahlte es mit dem geſtohlenen Gelde und entfernte
ſich unangefochten.
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