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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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jüdischer eigenthümlicher und ritualer Terminologien 1) enthalten,
in denen fast durchgehends eine bestimmte Deutung versteckt liegt.
So ist z. B. die schon ganz von der christlichen abweichende
jüdische Zeitrechnung dadurch noch schwieriger zu verstehen, daß
die Juden noch jetzt häufig ihre Data in Briefen und Docu-
menten nach ihren Festtagen berechnen und anführen, und sogar
dabei die Monate weglassen. So z. B. ist das Datum Schwuoss
(Pfingstfest) der sechste Tag des Monats Siwan; das Pessach
(Ostern) fällt auf den vierzehnten Tag des Monats Nisan; vom
zweiten Ostertag an bis zum Schwuoss werden 49 Tage gerechnet,
und diese Zeit, Sphirass Aumer genannt, dient ebenfalls als Basis
für die Berechnung der Daten, sodaß es also mit Auslassung des
Monats heißt: am fünften, vierundzwanzigsten, dreiundvierzigsten
Tag nach der Zählung des Aumer; außerdem wird auch noch
(wie das entsprechend auch bei dem Laubhüttenfest der Fall ist)
nach den sogenannten Mitteltagen gerechnet, da das achttägige
Osterfest nur an den zwei ersten und zwei letzten Tagen ganz
gefeiert wird, während die vier Mitteltage, Chol Hammoed,
nur halb gefeiert werden, sodaß also z. B. der zweite Tag nach
der Sphirass Aumer auch der erste Tag des Chol Hammoed
genannt wird u. s. w. Mit Hülfe dieser eigenthümlichen und
schwer zu verstehenden Berechnung läßt sich sehr leicht vom jüdi-
schen Gauner ein Maremokum zinkenen, zumal durch andere theils
jüdisch-deutsche Terminologien, theils durch bestimmte Wendungen,
Redensarten und Umschreibungen, sich ein vollkommen klares
Verständniß mit dem Adressaten erreichen läßt. Schon aus
einer krummgeschriebenen Zeile, entweder auf der Adresse oder
im Briefe selbst, ersieht der Adressat, daß er den Jnhalt nur
als eine aus Zwang geschriebene Mittheilung anzusehen hat,
der verschiedenen Zeichen und Züge im Briefe und selbst auf
der Adresse nicht zu gedenken, welche unter einzelnen näher

1) Vgl. z. B. den bei Rebmann, "Damian Hessel", S. 89 (dritte Auflage),
abgedruckten "Brief aus dem Gefängniß mit dem Schlüssel aus dem Juden-
deutsch übersetzt".

jüdiſcher eigenthümlicher und ritualer Terminologien 1) enthalten,
in denen faſt durchgehends eine beſtimmte Deutung verſteckt liegt.
So iſt z. B. die ſchon ganz von der chriſtlichen abweichende
jüdiſche Zeitrechnung dadurch noch ſchwieriger zu verſtehen, daß
die Juden noch jetzt häufig ihre Data in Briefen und Docu-
menten nach ihren Feſttagen berechnen und anführen, und ſogar
dabei die Monate weglaſſen. So z. B. iſt das Datum Schwuoſſ
(Pfingſtfeſt) der ſechste Tag des Monats Siwan; das Peſſach
(Oſtern) fällt auf den vierzehnten Tag des Monats Niſan; vom
zweiten Oſtertag an bis zum Schwuoſſ werden 49 Tage gerechnet,
und dieſe Zeit, Sphiraſſ Aumer genannt, dient ebenfalls als Baſis
für die Berechnung der Daten, ſodaß es alſo mit Auslaſſung des
Monats heißt: am fünften, vierundzwanzigſten, dreiundvierzigſten
Tag nach der Zählung des Aumer; außerdem wird auch noch
(wie das entſprechend auch bei dem Laubhüttenfeſt der Fall iſt)
nach den ſogenannten Mitteltagen gerechnet, da das achttägige
Oſterfeſt nur an den zwei erſten und zwei letzten Tagen ganz
gefeiert wird, während die vier Mitteltage, Chol Hammoed,
nur halb gefeiert werden, ſodaß alſo z. B. der zweite Tag nach
der Sphiraſſ Aumer auch der erſte Tag des Chol Hammoed
genannt wird u. ſ. w. Mit Hülfe dieſer eigenthümlichen und
ſchwer zu verſtehenden Berechnung läßt ſich ſehr leicht vom jüdi-
ſchen Gauner ein Maremokum zinkenen, zumal durch andere theils
jüdiſch-deutſche Terminologien, theils durch beſtimmte Wendungen,
Redensarten und Umſchreibungen, ſich ein vollkommen klares
Verſtändniß mit dem Adreſſaten erreichen läßt. Schon aus
einer krummgeſchriebenen Zeile, entweder auf der Adreſſe oder
im Briefe ſelbſt, erſieht der Adreſſat, daß er den Jnhalt nur
als eine aus Zwang geſchriebene Mittheilung anzuſehen hat,
der verſchiedenen Zeichen und Züge im Briefe und ſelbſt auf
der Adreſſe nicht zu gedenken, welche unter einzelnen näher

1) Vgl. z. B. den bei Rebmann, „Damian Heſſel“, S. 89 (dritte Auflage),
abgedruckten „Brief aus dem Gefängniß mit dem Schlüſſel aus dem Juden-
deutſch überſetzt“.
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[94/0106] jüdiſcher eigenthümlicher und ritualer Terminologien 1) enthalten, in denen faſt durchgehends eine beſtimmte Deutung verſteckt liegt. So iſt z. B. die ſchon ganz von der chriſtlichen abweichende jüdiſche Zeitrechnung dadurch noch ſchwieriger zu verſtehen, daß die Juden noch jetzt häufig ihre Data in Briefen und Docu- menten nach ihren Feſttagen berechnen und anführen, und ſogar dabei die Monate weglaſſen. So z. B. iſt das Datum Schwuoſſ (Pfingſtfeſt) der ſechste Tag des Monats Siwan; das Peſſach (Oſtern) fällt auf den vierzehnten Tag des Monats Niſan; vom zweiten Oſtertag an bis zum Schwuoſſ werden 49 Tage gerechnet, und dieſe Zeit, Sphiraſſ Aumer genannt, dient ebenfalls als Baſis für die Berechnung der Daten, ſodaß es alſo mit Auslaſſung des Monats heißt: am fünften, vierundzwanzigſten, dreiundvierzigſten Tag nach der Zählung des Aumer; außerdem wird auch noch (wie das entſprechend auch bei dem Laubhüttenfeſt der Fall iſt) nach den ſogenannten Mitteltagen gerechnet, da das achttägige Oſterfeſt nur an den zwei erſten und zwei letzten Tagen ganz gefeiert wird, während die vier Mitteltage, Chol Hammoed, nur halb gefeiert werden, ſodaß alſo z. B. der zweite Tag nach der Sphiraſſ Aumer auch der erſte Tag des Chol Hammoed genannt wird u. ſ. w. Mit Hülfe dieſer eigenthümlichen und ſchwer zu verſtehenden Berechnung läßt ſich ſehr leicht vom jüdi- ſchen Gauner ein Maremokum zinkenen, zumal durch andere theils jüdiſch-deutſche Terminologien, theils durch beſtimmte Wendungen, Redensarten und Umſchreibungen, ſich ein vollkommen klares Verſtändniß mit dem Adreſſaten erreichen läßt. Schon aus einer krummgeſchriebenen Zeile, entweder auf der Adreſſe oder im Briefe ſelbſt, erſieht der Adreſſat, daß er den Jnhalt nur als eine aus Zwang geſchriebene Mittheilung anzuſehen hat, der verſchiedenen Zeichen und Züge im Briefe und ſelbſt auf der Adreſſe nicht zu gedenken, welche unter einzelnen näher 1) Vgl. z. B. den bei Rebmann, „Damian Heſſel“, S. 89 (dritte Auflage), abgedruckten „Brief aus dem Gefängniß mit dem Schlüſſel aus dem Juden- deutſch überſetzt“.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/106>, abgerufen am 24.11.2024.