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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Spaniens dieser hatte, und wie er sogar das Spanische trotz dem
geborenen Toledaner sprechen konnte. Welche Geheimnisse, Oert-
lichkeiten und Personalverhältnisse lernt nicht aber noch heutzutage
der Polizeimann gerade durch das Gaunerthum kennen, die un-
ter andern Umständen ihm durchaus unbekannt geblieben wären.
Er wird in eine ganz neue Welt eingeführt, die Millionen gänz-
lich verschlossen und fremd bleibt.

Es gibt keinen bessern Topographen und Statistiker als den
Gauner. Nicht nur jedes Land, jeden Ort, an welchem er nur
kurze Zeit verweilt hat, kennt er genau; er weiß auch alle seine
Schlupfwinkel, kennt die Einrichtung jedes Hauses, welches er
betreten hat, und hat genaue Kunde von den Verhältnissen seiner
Bewohner. Er kennt das Gerichtsverfahren, das Magistratsper-
sonal, die Jnquirenten, die Polizei und wie viel oder wie wenig
er von ihnen zu fürchten hat, die Gefangenanstalten, Gefangen-
wärter, die Hausordnung, Behandlung der Gefangenen u. s. w.
Denn niemals unternimmt der Gauner irgendetwas, wenn er
nicht sicher ist, daß ihm die That vollständig gelingt, und er
selbst unentdeckt bleibt, bis er sich zurückgezogen hat. Was der
eine Gauner erkundet hat, das weiß auch seine Genossenschaft,
denn die Kenntniß des einen ist Gemeingut des Ganzen. Un-
zählige Vorwände dienen ihm, diese und jene Kenntniß zu erlan-
gen. Sowie ein Gauner in einen Ort kommt, so erkundigt er
sich nach allen Personen und Verhältnissen, die er ausbeuten
kann. Eine der ersten Fragen im Wirthshaus ist die nach dem
Adreßbuch oder Staatshandbuch. Fast alle fremden Gauner, die
ich verhört habe, hatten nach sehr kurzem Aufenthalt schon eine
ganze Liste distinguirter Personen notirt; manche Wohnung war
nach einer alten Ausgabe des Adreßbuchs mit der frühern Straße
oder Hausnummer aufgezeichnet. Häufig kommen Gauner schon
mit solchen Listen an, die sie bereits auswärts nachgewiesen er-
halten hatten. Keine Schwäche ist so unbekannt, daß sie, von
einem Gauner entdeckt, nicht auch von mehreren gekannt sein
sollte. Der vornehme alte Wollüstling, der eine Maitresse bezahlt
hat, kann darauf rechnen, daß er auch von fahrenden Dappel-

Spaniens dieſer hatte, und wie er ſogar das Spaniſche trotz dem
geborenen Toledaner ſprechen konnte. Welche Geheimniſſe, Oert-
lichkeiten und Perſonalverhältniſſe lernt nicht aber noch heutzutage
der Polizeimann gerade durch das Gaunerthum kennen, die un-
ter andern Umſtänden ihm durchaus unbekannt geblieben wären.
Er wird in eine ganz neue Welt eingeführt, die Millionen gänz-
lich verſchloſſen und fremd bleibt.

Es gibt keinen beſſern Topographen und Statiſtiker als den
Gauner. Nicht nur jedes Land, jeden Ort, an welchem er nur
kurze Zeit verweilt hat, kennt er genau; er weiß auch alle ſeine
Schlupfwinkel, kennt die Einrichtung jedes Hauſes, welches er
betreten hat, und hat genaue Kunde von den Verhältniſſen ſeiner
Bewohner. Er kennt das Gerichtsverfahren, das Magiſtratsper-
ſonal, die Jnquirenten, die Polizei und wie viel oder wie wenig
er von ihnen zu fürchten hat, die Gefangenanſtalten, Gefangen-
wärter, die Hausordnung, Behandlung der Gefangenen u. ſ. w.
Denn niemals unternimmt der Gauner irgendetwas, wenn er
nicht ſicher iſt, daß ihm die That vollſtändig gelingt, und er
ſelbſt unentdeckt bleibt, bis er ſich zurückgezogen hat. Was der
eine Gauner erkundet hat, das weiß auch ſeine Genoſſenſchaft,
denn die Kenntniß des einen iſt Gemeingut des Ganzen. Un-
zählige Vorwände dienen ihm, dieſe und jene Kenntniß zu erlan-
gen. Sowie ein Gauner in einen Ort kommt, ſo erkundigt er
ſich nach allen Perſonen und Verhältniſſen, die er ausbeuten
kann. Eine der erſten Fragen im Wirthshaus iſt die nach dem
Adreßbuch oder Staatshandbuch. Faſt alle fremden Gauner, die
ich verhört habe, hatten nach ſehr kurzem Aufenthalt ſchon eine
ganze Liſte diſtinguirter Perſonen notirt; manche Wohnung war
nach einer alten Ausgabe des Adreßbuchs mit der frühern Straße
oder Hausnummer aufgezeichnet. Häufig kommen Gauner ſchon
mit ſolchen Liſten an, die ſie bereits auswärts nachgewieſen er-
halten hatten. Keine Schwäche iſt ſo unbekannt, daß ſie, von
einem Gauner entdeckt, nicht auch von mehreren gekannt ſein
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[108/0120] Spaniens dieſer hatte, und wie er ſogar das Spaniſche trotz dem geborenen Toledaner ſprechen konnte. Welche Geheimniſſe, Oert- lichkeiten und Perſonalverhältniſſe lernt nicht aber noch heutzutage der Polizeimann gerade durch das Gaunerthum kennen, die un- ter andern Umſtänden ihm durchaus unbekannt geblieben wären. Er wird in eine ganz neue Welt eingeführt, die Millionen gänz- lich verſchloſſen und fremd bleibt. Es gibt keinen beſſern Topographen und Statiſtiker als den Gauner. Nicht nur jedes Land, jeden Ort, an welchem er nur kurze Zeit verweilt hat, kennt er genau; er weiß auch alle ſeine Schlupfwinkel, kennt die Einrichtung jedes Hauſes, welches er betreten hat, und hat genaue Kunde von den Verhältniſſen ſeiner Bewohner. Er kennt das Gerichtsverfahren, das Magiſtratsper- ſonal, die Jnquirenten, die Polizei und wie viel oder wie wenig er von ihnen zu fürchten hat, die Gefangenanſtalten, Gefangen- wärter, die Hausordnung, Behandlung der Gefangenen u. ſ. w. Denn niemals unternimmt der Gauner irgendetwas, wenn er nicht ſicher iſt, daß ihm die That vollſtändig gelingt, und er ſelbſt unentdeckt bleibt, bis er ſich zurückgezogen hat. Was der eine Gauner erkundet hat, das weiß auch ſeine Genoſſenſchaft, denn die Kenntniß des einen iſt Gemeingut des Ganzen. Un- zählige Vorwände dienen ihm, dieſe und jene Kenntniß zu erlan- gen. Sowie ein Gauner in einen Ort kommt, ſo erkundigt er ſich nach allen Perſonen und Verhältniſſen, die er ausbeuten kann. Eine der erſten Fragen im Wirthshaus iſt die nach dem Adreßbuch oder Staatshandbuch. Faſt alle fremden Gauner, die ich verhört habe, hatten nach ſehr kurzem Aufenthalt ſchon eine ganze Liſte diſtinguirter Perſonen notirt; manche Wohnung war nach einer alten Ausgabe des Adreßbuchs mit der frühern Straße oder Hausnummer aufgezeichnet. Häufig kommen Gauner ſchon mit ſolchen Liſten an, die ſie bereits auswärts nachgewieſen er- halten hatten. Keine Schwäche iſt ſo unbekannt, daß ſie, von einem Gauner entdeckt, nicht auch von mehreren gekannt ſein ſollte. Der vornehme alte Wollüſtling, der eine Maitreſſe bezahlt hat, kann darauf rechnen, daß er auch von fahrenden Dappel-

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/120>, abgerufen am 18.12.2024.