Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.wenn er auch mit Leichtigkeit auf eine andere Erscheinung über- Frau begrüßte, worauf auch jene bereitwillig einging, freilich mit der Bemer- kung auch ihrerseits, "daß ihr Niklas sich allerdings in den Jahren ein bis- chen verändert habe". 1) Das geschieht fast immer, sobald nur der Jnquirent consequente Ruhe
beobachtet. Eine als Gräfin reisende Person, welche ich, nach ihren über ihre Verhältnisse und Person gemachten Angaben, ruhig und beharrlich als "Frau Gräfin" anredete, und die nach ihrer ganzen Haltung, Weise und Bildung -- sie sprach unter anderm geläufig französisch und englisch -- wol die Rolle einer Gräfin durchzuführen im Stande war, bat mich gleich in der ersten Vernehmung, sie nicht mehr als "Gräfin" anzureden, die sie nicht sei u. s. w. wenn er auch mit Leichtigkeit auf eine andere Erſcheinung über- Frau begrüßte, worauf auch jene bereitwillig einging, freilich mit der Bemer- kung auch ihrerſeits, „daß ihr Niklas ſich allerdings in den Jahren ein bis- chen verändert habe“. 1) Das geſchieht faſt immer, ſobald nur der Jnquirent conſequente Ruhe
beobachtet. Eine als Gräfin reiſende Perſon, welche ich, nach ihren über ihre Verhältniſſe und Perſon gemachten Angaben, ruhig und beharrlich als „Frau Gräfin“ anredete, und die nach ihrer ganzen Haltung, Weiſe und Bildung — ſie ſprach unter anderm geläufig franzöſiſch und engliſch — wol die Rolle einer Gräfin durchzuführen im Stande war, bat mich gleich in der erſten Vernehmung, ſie nicht mehr als „Gräfin“ anzureden, die ſie nicht ſei u. ſ. w. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0395" n="383"/> wenn er auch mit Leichtigkeit auf eine andere Erſcheinung über-<lb/> ſpringen kann, er durch den Wechſel doch ſeine Unverdächtigkeit<lb/> gefährdet, mithin auch ſeine Jndividualität bloßſtellt. Daher das<lb/> übertrieben markirte und herriſch vornehme Weſen des angeblichen<lb/> Grafen, Barons, Offiziers, die heuchleriſche Demuth und Ergeben-<lb/> heit des theologiſchen oder philoſophiſchen Gelehrten, die Präten-<lb/> ſion und nervöſe ohnmächtelnde Gereiztheit der angeblichen Dame<lb/> von Rang und Bildung. Je ſchärfer dieſe Erſcheinung vom Jn-<lb/> quiſiten ſelbſt in ihren Formen anerkannt und hervorgehoben wird,<lb/> als deſto unechter tritt allmählich die Erſcheinung hervor, und bietet<lb/> gerade dadurch dem durch Lebensverkehr und Erfahrung geſchul-<lb/> ten gewandten Jnquirenten faſt in jedem Momente Gelegen-<lb/> heit, dem Gauner die ganze Schwäche ſeiner Erſcheinung abzu-<lb/> gewinnen, und ihn ſelbſt von der Haltloſigkeit und Vergeblichkeit<lb/> ſeiner Prätenſion zu überzeugen. So kann der Jnquirent in die<lb/> vorgeſchriebenen, vom Gauner ſchon vor vielen Behörden beant-<lb/> worteten und völlig unverfänglich ſcheinenden ſogenannten Gene-<lb/> ralfragen ein Leben und eine geiſtige Gewalt hineinlegen, daß<lb/> ſchon durch dieſe geſchickt angewandten und ausgebeuteten Fragen<lb/> der Gauner ſtutzig und ſelbſt zuerſt an der Glaubhaftigkeit ſeiner<lb/> zunächſt prätendirten Erſcheinung irre wird. <note place="foot" n="1)">Das geſchieht faſt immer, ſobald nur der Jnquirent conſequente Ruhe<lb/> beobachtet. Eine als Gräfin reiſende Perſon, welche ich, nach ihren über ihre<lb/> Verhältniſſe und Perſon gemachten Angaben, ruhig und beharrlich als „Frau<lb/> Gräfin“ anredete, und die nach ihrer ganzen Haltung, Weiſe und Bildung<lb/> — ſie ſprach unter anderm geläufig franzöſiſch und engliſch — wol die Rolle<lb/> einer Gräfin durchzuführen im Stande war, bat mich gleich in der erſten<lb/> Vernehmung, ſie nicht mehr als „Gräfin“ anzureden, die ſie nicht ſei u. ſ. w.</note> So geht ſchon oft<lb/> im <hi rendition="#g">erſten</hi> Verhör der vermeinte Baron allmählich vor der Ruhe<lb/> des Jnquirenten auf einen Seitenzweig ſeiner angeblichen Familie<lb/> oder zum desavouirten Mitgliede oder ſogar Baſtard über; die<lb/> Baroneſſe wird eine arme verſtoßene Verwandte oder Milch-<lb/> ſchweſter, Pflegeſchweſter oder zuletzt Geſellſchafterin; der Profeſſor<lb/><note xml:id="seg2pn_48_2" prev="#seg2pn_48_1" place="foot" n="1)">Frau begrüßte, worauf auch jene bereitwillig einging, freilich mit der Bemer-<lb/> kung auch ihrerſeits, „daß ihr Niklas ſich allerdings in den Jahren ein bis-<lb/> chen verändert habe“.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [383/0395]
wenn er auch mit Leichtigkeit auf eine andere Erſcheinung über-
ſpringen kann, er durch den Wechſel doch ſeine Unverdächtigkeit
gefährdet, mithin auch ſeine Jndividualität bloßſtellt. Daher das
übertrieben markirte und herriſch vornehme Weſen des angeblichen
Grafen, Barons, Offiziers, die heuchleriſche Demuth und Ergeben-
heit des theologiſchen oder philoſophiſchen Gelehrten, die Präten-
ſion und nervöſe ohnmächtelnde Gereiztheit der angeblichen Dame
von Rang und Bildung. Je ſchärfer dieſe Erſcheinung vom Jn-
quiſiten ſelbſt in ihren Formen anerkannt und hervorgehoben wird,
als deſto unechter tritt allmählich die Erſcheinung hervor, und bietet
gerade dadurch dem durch Lebensverkehr und Erfahrung geſchul-
ten gewandten Jnquirenten faſt in jedem Momente Gelegen-
heit, dem Gauner die ganze Schwäche ſeiner Erſcheinung abzu-
gewinnen, und ihn ſelbſt von der Haltloſigkeit und Vergeblichkeit
ſeiner Prätenſion zu überzeugen. So kann der Jnquirent in die
vorgeſchriebenen, vom Gauner ſchon vor vielen Behörden beant-
worteten und völlig unverfänglich ſcheinenden ſogenannten Gene-
ralfragen ein Leben und eine geiſtige Gewalt hineinlegen, daß
ſchon durch dieſe geſchickt angewandten und ausgebeuteten Fragen
der Gauner ſtutzig und ſelbſt zuerſt an der Glaubhaftigkeit ſeiner
zunächſt prätendirten Erſcheinung irre wird. 1) So geht ſchon oft
im erſten Verhör der vermeinte Baron allmählich vor der Ruhe
des Jnquirenten auf einen Seitenzweig ſeiner angeblichen Familie
oder zum desavouirten Mitgliede oder ſogar Baſtard über; die
Baroneſſe wird eine arme verſtoßene Verwandte oder Milch-
ſchweſter, Pflegeſchweſter oder zuletzt Geſellſchafterin; der Profeſſor
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1) Das geſchieht faſt immer, ſobald nur der Jnquirent conſequente Ruhe
beobachtet. Eine als Gräfin reiſende Perſon, welche ich, nach ihren über ihre
Verhältniſſe und Perſon gemachten Angaben, ruhig und beharrlich als „Frau
Gräfin“ anredete, und die nach ihrer ganzen Haltung, Weiſe und Bildung
— ſie ſprach unter anderm geläufig franzöſiſch und engliſch — wol die Rolle
einer Gräfin durchzuführen im Stande war, bat mich gleich in der erſten
Vernehmung, ſie nicht mehr als „Gräfin“ anzureden, die ſie nicht ſei u. ſ. w.
1) Frau begrüßte, worauf auch jene bereitwillig einging, freilich mit der Bemer-
kung auch ihrerſeits, „daß ihr Niklas ſich allerdings in den Jahren ein bis-
chen verändert habe“.
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