und verstanden werde. Was mit christlicher Gerechtigkeit begonnen wurde, muß auch ganz in demselben Geiste fortgeführt werden, bis der Strafzweck der christlichen Gerechtigkeit, die sittliche Wieder- geburt, vollständig erreicht wird. Er kann dabei keine andere Ge- fängnißtheorie geben, als diejenige, mit welcher die genaueste Er- forschung und Behandlung der Jndividualität jedes ein- zelnen Verbrechers vereinbar ist, und welche die physische und psychische Jntegrität dieser Jndividualität nicht zerstört, sondern dieselbe mit dem ganzen ernsten Geiste christlicher Liebe und ge- messener Zucht erhält, und in und mit ihr den Verbrecher hebt und zur sittlichen Wiedergeburt fördert; mag man die Theorie nennen wie man will, und sie ganz oder getheilt, zeitweise oder durchgreifend, in einsamer Zelle oder in freier Natur, an dem einzeln oder gemeinsam mit andern gehaltenen Verbrecher in An- wendung bringen.
Diese einfache Wahrheit und Aufgabe des Christenthums findet man überall, namentlich im protestantischen Norddeutsch- land und in den Niederlanden schon zu Ende des 16. Jahrhun- derts, in den ersten, von den damals auch noch zum Theil mit dem Namen Zytenmeistere geehrten Magistraten ein- gerichteten Gefängnissen und Zuchthäusern als echt-christlichen, ja man kann sagen specifisch protestantischen Grundstein gelegt, über den aber die politische und sittliche Noth mehr als dritthalb Jahr- hunderte lang hinweggegangen, und über den die Gerechtigkeits- pflege unzähligemal gestrauchelt ist, bis dieser Stein jetzt zum Eckstein geworden ist, da die aufbauende Kirche -- nicht einmal gerufen vom Staate, sondern freiwillig gekommen in innerer Mission -- über die ungeheuere drohende Noth mit dem Staate sich geeinigt hat zu einer innigen, gegenseitig sättigenden und hel- fenden Verbindung, welche, wie alles was auf christlicher Grund- lage gebaut wird, unvergänglich ist, und wahres Heil und reichen Segen bringen wird!
Der Gauner ist nicht unverbesserlich! Aber seine Besse- rung ist so schwer, wie alle wahrhaft christliche Arbeit schwer ist. Jn jener Zeit, da der deutsche Boden von den erschütternden
und verſtanden werde. Was mit chriſtlicher Gerechtigkeit begonnen wurde, muß auch ganz in demſelben Geiſte fortgeführt werden, bis der Strafzweck der chriſtlichen Gerechtigkeit, die ſittliche Wieder- geburt, vollſtändig erreicht wird. Er kann dabei keine andere Ge- fängnißtheorie geben, als diejenige, mit welcher die genaueſte Er- forſchung und Behandlung der Jndividualität jedes ein- zelnen Verbrechers vereinbar iſt, und welche die phyſiſche und pſychiſche Jntegrität dieſer Jndividualität nicht zerſtört, ſondern dieſelbe mit dem ganzen ernſten Geiſte chriſtlicher Liebe und ge- meſſener Zucht erhält, und in und mit ihr den Verbrecher hebt und zur ſittlichen Wiedergeburt fördert; mag man die Theorie nennen wie man will, und ſie ganz oder getheilt, zeitweiſe oder durchgreifend, in einſamer Zelle oder in freier Natur, an dem einzeln oder gemeinſam mit andern gehaltenen Verbrecher in An- wendung bringen.
Dieſe einfache Wahrheit und Aufgabe des Chriſtenthums findet man überall, namentlich im proteſtantiſchen Norddeutſch- land und in den Niederlanden ſchon zu Ende des 16. Jahrhun- derts, in den erſten, von den damals auch noch zum Theil mit dem Namen Zytenmeiſtere geehrten Magiſtraten ein- gerichteten Gefängniſſen und Zuchthäuſern als echt-chriſtlichen, ja man kann ſagen ſpecifiſch proteſtantiſchen Grundſtein gelegt, über den aber die politiſche und ſittliche Noth mehr als dritthalb Jahr- hunderte lang hinweggegangen, und über den die Gerechtigkeits- pflege unzähligemal geſtrauchelt iſt, bis dieſer Stein jetzt zum Eckſtein geworden iſt, da die aufbauende Kirche — nicht einmal gerufen vom Staate, ſondern freiwillig gekommen in innerer Miſſion — über die ungeheuere drohende Noth mit dem Staate ſich geeinigt hat zu einer innigen, gegenſeitig ſättigenden und hel- fenden Verbindung, welche, wie alles was auf chriſtlicher Grund- lage gebaut wird, unvergänglich iſt, und wahres Heil und reichen Segen bringen wird!
Der Gauner iſt nicht unverbeſſerlich! Aber ſeine Beſſe- rung iſt ſo ſchwer, wie alle wahrhaft chriſtliche Arbeit ſchwer iſt. Jn jener Zeit, da der deutſche Boden von den erſchütternden
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und verſtanden werde. Was mit chriſtlicher Gerechtigkeit begonnen
wurde, muß auch ganz in demſelben Geiſte fortgeführt werden,
bis der Strafzweck der chriſtlichen Gerechtigkeit, die ſittliche Wieder-
geburt, vollſtändig erreicht wird. Er kann dabei keine andere Ge-
fängnißtheorie geben, als diejenige, mit welcher die genaueſte Er-
forſchung und Behandlung der Jndividualität jedes ein-
zelnen Verbrechers vereinbar iſt, und welche die phyſiſche und
pſychiſche Jntegrität dieſer Jndividualität nicht zerſtört, ſondern
dieſelbe mit dem ganzen ernſten Geiſte chriſtlicher Liebe und ge-
meſſener Zucht erhält, und in und mit ihr den Verbrecher hebt
und zur ſittlichen Wiedergeburt fördert; mag man die Theorie
nennen wie man will, und ſie ganz oder getheilt, zeitweiſe oder
durchgreifend, in einſamer Zelle oder in freier Natur, an dem
einzeln oder gemeinſam mit andern gehaltenen Verbrecher in An-
wendung bringen.
Dieſe einfache Wahrheit und Aufgabe des Chriſtenthums
findet man überall, namentlich im proteſtantiſchen Norddeutſch-
land und in den Niederlanden ſchon zu Ende des 16. Jahrhun-
derts, in den erſten, von den damals auch noch zum Theil
mit dem Namen Zytenmeiſtere geehrten Magiſtraten ein-
gerichteten Gefängniſſen und Zuchthäuſern als echt-chriſtlichen, ja
man kann ſagen ſpecifiſch proteſtantiſchen Grundſtein gelegt, über
den aber die politiſche und ſittliche Noth mehr als dritthalb Jahr-
hunderte lang hinweggegangen, und über den die Gerechtigkeits-
pflege unzähligemal geſtrauchelt iſt, bis dieſer Stein jetzt zum
Eckſtein geworden iſt, da die aufbauende Kirche — nicht einmal
gerufen vom Staate, ſondern freiwillig gekommen in innerer
Miſſion — über die ungeheuere drohende Noth mit dem Staate
ſich geeinigt hat zu einer innigen, gegenſeitig ſättigenden und hel-
fenden Verbindung, welche, wie alles was auf chriſtlicher Grund-
lage gebaut wird, unvergänglich iſt, und wahres Heil und reichen
Segen bringen wird!
Der Gauner iſt nicht unverbeſſerlich! Aber ſeine Beſſe-
rung iſt ſo ſchwer, wie alle wahrhaft chriſtliche Arbeit ſchwer iſt.
Jn jener Zeit, da der deutſche Boden von den erſchütternden
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/402>, abgerufen am 23.11.2024.
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