rock unterscheiden und die Waffe nicht ohne Soldaten denken konnte, auch nicht genugsam berücksichtigte, daß sogar schon die hohen soldatischen Tugenden selbst, wie z. B. die des blinden schweigenden Gehorsams, bei misverstandenen oder nicht genau aufgefaßten Aufträgen oft die bedenklichsten Verlegenheiten und Gefahren hervorbringen können, wenn, wie das leider sehr häufig der Fall ist, der Befehligte nicht einmal einen Begriff von den gewöhnlichsten polizeilichen Verrichtungen hat. Das trostlose Uebel hat so tief Wurzel gefaßt, daß die leider ohnehin schon mit zahl- reichen verunglückten Bürgern, abgedienten Jägern und Lakaien, heruntergekommenen Schulmeistern, Comptoiristen u. dgl. versetzte untere Polizeibeamtenschaft wesentlich aus abgedienten, zum Theil für den Militärdienst schon abgängig gewordenen Soldaten ver- vollständigt wird, denen die bewegliche Polizeipraxis nach dem langjährig geübten soldatischen Mechanismus sehr schwer fällt und sehr selten geläufig wird. So wenig man vergessen darf, daß die Gensdarmerie in jener Zeit, da das Räuberthum in offe- nen bewaffneten Gruppen auftrat, allerdings erhebliche Dienste leistete, so wenig darf man übersehen, daß diese Waffenmänner jene Räubergruppen nur wesentlich zersprengten, und daß es nicht der soldatischen Taktik, sondern der gelegentlichen polizeilichen Umsicht gelang, die verhältnißmäßig wenigen Räuber zur Haft zu brin- gen, welche von der Justiz unschädlich gemacht wurden. Der militärische Organismus und Zwang steht der polizeilichen Be- weglichkeit gerade mehr im Wege, als daß er die polizeiliche Macht verstärkte und förderte. Die vielen Vaganten und Ver- brecher, welche sich oft viele Meilen weit von Dorf zu Dorf durch mehrerer Herren Länder durchschleichen, ohne von einem Gensdarm angehalten zu sein, sind ein redender Beweis von der Unbeweg- lichkeit und Rathlosigkeit der heutigen Gensdarmerie, welche bei weitem mehr thun und leisten würde, wenn bei einer neuen Or- ganisation das militärische Element gegen das polizeiliche mehr zurückgestellt würde. 1)
1) Die polizeiliche Thätigkeit läßt sich schwer in den militärischen Formen
rock unterſcheiden und die Waffe nicht ohne Soldaten denken konnte, auch nicht genugſam berückſichtigte, daß ſogar ſchon die hohen ſoldatiſchen Tugenden ſelbſt, wie z. B. die des blinden ſchweigenden Gehorſams, bei misverſtandenen oder nicht genau aufgefaßten Aufträgen oft die bedenklichſten Verlegenheiten und Gefahren hervorbringen können, wenn, wie das leider ſehr häufig der Fall iſt, der Befehligte nicht einmal einen Begriff von den gewöhnlichſten polizeilichen Verrichtungen hat. Das troſtloſe Uebel hat ſo tief Wurzel gefaßt, daß die leider ohnehin ſchon mit zahl- reichen verunglückten Bürgern, abgedienten Jägern und Lakaien, heruntergekommenen Schulmeiſtern, Comptoiriſten u. dgl. verſetzte untere Polizeibeamtenſchaft weſentlich aus abgedienten, zum Theil für den Militärdienſt ſchon abgängig gewordenen Soldaten ver- vollſtändigt wird, denen die bewegliche Polizeipraxis nach dem langjährig geübten ſoldatiſchen Mechanismus ſehr ſchwer fällt und ſehr ſelten geläufig wird. So wenig man vergeſſen darf, daß die Gensdarmerie in jener Zeit, da das Räuberthum in offe- nen bewaffneten Gruppen auftrat, allerdings erhebliche Dienſte leiſtete, ſo wenig darf man überſehen, daß dieſe Waffenmänner jene Räubergruppen nur weſentlich zerſprengten, und daß es nicht der ſoldatiſchen Taktik, ſondern der gelegentlichen polizeilichen Umſicht gelang, die verhältnißmäßig wenigen Räuber zur Haft zu brin- gen, welche von der Juſtiz unſchädlich gemacht wurden. Der militäriſche Organismus und Zwang ſteht der polizeilichen Be- weglichkeit gerade mehr im Wege, als daß er die polizeiliche Macht verſtärkte und förderte. Die vielen Vaganten und Ver- brecher, welche ſich oft viele Meilen weit von Dorf zu Dorf durch mehrerer Herren Länder durchſchleichen, ohne von einem Gensdarm angehalten zu ſein, ſind ein redender Beweis von der Unbeweg- lichkeit und Rathloſigkeit der heutigen Gensdarmerie, welche bei weitem mehr thun und leiſten würde, wenn bei einer neuen Or- ganiſation das militäriſche Element gegen das polizeiliche mehr zurückgeſtellt würde. 1)
1) Die polizeiliche Thätigkeit läßt ſich ſchwer in den militäriſchen Formen
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rock unterſcheiden und die Waffe nicht ohne Soldaten denken
konnte, auch nicht genugſam berückſichtigte, daß ſogar ſchon die
hohen ſoldatiſchen Tugenden ſelbſt, wie z. B. die des blinden
ſchweigenden Gehorſams, bei misverſtandenen oder nicht genau
aufgefaßten Aufträgen oft die bedenklichſten Verlegenheiten und
Gefahren hervorbringen können, wenn, wie das leider ſehr häufig
der Fall iſt, der Befehligte nicht einmal einen Begriff von den
gewöhnlichſten polizeilichen Verrichtungen hat. Das troſtloſe Uebel
hat ſo tief Wurzel gefaßt, daß die leider ohnehin ſchon mit zahl-
reichen verunglückten Bürgern, abgedienten Jägern und Lakaien,
heruntergekommenen Schulmeiſtern, Comptoiriſten u. dgl. verſetzte
untere Polizeibeamtenſchaft weſentlich aus abgedienten, zum Theil
für den Militärdienſt ſchon abgängig gewordenen Soldaten ver-
vollſtändigt wird, denen die bewegliche Polizeipraxis nach dem
langjährig geübten ſoldatiſchen Mechanismus ſehr ſchwer fällt
und ſehr ſelten geläufig wird. So wenig man vergeſſen darf,
daß die Gensdarmerie in jener Zeit, da das Räuberthum in offe-
nen bewaffneten Gruppen auftrat, allerdings erhebliche Dienſte
leiſtete, ſo wenig darf man überſehen, daß dieſe Waffenmänner jene
Räubergruppen nur weſentlich zerſprengten, und daß es nicht der
ſoldatiſchen Taktik, ſondern der gelegentlichen polizeilichen Umſicht
gelang, die verhältnißmäßig wenigen Räuber zur Haft zu brin-
gen, welche von der Juſtiz unſchädlich gemacht wurden. Der
militäriſche Organismus und Zwang ſteht der polizeilichen Be-
weglichkeit gerade mehr im Wege, als daß er die polizeiliche
Macht verſtärkte und förderte. Die vielen Vaganten und Ver-
brecher, welche ſich oft viele Meilen weit von Dorf zu Dorf durch
mehrerer Herren Länder durchſchleichen, ohne von einem Gensdarm
angehalten zu ſein, ſind ein redender Beweis von der Unbeweg-
lichkeit und Rathloſigkeit der heutigen Gensdarmerie, welche bei
weitem mehr thun und leiſten würde, wenn bei einer neuen Or-
ganiſation das militäriſche Element gegen das polizeiliche mehr
zurückgeſtellt würde. 1)
1) Die polizeiliche Thätigkeit läßt ſich ſchwer in den militäriſchen Formen
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/373>, abgerufen am 25.11.2024.
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