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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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daß sie im Hause bei weitem weniger Gefahr laufen 1) als bei
dem Einbruche von außen her, weshalb dann auch die Schmi-
ren mit großer Vorsicht gewählt werden und zu Werke gehen.

Sobald nun die Vorbereitungen so weit getroffen sind, wird
an den Massematten selbst gegangen. Die Verschlüsse werden mit
dem Klamoniss geöffnet, mit dem Schabber gesprengt 2), oder mit
dem Brunger lewone gelegt. Meistens sind die Verschlüsse schon
bei dem Baldowern den Schränkern genau bekannt geworden. Die
bei den Niederländischen Räubern durchgängig gebräuchliche Be-
leuchtung der Gebäude mit eigens dazu vorgerichteten Lichtern,
Neiress 3), ist mit dem offenen Ueberfall und Sturm jetzt beinahe
gänzlich aus der Praxis der Schränker verschwunden, und kommt
nur noch da vor, wo noch offene Räuberbanden existiren können.
Jst etwas seit dem Baldowern verändert oder versetzt, so wird
mit dem chemischen Streichholz behutsam hingeleuchtet, oder auch
ein Stümpfchen Talglicht 4) angesteckt. Finden die Schränker

1) Die Schränker zählen nicht mit Unrecht darauf, daß derjenige, welcher
im Hause ihre Gegenwart merkt, und in der Dunkelheit über ihre Zahl und
Stärke sich nicht unterrichten kann, lieber sein Hab und Gut auf das Spiel
setzt, als sein Leben und seine Gesundheit. Kaum glaublich erscheinen die
manchen auffälligen Züge von Muthlosigkeit auf der einen und der dadurch
provocirten übermüthigen Dreistigkeit auf der andern Seite, welche man in der
Praxis erfährt. Kaum ein Hülferuf aus dem Fenster in die Nachbarschaft
wurde gewagt, während die Schränker in den Stuben sich gütlich thaten mit
den Speisen und Getränken, die sie zusammengetragen hatten. Bei einem Ein-
bruche hierselbst hatten die noch sehr jungen Schränker in einem Schankkeller
mit richtiger Schmeckerfolge zuerst Bordeaux, dann Rheinwein und zuletzt
Champagner getrunken, und der eine sogar die Guitarre dabei zur Hand ge-
nommen.
2) Das Brechen und Sprengen wird soviel wie möglich vermieden und
gewöhnlich dann mit raschem Nachdruck vorgenommen, wenn ein Geräusch auf
der Straße, wie z. B. durch einen vorüberfahrenden Wagen, entsteht.
3) Jüdisch-deutscher Ausdruck vom hebräischen [fremdsprachliches Material - fehlt] (ner, Plural neross
oder jüdisch-deutsch neiress).
4) Das Wachslicht verräth zu sehr den Schränker, wenn er damit be-
treten wird. Das Stück Talglicht wird immer als Mittel ausgegeben, um
harte Schwielen an den Füßen zu erweichen, und hat daher das Wachslicht
fast ganz verdrängt.

daß ſie im Hauſe bei weitem weniger Gefahr laufen 1) als bei
dem Einbruche von außen her, weshalb dann auch die Schmi-
ren mit großer Vorſicht gewählt werden und zu Werke gehen.

Sobald nun die Vorbereitungen ſo weit getroffen ſind, wird
an den Maſſematten ſelbſt gegangen. Die Verſchlüſſe werden mit
dem Klamoniſſ geöffnet, mit dem Schabber geſprengt 2), oder mit
dem Brunger lewone gelegt. Meiſtens ſind die Verſchlüſſe ſchon
bei dem Baldowern den Schränkern genau bekannt geworden. Die
bei den Niederländiſchen Räubern durchgängig gebräuchliche Be-
leuchtung der Gebäude mit eigens dazu vorgerichteten Lichtern,
Neireſſ 3), iſt mit dem offenen Ueberfall und Sturm jetzt beinahe
gänzlich aus der Praxis der Schränker verſchwunden, und kommt
nur noch da vor, wo noch offene Räuberbanden exiſtiren können.
Jſt etwas ſeit dem Baldowern verändert oder verſetzt, ſo wird
mit dem chemiſchen Streichholz behutſam hingeleuchtet, oder auch
ein Stümpfchen Talglicht 4) angeſteckt. Finden die Schränker

1) Die Schränker zählen nicht mit Unrecht darauf, daß derjenige, welcher
im Hauſe ihre Gegenwart merkt, und in der Dunkelheit über ihre Zahl und
Stärke ſich nicht unterrichten kann, lieber ſein Hab und Gut auf das Spiel
ſetzt, als ſein Leben und ſeine Geſundheit. Kaum glaublich erſcheinen die
manchen auffälligen Züge von Muthloſigkeit auf der einen und der dadurch
provocirten übermüthigen Dreiſtigkeit auf der andern Seite, welche man in der
Praxis erfährt. Kaum ein Hülferuf aus dem Fenſter in die Nachbarſchaft
wurde gewagt, während die Schränker in den Stuben ſich gütlich thaten mit
den Speiſen und Getränken, die ſie zuſammengetragen hatten. Bei einem Ein-
bruche hierſelbſt hatten die noch ſehr jungen Schränker in einem Schankkeller
mit richtiger Schmeckerfolge zuerſt Bordeaux, dann Rheinwein und zuletzt
Champagner getrunken, und der eine ſogar die Guitarre dabei zur Hand ge-
nommen.
2) Das Brechen und Sprengen wird ſoviel wie möglich vermieden und
gewöhnlich dann mit raſchem Nachdruck vorgenommen, wenn ein Geräuſch auf
der Straße, wie z. B. durch einen vorüberfahrenden Wagen, entſteht.
3) Jüdiſch-deutſcher Ausdruck vom hebräiſchen [fremdsprachliches Material – fehlt] (ner, Plural neross
oder jüdiſch-deutſch neiress).
4) Das Wachslicht verräth zu ſehr den Schränker, wenn er damit be-
treten wird. Das Stück Talglicht wird immer als Mittel ausgegeben, um
harte Schwielen an den Füßen zu erweichen, und hat daher das Wachslicht
faſt ganz verdrängt.
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[142/0154] daß ſie im Hauſe bei weitem weniger Gefahr laufen 1) als bei dem Einbruche von außen her, weshalb dann auch die Schmi- ren mit großer Vorſicht gewählt werden und zu Werke gehen. Sobald nun die Vorbereitungen ſo weit getroffen ſind, wird an den Maſſematten ſelbſt gegangen. Die Verſchlüſſe werden mit dem Klamoniſſ geöffnet, mit dem Schabber geſprengt 2), oder mit dem Brunger lewone gelegt. Meiſtens ſind die Verſchlüſſe ſchon bei dem Baldowern den Schränkern genau bekannt geworden. Die bei den Niederländiſchen Räubern durchgängig gebräuchliche Be- leuchtung der Gebäude mit eigens dazu vorgerichteten Lichtern, Neireſſ 3), iſt mit dem offenen Ueberfall und Sturm jetzt beinahe gänzlich aus der Praxis der Schränker verſchwunden, und kommt nur noch da vor, wo noch offene Räuberbanden exiſtiren können. Jſt etwas ſeit dem Baldowern verändert oder verſetzt, ſo wird mit dem chemiſchen Streichholz behutſam hingeleuchtet, oder auch ein Stümpfchen Talglicht 4) angeſteckt. Finden die Schränker 1) Die Schränker zählen nicht mit Unrecht darauf, daß derjenige, welcher im Hauſe ihre Gegenwart merkt, und in der Dunkelheit über ihre Zahl und Stärke ſich nicht unterrichten kann, lieber ſein Hab und Gut auf das Spiel ſetzt, als ſein Leben und ſeine Geſundheit. Kaum glaublich erſcheinen die manchen auffälligen Züge von Muthloſigkeit auf der einen und der dadurch provocirten übermüthigen Dreiſtigkeit auf der andern Seite, welche man in der Praxis erfährt. Kaum ein Hülferuf aus dem Fenſter in die Nachbarſchaft wurde gewagt, während die Schränker in den Stuben ſich gütlich thaten mit den Speiſen und Getränken, die ſie zuſammengetragen hatten. Bei einem Ein- bruche hierſelbſt hatten die noch ſehr jungen Schränker in einem Schankkeller mit richtiger Schmeckerfolge zuerſt Bordeaux, dann Rheinwein und zuletzt Champagner getrunken, und der eine ſogar die Guitarre dabei zur Hand ge- nommen. 2) Das Brechen und Sprengen wird ſoviel wie möglich vermieden und gewöhnlich dann mit raſchem Nachdruck vorgenommen, wenn ein Geräuſch auf der Straße, wie z. B. durch einen vorüberfahrenden Wagen, entſteht. 3) Jüdiſch-deutſcher Ausdruck vom hebräiſchen _ (ner, Plural neross oder jüdiſch-deutſch neiress). 4) Das Wachslicht verräth zu ſehr den Schränker, wenn er damit be- treten wird. Das Stück Talglicht wird immer als Mittel ausgegeben, um harte Schwielen an den Füßen zu erweichen, und hat daher das Wachslicht faſt ganz verdrängt.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/154>, abgerufen am 22.11.2024.