Spielereien sind, ganz abgesehen von ihrer mystischen Ausbeutung, für die Gaunerlinguistik sehr wichtig; denn nicht nur in der jüdi- schen, sondern sogar auch in der deutschen Gaunersprache finden sich ähnliche Transpositionen, welche durchaus als analoge kabba- listische Formationen erscheinen. Jm Abschnitt von der Gauner- sprache wird näher darauf eingegangen werden.
Schon bei einer nur oberflächlichen Kenntniß von dem Bau der hebräischen Sprache begreift man, wie ungemein fügig dieselbe für solche linguistische Spielereien ist, und welche reiche Resultate die mit der ganzen Gewalt üppiger orientalischer Phantasie ver- einigte scharfsinnige Forschung der Kabbalisten erbringen mußte. Die Kabbala war das geheimste Studium jüdischer Gelehrter, und wurde nur den jüdischen Jüngern mitgetheilt, welche sie immer mehr als traditionelle Mystik cultivirten, und in ihren geistreich- sten und scharfsinnigsten Forschungen ebenso viele erhabene wie auch kleinliche, ja nicht selten schmuzige und verworfene Anschau- ungen zum Vorschein brachten. Während die kümmerliche deutsche Gelehrsamkeit des Mittelalters mit roher Verachtung auf das sich ihr ganz abschließende geheime Fortleben der jüdischen Gelehrsam- keit herabblickte, wurde doch mit der aufkommenden humanistischen Richtung des 15. Jahrhunderts mindestens die hebräische Sprache einiger Aufmerksamkeit gewürdigt, obgleich ihr tieferes wissenschaftliches Studium, und namentlich die wunderbare Kab- bala, specifisches Eigenthum der Juden verblieb, oder nur höchst wenigen christlichen Gelehrten theilweise, nie aber gänzlich, klar oder überschaulich-faßlich gemacht wurde. Aus diesen verworrenen Aphorismen, zu denen nun eine Menge Zuthaten aus den grie- chischen, römischen und andern Alterthümern hinzukamen, bildete sich, in hochmüthiger selbsttrügerischer Weise, mit unverstandenen und unverständlichen Formen, die geistlose, platte und verworrene christliche Zaubermystik aus, welche die siechste und ekelste Stelle in der Geschichte der sonst überall ernst, tief und wahr forschenden deutschen Gelehrsamkeit ist. Selbst die ungeheuersten Bilder, selbst die abgeschmacktesten Parabeln, Allegorien und Symhole der jüdi- schen kabbalistischen Mystik haben Sinn und Bedeutung, so gesucht
Spielereien ſind, ganz abgeſehen von ihrer myſtiſchen Ausbeutung, für die Gaunerlinguiſtik ſehr wichtig; denn nicht nur in der jüdi- ſchen, ſondern ſogar auch in der deutſchen Gaunerſprache finden ſich ähnliche Transpoſitionen, welche durchaus als analoge kabba- liſtiſche Formationen erſcheinen. Jm Abſchnitt von der Gauner- ſprache wird näher darauf eingegangen werden.
Schon bei einer nur oberflächlichen Kenntniß von dem Bau der hebräiſchen Sprache begreift man, wie ungemein fügig dieſelbe für ſolche linguiſtiſche Spielereien iſt, und welche reiche Reſultate die mit der ganzen Gewalt üppiger orientaliſcher Phantaſie ver- einigte ſcharfſinnige Forſchung der Kabbaliſten erbringen mußte. Die Kabbala war das geheimſte Studium jüdiſcher Gelehrter, und wurde nur den jüdiſchen Jüngern mitgetheilt, welche ſie immer mehr als traditionelle Myſtik cultivirten, und in ihren geiſtreich- ſten und ſcharfſinnigſten Forſchungen ebenſo viele erhabene wie auch kleinliche, ja nicht ſelten ſchmuzige und verworfene Anſchau- ungen zum Vorſchein brachten. Während die kümmerliche deutſche Gelehrſamkeit des Mittelalters mit roher Verachtung auf das ſich ihr ganz abſchließende geheime Fortleben der jüdiſchen Gelehrſam- keit herabblickte, wurde doch mit der aufkommenden humaniſtiſchen Richtung des 15. Jahrhunderts mindeſtens die hebräiſche Sprache einiger Aufmerkſamkeit gewürdigt, obgleich ihr tieferes wiſſenſchaftliches Studium, und namentlich die wunderbare Kab- bala, ſpecifiſches Eigenthum der Juden verblieb, oder nur höchſt wenigen chriſtlichen Gelehrten theilweiſe, nie aber gänzlich, klar oder überſchaulich-faßlich gemacht wurde. Aus dieſen verworrenen Aphorismen, zu denen nun eine Menge Zuthaten aus den grie- chiſchen, römiſchen und andern Alterthümern hinzukamen, bildete ſich, in hochmüthiger ſelbſttrügeriſcher Weiſe, mit unverſtandenen und unverſtändlichen Formen, die geiſtloſe, platte und verworrene chriſtliche Zaubermyſtik aus, welche die ſiechſte und ekelſte Stelle in der Geſchichte der ſonſt überall ernſt, tief und wahr forſchenden deutſchen Gelehrſamkeit iſt. Selbſt die ungeheuerſten Bilder, ſelbſt die abgeſchmackteſten Parabeln, Allegorien und Symhole der jüdi- ſchen kabbaliſtiſchen Myſtik haben Sinn und Bedeutung, ſo geſucht
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Spielereien ſind, ganz abgeſehen von ihrer myſtiſchen Ausbeutung,
für die Gaunerlinguiſtik ſehr wichtig; denn nicht nur in der jüdi-
ſchen, ſondern ſogar auch in der deutſchen Gaunerſprache finden
ſich ähnliche Transpoſitionen, welche durchaus als analoge kabba-
liſtiſche Formationen erſcheinen. Jm Abſchnitt von der Gauner-
ſprache wird näher darauf eingegangen werden.
Schon bei einer nur oberflächlichen Kenntniß von dem Bau
der hebräiſchen Sprache begreift man, wie ungemein fügig dieſelbe
für ſolche linguiſtiſche Spielereien iſt, und welche reiche Reſultate
die mit der ganzen Gewalt üppiger orientaliſcher Phantaſie ver-
einigte ſcharfſinnige Forſchung der Kabbaliſten erbringen mußte.
Die Kabbala war das geheimſte Studium jüdiſcher Gelehrter, und
wurde nur den jüdiſchen Jüngern mitgetheilt, welche ſie immer
mehr als traditionelle Myſtik cultivirten, und in ihren geiſtreich-
ſten und ſcharfſinnigſten Forſchungen ebenſo viele erhabene wie
auch kleinliche, ja nicht ſelten ſchmuzige und verworfene Anſchau-
ungen zum Vorſchein brachten. Während die kümmerliche deutſche
Gelehrſamkeit des Mittelalters mit roher Verachtung auf das ſich
ihr ganz abſchließende geheime Fortleben der jüdiſchen Gelehrſam-
keit herabblickte, wurde doch mit der aufkommenden humaniſtiſchen
Richtung des 15. Jahrhunderts mindeſtens die hebräiſche
Sprache einiger Aufmerkſamkeit gewürdigt, obgleich ihr tieferes
wiſſenſchaftliches Studium, und namentlich die wunderbare Kab-
bala, ſpecifiſches Eigenthum der Juden verblieb, oder nur höchſt
wenigen chriſtlichen Gelehrten theilweiſe, nie aber gänzlich, klar
oder überſchaulich-faßlich gemacht wurde. Aus dieſen verworrenen
Aphorismen, zu denen nun eine Menge Zuthaten aus den grie-
chiſchen, römiſchen und andern Alterthümern hinzukamen, bildete
ſich, in hochmüthiger ſelbſttrügeriſcher Weiſe, mit unverſtandenen
und unverſtändlichen Formen, die geiſtloſe, platte und verworrene
chriſtliche Zaubermyſtik aus, welche die ſiechſte und ekelſte Stelle
in der Geſchichte der ſonſt überall ernſt, tief und wahr forſchenden
deutſchen Gelehrſamkeit iſt. Selbſt die ungeheuerſten Bilder, ſelbſt
die abgeſchmackteſten Parabeln, Allegorien und Symhole der jüdi-
ſchen kabbaliſtiſchen Myſtik haben Sinn und Bedeutung, ſo geſucht
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/265>, abgerufen am 26.11.2024.
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