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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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beginn an speculirt hat. Ueber diesen Betrug klagt schon der
heilige Ambrosius in seinen Briefen an den Symmachus; schon
die Kapitularien warnen vor den Betrügern: qui nudi cum ferro
prodeunt;
der Liber Vagatorum zeichnet eine Menge simulanter
Siechen; die Epilepsie, das böse Wesen wurde in der Zeit der
wüthenden Hexenverfolgungen als Betrug geahnt, und als Teu-
felswerk mit Exorcismus oder dem Scheiterhaufen paralysirt,
während die Kinder der Gauner im vorigen Jahrhundert abge-
richtet waren, ebenso geschickt den Taubstummen zu spielen, als
"auf die Pille zu schnorren", wie der bekannte Gauner, welcher
noch heutiges Tags unter der Larve eines Gärtners schon seit
mehreren Jahren ganz Deutschland durchzieht, und von der simu-
lirten Epilepsie seinen ganzen Lebensunterhalt zieht.



Fünftes Kapitel.
a) Die körperlichen Entstellungen und künstlichen Merkmale.

Das gaunerische Jnteresse macht es für den Gauner zur
Hauptaufgabe, seine äußere Erscheinung so zu geben, daß, wenn
sie in einer Urkunde polizeilich fixirt und documentirt ist, ihm doch
immer eine Aenderung der persönlichen Erscheinung möglich bleibt,
um gerade nach der von ihm vorgenommenen Aenderung den
Unterschied seiner jetzigen persönlichen Erscheinung mit der frühern
documentirten darlegen, mithin für eine ganz andere Jndividualität
gelten zu können. Die gaunerische Kunst hat daher besonders die
in den gedruckten Paß- und Steckbriefschematen enthaltenen Per-
sonalien zu einem wahren Kunstkatalog gemacht, an dessen Ver-
vollkommnung sie rastlos arbeitet, und mit täglich neuen Verbesse-
rungen hervortritt. Selbst die gemessene Körperlänge ist, wie die
Erfahrung zeigt, einer Variation fähig. Besonders gelingt es
Weibern, bei nicht sehr genau controlirter Messung die Knie zu
beugen und den Körper so zusammen zu drücken, daß eine erheb-
liche Abweichung stattfindet. Jn den sechs verschiedenen steckbrief-

beginn an ſpeculirt hat. Ueber dieſen Betrug klagt ſchon der
heilige Ambroſius in ſeinen Briefen an den Symmachus; ſchon
die Kapitularien warnen vor den Betrügern: qui nudi cum ferro
prodeunt;
der Liber Vagatorum zeichnet eine Menge ſimulanter
Siechen; die Epilepſie, das böſe Weſen wurde in der Zeit der
wüthenden Hexenverfolgungen als Betrug geahnt, und als Teu-
felswerk mit Exorcismus oder dem Scheiterhaufen paralyſirt,
während die Kinder der Gauner im vorigen Jahrhundert abge-
richtet waren, ebenſo geſchickt den Taubſtummen zu ſpielen, als
„auf die Pille zu ſchnorren“, wie der bekannte Gauner, welcher
noch heutiges Tags unter der Larve eines Gärtners ſchon ſeit
mehreren Jahren ganz Deutſchland durchzieht, und von der ſimu-
lirten Epilepſie ſeinen ganzen Lebensunterhalt zieht.



Fünftes Kapitel.
α) Die körperlichen Entſtellungen und künſtlichen Merkmale.

Das gauneriſche Jntereſſe macht es für den Gauner zur
Hauptaufgabe, ſeine äußere Erſcheinung ſo zu geben, daß, wenn
ſie in einer Urkunde polizeilich fixirt und documentirt iſt, ihm doch
immer eine Aenderung der perſönlichen Erſcheinung möglich bleibt,
um gerade nach der von ihm vorgenommenen Aenderung den
Unterſchied ſeiner jetzigen perſönlichen Erſcheinung mit der frühern
documentirten darlegen, mithin für eine ganz andere Jndividualität
gelten zu können. Die gauneriſche Kunſt hat daher beſonders die
in den gedruckten Paß- und Steckbriefſchematen enthaltenen Per-
ſonalien zu einem wahren Kunſtkatalog gemacht, an deſſen Ver-
vollkommnung ſie raſtlos arbeitet, und mit täglich neuen Verbeſſe-
rungen hervortritt. Selbſt die gemeſſene Körperlänge iſt, wie die
Erfahrung zeigt, einer Variation fähig. Beſonders gelingt es
Weibern, bei nicht ſehr genau controlirter Meſſung die Knie zu
beugen und den Körper ſo zuſammen zu drücken, daß eine erheb-
liche Abweichung ſtattfindet. Jn den ſechs verſchiedenen ſteckbrief-

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[39/0051] beginn an ſpeculirt hat. Ueber dieſen Betrug klagt ſchon der heilige Ambroſius in ſeinen Briefen an den Symmachus; ſchon die Kapitularien warnen vor den Betrügern: qui nudi cum ferro prodeunt; der Liber Vagatorum zeichnet eine Menge ſimulanter Siechen; die Epilepſie, das böſe Weſen wurde in der Zeit der wüthenden Hexenverfolgungen als Betrug geahnt, und als Teu- felswerk mit Exorcismus oder dem Scheiterhaufen paralyſirt, während die Kinder der Gauner im vorigen Jahrhundert abge- richtet waren, ebenſo geſchickt den Taubſtummen zu ſpielen, als „auf die Pille zu ſchnorren“, wie der bekannte Gauner, welcher noch heutiges Tags unter der Larve eines Gärtners ſchon ſeit mehreren Jahren ganz Deutſchland durchzieht, und von der ſimu- lirten Epilepſie ſeinen ganzen Lebensunterhalt zieht. Fünftes Kapitel. α) Die körperlichen Entſtellungen und künſtlichen Merkmale. Das gauneriſche Jntereſſe macht es für den Gauner zur Hauptaufgabe, ſeine äußere Erſcheinung ſo zu geben, daß, wenn ſie in einer Urkunde polizeilich fixirt und documentirt iſt, ihm doch immer eine Aenderung der perſönlichen Erſcheinung möglich bleibt, um gerade nach der von ihm vorgenommenen Aenderung den Unterſchied ſeiner jetzigen perſönlichen Erſcheinung mit der frühern documentirten darlegen, mithin für eine ganz andere Jndividualität gelten zu können. Die gauneriſche Kunſt hat daher beſonders die in den gedruckten Paß- und Steckbriefſchematen enthaltenen Per- ſonalien zu einem wahren Kunſtkatalog gemacht, an deſſen Ver- vollkommnung ſie raſtlos arbeitet, und mit täglich neuen Verbeſſe- rungen hervortritt. Selbſt die gemeſſene Körperlänge iſt, wie die Erfahrung zeigt, einer Variation fähig. Beſonders gelingt es Weibern, bei nicht ſehr genau controlirter Meſſung die Knie zu beugen und den Körper ſo zuſammen zu drücken, daß eine erheb- liche Abweichung ſtattfindet. Jn den ſechs verſchiedenen ſteckbrief-

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/51>, abgerufen am 23.11.2024.