Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.bauungsreden. 1) Offenbar hatte man den ungeheuern Einfluß ob aus dem Blick in die tiefe sittliche Versunkenheit jener Zeit, die eine solche Analyse und Warnung möglich oder nothwendig machte. 1) Eine gewählte Sammlung solcher Moral- und Schaffotpredigten müßte einen tiefen Blick in die geistlichen und sittlichen Zustände der verschiedenen Zeiten geben, und auf der einen Seite das geistliche Zuviel, auf der andern Seite aber auch die ärgsten juristischen Verirrungen darlegen. Man findet bei den vielen Formen gerade auch so viel Maßlosigkeit. Ein eigenes Gefühl ist es z. B. die Beschwerde des wackern lutherischen Predigers Hülse zu Badegast zu lesen, der den am 4. Mai 1714 zu Köthen hingerichteten Raub- mörder Hans Heinrich Richter zum Schaffot begleitet, und von der trefflichen Fürstin Giesela Agnesa von Anhalt Befehl erhalten hatte, über den geistlichen Befund Richter's einen Bericht abzustatten. Erst auf dem Schaffot gestand der Delinquent sein Verbrechen und sprach seine Hoffnung aus, durch Jesum Christum Vergebung zu finden, "und damit -- so berichtet Hülse -- drückte man ihn auf die Knie und war der Scharfrichter so hitzig, daß, ehe ich zuruffen konnte: Herr Jesu in deine Hände befehle ich meinen Geist, war der Streich verrichtet". Mit Befremden erfüllt aber Andreas Schmid, Prediger zu St.-Nicolai in Berlin, der im Buche: "Das über vier Malefitz-Personen er- gangene Justiz-Rad", mit Selbstgenügsamkeit erzählt, wie er den am 21. Febr. 1725 zu Berlin hingerichteten widerspänstigen Raubmörder Kranichfeld "auf katechetische Weise vorgenommen und weiter nichts von seinem geschwätzigen Maule zu hören gelitten hat", als die aufgeschriebenen Antworten auf 128 (rein dogmatische allgemeine) Fragen, deren erste beginnt: "Was ist die Buße? Antwort: Ein guter Gedanke. Gedenke warum du gefallen bist und thue Buße" u. s. w. Betrübend ist bei solchem harten Bekehrungseifer der Vermiß alles Eingehens auf die concrete Jndividualität des versunkenen Verbrechers, dessen schweres Verbrechen dem Geistlichen doch den nächsten Anhalt- punkt bot. 5*
bauungsreden. 1) Offenbar hatte man den ungeheuern Einfluß ob aus dem Blick in die tiefe ſittliche Verſunkenheit jener Zeit, die eine ſolche Analyſe und Warnung möglich oder nothwendig machte. 1) Eine gewählte Sammlung ſolcher Moral- und Schaffotpredigten müßte einen tiefen Blick in die geiſtlichen und ſittlichen Zuſtände der verſchiedenen Zeiten geben, und auf der einen Seite das geiſtliche Zuviel, auf der andern Seite aber auch die ärgſten juriſtiſchen Verirrungen darlegen. Man findet bei den vielen Formen gerade auch ſo viel Maßloſigkeit. Ein eigenes Gefühl iſt es z. B. die Beſchwerde des wackern lutheriſchen Predigers Hülſe zu Badegaſt zu leſen, der den am 4. Mai 1714 zu Köthen hingerichteten Raub- mörder Hans Heinrich Richter zum Schaffot begleitet, und von der trefflichen Fürſtin Gieſela Agneſa von Anhalt Befehl erhalten hatte, über den geiſtlichen Befund Richter’s einen Bericht abzuſtatten. Erſt auf dem Schaffot geſtand der Delinquent ſein Verbrechen und ſprach ſeine Hoffnung aus, durch Jeſum Chriſtum Vergebung zu finden, „und damit — ſo berichtet Hülſe — drückte man ihn auf die Knie und war der Scharfrichter ſo hitzig, daß, ehe ich zuruffen konnte: Herr Jeſu in deine Hände befehle ich meinen Geiſt, war der Streich verrichtet“. Mit Befremden erfüllt aber Andreas Schmid, Prediger zu St.-Nicolai in Berlin, der im Buche: „Das über vier Malefitz-Perſonen er- gangene Juſtiz-Rad“, mit Selbſtgenügſamkeit erzählt, wie er den am 21. Febr. 1725 zu Berlin hingerichteten widerſpänſtigen Raubmörder Kranichfeld „auf katechetiſche Weiſe vorgenommen und weiter nichts von ſeinem geſchwätzigen Maule zu hören gelitten hat“, als die aufgeſchriebenen Antworten auf 128 (rein dogmatiſche allgemeine) Fragen, deren erſte beginnt: „Was iſt die Buße? Antwort: Ein guter Gedanke. Gedenke warum du gefallen biſt und thue Buße“ u. ſ. w. Betrübend iſt bei ſolchem harten Bekehrungseifer der Vermiß alles Eingehens auf die concrete Jndividualität des verſunkenen Verbrechers, deſſen ſchweres Verbrechen dem Geiſtlichen doch den nächſten Anhalt- punkt bot. 5*
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bauungsreden. 1) Offenbar hatte man den ungeheuern Einfluß
vor Augen, den die Moraliſten und Volksprediger vor und wäh-
rend der Reformation auf das verderbte Volk gewonnen hatten,
und glaubte aus den erſten glücklichen Erfolgen, den das muthige
Wort in das wüſte Treiben bewirkt hatte, auch noch alle andere
weitere gute Erfolge erwarten zu dürfen. Auch ſcheint es, als
ob namentlich die Obrigkeiten in den proteſtantiſchen Landen von
der intenſiven Gewalt der neuen chriſtlichen Lehre zu viel un-
mittelbaren Einfluß auf die ſittliche Hebung des Volks erwartet
hatten. Sie unterſtützten daher lieber die zürnende Kirche durch
Zubilligung disciplinariſcher und kirchlicher Strafbefugniß, als daß
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1) Eine gewählte Sammlung ſolcher Moral- und Schaffotpredigten müßte
einen tiefen Blick in die geiſtlichen und ſittlichen Zuſtände der verſchiedenen
Zeiten geben, und auf der einen Seite das geiſtliche Zuviel, auf der andern
Seite aber auch die ärgſten juriſtiſchen Verirrungen darlegen. Man findet bei
den vielen Formen gerade auch ſo viel Maßloſigkeit. Ein eigenes Gefühl
iſt es z. B. die Beſchwerde des wackern lutheriſchen Predigers Hülſe zu
Badegaſt zu leſen, der den am 4. Mai 1714 zu Köthen hingerichteten Raub-
mörder Hans Heinrich Richter zum Schaffot begleitet, und von der trefflichen
Fürſtin Gieſela Agneſa von Anhalt Befehl erhalten hatte, über den geiſtlichen
Befund Richter’s einen Bericht abzuſtatten. Erſt auf dem Schaffot geſtand
der Delinquent ſein Verbrechen und ſprach ſeine Hoffnung aus, durch Jeſum
Chriſtum Vergebung zu finden, „und damit — ſo berichtet Hülſe — drückte man
ihn auf die Knie und war der Scharfrichter ſo hitzig, daß, ehe ich zuruffen
konnte: Herr Jeſu in deine Hände befehle ich meinen Geiſt, war der Streich
verrichtet“. Mit Befremden erfüllt aber Andreas Schmid, Prediger zu
St.-Nicolai in Berlin, der im Buche: „Das über vier Malefitz-Perſonen er-
gangene Juſtiz-Rad“, mit Selbſtgenügſamkeit erzählt, wie er den am 21. Febr.
1725 zu Berlin hingerichteten widerſpänſtigen Raubmörder Kranichfeld „auf
katechetiſche Weiſe vorgenommen und weiter nichts von ſeinem geſchwätzigen
Maule zu hören gelitten hat“, als die aufgeſchriebenen Antworten auf 128
(rein dogmatiſche allgemeine) Fragen, deren erſte beginnt: „Was iſt die Buße?
Antwort: Ein guter Gedanke. Gedenke warum du gefallen biſt und thue
Buße“ u. ſ. w. Betrübend iſt bei ſolchem harten Bekehrungseifer der Vermiß
alles Eingehens auf die concrete Jndividualität des verſunkenen Verbrechers,
deſſen ſchweres Verbrechen dem Geiſtlichen doch den nächſten Anhalt-
punkt bot.
1) ob aus dem Blick in die tiefe ſittliche Verſunkenheit jener Zeit, die eine ſolche
Analyſe und Warnung möglich oder nothwendig machte.
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