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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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so fein ausgebildet, daß es dieselbe in ihrer bürgerlichen Praxis
weit hinter sich gelassen hat, und daß man gerade nur in dieser
Verfein[erung] die gaunerische Thätigkeit erkennt. Jnsofern kann
aber alle[rd]ings von einer eigenen Gaunertechnik die Rede sein.
Eine gesonderte Darstellung dieser Gaunertechnik würde aber auch
eine Darstellung der ganzen Gewerbstechnik erforderlich machen,
und somit die dem vorliegenden Werke gesetzte Grenze weit über-
schreiten. Die Technik erklärt sich am kürzesten und deutlichsten
in ihrer Anwendung bei den einzelnen gaunerischen Unternehmun-
gen, deren Darstellung nunmehr erfolgen soll.

Alle praktische gaunerische Thätigkeit wurde ursprünglich mit
dem Ausdruck Fetzen bezeichnet. Jm Liber Vagatorum finden
sich die verschiedenartigsten Zusammensetzungen, als Claffotfetzer,
Schneider; Fladerfetzer (Pflastermacher), Bader, Barbier; Schö-
cherfetzer,
Wirth; Klingfetzer, Leiermann; Bosserfetzer,
Schlachter u. s. w. Die schon von Pott, a. a. O., II, 32, an-
geführte Ableitung vom lateinischen facere ist ohne Zweifel rich-
tig. 1) Jn der heutigen Gaunersprache ist der Begriff jedoch sehr
beschränkt, indem Fetzen nur noch das Lostrennen, Losschneiden
einer Sache zu ihrer Habhaftwerdung oder Vernichtung, also
schneiden, stechen, ermorden, abschneiden, zerschneiden u. s. w. be-
deutet. Statt dessen ist aber das Wort Handel als deutsche
Uebersetzung des facere aufgekommen, und Handel heißt daher
allgemein jedes Raub- oder Diebstahlsunternehmen, einen Han-
del machen
oder handeln, stehlen. Dazu kommt noch in ganz
gleicher Bedeutung der schon angeführte jüdisch-deutsche Ausdruck
Massematten, der jedoch, neben der Bedeutung des Diebstahls
selbst, auch noch die des Diebstahlsobjects hat, und in der pleo-

1) Auch in der portugiesischen Gaunersprache, Calaon genannt, hat das
Wort Faxar ganz die Bedeutung des facere und fetzen. Von Fetzen bil-
dete sich im 16. u. 17. Jahrhunderte der volksthümliche Ausdruck pfetzen,
pfitzen,
mit der Bedeutung zupfen, kneifen, abkneifen, klemmen,
stehlen,
welche noch später auf das specifisch-gaunerische Fetzen übergegangen
zu sein scheint. Vgl. Kap. 66, Note 1, Stipitzen beim Stippen. Vgl. von
Stieler, "Sprachschatz", S. 1442, u. Schottelius, S. 1373.

ſo fein ausgebildet, daß es dieſelbe in ihrer bürgerlichen Praxis
weit hinter ſich gelaſſen hat, und daß man gerade nur in dieſer
Verfein[erung] die gauneriſche Thätigkeit erkennt. Jnſofern kann
aber alle[rd]ings von einer eigenen Gaunertechnik die Rede ſein.
Eine geſonderte Darſtellung dieſer Gaunertechnik würde aber auch
eine Darſtellung der ganzen Gewerbstechnik erforderlich machen,
und ſomit die dem vorliegenden Werke geſetzte Grenze weit über-
ſchreiten. Die Technik erklärt ſich am kürzeſten und deutlichſten
in ihrer Anwendung bei den einzelnen gauneriſchen Unternehmun-
gen, deren Darſtellung nunmehr erfolgen ſoll.

Alle praktiſche gauneriſche Thätigkeit wurde urſprünglich mit
dem Ausdruck Fetzen bezeichnet. Jm Liber Vagatorum finden
ſich die verſchiedenartigſten Zuſammenſetzungen, als Claffotfetzer,
Schneider; Fladerfetzer (Pflaſtermacher), Bader, Barbier; Schö-
cherfetzer,
Wirth; Klingfetzer, Leiermann; Boſſerfetzer,
Schlachter u. ſ. w. Die ſchon von Pott, a. a. O., II, 32, an-
geführte Ableitung vom lateiniſchen facere iſt ohne Zweifel rich-
tig. 1) Jn der heutigen Gaunerſprache iſt der Begriff jedoch ſehr
beſchränkt, indem Fetzen nur noch das Lostrennen, Losſchneiden
einer Sache zu ihrer Habhaftwerdung oder Vernichtung, alſo
ſchneiden, ſtechen, ermorden, abſchneiden, zerſchneiden u. ſ. w. be-
deutet. Statt deſſen iſt aber das Wort Handel als deutſche
Ueberſetzung des facere aufgekommen, und Handel heißt daher
allgemein jedes Raub- oder Diebſtahlsunternehmen, einen Han-
del machen
oder handeln, ſtehlen. Dazu kommt noch in ganz
gleicher Bedeutung der ſchon angeführte jüdiſch-deutſche Ausdruck
Maſſematten, der jedoch, neben der Bedeutung des Diebſtahls
ſelbſt, auch noch die des Diebſtahlsobjects hat, und in der pleo-

1) Auch in der portugieſiſchen Gaunerſprache, Calaõ genannt, hat das
Wort Faxar ganz die Bedeutung des facere und fetzen. Von Fetzen bil-
dete ſich im 16. u. 17. Jahrhunderte der volksthümliche Ausdruck pfetzen,
pfitzen,
mit der Bedeutung zupfen, kneifen, abkneifen, klemmen,
ſtehlen,
welche noch ſpäter auf das ſpecifiſch-gauneriſche Fetzen übergegangen
zu ſein ſcheint. Vgl. Kap. 66, Note 1, Stipitzen beim Stippen. Vgl. von
Stieler, „Sprachſchatz“, S. 1442, u. Schottelius, S. 1373.
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[119/0131] ſo fein ausgebildet, daß es dieſelbe in ihrer bürgerlichen Praxis weit hinter ſich gelaſſen hat, und daß man gerade nur in dieſer Verfeinerung die gauneriſche Thätigkeit erkennt. Jnſofern kann aber allerdings von einer eigenen Gaunertechnik die Rede ſein. Eine geſonderte Darſtellung dieſer Gaunertechnik würde aber auch eine Darſtellung der ganzen Gewerbstechnik erforderlich machen, und ſomit die dem vorliegenden Werke geſetzte Grenze weit über- ſchreiten. Die Technik erklärt ſich am kürzeſten und deutlichſten in ihrer Anwendung bei den einzelnen gauneriſchen Unternehmun- gen, deren Darſtellung nunmehr erfolgen ſoll. Alle praktiſche gauneriſche Thätigkeit wurde urſprünglich mit dem Ausdruck Fetzen bezeichnet. Jm Liber Vagatorum finden ſich die verſchiedenartigſten Zuſammenſetzungen, als Claffotfetzer, Schneider; Fladerfetzer (Pflaſtermacher), Bader, Barbier; Schö- cherfetzer, Wirth; Klingfetzer, Leiermann; Boſſerfetzer, Schlachter u. ſ. w. Die ſchon von Pott, a. a. O., II, 32, an- geführte Ableitung vom lateiniſchen facere iſt ohne Zweifel rich- tig. 1) Jn der heutigen Gaunerſprache iſt der Begriff jedoch ſehr beſchränkt, indem Fetzen nur noch das Lostrennen, Losſchneiden einer Sache zu ihrer Habhaftwerdung oder Vernichtung, alſo ſchneiden, ſtechen, ermorden, abſchneiden, zerſchneiden u. ſ. w. be- deutet. Statt deſſen iſt aber das Wort Handel als deutſche Ueberſetzung des facere aufgekommen, und Handel heißt daher allgemein jedes Raub- oder Diebſtahlsunternehmen, einen Han- del machen oder handeln, ſtehlen. Dazu kommt noch in ganz gleicher Bedeutung der ſchon angeführte jüdiſch-deutſche Ausdruck Maſſematten, der jedoch, neben der Bedeutung des Diebſtahls ſelbſt, auch noch die des Diebſtahlsobjects hat, und in der pleo- 1) Auch in der portugieſiſchen Gaunerſprache, Calaõ genannt, hat das Wort Faxar ganz die Bedeutung des facere und fetzen. Von Fetzen bil- dete ſich im 16. u. 17. Jahrhunderte der volksthümliche Ausdruck pfetzen, pfitzen, mit der Bedeutung zupfen, kneifen, abkneifen, klemmen, ſtehlen, welche noch ſpäter auf das ſpecifiſch-gauneriſche Fetzen übergegangen zu ſein ſcheint. Vgl. Kap. 66, Note 1, Stipitzen beim Stippen. Vgl. von Stieler, „Sprachſchatz“, S. 1442, u. Schottelius, S. 1373.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/131>, abgerufen am 24.11.2024.