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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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"als Gewißheit der Weissagungen" dargestellt wurde, vom
scharfen Blick des Gaunerthums doch immer als nichtig und un-
brauchbar erkannt und misachtet blieb, gelegentlich aber, wie zur
Lust, und zur verdienten Züchtigung blödsinnigen Aberglaubens,
in verschiedenster Weise ausgebeutet wurde. Viel später als das
Gaunerthum begriff die gelehrte Forschung die Nichtigkeit der
ganzen Zauberlehre, und gerade die zu Anfang des vorigen Jahr-
hunderts sich breitmachende rationelle Belehrung und Bearbeitung,
wie das angeführte Werk von Schalitz eine solche unternahm,
machte sich selbst noch lächerlicher als den Aberglauben, von wel-
chem sie die Lehre "reinigen" wollte. 1) Merkwürdig und nicht
ohne Beziehung ist der Umstand, daß, sobald die unversetzte Kab-
bala und der auf ihr beruhende jüdische Mysticismus in Deutsch-
land bekannt und klar wurde, die christlichen Zauberbücher in der
Geltung zu sinken 2), die Hexenprocesse abzunehmen, und an Stelle
der scheußlichen Judenverfolgungen jene milden, wenn auch unge-
lenken orthodoxen Proselytenmachereien aufzukommen begannen,
welche letztere wenigstens das eine gute Zeugniß haben, daß man
das Judenthum und seine Sprache und Literatur einer genauern
Aufmerksamkeit und Literatur zu würdigen sich bequemte.

Von diesem Standpunkte aus wird die bereits ausgesprochene
Ansicht deutlicher, daß die Gaunerprocesse vom 15. bis 17. Jahr-
hundert fast gänzlich in die Hexenprocesse auf- und untergegangen
sind, trotzdem die Zaubermystik zuerst bei dem Gaunerthum
außer Credit gekommen ist. Somit wird man sich bei genauerm

1) Selbst da, wo man der Arbeit Nachdenken und Scharfsinn nicht ab-
sprechen kann, erscheint die Gelehrsamkeit, um des faden und unwürdigen
Gegenstandes willen, geradezu ekel. Das ist besonders mit den lateinischen
Hexametern der Fall, welche nach ihren bestimmten Eintheilungen und Ver-
setzungen den Schlüssel zu allen beliebigen Prophezeiungen geben, und welche
der müßig gelehrte Fleiß aus alten lateinischen Dichtern zusammengesucht hat.
Man findet diese Hexameter bei Peuschel, a. a. O., S. 396 fg.
2) So hat gerade das in Deutschland zuerst 1684 zu Sulzbach gedruckte
Buch Sohar des Rabbi Schimon Ben Jochai durch seine offene Erschei-
nung bei weitem mehr zur Aufklärung beigetragen, als solche verhindert.

„als Gewißheit der Weiſſagungen“ dargeſtellt wurde, vom
ſcharfen Blick des Gaunerthums doch immer als nichtig und un-
brauchbar erkannt und misachtet blieb, gelegentlich aber, wie zur
Luſt, und zur verdienten Züchtigung blödſinnigen Aberglaubens,
in verſchiedenſter Weiſe ausgebeutet wurde. Viel ſpäter als das
Gaunerthum begriff die gelehrte Forſchung die Nichtigkeit der
ganzen Zauberlehre, und gerade die zu Anfang des vorigen Jahr-
hunderts ſich breitmachende rationelle Belehrung und Bearbeitung,
wie das angeführte Werk von Schalitz eine ſolche unternahm,
machte ſich ſelbſt noch lächerlicher als den Aberglauben, von wel-
chem ſie die Lehre „reinigen“ wollte. 1) Merkwürdig und nicht
ohne Beziehung iſt der Umſtand, daß, ſobald die unverſetzte Kab-
bala und der auf ihr beruhende jüdiſche Myſticismus in Deutſch-
land bekannt und klar wurde, die chriſtlichen Zauberbücher in der
Geltung zu ſinken 2), die Hexenproceſſe abzunehmen, und an Stelle
der ſcheußlichen Judenverfolgungen jene milden, wenn auch unge-
lenken orthodoxen Proſelytenmachereien aufzukommen begannen,
welche letztere wenigſtens das eine gute Zeugniß haben, daß man
das Judenthum und ſeine Sprache und Literatur einer genauern
Aufmerkſamkeit und Literatur zu würdigen ſich bequemte.

Von dieſem Standpunkte aus wird die bereits ausgeſprochene
Anſicht deutlicher, daß die Gaunerproceſſe vom 15. bis 17. Jahr-
hundert faſt gänzlich in die Hexenproceſſe auf- und untergegangen
ſind, trotzdem die Zaubermyſtik zuerſt bei dem Gaunerthum
außer Credit gekommen iſt. Somit wird man ſich bei genauerm

1) Selbſt da, wo man der Arbeit Nachdenken und Scharfſinn nicht ab-
ſprechen kann, erſcheint die Gelehrſamkeit, um des faden und unwürdigen
Gegenſtandes willen, geradezu ekel. Das iſt beſonders mit den lateiniſchen
Hexametern der Fall, welche nach ihren beſtimmten Eintheilungen und Ver-
ſetzungen den Schlüſſel zu allen beliebigen Prophezeiungen geben, und welche
der müßig gelehrte Fleiß aus alten lateiniſchen Dichtern zuſammengeſucht hat.
Man findet dieſe Hexameter bei Peuſchel, a. a. O., S. 396 fg.
2) So hat gerade das in Deutſchland zuerſt 1684 zu Sulzbach gedruckte
Buch Sohar des Rabbi Schimon Ben Jochai durch ſeine offene Erſchei-
nung bei weitem mehr zur Aufklärung beigetragen, als ſolche verhindert.
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[255/0267] „als Gewißheit der Weiſſagungen“ dargeſtellt wurde, vom ſcharfen Blick des Gaunerthums doch immer als nichtig und un- brauchbar erkannt und misachtet blieb, gelegentlich aber, wie zur Luſt, und zur verdienten Züchtigung blödſinnigen Aberglaubens, in verſchiedenſter Weiſe ausgebeutet wurde. Viel ſpäter als das Gaunerthum begriff die gelehrte Forſchung die Nichtigkeit der ganzen Zauberlehre, und gerade die zu Anfang des vorigen Jahr- hunderts ſich breitmachende rationelle Belehrung und Bearbeitung, wie das angeführte Werk von Schalitz eine ſolche unternahm, machte ſich ſelbſt noch lächerlicher als den Aberglauben, von wel- chem ſie die Lehre „reinigen“ wollte. 1) Merkwürdig und nicht ohne Beziehung iſt der Umſtand, daß, ſobald die unverſetzte Kab- bala und der auf ihr beruhende jüdiſche Myſticismus in Deutſch- land bekannt und klar wurde, die chriſtlichen Zauberbücher in der Geltung zu ſinken 2), die Hexenproceſſe abzunehmen, und an Stelle der ſcheußlichen Judenverfolgungen jene milden, wenn auch unge- lenken orthodoxen Proſelytenmachereien aufzukommen begannen, welche letztere wenigſtens das eine gute Zeugniß haben, daß man das Judenthum und ſeine Sprache und Literatur einer genauern Aufmerkſamkeit und Literatur zu würdigen ſich bequemte. Von dieſem Standpunkte aus wird die bereits ausgeſprochene Anſicht deutlicher, daß die Gaunerproceſſe vom 15. bis 17. Jahr- hundert faſt gänzlich in die Hexenproceſſe auf- und untergegangen ſind, trotzdem die Zaubermyſtik zuerſt bei dem Gaunerthum außer Credit gekommen iſt. Somit wird man ſich bei genauerm 1) Selbſt da, wo man der Arbeit Nachdenken und Scharfſinn nicht ab- ſprechen kann, erſcheint die Gelehrſamkeit, um des faden und unwürdigen Gegenſtandes willen, geradezu ekel. Das iſt beſonders mit den lateiniſchen Hexametern der Fall, welche nach ihren beſtimmten Eintheilungen und Ver- ſetzungen den Schlüſſel zu allen beliebigen Prophezeiungen geben, und welche der müßig gelehrte Fleiß aus alten lateiniſchen Dichtern zuſammengeſucht hat. Man findet dieſe Hexameter bei Peuſchel, a. a. O., S. 396 fg. 2) So hat gerade das in Deutſchland zuerſt 1684 zu Sulzbach gedruckte Buch Sohar des Rabbi Schimon Ben Jochai durch ſeine offene Erſchei- nung bei weitem mehr zur Aufklärung beigetragen, als ſolche verhindert.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/267>, abgerufen am 26.11.2024.