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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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schicksen heimgesucht und betrogen wird, die sich ihm als pauvres
honteuses,
unglückliche Beamten- oder Offizierswitwen, durch-
reisende Gouvernanten oder Künstlerinnen vorstellen. Es gibt
Stellen, wo junge Mädchen als Bonnen, Erzieherinnen und Ge-
sellschafterinnen erzogen, und mit guten und gefälschten Papieren
und Empfehlungen fortgeschickt werden, um in weiter Ferne ein
Unterkommen zu erlangen, dem Hauptzwecke nach aber, um Masse-
matten zu baldowern, die denn auch durch ihren Nachweis und
mit ihrer Hülfe gehandelt werden, ohne daß auch nur der Schein
des Verdachts auf die verkappte Gaunerin im Hause fällt. Die
menschenfreundliche christliche Werkthätigkeit der innern Mission ist
zum Gegenstand einer eigenen Speculation geworden. Liederliche
Dirnen verlassen das Bordell, spielen die Reuige, werfen sich der
innern Mission in die Arme, werden bald als gebessert entlassen,
und erhalten nun Empfehlung und Unterkommen in christlichen
Familien, wo sie bald ihren Genossen die alten Dienste durch
Baldowern leisten, und auch wol gar endlich mit ihnen verschwinden.
Der Colporteur, der Bettler, der Krüppel, der Sieche, der Blinde
mit sehenden Augen, der sich von einem Kinde führen läßt, geht in
die Häuser, um die Lokalität und die Schlösser zu besehen, ob
dieser oder jener Klamoniss anzuwenden ist. Das weinende Kind,
das von der Noth der Aeltern erzählt; der kecke Knabe, der mit
schlauem Lächeln den Fremden im Gasthofe fragt, ob seine
Schwester oder Cousine ihn besuchen darf; das schüchterne junge
Mädchen, das ihn um Weißzeugnäherei oder Wäsche bittet, um
eine alte Mutter und die Geschwister durchzubringen, baldowert,
selbst auch wenn ihre Schüchternheit plötzlich in Preisgebung um-
schlägt. Der verkappte Polizeidiener, der nach der Legitimation
des Reisenden fragt; der Commissionär, der seine Vermittelung
zu Geschäften, der Lohndiener, der seine Dienste anbietet, will
nichts weiter als den Platz erspähen, wo Koffer und Kasse des
Fremden steht. Das alte Mütterchen, das beim Wechsler einen
Kassenschein umsetzt, ersieht sich, wo und wie die Geldladen stehen,
und zählt im Davontrippeln die Schritte von dem Fenster nächst
der Lade bis zur Thür. Der Handelsreisende, der mit dreisten

ſchickſen heimgeſucht und betrogen wird, die ſich ihm als pauvres
honteuses,
unglückliche Beamten- oder Offizierswitwen, durch-
reiſende Gouvernanten oder Künſtlerinnen vorſtellen. Es gibt
Stellen, wo junge Mädchen als Bonnen, Erzieherinnen und Ge-
ſellſchafterinnen erzogen, und mit guten und gefälſchten Papieren
und Empfehlungen fortgeſchickt werden, um in weiter Ferne ein
Unterkommen zu erlangen, dem Hauptzwecke nach aber, um Maſſe-
matten zu baldowern, die denn auch durch ihren Nachweis und
mit ihrer Hülfe gehandelt werden, ohne daß auch nur der Schein
des Verdachts auf die verkappte Gaunerin im Hauſe fällt. Die
menſchenfreundliche chriſtliche Werkthätigkeit der innern Miſſion iſt
zum Gegenſtand einer eigenen Speculation geworden. Liederliche
Dirnen verlaſſen das Bordell, ſpielen die Reuige, werfen ſich der
innern Miſſion in die Arme, werden bald als gebeſſert entlaſſen,
und erhalten nun Empfehlung und Unterkommen in chriſtlichen
Familien, wo ſie bald ihren Genoſſen die alten Dienſte durch
Baldowern leiſten, und auch wol gar endlich mit ihnen verſchwinden.
Der Colporteur, der Bettler, der Krüppel, der Sieche, der Blinde
mit ſehenden Augen, der ſich von einem Kinde führen läßt, geht in
die Häuſer, um die Lokalität und die Schlöſſer zu beſehen, ob
dieſer oder jener Klamoniſſ anzuwenden iſt. Das weinende Kind,
das von der Noth der Aeltern erzählt; der kecke Knabe, der mit
ſchlauem Lächeln den Fremden im Gaſthofe fragt, ob ſeine
Schweſter oder Couſine ihn beſuchen darf; das ſchüchterne junge
Mädchen, das ihn um Weißzeugnäherei oder Wäſche bittet, um
eine alte Mutter und die Geſchwiſter durchzubringen, baldowert,
ſelbſt auch wenn ihre Schüchternheit plötzlich in Preisgebung um-
ſchlägt. Der verkappte Polizeidiener, der nach der Legitimation
des Reiſenden fragt; der Commiſſionär, der ſeine Vermittelung
zu Geſchäften, der Lohndiener, der ſeine Dienſte anbietet, will
nichts weiter als den Platz erſpähen, wo Koffer und Kaſſe des
Fremden ſteht. Das alte Mütterchen, das beim Wechsler einen
Kaſſenſchein umſetzt, erſieht ſich, wo und wie die Geldladen ſtehen,
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der Lade bis zur Thür. Der Handelsreiſende, der mit dreiſten

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[109/0121] ſchickſen heimgeſucht und betrogen wird, die ſich ihm als pauvres honteuses, unglückliche Beamten- oder Offizierswitwen, durch- reiſende Gouvernanten oder Künſtlerinnen vorſtellen. Es gibt Stellen, wo junge Mädchen als Bonnen, Erzieherinnen und Ge- ſellſchafterinnen erzogen, und mit guten und gefälſchten Papieren und Empfehlungen fortgeſchickt werden, um in weiter Ferne ein Unterkommen zu erlangen, dem Hauptzwecke nach aber, um Maſſe- matten zu baldowern, die denn auch durch ihren Nachweis und mit ihrer Hülfe gehandelt werden, ohne daß auch nur der Schein des Verdachts auf die verkappte Gaunerin im Hauſe fällt. Die menſchenfreundliche chriſtliche Werkthätigkeit der innern Miſſion iſt zum Gegenſtand einer eigenen Speculation geworden. Liederliche Dirnen verlaſſen das Bordell, ſpielen die Reuige, werfen ſich der innern Miſſion in die Arme, werden bald als gebeſſert entlaſſen, und erhalten nun Empfehlung und Unterkommen in chriſtlichen Familien, wo ſie bald ihren Genoſſen die alten Dienſte durch Baldowern leiſten, und auch wol gar endlich mit ihnen verſchwinden. Der Colporteur, der Bettler, der Krüppel, der Sieche, der Blinde mit ſehenden Augen, der ſich von einem Kinde führen läßt, geht in die Häuſer, um die Lokalität und die Schlöſſer zu beſehen, ob dieſer oder jener Klamoniſſ anzuwenden iſt. Das weinende Kind, das von der Noth der Aeltern erzählt; der kecke Knabe, der mit ſchlauem Lächeln den Fremden im Gaſthofe fragt, ob ſeine Schweſter oder Couſine ihn beſuchen darf; das ſchüchterne junge Mädchen, das ihn um Weißzeugnäherei oder Wäſche bittet, um eine alte Mutter und die Geſchwiſter durchzubringen, baldowert, ſelbſt auch wenn ihre Schüchternheit plötzlich in Preisgebung um- ſchlägt. Der verkappte Polizeidiener, der nach der Legitimation des Reiſenden fragt; der Commiſſionär, der ſeine Vermittelung zu Geſchäften, der Lohndiener, der ſeine Dienſte anbietet, will nichts weiter als den Platz erſpähen, wo Koffer und Kaſſe des Fremden ſteht. Das alte Mütterchen, das beim Wechsler einen Kaſſenſchein umſetzt, erſieht ſich, wo und wie die Geldladen ſtehen, und zählt im Davontrippeln die Schritte von dem Fenſter nächſt der Lade bis zur Thür. Der Handelsreiſende, der mit dreiſten

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/121>, abgerufen am 24.11.2024.