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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Nutzen sein kann; aber im Verkehr mit Beamten und in Verhören
treibt er sein boshaftes Spiel damit, den Fragenden absichtlich
falsch zu verstehen, und auf die an ihn gerichteten Fragen mit
dem vollen Scheine des unbefangenen Misverständnisses beißende
und malitiöse Antworten zu geben. Erfahrene Gauner können
dies Spiel mit großer Consequenz und stoischer Ruhe fortsetzen,
auch wissen viele sogar jene klanglose gedämpfte Sprachweise,
welche den wirklich Schwerhörigen eigen ist, sehr gut zu copiren.
Der Jnquirent schont sich am meisten und den Simulanten am
wenigsten, wenn er unablässig durch einen Subalternen mit kräf-
tigem Sprachorgane seine Fragen dem Simulanten dicht und laut
ins Ohr rufen läßt, was mindestens auf die Länge dem Simu-
lanten unerträglich wird, den wirklich Schwerhörigen aber wenig
afficirt.



Zehntes Kapitel.
z) Geisteskrankheiten.

Geisteskrankheiten werden von Gaunern nur selten und
in ganz besondern Fällen simulirt, da die Erscheinung geistiger
Störung zu auffällig und bedenklich ist, als daß nicht die Behörden
ein mit solchen Symptomen auftretendes Jndividuum jedenfalls
berücksichtigen und verfestigen sollten. Jndessen wird oft, um Ver-
tuss zu machen, besonders auf Jahr- und Viehmärkten, von
Gaunern Albernheit simulirt, wobei denn seine Genossen zu
schottenfellen und zu torfdrucken suchen. Selten tritt ein solcher
Simulant selbst als Haupthändler, sondern meistens als Neben-
person, Musikant, Gepäckträger u. dgl. auf, der, wenn er ge-
hänselt wird, und seine schlechte Geige zerschlagen läßt, sich sehr
häufig durch geschicktes Torfdrucken reichlich für den ihm zugefüg-
ten Schimpf und Schaden zu erholen weiß. Auch bei dem Schmire-
stehen spielen die Gauner häufig neben dem Betrunkenen auch den
Albernen, um herzukommende Wächter und Bestohlene aufzuhal-
ten und zu täuschen. Jn der Untersuchungshaft und Strafhaft

Ave-Lallemant, Gaunerthum. II. 4

Nutzen ſein kann; aber im Verkehr mit Beamten und in Verhören
treibt er ſein boshaftes Spiel damit, den Fragenden abſichtlich
falſch zu verſtehen, und auf die an ihn gerichteten Fragen mit
dem vollen Scheine des unbefangenen Misverſtändniſſes beißende
und malitiöſe Antworten zu geben. Erfahrene Gauner können
dies Spiel mit großer Conſequenz und ſtoiſcher Ruhe fortſetzen,
auch wiſſen viele ſogar jene klangloſe gedämpfte Sprachweiſe,
welche den wirklich Schwerhörigen eigen iſt, ſehr gut zu copiren.
Der Jnquirent ſchont ſich am meiſten und den Simulanten am
wenigſten, wenn er unabläſſig durch einen Subalternen mit kräf-
tigem Sprachorgane ſeine Fragen dem Simulanten dicht und laut
ins Ohr rufen läßt, was mindeſtens auf die Länge dem Simu-
lanten unerträglich wird, den wirklich Schwerhörigen aber wenig
afficirt.



Zehntes Kapitel.
ζ) Geiſteskrankheiten.

Geiſteskrankheiten werden von Gaunern nur ſelten und
in ganz beſondern Fällen ſimulirt, da die Erſcheinung geiſtiger
Störung zu auffällig und bedenklich iſt, als daß nicht die Behörden
ein mit ſolchen Symptomen auftretendes Jndividuum jedenfalls
berückſichtigen und verfeſtigen ſollten. Jndeſſen wird oft, um Ver-
tuſſ zu machen, beſonders auf Jahr- und Viehmärkten, von
Gaunern Albernheit ſimulirt, wobei denn ſeine Genoſſen zu
ſchottenfellen und zu torfdrucken ſuchen. Selten tritt ein ſolcher
Simulant ſelbſt als Haupthändler, ſondern meiſtens als Neben-
perſon, Muſikant, Gepäckträger u. dgl. auf, der, wenn er ge-
hänſelt wird, und ſeine ſchlechte Geige zerſchlagen läßt, ſich ſehr
häufig durch geſchicktes Torfdrucken reichlich für den ihm zugefüg-
ten Schimpf und Schaden zu erholen weiß. Auch bei dem Schmire-
ſtehen ſpielen die Gauner häufig neben dem Betrunkenen auch den
Albernen, um herzukommende Wächter und Beſtohlene aufzuhal-
ten und zu täuſchen. Jn der Unterſuchungshaft und Strafhaft

Avé-Lallemant, Gaunerthum. II. 4
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[49/0061] Nutzen ſein kann; aber im Verkehr mit Beamten und in Verhören treibt er ſein boshaftes Spiel damit, den Fragenden abſichtlich falſch zu verſtehen, und auf die an ihn gerichteten Fragen mit dem vollen Scheine des unbefangenen Misverſtändniſſes beißende und malitiöſe Antworten zu geben. Erfahrene Gauner können dies Spiel mit großer Conſequenz und ſtoiſcher Ruhe fortſetzen, auch wiſſen viele ſogar jene klangloſe gedämpfte Sprachweiſe, welche den wirklich Schwerhörigen eigen iſt, ſehr gut zu copiren. Der Jnquirent ſchont ſich am meiſten und den Simulanten am wenigſten, wenn er unabläſſig durch einen Subalternen mit kräf- tigem Sprachorgane ſeine Fragen dem Simulanten dicht und laut ins Ohr rufen läßt, was mindeſtens auf die Länge dem Simu- lanten unerträglich wird, den wirklich Schwerhörigen aber wenig afficirt. Zehntes Kapitel. ζ) Geiſteskrankheiten. Geiſteskrankheiten werden von Gaunern nur ſelten und in ganz beſondern Fällen ſimulirt, da die Erſcheinung geiſtiger Störung zu auffällig und bedenklich iſt, als daß nicht die Behörden ein mit ſolchen Symptomen auftretendes Jndividuum jedenfalls berückſichtigen und verfeſtigen ſollten. Jndeſſen wird oft, um Ver- tuſſ zu machen, beſonders auf Jahr- und Viehmärkten, von Gaunern Albernheit ſimulirt, wobei denn ſeine Genoſſen zu ſchottenfellen und zu torfdrucken ſuchen. Selten tritt ein ſolcher Simulant ſelbſt als Haupthändler, ſondern meiſtens als Neben- perſon, Muſikant, Gepäckträger u. dgl. auf, der, wenn er ge- hänſelt wird, und ſeine ſchlechte Geige zerſchlagen läßt, ſich ſehr häufig durch geſchicktes Torfdrucken reichlich für den ihm zugefüg- ten Schimpf und Schaden zu erholen weiß. Auch bei dem Schmire- ſtehen ſpielen die Gauner häufig neben dem Betrunkenen auch den Albernen, um herzukommende Wächter und Beſtohlene aufzuhal- ten und zu täuſchen. Jn der Unterſuchungshaft und Strafhaft Avé-Lallemant, Gaunerthum. II. 4

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/61>, abgerufen am 24.11.2024.