eine reiche psychologische Ausbeute, welche ihn immer mehr inner- lich befestigt, und ihm immer frischern sittlichen Muth verleiht, das Verbrechen zu finden und zu bekämpfen, in welcher Gestalt es auch sich zeigen möge. An dieser geistigen Festigkeit und Abrun- dung findet der Gauner einen Widerstand, dem gegenüber er bald verzagt, weil er sieht, daß er ihn nicht bewältigen kann. Das ruhig-ernste und kurze Fragen des Jnquirenten ist dem Gauner weit fürchterlicher, als das zornigste Drohen und die härtesten Strafen. Um solcher Leidenschaft des Jnquirenten willen erträgt er gern eine scharfe Strafe, sogar auch eine körperliche Züchtigung, welche ihm der Zorn des Jnquirenten aufgelegt hat. Hat er doch um diese freilich harte, jedoch vorübergehende Buße dem Jnqui- renten eine Schwäche abgewonnen, die er sicher zu seinem Nutzen ausbeutet. Die Beobachtung des Beginns und Fortgangs jener seiner Verzweiflung ist eins der reichsten psychologischen Momente, das man finden kann, wenn man diese geistige Operation zeitig wahrnimmt, sie nicht stört, im Gegentheil geschickt zu erhalten, zu nähren und zu gängeln weiß. Es ist ein sicheres Symptom der beginnenden Verzagtheit des Gauners, wenn er anfängt geschwätzig zu werden. Er beginnt dies nur dann -- aber auch unfehlbar, selbst auch dann, wenn er bisher sich finster und ver- schlossen stellte --, wenn er vollkommen begreift, daß er durch keine Bestechung im Gefängniß, durch keine künstliche Einwirkung auf den Jnquirenten, mit seiner prätendirten Erscheinung entweichen kann. Diese Geschwätzigkeit ist ein unfreiwilliges Erzeugniß der beginnenden Angst, daß seine Erscheinung durchschaut ist und ihn nicht mehr schützen kann. Bisher suchte er ganz innerhalb der Erscheinung aufzutreten, jetzt beschwatzt er sie und fängt dadurch an sich ihrer zu entäußern, sodaß der Jnquirent sich durch einen einzigen geschickten Griff leicht der Erscheinung bemächtigen und sie als todte Maske hinwerfen kann. Selbstverständlich springt dann der Gauner auf eine andere Erscheinung über, um eine neue Deckung seiner Jndividualität zu gewinnen. Aber es ist nun um so leichter ihm zu folgen, da er bereits seine erste Erscheinung als Maske aufgegeben und dadurch selbst verrathen hat, daß er
Ave-Lallemant, Gaunerthum. II. 25
eine reiche pſychologiſche Ausbeute, welche ihn immer mehr inner- lich befeſtigt, und ihm immer friſchern ſittlichen Muth verleiht, das Verbrechen zu finden und zu bekämpfen, in welcher Geſtalt es auch ſich zeigen möge. An dieſer geiſtigen Feſtigkeit und Abrun- dung findet der Gauner einen Widerſtand, dem gegenüber er bald verzagt, weil er ſieht, daß er ihn nicht bewältigen kann. Das ruhig-ernſte und kurze Fragen des Jnquirenten iſt dem Gauner weit fürchterlicher, als das zornigſte Drohen und die härteſten Strafen. Um ſolcher Leidenſchaft des Jnquirenten willen erträgt er gern eine ſcharfe Strafe, ſogar auch eine körperliche Züchtigung, welche ihm der Zorn des Jnquirenten aufgelegt hat. Hat er doch um dieſe freilich harte, jedoch vorübergehende Buße dem Jnqui- renten eine Schwäche abgewonnen, die er ſicher zu ſeinem Nutzen ausbeutet. Die Beobachtung des Beginns und Fortgangs jener ſeiner Verzweiflung iſt eins der reichſten pſychologiſchen Momente, das man finden kann, wenn man dieſe geiſtige Operation zeitig wahrnimmt, ſie nicht ſtört, im Gegentheil geſchickt zu erhalten, zu nähren und zu gängeln weiß. Es iſt ein ſicheres Symptom der beginnenden Verzagtheit des Gauners, wenn er anfängt geſchwätzig zu werden. Er beginnt dies nur dann — aber auch unfehlbar, ſelbſt auch dann, wenn er bisher ſich finſter und ver- ſchloſſen ſtellte —, wenn er vollkommen begreift, daß er durch keine Beſtechung im Gefängniß, durch keine künſtliche Einwirkung auf den Jnquirenten, mit ſeiner prätendirten Erſcheinung entweichen kann. Dieſe Geſchwätzigkeit iſt ein unfreiwilliges Erzeugniß der beginnenden Angſt, daß ſeine Erſcheinung durchſchaut iſt und ihn nicht mehr ſchützen kann. Bisher ſuchte er ganz innerhalb der Erſcheinung aufzutreten, jetzt beſchwatzt er ſie und fängt dadurch an ſich ihrer zu entäußern, ſodaß der Jnquirent ſich durch einen einzigen geſchickten Griff leicht der Erſcheinung bemächtigen und ſie als todte Maske hinwerfen kann. Selbſtverſtändlich ſpringt dann der Gauner auf eine andere Erſcheinung über, um eine neue Deckung ſeiner Jndividualität zu gewinnen. Aber es iſt nun um ſo leichter ihm zu folgen, da er bereits ſeine erſte Erſcheinung als Maske aufgegeben und dadurch ſelbſt verrathen hat, daß er
Avé-Lallemant, Gaunerthum. II. 25
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eine reiche pſychologiſche Ausbeute, welche ihn immer mehr inner-
lich befeſtigt, und ihm immer friſchern ſittlichen Muth verleiht, das
Verbrechen zu finden und zu bekämpfen, in welcher Geſtalt es
auch ſich zeigen möge. An dieſer geiſtigen Feſtigkeit und Abrun-
dung findet der Gauner einen Widerſtand, dem gegenüber er bald
verzagt, weil er ſieht, daß er ihn nicht bewältigen kann. Das
ruhig-ernſte und kurze Fragen des Jnquirenten iſt dem Gauner
weit fürchterlicher, als das zornigſte Drohen und die härteſten
Strafen. Um ſolcher Leidenſchaft des Jnquirenten willen erträgt
er gern eine ſcharfe Strafe, ſogar auch eine körperliche Züchtigung,
welche ihm der Zorn des Jnquirenten aufgelegt hat. Hat er doch
um dieſe freilich harte, jedoch vorübergehende Buße dem Jnqui-
renten eine Schwäche abgewonnen, die er ſicher zu ſeinem Nutzen
ausbeutet. Die Beobachtung des Beginns und Fortgangs jener
ſeiner Verzweiflung iſt eins der reichſten pſychologiſchen Momente,
das man finden kann, wenn man dieſe geiſtige Operation zeitig
wahrnimmt, ſie nicht ſtört, im Gegentheil geſchickt zu erhalten,
zu nähren und zu gängeln weiß. Es iſt ein ſicheres Symptom
der beginnenden Verzagtheit des Gauners, wenn er anfängt
geſchwätzig zu werden. Er beginnt dies nur dann — aber auch
unfehlbar, ſelbſt auch dann, wenn er bisher ſich finſter und ver-
ſchloſſen ſtellte —, wenn er vollkommen begreift, daß er durch keine
Beſtechung im Gefängniß, durch keine künſtliche Einwirkung auf
den Jnquirenten, mit ſeiner prätendirten Erſcheinung entweichen
kann. Dieſe Geſchwätzigkeit iſt ein unfreiwilliges Erzeugniß der
beginnenden Angſt, daß ſeine Erſcheinung durchſchaut iſt und ihn
nicht mehr ſchützen kann. Bisher ſuchte er ganz innerhalb der
Erſcheinung aufzutreten, jetzt beſchwatzt er ſie und fängt dadurch
an ſich ihrer zu entäußern, ſodaß der Jnquirent ſich durch einen
einzigen geſchickten Griff leicht der Erſcheinung bemächtigen und
ſie als todte Maske hinwerfen kann. Selbſtverſtändlich ſpringt
dann der Gauner auf eine andere Erſcheinung über, um eine neue
Deckung ſeiner Jndividualität zu gewinnen. Aber es iſt nun
um ſo leichter ihm zu folgen, da er bereits ſeine erſte Erſcheinung
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Avé-Lallemant, Gaunerthum. II. 25
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/397>, abgerufen am 22.11.2024.
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