Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.legerinnen selbst ausübt, daß diese nach und nach ihre Orakel Zweiundsiebzigstes Kapitel. d) Das Schocher-majim. Der weit durch das Volk verbreitete Drang nach positiven 1) Zu auffällig ist die Beobachtung, welche bei näherer Aufmerksamkeit
sich vielleicht auch noch anderweitig bestätigen wird, daß ich bei den vielen von mir vorgenommenen Leichenbesichtigungen und Explorationen der Verhält- nisse weiblicher Selbstmörder noch kein Frauenzimmer über funfzig Jahre aus den untersten Volksschichten gefunden habe, welche nicht Kartenschlägerin, und deren mindestens letzte Lebenszeit nicht von zwar meistens bürgerlich tadelfreier, doch entschieden auffälliger Führung gewesen ist. Auch war der Tod, meistens Wassertod, fast immer von höchst eigenthümlichen mystischen Vorbereitungen begleitet. Entsprechende Erscheinungen bieten sich auch noch bei den Quack- salbern und Wundärzten dar, von denen Kap. 75 noch weiter geredet werden wird. legerinnen ſelbſt ausübt, daß dieſe nach und nach ihre Orakel Zweiundſiebzigſtes Kapitel. δ) Das Schocher-majim. Der weit durch das Volk verbreitete Drang nach poſitiven 1) Zu auffällig iſt die Beobachtung, welche bei näherer Aufmerkſamkeit
ſich vielleicht auch noch anderweitig beſtätigen wird, daß ich bei den vielen von mir vorgenommenen Leichenbeſichtigungen und Explorationen der Verhält- niſſe weiblicher Selbſtmörder noch kein Frauenzimmer über funfzig Jahre aus den unterſten Volksſchichten gefunden habe, welche nicht Kartenſchlägerin, und deren mindeſtens letzte Lebenszeit nicht von zwar meiſtens bürgerlich tadelfreier, doch entſchieden auffälliger Führung geweſen iſt. Auch war der Tod, meiſtens Waſſertod, faſt immer von höchſt eigenthümlichen myſtiſchen Vorbereitungen begleitet. Entſprechende Erſcheinungen bieten ſich auch noch bei den Quack- ſalbern und Wundärzten dar, von denen Kap. 75 noch weiter geredet werden wird. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0273" n="261"/> legerinnen ſelbſt ausübt, daß dieſe nach und nach ihre Orakel<lb/> für das Reſultat myſtiſcher Offenbarung und für poſitive Gewiß-<lb/> heit halten, und dadurch faſt durchgehends in eine wunderliche<lb/> geiſtige Zerfahrenheit gerathen, welche ſich durch die auffälligſten<lb/> Kundgebungen im bürgerlichen Leben verräth, und vielfach mit<lb/> Jrrſinn oder Selbſtmord der Kartenlegerin endet. <note place="foot" n="1)">Zu auffällig iſt die Beobachtung, welche bei näherer Aufmerkſamkeit<lb/> ſich vielleicht auch noch anderweitig beſtätigen wird, daß ich bei den vielen<lb/> von mir vorgenommenen Leichenbeſichtigungen und Explorationen der Verhält-<lb/> niſſe weiblicher Selbſtmörder noch kein Frauenzimmer über funfzig Jahre aus den<lb/> unterſten Volksſchichten gefunden habe, welche nicht Kartenſchlägerin, und<lb/> deren mindeſtens letzte Lebenszeit nicht von zwar meiſtens bürgerlich tadelfreier,<lb/> doch entſchieden auffälliger Führung geweſen iſt. Auch war der Tod, meiſtens<lb/> Waſſertod, faſt immer von höchſt eigenthümlichen myſtiſchen Vorbereitungen<lb/> begleitet. Entſprechende Erſcheinungen bieten ſich auch noch bei den Quack-<lb/> ſalbern und Wundärzten dar, von denen Kap. 75 noch weiter geredet werden<lb/> wird.</note> Die meiſtens<lb/> leichthin angeſehenen und daher vernachläſſigten Unterſuchungen<lb/> gegen ſolche Kartenlegerinnen geben merkwürdige Bilder und Be-<lb/> weiſe von jener eigenthümlichen geiſtigen Zerfahrenheit, deren Er-<lb/> kennung zu den intereſſanteſten, aber auch trübſten Erfahrungen<lb/> auf dem Gebiete polizeilicher Thätigkeit gehört.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="4"> <head><hi rendition="#fr">Zweiundſiebzigſtes Kapitel.</hi><lb/> δ) <hi rendition="#fr">Das Schocher-majim.</hi></head><lb/> <p>Der weit durch das Volk verbreitete Drang nach poſitiven<lb/> Grundlagen in der Wahrſagerei griff, bei dem feſten Abſchluß der<lb/> geheimen Zauberwiſſenſchaften und Künſte, ſchon früh und viel-<lb/> fach zu den gewöhnlichſten und trivialſten Dingen, und ſanctionirte<lb/> namentlich die ſo nahe gegebenen Gegenſtände des täglichen Haus-<lb/> gebrauchs als Mittel zur Erforſchung der Zukunft. Die ſchon<lb/> erwähnte „Goetie“ Georg Pictor’s gibt treffende Belege dafür.<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [261/0273]
legerinnen ſelbſt ausübt, daß dieſe nach und nach ihre Orakel
für das Reſultat myſtiſcher Offenbarung und für poſitive Gewiß-
heit halten, und dadurch faſt durchgehends in eine wunderliche
geiſtige Zerfahrenheit gerathen, welche ſich durch die auffälligſten
Kundgebungen im bürgerlichen Leben verräth, und vielfach mit
Jrrſinn oder Selbſtmord der Kartenlegerin endet. 1) Die meiſtens
leichthin angeſehenen und daher vernachläſſigten Unterſuchungen
gegen ſolche Kartenlegerinnen geben merkwürdige Bilder und Be-
weiſe von jener eigenthümlichen geiſtigen Zerfahrenheit, deren Er-
kennung zu den intereſſanteſten, aber auch trübſten Erfahrungen
auf dem Gebiete polizeilicher Thätigkeit gehört.
Zweiundſiebzigſtes Kapitel.
δ) Das Schocher-majim.
Der weit durch das Volk verbreitete Drang nach poſitiven
Grundlagen in der Wahrſagerei griff, bei dem feſten Abſchluß der
geheimen Zauberwiſſenſchaften und Künſte, ſchon früh und viel-
fach zu den gewöhnlichſten und trivialſten Dingen, und ſanctionirte
namentlich die ſo nahe gegebenen Gegenſtände des täglichen Haus-
gebrauchs als Mittel zur Erforſchung der Zukunft. Die ſchon
erwähnte „Goetie“ Georg Pictor’s gibt treffende Belege dafür.
1) Zu auffällig iſt die Beobachtung, welche bei näherer Aufmerkſamkeit
ſich vielleicht auch noch anderweitig beſtätigen wird, daß ich bei den vielen
von mir vorgenommenen Leichenbeſichtigungen und Explorationen der Verhält-
niſſe weiblicher Selbſtmörder noch kein Frauenzimmer über funfzig Jahre aus den
unterſten Volksſchichten gefunden habe, welche nicht Kartenſchlägerin, und
deren mindeſtens letzte Lebenszeit nicht von zwar meiſtens bürgerlich tadelfreier,
doch entſchieden auffälliger Führung geweſen iſt. Auch war der Tod, meiſtens
Waſſertod, faſt immer von höchſt eigenthümlichen myſtiſchen Vorbereitungen
begleitet. Entſprechende Erſcheinungen bieten ſich auch noch bei den Quack-
ſalbern und Wundärzten dar, von denen Kap. 75 noch weiter geredet werden
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