Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.1854, ist ein erschütterndes Ereigniß, nicht wegen der Beseitigung diese dir zu Theil werden möge; darum bitten wir den Allerbarmer. Bernhard
Matter, hiermit übergebe ich dich dem Scharfrichter, damit er dich nach Ur- theil und Recht vom Leben zum Tode bringe." 1854, iſt ein erſchütterndes Ereigniß, nicht wegen der Beſeitigung dieſe dir zu Theil werden möge; darum bitten wir den Allerbarmer. Bernhard
Matter, hiermit übergebe ich dich dem Scharfrichter, damit er dich nach Ur- theil und Recht vom Leben zum Tode bringe.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0401" n="389"/> 1854, iſt ein erſchütterndes Ereigniß, nicht wegen der Beſeitigung<lb/> eines nach dem ſpeciellen Geſetze dem Tode verfallenen gefähr-<lb/> lichen Verbrechers, ſondern weil ſie einer der neueſten Belege dafür<lb/> iſt, wie wenig muthig wir mit dem Chriſtenthum, deſſen wir uns<lb/> rühmen, zu arbeiten unternehmen, wie ſehr wir mit den Gemein-<lb/> plätzen der „Zeit“, „Cultur“ oder „Zeitrichtung“, „Zeitgeiſt“ u. ſ. w.,<lb/> den ſelbſtzufriedenen Abſchluß unſers Rückſtands gegen das immer<lb/> lebendig ſtrebende und arbeitende Chriſtenthum bezeichnen, und wie<lb/> wir es doch mit jenem unſerm Chriſtenthum wagen können, den<lb/> Verbrecher an die unendliche Gnade und Barmherzigkeit <hi rendition="#g">Gottes</hi><lb/> zu verweiſen, die er von <hi rendition="#g">Menſchen nicht</hi> zu hoffen habe. Gerade<lb/> in den Gefängniſſen und auf dem Schaffot hat das Chriſtenthum<lb/> ſeit Jahrhunderten eine Geſchichte, welche leider nur zu oft mit<lb/> Staunen und Unwillen, anſtatt mit Achtung gegen die einzelnen<lb/> Pfleger des Chriſtenthums erfüllt, da man in den meiſten Fällen<lb/> erkennt, daß mit der eifernden Negirung der Sünde im Verbrecher<lb/> auch der zur Buße und Beſſerung berufene, und bei richtiger Er-<lb/> faſſung ſeiner Jndividualität auch entſchieden <hi rendition="#g">befähigte</hi> Ver-<lb/> brecher ſelbſt für Zeit und Ewigkeit verdammt wurde. Die Auf-<lb/> gabe der ſtrafenden chriſtlichen Gerechtigkeit endigt nicht mit der<lb/> Verurtheilung des Verbrechers, ſondern erſt mit ſeiner Entlaſſung<lb/> aus dem Gefängniß, welche nur mit ſeiner ſittlichen Wiedergeburt<lb/> möglich iſt. Es iſt chriſtlich nicht möglich, mit dem Urtheil einen<lb/> Abſchnitt zu machen, bis zu welchem die gewiſſenhafteſte Erfor-<lb/> ſchung der That in allen ihren kleinſten Umſtänden und die Er-<lb/> forſchung der Jndividualität des Verbrechers in allen feinen und<lb/> verborgenen Charakterzügen die ernſte Aufgabe war, und dann<lb/> dieſen geiſtig ſo tief und ſpeciell durchforſchten Verbrecher in die<lb/> Strafanſtalt abzuliefern, damit er dort mit ſeiner Geſchichte in die<lb/> Allgemeinheit das Zuchthauslebens aufgehe, und als neuer Bei-<lb/> trag zur Empirik ſtarrer ſelbſtgenügſamer Theorien aufgenommen<lb/><note xml:id="seg2pn_49_2" prev="#seg2pn_49_1" place="foot" n="1)">dieſe dir zu Theil werden möge; darum bitten wir den Allerbarmer. Bernhard<lb/> Matter, hiermit übergebe ich dich dem Scharfrichter, damit er dich nach Ur-<lb/> theil und Recht vom Leben zum Tode bringe.“</note><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [389/0401]
1854, iſt ein erſchütterndes Ereigniß, nicht wegen der Beſeitigung
eines nach dem ſpeciellen Geſetze dem Tode verfallenen gefähr-
lichen Verbrechers, ſondern weil ſie einer der neueſten Belege dafür
iſt, wie wenig muthig wir mit dem Chriſtenthum, deſſen wir uns
rühmen, zu arbeiten unternehmen, wie ſehr wir mit den Gemein-
plätzen der „Zeit“, „Cultur“ oder „Zeitrichtung“, „Zeitgeiſt“ u. ſ. w.,
den ſelbſtzufriedenen Abſchluß unſers Rückſtands gegen das immer
lebendig ſtrebende und arbeitende Chriſtenthum bezeichnen, und wie
wir es doch mit jenem unſerm Chriſtenthum wagen können, den
Verbrecher an die unendliche Gnade und Barmherzigkeit Gottes
zu verweiſen, die er von Menſchen nicht zu hoffen habe. Gerade
in den Gefängniſſen und auf dem Schaffot hat das Chriſtenthum
ſeit Jahrhunderten eine Geſchichte, welche leider nur zu oft mit
Staunen und Unwillen, anſtatt mit Achtung gegen die einzelnen
Pfleger des Chriſtenthums erfüllt, da man in den meiſten Fällen
erkennt, daß mit der eifernden Negirung der Sünde im Verbrecher
auch der zur Buße und Beſſerung berufene, und bei richtiger Er-
faſſung ſeiner Jndividualität auch entſchieden befähigte Ver-
brecher ſelbſt für Zeit und Ewigkeit verdammt wurde. Die Auf-
gabe der ſtrafenden chriſtlichen Gerechtigkeit endigt nicht mit der
Verurtheilung des Verbrechers, ſondern erſt mit ſeiner Entlaſſung
aus dem Gefängniß, welche nur mit ſeiner ſittlichen Wiedergeburt
möglich iſt. Es iſt chriſtlich nicht möglich, mit dem Urtheil einen
Abſchnitt zu machen, bis zu welchem die gewiſſenhafteſte Erfor-
ſchung der That in allen ihren kleinſten Umſtänden und die Er-
forſchung der Jndividualität des Verbrechers in allen feinen und
verborgenen Charakterzügen die ernſte Aufgabe war, und dann
dieſen geiſtig ſo tief und ſpeciell durchforſchten Verbrecher in die
Strafanſtalt abzuliefern, damit er dort mit ſeiner Geſchichte in die
Allgemeinheit das Zuchthauslebens aufgehe, und als neuer Bei-
trag zur Empirik ſtarrer ſelbſtgenügſamer Theorien aufgenommen
1)
1) dieſe dir zu Theil werden möge; darum bitten wir den Allerbarmer. Bernhard
Matter, hiermit übergebe ich dich dem Scharfrichter, damit er dich nach Ur-
theil und Recht vom Leben zum Tode bringe.“
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