verbundenen Mitgliedern einer Einzel- oder Verwandtschaftsgruppe verabredet sind.
Widersteht auch der Gefangenwärter aller Verlockung durch Schmeichelei, Vertraulichkeit, affectirte Kümmerniß, Gefälligkeit, Versprechungen und Gold, so wird er doch oft gegen seinen Wil- len und ungeachtet aller Wachsamkeit zum Träger der Geheimnisse des Gauners gemacht. Der geriebene Gauner kritzelt auf dem Trink- und Eßgeschirr, sei es von Metall oder Holz, mit leichten Zügen seine Notizen hin, und benutzt selbst das Nachtgeschirr dazu, in der Berechnung, daß dies Geschirr von einer Zelle zur andern gewechselt werden kann. 1) Um des Wärters Aufmerksamkeit zu täuschen, reinigt er alles Geschirr selbst vor dessen Augen, damit jener es nicht weiter ansieht, sondern sorglos weglegt und weiter- bringt. Selbst auf dem Holz zwischen den Borsten eines Hand- fegers oder einer Bürste kann ein Papierkügelchen mit Brot an- geklebt sein. Jmmer sollte daher jegliches Geräth und Geschirr einer Zelle mit der Zellennummer versehen, und nur für den Ge- brauch dieser Zelle, niemals aber für den Gebrauch einer andern Zelle hergegeben werden. Andere Beispiele der Ueberlistung ein- fältiger Gefangenwärter sind in nicht geringer Zahl vorhanden, und aus dem Umstande zu erklären, daß der Gauner ebenso gut den Gefangenwärter studirt als den Jnquirenten, und oft schon vor der persönlichen Berührung mit ihm weiß, mit wem er es zu thun hat. Ein guter Jnquirent und ein guter Gefangenwär- ter erwirbt sich bei weitem rascher unter den Gaunern einen Namen, als in der Beamtenwelt.
Jst die Beförderung der Briefe ein Gegenstand der raffinirte- sten Schlauheit und gewandtesten Benutzung der Gelegenheit und Personen, so ist doch auf alle Fälle auch stets der Jnhalt der Briefe an sich so fein und mystisch gehalten, daß es einer ge- nauen Kenntniß der Gaunersprache und Gaunergeheimnisse bedarf,
1) Besonders wird dabei darauf gerechnet, daß bequeme Beamte sich von Gefangenen allerlei Dienste und Handreichungen leisten lassen, wobei dann durch Vermittelung der dazu verwandten Gefangenen der Kassperei Thür und Thor geöffnet ist.
verbundenen Mitgliedern einer Einzel- oder Verwandtſchaftsgruppe verabredet ſind.
Widerſteht auch der Gefangenwärter aller Verlockung durch Schmeichelei, Vertraulichkeit, affectirte Kümmerniß, Gefälligkeit, Verſprechungen und Gold, ſo wird er doch oft gegen ſeinen Wil- len und ungeachtet aller Wachſamkeit zum Träger der Geheimniſſe des Gauners gemacht. Der geriebene Gauner kritzelt auf dem Trink- und Eßgeſchirr, ſei es von Metall oder Holz, mit leichten Zügen ſeine Notizen hin, und benutzt ſelbſt das Nachtgeſchirr dazu, in der Berechnung, daß dies Geſchirr von einer Zelle zur andern gewechſelt werden kann. 1) Um des Wärters Aufmerkſamkeit zu täuſchen, reinigt er alles Geſchirr ſelbſt vor deſſen Augen, damit jener es nicht weiter anſieht, ſondern ſorglos weglegt und weiter- bringt. Selbſt auf dem Holz zwiſchen den Borſten eines Hand- fegers oder einer Bürſte kann ein Papierkügelchen mit Brot an- geklebt ſein. Jmmer ſollte daher jegliches Geräth und Geſchirr einer Zelle mit der Zellennummer verſehen, und nur für den Ge- brauch dieſer Zelle, niemals aber für den Gebrauch einer andern Zelle hergegeben werden. Andere Beiſpiele der Ueberliſtung ein- fältiger Gefangenwärter ſind in nicht geringer Zahl vorhanden, und aus dem Umſtande zu erklären, daß der Gauner ebenſo gut den Gefangenwärter ſtudirt als den Jnquirenten, und oft ſchon vor der perſönlichen Berührung mit ihm weiß, mit wem er es zu thun hat. Ein guter Jnquirent und ein guter Gefangenwär- ter erwirbt ſich bei weitem raſcher unter den Gaunern einen Namen, als in der Beamtenwelt.
Jſt die Beförderung der Briefe ein Gegenſtand der raffinirte- ſten Schlauheit und gewandteſten Benutzung der Gelegenheit und Perſonen, ſo iſt doch auf alle Fälle auch ſtets der Jnhalt der Briefe an ſich ſo fein und myſtiſch gehalten, daß es einer ge- nauen Kenntniß der Gaunerſprache und Gaunergeheimniſſe bedarf,
1) Beſonders wird dabei darauf gerechnet, daß bequeme Beamte ſich von Gefangenen allerlei Dienſte und Handreichungen leiſten laſſen, wobei dann durch Vermittelung der dazu verwandten Gefangenen der Kaſſperei Thür und Thor geöffnet iſt.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0107"n="95"/>
verbundenen Mitgliedern einer Einzel- oder Verwandtſchaftsgruppe<lb/>
verabredet ſind.</p><lb/><p>Widerſteht auch der Gefangenwärter aller Verlockung durch<lb/>
Schmeichelei, Vertraulichkeit, affectirte Kümmerniß, Gefälligkeit,<lb/>
Verſprechungen und Gold, ſo wird er doch oft gegen ſeinen Wil-<lb/>
len und ungeachtet aller Wachſamkeit zum Träger der Geheimniſſe<lb/>
des Gauners gemacht. Der geriebene Gauner kritzelt auf dem<lb/>
Trink- und Eßgeſchirr, ſei es von Metall oder Holz, mit leichten<lb/>
Zügen ſeine Notizen hin, und benutzt ſelbſt das Nachtgeſchirr dazu,<lb/>
in der Berechnung, daß dies Geſchirr von einer Zelle zur andern<lb/>
gewechſelt werden kann. <noteplace="foot"n="1)">Beſonders wird dabei darauf gerechnet, daß bequeme Beamte ſich von<lb/>
Gefangenen allerlei Dienſte und Handreichungen leiſten laſſen, wobei dann durch<lb/>
Vermittelung der dazu verwandten Gefangenen der Kaſſperei Thür und Thor<lb/>
geöffnet iſt.</note> Um des Wärters Aufmerkſamkeit zu<lb/>
täuſchen, reinigt er alles Geſchirr ſelbſt vor deſſen Augen, damit<lb/>
jener es nicht weiter anſieht, ſondern ſorglos weglegt und weiter-<lb/>
bringt. Selbſt auf dem Holz zwiſchen den Borſten eines Hand-<lb/>
fegers oder einer Bürſte kann ein Papierkügelchen mit Brot an-<lb/>
geklebt ſein. Jmmer ſollte daher jegliches Geräth und Geſchirr<lb/>
einer Zelle mit der Zellennummer verſehen, und nur für den Ge-<lb/>
brauch dieſer Zelle, niemals aber für den Gebrauch einer andern<lb/>
Zelle hergegeben werden. Andere Beiſpiele der Ueberliſtung ein-<lb/>
fältiger Gefangenwärter ſind in nicht geringer Zahl vorhanden,<lb/>
und aus dem Umſtande zu erklären, daß der Gauner ebenſo gut<lb/>
den Gefangenwärter ſtudirt als den Jnquirenten, und oft ſchon<lb/>
vor der perſönlichen Berührung mit ihm weiß, mit wem er es<lb/>
zu thun hat. Ein guter Jnquirent und ein guter Gefangenwär-<lb/>
ter erwirbt ſich bei weitem raſcher unter den Gaunern einen<lb/>
Namen, als in der Beamtenwelt.</p><lb/><p>Jſt die Beförderung der Briefe ein Gegenſtand der raffinirte-<lb/>ſten Schlauheit und gewandteſten Benutzung der Gelegenheit und<lb/>
Perſonen, ſo iſt doch auf alle Fälle auch ſtets der <hirendition="#g">Jnhalt</hi> der<lb/>
Briefe an ſich ſo fein und myſtiſch gehalten, daß es einer ge-<lb/>
nauen Kenntniß der Gaunerſprache und Gaunergeheimniſſe bedarf,<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[95/0107]
verbundenen Mitgliedern einer Einzel- oder Verwandtſchaftsgruppe
verabredet ſind.
Widerſteht auch der Gefangenwärter aller Verlockung durch
Schmeichelei, Vertraulichkeit, affectirte Kümmerniß, Gefälligkeit,
Verſprechungen und Gold, ſo wird er doch oft gegen ſeinen Wil-
len und ungeachtet aller Wachſamkeit zum Träger der Geheimniſſe
des Gauners gemacht. Der geriebene Gauner kritzelt auf dem
Trink- und Eßgeſchirr, ſei es von Metall oder Holz, mit leichten
Zügen ſeine Notizen hin, und benutzt ſelbſt das Nachtgeſchirr dazu,
in der Berechnung, daß dies Geſchirr von einer Zelle zur andern
gewechſelt werden kann. 1) Um des Wärters Aufmerkſamkeit zu
täuſchen, reinigt er alles Geſchirr ſelbſt vor deſſen Augen, damit
jener es nicht weiter anſieht, ſondern ſorglos weglegt und weiter-
bringt. Selbſt auf dem Holz zwiſchen den Borſten eines Hand-
fegers oder einer Bürſte kann ein Papierkügelchen mit Brot an-
geklebt ſein. Jmmer ſollte daher jegliches Geräth und Geſchirr
einer Zelle mit der Zellennummer verſehen, und nur für den Ge-
brauch dieſer Zelle, niemals aber für den Gebrauch einer andern
Zelle hergegeben werden. Andere Beiſpiele der Ueberliſtung ein-
fältiger Gefangenwärter ſind in nicht geringer Zahl vorhanden,
und aus dem Umſtande zu erklären, daß der Gauner ebenſo gut
den Gefangenwärter ſtudirt als den Jnquirenten, und oft ſchon
vor der perſönlichen Berührung mit ihm weiß, mit wem er es
zu thun hat. Ein guter Jnquirent und ein guter Gefangenwär-
ter erwirbt ſich bei weitem raſcher unter den Gaunern einen
Namen, als in der Beamtenwelt.
Jſt die Beförderung der Briefe ein Gegenſtand der raffinirte-
ſten Schlauheit und gewandteſten Benutzung der Gelegenheit und
Perſonen, ſo iſt doch auf alle Fälle auch ſtets der Jnhalt der
Briefe an ſich ſo fein und myſtiſch gehalten, daß es einer ge-
nauen Kenntniß der Gaunerſprache und Gaunergeheimniſſe bedarf,
1) Beſonders wird dabei darauf gerechnet, daß bequeme Beamte ſich von
Gefangenen allerlei Dienſte und Handreichungen leiſten laſſen, wobei dann durch
Vermittelung der dazu verwandten Gefangenen der Kaſſperei Thür und Thor
geöffnet iſt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/107>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.