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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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wird bald Aufschluß darüber bekommen, wo wesentlich die Pro-
paganda der jetzt auch auf dem Lande mehr und mehr um sich
greifenden Syphilis steckt, und wie theuer mancher reiche Bauer-
bursche seine Prahlerei, "mit einer feinen Mamsell oder feinen
Kunstmacherin schön gethan zu haben", bezahlen muß.

Bei der Entsittlichung des Gaunerthums kann schwerlich von
irgendeiner Religiösität die Rede sein. Die namentlich im 17.
und 18. Jahrhundert von Geistlichen vielfach nicht ohne Selbst-
gefälligkeit dargestellte Reue und Bußfertigkeit zum Tode verur-
theilter Räuber und Gauner erscheint meistens nur als mürbe
Verzagtheit, die nicht durch den reumüthigen Rückblick auf das
vergangene sündige Leben, sondern durch den Hinblick auf das
nahe Schaffot geweckt wurde. Man findet Gauner bei Proces-
sionen, Wallfahrten, in dichtgefüllten Kirchen, um Diebstahls-
gelegenheiten zu erspähen; man findet bei Gaunern Rosenkränze,
man sieht sie beten in den Kirchen, aber Rosenkranz und Gebet
ist der Schein, unter dem der Gauner seinen erkorenen Opfern
näher zu rücken sucht, um sie zu bestehlen. Jn den Kirchen be-
finden sich ebenso wol wie an Aborten die Stätten und Zeichen,
an denen die Gauner ihre geheimen Verabredungen auf die man-
nichfaltigste Weise treffen. 1) Um des Scheines willen gehen manche
Gauner zur Beichte und zum Abendmahl, nebenbei aber auch oft
wirklich um Absolution zu erhalten für künftige Diebstähle. Ja
die Fälle sind nicht selten, wo Gelübde gethan werden 2) für das

1) Schon im Mittelalter hatten besonders die französischen Gauner in
irgendeinem Winkel der besuchtesten Kirchen von Thon zusammengedrückte
Würfel liegen, welche der zuerst in die Kirche kommende Gauner so hinlegte,
daß die Eins oben stand. Der zweite kehrte den Würfel auf Nummer zwei
und so fort, damit jeder Nachfolgende wußte, wie viele Kameraden der Ge-
nossenschaft sich in dem Gedränge zur Ausführung der verabredeten Gaunerei
eingefunden hätten.
2) Bezeichnend ist die Aeußerung des zu Buchloe hingerichteten Gottfried
Frei ("Sulzer Liste", 1801, S. 71): "Unser lieber Herr Gott und liebe
Mutter Gottes sollen so große Helfer und Fürbitter sein; diese thun uns aber
nie in ein Bauernhaus, Wirthshaus oder Amtshaus, wo viel Geld ist, helfen."

wird bald Aufſchluß darüber bekommen, wo weſentlich die Pro-
paganda der jetzt auch auf dem Lande mehr und mehr um ſich
greifenden Syphilis ſteckt, und wie theuer mancher reiche Bauer-
burſche ſeine Prahlerei, „mit einer feinen Mamſell oder feinen
Kunſtmacherin ſchön gethan zu haben“, bezahlen muß.

Bei der Entſittlichung des Gaunerthums kann ſchwerlich von
irgendeiner Religiöſität die Rede ſein. Die namentlich im 17.
und 18. Jahrhundert von Geiſtlichen vielfach nicht ohne Selbſt-
gefälligkeit dargeſtellte Reue und Bußfertigkeit zum Tode verur-
theilter Räuber und Gauner erſcheint meiſtens nur als mürbe
Verzagtheit, die nicht durch den reumüthigen Rückblick auf das
vergangene ſündige Leben, ſondern durch den Hinblick auf das
nahe Schaffot geweckt wurde. Man findet Gauner bei Proceſ-
ſionen, Wallfahrten, in dichtgefüllten Kirchen, um Diebſtahls-
gelegenheiten zu erſpähen; man findet bei Gaunern Roſenkränze,
man ſieht ſie beten in den Kirchen, aber Roſenkranz und Gebet
iſt der Schein, unter dem der Gauner ſeinen erkorenen Opfern
näher zu rücken ſucht, um ſie zu beſtehlen. Jn den Kirchen be-
finden ſich ebenſo wol wie an Aborten die Stätten und Zeichen,
an denen die Gauner ihre geheimen Verabredungen auf die man-
nichfaltigſte Weiſe treffen. 1) Um des Scheines willen gehen manche
Gauner zur Beichte und zum Abendmahl, nebenbei aber auch oft
wirklich um Abſolution zu erhalten für künftige Diebſtähle. Ja
die Fälle ſind nicht ſelten, wo Gelübde gethan werden 2) für das

1) Schon im Mittelalter hatten beſonders die franzöſiſchen Gauner in
irgendeinem Winkel der beſuchteſten Kirchen von Thon zuſammengedrückte
Würfel liegen, welche der zuerſt in die Kirche kommende Gauner ſo hinlegte,
daß die Eins oben ſtand. Der zweite kehrte den Würfel auf Nummer zwei
und ſo fort, damit jeder Nachfolgende wußte, wie viele Kameraden der Ge-
noſſenſchaft ſich in dem Gedränge zur Ausführung der verabredeten Gaunerei
eingefunden hätten.
2) Bezeichnend iſt die Aeußerung des zu Buchloe hingerichteten Gottfried
Frei („Sulzer Liſte“, 1801, S. 71): „Unſer lieber Herr Gott und liebe
Mutter Gottes ſollen ſo große Helfer und Fürbitter ſein; dieſe thun uns aber
nie in ein Bauernhaus, Wirthshaus oder Amtshaus, wo viel Geld iſt, helfen.“
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[30/0042] wird bald Aufſchluß darüber bekommen, wo weſentlich die Pro- paganda der jetzt auch auf dem Lande mehr und mehr um ſich greifenden Syphilis ſteckt, und wie theuer mancher reiche Bauer- burſche ſeine Prahlerei, „mit einer feinen Mamſell oder feinen Kunſtmacherin ſchön gethan zu haben“, bezahlen muß. Bei der Entſittlichung des Gaunerthums kann ſchwerlich von irgendeiner Religiöſität die Rede ſein. Die namentlich im 17. und 18. Jahrhundert von Geiſtlichen vielfach nicht ohne Selbſt- gefälligkeit dargeſtellte Reue und Bußfertigkeit zum Tode verur- theilter Räuber und Gauner erſcheint meiſtens nur als mürbe Verzagtheit, die nicht durch den reumüthigen Rückblick auf das vergangene ſündige Leben, ſondern durch den Hinblick auf das nahe Schaffot geweckt wurde. Man findet Gauner bei Proceſ- ſionen, Wallfahrten, in dichtgefüllten Kirchen, um Diebſtahls- gelegenheiten zu erſpähen; man findet bei Gaunern Roſenkränze, man ſieht ſie beten in den Kirchen, aber Roſenkranz und Gebet iſt der Schein, unter dem der Gauner ſeinen erkorenen Opfern näher zu rücken ſucht, um ſie zu beſtehlen. Jn den Kirchen be- finden ſich ebenſo wol wie an Aborten die Stätten und Zeichen, an denen die Gauner ihre geheimen Verabredungen auf die man- nichfaltigſte Weiſe treffen. 1) Um des Scheines willen gehen manche Gauner zur Beichte und zum Abendmahl, nebenbei aber auch oft wirklich um Abſolution zu erhalten für künftige Diebſtähle. Ja die Fälle ſind nicht ſelten, wo Gelübde gethan werden 2) für das 1) Schon im Mittelalter hatten beſonders die franzöſiſchen Gauner in irgendeinem Winkel der beſuchteſten Kirchen von Thon zuſammengedrückte Würfel liegen, welche der zuerſt in die Kirche kommende Gauner ſo hinlegte, daß die Eins oben ſtand. Der zweite kehrte den Würfel auf Nummer zwei und ſo fort, damit jeder Nachfolgende wußte, wie viele Kameraden der Ge- noſſenſchaft ſich in dem Gedränge zur Ausführung der verabredeten Gaunerei eingefunden hätten. 2) Bezeichnend iſt die Aeußerung des zu Buchloe hingerichteten Gottfried Frei („Sulzer Liſte“, 1801, S. 71): „Unſer lieber Herr Gott und liebe Mutter Gottes ſollen ſo große Helfer und Fürbitter ſein; dieſe thun uns aber nie in ein Bauernhaus, Wirthshaus oder Amtshaus, wo viel Geld iſt, helfen.“

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/42>, abgerufen am 24.11.2024.