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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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dies Misbehagen und Verlangen documentirt, daß der Deutsche,
der die Polizei mehr in Anekdoten als in der directen Berührung
liebt, zu wenig von seiner behaglichen Sorglosigkeit opfern mag,
und zu wenig selbst für seine Sicherheit thut. Er trägt die Uhr,
welche vielleicht nur 20--30 Thaler kostet, an einer Kette um den
Hals und seine Brieftasche mit Kassenscheinen und Assignaten von
mehreren tausend Thalern Werth in der Rockschoßtasche oder in der
klaffenden Brusttasche. Er macht sogar erst Bekanntschaft durch
Anbietung einer Prise aus seiner silbernen oder goldenen Dose,
die ihm bald nach dem Wegstecken gestohlen wird. Er hält es
für eine Beleidigung, wenn er sogar dem geringen Mann das
Feuer seiner Cigarre abschlägt 1), und bleibt selbst im raschen Ge-
schäftsgange gefällig stehen, während der Taschendieb ihm die Uhr
oder Plattmulje zupft. Die kalte Abgeschlossenheit des Engländers,
mit welcher er durch das social-politische Leben schreitet, sichert
ihn ebenso sehr vor der ungewünschten Annäherung, wie dem
Franzosen diesen Schutz seine feine Höflichkeit verleiht, mit wel-
cher er selbst die Entfernung abmißt, welche dritte gegen ihn zu
beachten haben. Der englische Comfort findet in Deutschland
eine ebenso starke Nachahmung wie schlechte Uebersetzung. Die
praktische Nützlichkeit des unkleidsamen Sackrocks zum Beispiel,
mit welchem der Engländer seine Person und Taschen wie mit
einer Schutzmauer überzieht, wenn er auf der Straße oder auf
Reisen geht, ist in Deutschland bedeutend paralysirt durch die Taschen,
die noch dazu von außen angebracht, also auch für den Taschendieb
leicht zugänglich sind. Der Engländer wickelt seinen klafterlangen
starken Plaid fest um die Hüften, steckt die Enden zwischen die
Beine, und wärmt dadurch sowol den Körper, als er auch den
Taschen eine größere Bedeckung und Sicherheit verleiht, wenn er
im Eisenbahncoupe einschlafen sollte. Der anglisirende deutsche
Handlungsreisende legt denselben Plaid hohl über die Schenkel
und läßt die Enden hinten zurückschlagen oder zur Seite herab-

1) Jm Niederdeutschen hat sich sogar die Parömie gebildet: "Een Smöker is
den annern Für schüllig", d. h. "Ein Raucher ist dem andern Feuer schuldig".

dies Misbehagen und Verlangen documentirt, daß der Deutſche,
der die Polizei mehr in Anekdoten als in der directen Berührung
liebt, zu wenig von ſeiner behaglichen Sorgloſigkeit opfern mag,
und zu wenig ſelbſt für ſeine Sicherheit thut. Er trägt die Uhr,
welche vielleicht nur 20—30 Thaler koſtet, an einer Kette um den
Hals und ſeine Brieftaſche mit Kaſſenſcheinen und Aſſignaten von
mehreren tauſend Thalern Werth in der Rockſchoßtaſche oder in der
klaffenden Bruſttaſche. Er macht ſogar erſt Bekanntſchaft durch
Anbietung einer Priſe aus ſeiner ſilbernen oder goldenen Doſe,
die ihm bald nach dem Wegſtecken geſtohlen wird. Er hält es
für eine Beleidigung, wenn er ſogar dem geringen Mann das
Feuer ſeiner Cigarre abſchlägt 1), und bleibt ſelbſt im raſchen Ge-
ſchäftsgange gefällig ſtehen, während der Taſchendieb ihm die Uhr
oder Plattmulje zupft. Die kalte Abgeſchloſſenheit des Engländers,
mit welcher er durch das ſocial-politiſche Leben ſchreitet, ſichert
ihn ebenſo ſehr vor der ungewünſchten Annäherung, wie dem
Franzoſen dieſen Schutz ſeine feine Höflichkeit verleiht, mit wel-
cher er ſelbſt die Entfernung abmißt, welche dritte gegen ihn zu
beachten haben. Der engliſche Comfort findet in Deutſchland
eine ebenſo ſtarke Nachahmung wie ſchlechte Ueberſetzung. Die
praktiſche Nützlichkeit des unkleidſamen Sackrocks zum Beiſpiel,
mit welchem der Engländer ſeine Perſon und Taſchen wie mit
einer Schutzmauer überzieht, wenn er auf der Straße oder auf
Reiſen geht, iſt in Deutſchland bedeutend paralyſirt durch die Taſchen,
die noch dazu von außen angebracht, alſo auch für den Taſchendieb
leicht zugänglich ſind. Der Engländer wickelt ſeinen klafterlangen
ſtarken Plaid feſt um die Hüften, ſteckt die Enden zwiſchen die
Beine, und wärmt dadurch ſowol den Körper, als er auch den
Taſchen eine größere Bedeckung und Sicherheit verleiht, wenn er
im Eiſenbahncoupé einſchlafen ſollte. Der angliſirende deutſche
Handlungsreiſende legt denſelben Plaid hohl über die Schenkel
und läßt die Enden hinten zurückſchlagen oder zur Seite herab-

1) Jm Niederdeutſchen hat ſich ſogar die Parömie gebildet: „Een Smöker is
den annern Für ſchüllig“, d. h. „Ein Raucher iſt dem andern Feuer ſchuldig“.
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[232/0244] dies Misbehagen und Verlangen documentirt, daß der Deutſche, der die Polizei mehr in Anekdoten als in der directen Berührung liebt, zu wenig von ſeiner behaglichen Sorgloſigkeit opfern mag, und zu wenig ſelbſt für ſeine Sicherheit thut. Er trägt die Uhr, welche vielleicht nur 20—30 Thaler koſtet, an einer Kette um den Hals und ſeine Brieftaſche mit Kaſſenſcheinen und Aſſignaten von mehreren tauſend Thalern Werth in der Rockſchoßtaſche oder in der klaffenden Bruſttaſche. Er macht ſogar erſt Bekanntſchaft durch Anbietung einer Priſe aus ſeiner ſilbernen oder goldenen Doſe, die ihm bald nach dem Wegſtecken geſtohlen wird. Er hält es für eine Beleidigung, wenn er ſogar dem geringen Mann das Feuer ſeiner Cigarre abſchlägt 1), und bleibt ſelbſt im raſchen Ge- ſchäftsgange gefällig ſtehen, während der Taſchendieb ihm die Uhr oder Plattmulje zupft. Die kalte Abgeſchloſſenheit des Engländers, mit welcher er durch das ſocial-politiſche Leben ſchreitet, ſichert ihn ebenſo ſehr vor der ungewünſchten Annäherung, wie dem Franzoſen dieſen Schutz ſeine feine Höflichkeit verleiht, mit wel- cher er ſelbſt die Entfernung abmißt, welche dritte gegen ihn zu beachten haben. Der engliſche Comfort findet in Deutſchland eine ebenſo ſtarke Nachahmung wie ſchlechte Ueberſetzung. Die praktiſche Nützlichkeit des unkleidſamen Sackrocks zum Beiſpiel, mit welchem der Engländer ſeine Perſon und Taſchen wie mit einer Schutzmauer überzieht, wenn er auf der Straße oder auf Reiſen geht, iſt in Deutſchland bedeutend paralyſirt durch die Taſchen, die noch dazu von außen angebracht, alſo auch für den Taſchendieb leicht zugänglich ſind. Der Engländer wickelt ſeinen klafterlangen ſtarken Plaid feſt um die Hüften, ſteckt die Enden zwiſchen die Beine, und wärmt dadurch ſowol den Körper, als er auch den Taſchen eine größere Bedeckung und Sicherheit verleiht, wenn er im Eiſenbahncoupé einſchlafen ſollte. Der angliſirende deutſche Handlungsreiſende legt denſelben Plaid hohl über die Schenkel und läßt die Enden hinten zurückſchlagen oder zur Seite herab- 1) Jm Niederdeutſchen hat ſich ſogar die Parömie gebildet: „Een Smöker is den annern Für ſchüllig“, d. h. „Ein Raucher iſt dem andern Feuer ſchuldig“.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/244>, abgerufen am 22.11.2024.