ein sehr großer Theil der als Zauberer und Hexen hingerichteten Personen Betrüger und Gauner waren, die auf der Tortur zu dem Bekenntniß gebracht waren, welches die abergläubischen und fanatischen Richter haben wollten. Man braucht nur die scheuß- liche Daemonolatria des Nikolaus Remigius oder die zahlreichen Zauber- und Gespenstergeschichten in den "Wunderseltzahmen Historien" 1) und andern ähnlichen Büchern zu lesen, um zu dieser Ueberzeugung zu gelangen. Aber schon seit den Hugenotten- kriegen tritt das Räuberthum als fortschreitende historische Er- scheinung überall unverkennbar hervor. Hauste das Räuberthum gerade während der Kriege am gewaltigsten, so trat es bei dem großen wilden Kriegstreiben selbst, welches alles in Bewegung brachte, dennoch nicht in so greller Farbigkeit hervor, in welcher es bei dem einzelnen momentanen Stillstand oder unmittelbar nach der Entfernung jener Bewegungen sichtbar ward. Das Räuber- thum schloß sich so unmittelbar an das Soldatenthum an, daß die Kriegsheere zum Theil den Anschein disciplinirter Räuberhorden gewannen, und die Soldaten unter den Augen ihrer Hauptleute auf räuberische Excursionen (auf Partei) ausgingen, denen durch die eigens angestellten vielbeschäftigten Regimentshenker keines- wegs Einhalt gethan werden konnte. So sieht man gegen Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts bis in den Dreißig- jährigen Krieg hinein in Frankreich und Deutschland eine so überaus feste geschlossene Verbindung des Gaunerthums mit einer in allen Künsten und Theorien des Gaunerthums so vollkommen eingeschulten Ausbildung, daß, wenn man jene zahlreichen Gauner- züge durchsieht, welche z. B. in dem merkwürdigen Buche "Der Beutelschneider" vorgeführt werden, man gestehen muß, daß die neueste Zeit kaum irgendein neues Kunststück hervorgebracht hat, sondern daß sie immer nur mit der Verlassenschaft eines alten Erbgutes wuchert. Es ist kaum glaublich, mit welcher Kunst, Gewalt und weiter Verbreitung und wie lange Zeit die Rougets und Grisons unter ihren berüchtigten Anführern de la Chesnay,
1) Vgl. die Literatur im zwölften Kapitel.
ein ſehr großer Theil der als Zauberer und Hexen hingerichteten Perſonen Betrüger und Gauner waren, die auf der Tortur zu dem Bekenntniß gebracht waren, welches die abergläubiſchen und fanatiſchen Richter haben wollten. Man braucht nur die ſcheuß- liche Daemonolatria des Nikolaus Remigius oder die zahlreichen Zauber- und Geſpenſtergeſchichten in den „Wunderſeltzahmen Hiſtorien“ 1) und andern ähnlichen Büchern zu leſen, um zu dieſer Ueberzeugung zu gelangen. Aber ſchon ſeit den Hugenotten- kriegen tritt das Räuberthum als fortſchreitende hiſtoriſche Er- ſcheinung überall unverkennbar hervor. Hauſte das Räuberthum gerade während der Kriege am gewaltigſten, ſo trat es bei dem großen wilden Kriegstreiben ſelbſt, welches alles in Bewegung brachte, dennoch nicht in ſo greller Farbigkeit hervor, in welcher es bei dem einzelnen momentanen Stillſtand oder unmittelbar nach der Entfernung jener Bewegungen ſichtbar ward. Das Räuber- thum ſchloß ſich ſo unmittelbar an das Soldatenthum an, daß die Kriegsheere zum Theil den Anſchein disciplinirter Räuberhorden gewannen, und die Soldaten unter den Augen ihrer Hauptleute auf räuberiſche Excurſionen (auf Partei) ausgingen, denen durch die eigens angeſtellten vielbeſchäftigten Regimentshenker keines- wegs Einhalt gethan werden konnte. So ſieht man gegen Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts bis in den Dreißig- jährigen Krieg hinein in Frankreich und Deutſchland eine ſo überaus feſte geſchloſſene Verbindung des Gaunerthums mit einer in allen Künſten und Theorien des Gaunerthums ſo vollkommen eingeſchulten Ausbildung, daß, wenn man jene zahlreichen Gauner- züge durchſieht, welche z. B. in dem merkwürdigen Buche „Der Beutelſchneider“ vorgeführt werden, man geſtehen muß, daß die neueſte Zeit kaum irgendein neues Kunſtſtück hervorgebracht hat, ſondern daß ſie immer nur mit der Verlaſſenſchaft eines alten Erbgutes wuchert. Es iſt kaum glaublich, mit welcher Kunſt, Gewalt und weiter Verbreitung und wie lange Zeit die Rougets und Griſons unter ihren berüchtigten Anführern de la Chesnay,
1) Vgl. die Literatur im zwölften Kapitel.
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ein ſehr großer Theil der als Zauberer und Hexen hingerichteten
Perſonen Betrüger und Gauner waren, die auf der Tortur zu
dem Bekenntniß gebracht waren, welches die abergläubiſchen und
fanatiſchen Richter haben wollten. Man braucht nur die ſcheuß-
liche Daemonolatria des Nikolaus Remigius oder die zahlreichen
Zauber- und Geſpenſtergeſchichten in den „Wunderſeltzahmen
Hiſtorien“ 1) und andern ähnlichen Büchern zu leſen, um zu
dieſer Ueberzeugung zu gelangen. Aber ſchon ſeit den Hugenotten-
kriegen tritt das Räuberthum als fortſchreitende hiſtoriſche Er-
ſcheinung überall unverkennbar hervor. Hauſte das Räuberthum
gerade während der Kriege am gewaltigſten, ſo trat es bei dem
großen wilden Kriegstreiben ſelbſt, welches alles in Bewegung
brachte, dennoch nicht in ſo greller Farbigkeit hervor, in welcher
es bei dem einzelnen momentanen Stillſtand oder unmittelbar nach
der Entfernung jener Bewegungen ſichtbar ward. Das Räuber-
thum ſchloß ſich ſo unmittelbar an das Soldatenthum an, daß
die Kriegsheere zum Theil den Anſchein disciplinirter Räuberhorden
gewannen, und die Soldaten unter den Augen ihrer Hauptleute
auf räuberiſche Excurſionen (auf Partei) ausgingen, denen durch
die eigens angeſtellten vielbeſchäftigten Regimentshenker keines-
wegs Einhalt gethan werden konnte. So ſieht man gegen Ende
des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts bis in den Dreißig-
jährigen Krieg hinein in Frankreich und Deutſchland eine ſo
überaus feſte geſchloſſene Verbindung des Gaunerthums mit einer
in allen Künſten und Theorien des Gaunerthums ſo vollkommen
eingeſchulten Ausbildung, daß, wenn man jene zahlreichen Gauner-
züge durchſieht, welche z. B. in dem merkwürdigen Buche „Der
Beutelſchneider“ vorgeführt werden, man geſtehen muß, daß die
neueſte Zeit kaum irgendein neues Kunſtſtück hervorgebracht hat,
ſondern daß ſie immer nur mit der Verlaſſenſchaft eines alten
Erbgutes wuchert. Es iſt kaum glaublich, mit welcher Kunſt,
Gewalt und weiter Verbreitung und wie lange Zeit die Rougets
und Griſons unter ihren berüchtigten Anführern de la Chesnay,
1) Vgl. die Literatur im zwölften Kapitel.
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/88>, abgerufen am 01.08.2024.
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