erzeugte schädliche Ausdünstungen, durch welche die Krankheiten und Seuchen vermehrt wurden, welche die Menschen in Massen dahinrafften, sodaß an manchen Orten die Menschen haufenweise in große Gruben geworfen wurden. Die Hungersnoth war in manchen Gegenden, besonders Sachsens und Hessens, so groß, daß man Kirchhöfe umwühlte, um Leichname zur Stillung des Hungers zu bekommen, und da und dort "der Bruder die Leiche der Schwester, die Tochter die der Mutter verzehrte; daß Aeltern ihre Kinder schlachteten, und ganze Banden sich zusammenthaten, um Jagd auf Menschen wie auf wilde Thiere zu machen. Schlimmer noch als diese durch die Noth erzeugten unnatürlichen Greuel waren die Schändlichkeiten, ja Teufeleien, welche die durch langjähriges Kriegshandwerk verwilderten Soldatenhorden an armen Bewohnern von Dörfern und offenen Städten verübten. Daß viele dieser Unglücklichen lebendig gebraten, oder verstümmelt, oder sonst auf gräßliche Weise zu Tode gemartert wurden; daß man ihnen z. B. die Augen ausgestochen, Nasen, Ohren, Arme, Beine, Brüste abgeschnitten, Schwefel in alle Körperöffnungen ge- steckt und angezündet, die Fußsohlen aufgeschnitten und mit Salz bestreut, Jauche in den Mund bis zum Zerplatzen geschüttet; daß man Kinder in Stücke gehauen, oder an die Wand geschmettert oder gebraten, ganz besonders aber das weibliche Geschlecht auf die unmenschlichste Weise zu Tode mishandelt hat -- das sind nur einige wenige Andeutungen von den gen Himmel schreienden Unthaten, welche besonders in dem letzten Jahrzehnd dieses schreck- lichen Krieges an der Tagesordnung waren."
So entsetzlich dazu noch das Bild ist, welches der ausgezeich- nete Sittenmaler jener Zeit, Moscherosch, im "sechsten Gesichte", Bd. 2, seiner "Wunderlichen und wahrhaftigen Geschichte Phi- landers von Sittewald", gibt, so geneigt ist man doch, den Blick von diesem Gemälde wie von einer bloßen kunstgeschaffenen Jdee wegzuwenden, um sich an der frischen Lebenswahrheit zu erholen. Aber jenes Bild findet überall und namentlich in der Darstellung des Arztes und Historikers Lotichius, welcher den ganzen Dreißig- jährigen Krieg durchlebte, einen erschütternden Commentar, wenn
erzeugte ſchädliche Ausdünſtungen, durch welche die Krankheiten und Seuchen vermehrt wurden, welche die Menſchen in Maſſen dahinrafften, ſodaß an manchen Orten die Menſchen haufenweiſe in große Gruben geworfen wurden. Die Hungersnoth war in manchen Gegenden, beſonders Sachſens und Heſſens, ſo groß, daß man Kirchhöfe umwühlte, um Leichname zur Stillung des Hungers zu bekommen, und da und dort „der Bruder die Leiche der Schweſter, die Tochter die der Mutter verzehrte; daß Aeltern ihre Kinder ſchlachteten, und ganze Banden ſich zuſammenthaten, um Jagd auf Menſchen wie auf wilde Thiere zu machen. Schlimmer noch als dieſe durch die Noth erzeugten unnatürlichen Greuel waren die Schändlichkeiten, ja Teufeleien, welche die durch langjähriges Kriegshandwerk verwilderten Soldatenhorden an armen Bewohnern von Dörfern und offenen Städten verübten. Daß viele dieſer Unglücklichen lebendig gebraten, oder verſtümmelt, oder ſonſt auf gräßliche Weiſe zu Tode gemartert wurden; daß man ihnen z. B. die Augen ausgeſtochen, Naſen, Ohren, Arme, Beine, Brüſte abgeſchnitten, Schwefel in alle Körperöffnungen ge- ſteckt und angezündet, die Fußſohlen aufgeſchnitten und mit Salz beſtreut, Jauche in den Mund bis zum Zerplatzen geſchüttet; daß man Kinder in Stücke gehauen, oder an die Wand geſchmettert oder gebraten, ganz beſonders aber das weibliche Geſchlecht auf die unmenſchlichſte Weiſe zu Tode mishandelt hat — das ſind nur einige wenige Andeutungen von den gen Himmel ſchreienden Unthaten, welche beſonders in dem letzten Jahrzehnd dieſes ſchreck- lichen Krieges an der Tagesordnung waren.“
So entſetzlich dazu noch das Bild iſt, welches der ausgezeich- nete Sittenmaler jener Zeit, Moſcheroſch, im „ſechsten Geſichte“, Bd. 2, ſeiner „Wunderlichen und wahrhaftigen Geſchichte Phi- landers von Sittewald“, gibt, ſo geneigt iſt man doch, den Blick von dieſem Gemälde wie von einer bloßen kunſtgeſchaffenen Jdee wegzuwenden, um ſich an der friſchen Lebenswahrheit zu erholen. Aber jenes Bild findet überall und namentlich in der Darſtellung des Arztes und Hiſtorikers Lotichius, welcher den ganzen Dreißig- jährigen Krieg durchlebte, einen erſchütternden Commentar, wenn
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erzeugte ſchädliche Ausdünſtungen, durch welche die Krankheiten
und Seuchen vermehrt wurden, welche die Menſchen in Maſſen
dahinrafften, ſodaß an manchen Orten die Menſchen haufenweiſe
in große Gruben geworfen wurden. Die Hungersnoth war in
manchen Gegenden, beſonders Sachſens und Heſſens, ſo groß,
daß man Kirchhöfe umwühlte, um Leichname zur Stillung des
Hungers zu bekommen, und da und dort „der Bruder die Leiche
der Schweſter, die Tochter die der Mutter verzehrte; daß Aeltern
ihre Kinder ſchlachteten, und ganze Banden ſich zuſammenthaten,
um Jagd auf Menſchen wie auf wilde Thiere zu machen.
Schlimmer noch als dieſe durch die Noth erzeugten unnatürlichen
Greuel waren die Schändlichkeiten, ja Teufeleien, welche die durch
langjähriges Kriegshandwerk verwilderten Soldatenhorden an
armen Bewohnern von Dörfern und offenen Städten verübten.
Daß viele dieſer Unglücklichen lebendig gebraten, oder verſtümmelt,
oder ſonſt auf gräßliche Weiſe zu Tode gemartert wurden; daß
man ihnen z. B. die Augen ausgeſtochen, Naſen, Ohren, Arme,
Beine, Brüſte abgeſchnitten, Schwefel in alle Körperöffnungen ge-
ſteckt und angezündet, die Fußſohlen aufgeſchnitten und mit Salz
beſtreut, Jauche in den Mund bis zum Zerplatzen geſchüttet; daß
man Kinder in Stücke gehauen, oder an die Wand geſchmettert
oder gebraten, ganz beſonders aber das weibliche Geſchlecht auf
die unmenſchlichſte Weiſe zu Tode mishandelt hat — das ſind
nur einige wenige Andeutungen von den gen Himmel ſchreienden
Unthaten, welche beſonders in dem letzten Jahrzehnd dieſes ſchreck-
lichen Krieges an der Tagesordnung waren.“
So entſetzlich dazu noch das Bild iſt, welches der ausgezeich-
nete Sittenmaler jener Zeit, Moſcheroſch, im „ſechsten Geſichte“,
Bd. 2, ſeiner „Wunderlichen und wahrhaftigen Geſchichte Phi-
landers von Sittewald“, gibt, ſo geneigt iſt man doch, den Blick
von dieſem Gemälde wie von einer bloßen kunſtgeſchaffenen Jdee
wegzuwenden, um ſich an der friſchen Lebenswahrheit zu erholen.
Aber jenes Bild findet überall und namentlich in der Darſtellung
des Arztes und Hiſtorikers Lotichius, welcher den ganzen Dreißig-
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/91>, abgerufen am 01.08.2024.
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