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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Systems, das wiederum in verschiedenartiger Weise ausgebildet
sein kann. Das documentirt am interessantesten Franz von Spaun,
welcher im März 1826 zu München starb. Spaun war bis zum
Jahr 1788 vorderösterreichischer Regierungsrath und Landvogt im
Breisgau. Jn diesem Jahre wollte Spaun, damals 35 Jahre
alt, als neugewählter Reichskammergerichtsassessor nach Wetzlar
abreisen, als er wegen einer für staatsgefährlich gehaltenen
Schrift verhaftet wurde, und als Staatsgefangener zuerst nach
Mungatsch, dann nach Kufstein kam, in welcher Gefangenschaft
er zehn Jahre lang gehalten wurde, ohne Bücher und Schreib-
material erlangen zu können. Jn den letzten Jahren seiner Ge-
fangenschaft bekam Spaun einen Unglücksgefährten zum Nachbar,
von dem ihn jedoch eine dicke Mauer schied. Da fiel er auf den
glücklichen Gedanken, sich durch Pochen verständlich zu machen,
und erfand zu diesem Behufe eine Pochzeichensprache, die nach der
Mittheilung eines seiner langjährigen Freunde überaus sinnreich
war. Das Schwierigste blieb aber hier immer, dem Nachbar,
der vielleicht gar nicht der deutschen Sprache kundig war, den
Schlüssel mitzutheilen. Spaun fing damit an, vierundzwanzig mal
an die Mauer zu klopfen, und setzte dies Manöver so lange un-
verdrossen fort, bis der Unbekannte endlich merkte, daß die vier-
undzwanzig Buchstaben damit gemeint seien und zum Zeichen seines
Verständnisses das Klopfen erwiderte. Jn wenig Wochen konnten
sie sich schnell und fertig mittheilen, und sich gegenseitig ihre Schick-
sale erzählen. 1) Leider hat Spaun, soviel erkundet ist, über jene
seine Klopfsprache und deren Schlüssel nichts hinterlassen, und
mehr als vorstehende Notiz seines Freundes --tz ist darüber nicht
bekannt geworden. Selbst der Ausdruck Hakesen ist nur specifisch

1) Vgl. "Morgenblatt für gebildete Stände", Jahrg. 1826, S. 320.
Der Nachbar war Herr M., später französischer Staatssecretär und Herzog
von B., der auch edel genug war, seinen Unglücksgefährten nicht zu vergessen,
und, früher in Freiheit gesetzt als Spaun, diesem eine Pension auswirkte, von
welcher Spaun bis zu seinem Tode lebte. "C'est Spaun ou le diable!" rief der
Minister zehn Jahr später, als bei seiner Anwesenheit in München Spaun ihn
zu besuchen kam, und vor der Zimmerthür das alte Manöver begann.
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Syſtems, das wiederum in verſchiedenartiger Weiſe ausgebildet
ſein kann. Das documentirt am intereſſanteſten Franz von Spaun,
welcher im März 1826 zu München ſtarb. Spaun war bis zum
Jahr 1788 vorderöſterreichiſcher Regierungsrath und Landvogt im
Breisgau. Jn dieſem Jahre wollte Spaun, damals 35 Jahre
alt, als neugewählter Reichskammergerichtsaſſeſſor nach Wetzlar
abreiſen, als er wegen einer für ſtaatsgefährlich gehaltenen
Schrift verhaftet wurde, und als Staatsgefangener zuerſt nach
Mungatſch, dann nach Kufſtein kam, in welcher Gefangenſchaft
er zehn Jahre lang gehalten wurde, ohne Bücher und Schreib-
material erlangen zu können. Jn den letzten Jahren ſeiner Ge-
fangenſchaft bekam Spaun einen Unglücksgefährten zum Nachbar,
von dem ihn jedoch eine dicke Mauer ſchied. Da fiel er auf den
glücklichen Gedanken, ſich durch Pochen verſtändlich zu machen,
und erfand zu dieſem Behufe eine Pochzeichenſprache, die nach der
Mittheilung eines ſeiner langjährigen Freunde überaus ſinnreich
war. Das Schwierigſte blieb aber hier immer, dem Nachbar,
der vielleicht gar nicht der deutſchen Sprache kundig war, den
Schlüſſel mitzutheilen. Spaun fing damit an, vierundzwanzig mal
an die Mauer zu klopfen, und ſetzte dies Manöver ſo lange un-
verdroſſen fort, bis der Unbekannte endlich merkte, daß die vier-
undzwanzig Buchſtaben damit gemeint ſeien und zum Zeichen ſeines
Verſtändniſſes das Klopfen erwiderte. Jn wenig Wochen konnten
ſie ſich ſchnell und fertig mittheilen, und ſich gegenſeitig ihre Schick-
ſale erzählen. 1) Leider hat Spaun, ſoviel erkundet iſt, über jene
ſeine Klopfſprache und deren Schlüſſel nichts hinterlaſſen, und
mehr als vorſtehende Notiz ſeines Freundes —tz iſt darüber nicht
bekannt geworden. Selbſt der Ausdruck Hakeſen iſt nur ſpecifiſch

1) Vgl. „Morgenblatt für gebildete Stände“, Jahrg. 1826, S. 320.
Der Nachbar war Herr M., ſpäter franzöſiſcher Staatsſecretär und Herzog
von B., der auch edel genug war, ſeinen Unglücksgefährten nicht zu vergeſſen,
und, früher in Freiheit geſetzt als Spaun, dieſem eine Penſion auswirkte, von
welcher Spaun bis zu ſeinem Tode lebte. „C’est Spaun ou le diable!“ rief der
Miniſter zehn Jahr ſpäter, als bei ſeiner Anweſenheit in München Spaun ihn
zu beſuchen kam, und vor der Zimmerthür das alte Manöver begann.
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[99/0111] Syſtems, das wiederum in verſchiedenartiger Weiſe ausgebildet ſein kann. Das documentirt am intereſſanteſten Franz von Spaun, welcher im März 1826 zu München ſtarb. Spaun war bis zum Jahr 1788 vorderöſterreichiſcher Regierungsrath und Landvogt im Breisgau. Jn dieſem Jahre wollte Spaun, damals 35 Jahre alt, als neugewählter Reichskammergerichtsaſſeſſor nach Wetzlar abreiſen, als er wegen einer für ſtaatsgefährlich gehaltenen Schrift verhaftet wurde, und als Staatsgefangener zuerſt nach Mungatſch, dann nach Kufſtein kam, in welcher Gefangenſchaft er zehn Jahre lang gehalten wurde, ohne Bücher und Schreib- material erlangen zu können. Jn den letzten Jahren ſeiner Ge- fangenſchaft bekam Spaun einen Unglücksgefährten zum Nachbar, von dem ihn jedoch eine dicke Mauer ſchied. Da fiel er auf den glücklichen Gedanken, ſich durch Pochen verſtändlich zu machen, und erfand zu dieſem Behufe eine Pochzeichenſprache, die nach der Mittheilung eines ſeiner langjährigen Freunde überaus ſinnreich war. Das Schwierigſte blieb aber hier immer, dem Nachbar, der vielleicht gar nicht der deutſchen Sprache kundig war, den Schlüſſel mitzutheilen. Spaun fing damit an, vierundzwanzig mal an die Mauer zu klopfen, und ſetzte dies Manöver ſo lange un- verdroſſen fort, bis der Unbekannte endlich merkte, daß die vier- undzwanzig Buchſtaben damit gemeint ſeien und zum Zeichen ſeines Verſtändniſſes das Klopfen erwiderte. Jn wenig Wochen konnten ſie ſich ſchnell und fertig mittheilen, und ſich gegenſeitig ihre Schick- ſale erzählen. 1) Leider hat Spaun, ſoviel erkundet iſt, über jene ſeine Klopfſprache und deren Schlüſſel nichts hinterlaſſen, und mehr als vorſtehende Notiz ſeines Freundes —tz iſt darüber nicht bekannt geworden. Selbſt der Ausdruck Hakeſen iſt nur ſpecifiſch 1) Vgl. „Morgenblatt für gebildete Stände“, Jahrg. 1826, S. 320. Der Nachbar war Herr M., ſpäter franzöſiſcher Staatsſecretär und Herzog von B., der auch edel genug war, ſeinen Unglücksgefährten nicht zu vergeſſen, und, früher in Freiheit geſetzt als Spaun, dieſem eine Penſion auswirkte, von welcher Spaun bis zu ſeinem Tode lebte. „C’est Spaun ou le diable!“ rief der Miniſter zehn Jahr ſpäter, als bei ſeiner Anweſenheit in München Spaun ihn zu beſuchen kam, und vor der Zimmerthür das alte Manöver begann. 7*

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/111>, abgerufen am 26.11.2024.