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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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seine Jndividualität versteckt, und er die neue Erscheinung nicht
mehr in derselben Fertigkeit durchführen kann, wie er das bei der
erstern konnte. Bei diesem Nachdringen und bei dieser vermehrten
Gefahr für die Jndividualität fügt sich der Gauner endlich in die
unabweisliche Nothwendigkeit: er gesteht mehr oder minder einen
Antheil an dem angeschuldigten Verbrechen, oder noch lieber an
einem früher und ferne verübten Verbrechen, um durch eine ge-
ringe Strafe der größern zu entgehen, welche letztere er erleiden
würde, wenn seine auch jetzt durch das abgelegte Geständniß
der minder strafbaren That noch immer versteckte Jndividualität,
und mit ihr die ganze Masse der begangenen Verbrechen entdeckt
würde. Ein solches einzelnes und theilweises Geständniß genügt
dem umsichtigen Jnquirenten nicht, der vielmehr jedes Geständniß
als ein neugewonnenes günstiges Terrain betrachtet, auf welchem
er immer nachhaltiger dem gaukelnden flüchtigen Gauner nach-
rückt, und mit dem bisher gemachten Gewinn jede neue vorge-
schobene Erscheinung immer leichter zerstört, bis er endlich auf die
Jndividualität geräth, welche ihm nicht mehr ausweichen kann.

Nur auf solchem Wege ist dem Gauner beizukommen. Die
hastige Ungeduld, die Heftigkeit und Leidenschaftlichkeit, welche sich
nicht verleugnen kann, und, durch die genaue Kenntnißnahme der
That und der gaunerischen Geheimnisse und Künste ungestüm
getrieben, es verfehlt, dem Gauner ruhig auf dem Rückzuge zu
folgen, bleibt ohne günstige Resultate. Deshalb sind denn auch
die Confrontationen, namentlich mit gaunerischen Genossen, immer
sehr bedenklich. Der Gauner begreift sehr wohl, daß der Jnqui-
rent in dem Resultat, welches er durch die Confrontation gewinnen
oder befestigen will, noch nicht sicher ist, und hat Geschick und
Keckheit genug, nicht nur diese Absicht des Jnquirenten zu para-
lysiren, sondern auch bei der außerordentlich schwierigen Controle
der Confrontationen ganz neuen Stoff und Anhalt durch das
geheime Verständniß mit seinen Genossen zu gewinnen. Auch
nur mit derselben festen Ruhe allein kann man der oft unerhörten
Frechheit und Verlogenheit weiblicher Gauner erfolgreich gegen-
übertreten, welche mit bodenloser Unverschämtheit alle Rücksichten

ſeine Jndividualität verſteckt, und er die neue Erſcheinung nicht
mehr in derſelben Fertigkeit durchführen kann, wie er das bei der
erſtern konnte. Bei dieſem Nachdringen und bei dieſer vermehrten
Gefahr für die Jndividualität fügt ſich der Gauner endlich in die
unabweisliche Nothwendigkeit: er geſteht mehr oder minder einen
Antheil an dem angeſchuldigten Verbrechen, oder noch lieber an
einem früher und ferne verübten Verbrechen, um durch eine ge-
ringe Strafe der größern zu entgehen, welche letztere er erleiden
würde, wenn ſeine auch jetzt durch das abgelegte Geſtändniß
der minder ſtrafbaren That noch immer verſteckte Jndividualität,
und mit ihr die ganze Maſſe der begangenen Verbrechen entdeckt
würde. Ein ſolches einzelnes und theilweiſes Geſtändniß genügt
dem umſichtigen Jnquirenten nicht, der vielmehr jedes Geſtändniß
als ein neugewonnenes günſtiges Terrain betrachtet, auf welchem
er immer nachhaltiger dem gaukelnden flüchtigen Gauner nach-
rückt, und mit dem bisher gemachten Gewinn jede neue vorge-
ſchobene Erſcheinung immer leichter zerſtört, bis er endlich auf die
Jndividualität geräth, welche ihm nicht mehr ausweichen kann.

Nur auf ſolchem Wege iſt dem Gauner beizukommen. Die
haſtige Ungeduld, die Heftigkeit und Leidenſchaftlichkeit, welche ſich
nicht verleugnen kann, und, durch die genaue Kenntnißnahme der
That und der gauneriſchen Geheimniſſe und Künſte ungeſtüm
getrieben, es verfehlt, dem Gauner ruhig auf dem Rückzuge zu
folgen, bleibt ohne günſtige Reſultate. Deshalb ſind denn auch
die Confrontationen, namentlich mit gauneriſchen Genoſſen, immer
ſehr bedenklich. Der Gauner begreift ſehr wohl, daß der Jnqui-
rent in dem Reſultat, welches er durch die Confrontation gewinnen
oder befeſtigen will, noch nicht ſicher iſt, und hat Geſchick und
Keckheit genug, nicht nur dieſe Abſicht des Jnquirenten zu para-
lyſiren, ſondern auch bei der außerordentlich ſchwierigen Controle
der Confrontationen ganz neuen Stoff und Anhalt durch das
geheime Verſtändniß mit ſeinen Genoſſen zu gewinnen. Auch
nur mit derſelben feſten Ruhe allein kann man der oft unerhörten
Frechheit und Verlogenheit weiblicher Gauner erfolgreich gegen-
übertreten, welche mit bodenloſer Unverſchämtheit alle Rückſichten

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[386/0398] ſeine Jndividualität verſteckt, und er die neue Erſcheinung nicht mehr in derſelben Fertigkeit durchführen kann, wie er das bei der erſtern konnte. Bei dieſem Nachdringen und bei dieſer vermehrten Gefahr für die Jndividualität fügt ſich der Gauner endlich in die unabweisliche Nothwendigkeit: er geſteht mehr oder minder einen Antheil an dem angeſchuldigten Verbrechen, oder noch lieber an einem früher und ferne verübten Verbrechen, um durch eine ge- ringe Strafe der größern zu entgehen, welche letztere er erleiden würde, wenn ſeine auch jetzt durch das abgelegte Geſtändniß der minder ſtrafbaren That noch immer verſteckte Jndividualität, und mit ihr die ganze Maſſe der begangenen Verbrechen entdeckt würde. Ein ſolches einzelnes und theilweiſes Geſtändniß genügt dem umſichtigen Jnquirenten nicht, der vielmehr jedes Geſtändniß als ein neugewonnenes günſtiges Terrain betrachtet, auf welchem er immer nachhaltiger dem gaukelnden flüchtigen Gauner nach- rückt, und mit dem bisher gemachten Gewinn jede neue vorge- ſchobene Erſcheinung immer leichter zerſtört, bis er endlich auf die Jndividualität geräth, welche ihm nicht mehr ausweichen kann. Nur auf ſolchem Wege iſt dem Gauner beizukommen. Die haſtige Ungeduld, die Heftigkeit und Leidenſchaftlichkeit, welche ſich nicht verleugnen kann, und, durch die genaue Kenntnißnahme der That und der gauneriſchen Geheimniſſe und Künſte ungeſtüm getrieben, es verfehlt, dem Gauner ruhig auf dem Rückzuge zu folgen, bleibt ohne günſtige Reſultate. Deshalb ſind denn auch die Confrontationen, namentlich mit gauneriſchen Genoſſen, immer ſehr bedenklich. Der Gauner begreift ſehr wohl, daß der Jnqui- rent in dem Reſultat, welches er durch die Confrontation gewinnen oder befeſtigen will, noch nicht ſicher iſt, und hat Geſchick und Keckheit genug, nicht nur dieſe Abſicht des Jnquirenten zu para- lyſiren, ſondern auch bei der außerordentlich ſchwierigen Controle der Confrontationen ganz neuen Stoff und Anhalt durch das geheime Verſtändniß mit ſeinen Genoſſen zu gewinnen. Auch nur mit derſelben feſten Ruhe allein kann man der oft unerhörten Frechheit und Verlogenheit weiblicher Gauner erfolgreich gegen- übertreten, welche mit bodenloſer Unverſchämtheit alle Rückſichten

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/398>, abgerufen am 25.11.2024.