an der bloßgelegten Schwäche des social-politischen Lebens heran- wachsende Verbrechen so außerordentlich rasch und gewaltig em- porwuchern und sich zum förmlichen absoluten Gewerbe mit eigener Kunst und Kunstsprache zusammenthun konnte, ohne daß die Po- lizei begriff, wie dies gewerbliche Verbrechen, das Gaunerthum, ein secundäres Uebel am siechenden social-politischen Körper selbst sei, welches nur dann ausgerottet werden konnte, wenn die Heilung des ganzen Körpers selbst gelang. So unver- kennbar die sich täglich durch eine Unzahl verwegener Verbrechen manifestirende Existenz des Gaunerthums vor die Augen der Polizei trat, so wenig begriff sie den Ursprung und Sitz des Uebels. So kam es, daß bei den offenen Erfolgen des Gaunerthums und bei der Unergründlichkeit ihrer Urheberschaft der forschende Blick über den wahren Sitz des Uebels hinwegglitt, in schlimmer Verwechse- lung der farbigen Typen mit der Gesammtmasse auf der ver- einzelten exoterischen Erscheinung der Juden und Zigeuner haften blieb, und somit das Gaunerthum wie eine ethnographische Erschei- nung betrachtete und behandelte, ohne scharf auf die verworfenen christlichen Elemente zu sehen, zu denen jene durchaus nur ac- cessorische Bestandtheile sich geschlagen hatten.
Diese schlimme Verwechselung, die wie eine Erbsünde der alten Polizei bis auf die neueste Zeit gerathen ist, hält auch noch jetzt den Blick der heutigen eifrig strebenden Polizei vielfach be- fangen, sodaß nicht einmal den meisten Polizeimännern die voll- ständige Kenntniß des Gaunerthums mit seiner behenden Kunst und geheimen Sprache geläufig ist, während letzteres in allen Schichten des social-politischen Lebens mit immer größerer Mäch- tigkeit fortwuchert, das Siechthum dieses Lebens von Tage zu Tage verschlimmert, und dabei die Wirksamkeit der Polizei immer bedenklicher paralysirt. Diese trübe Wahrnehmung war es beson- ders, welche den Verfasser zu vorliegender Arbeit trieb. Als der Entschluß dazu gefaßt war, kam auch die Verzagniß, ob je ein
an der bloßgelegten Schwäche des ſocial-politiſchen Lebens heran- wachſende Verbrechen ſo außerordentlich raſch und gewaltig em- porwuchern und ſich zum förmlichen abſoluten Gewerbe mit eigener Kunſt und Kunſtſprache zuſammenthun konnte, ohne daß die Po- lizei begriff, wie dies gewerbliche Verbrechen, das Gaunerthum, ein ſecundäres Uebel am ſiechenden ſocial-politiſchen Körper ſelbſt ſei, welches nur dann ausgerottet werden konnte, wenn die Heilung des ganzen Körpers ſelbſt gelang. So unver- kennbar die ſich täglich durch eine Unzahl verwegener Verbrechen manifeſtirende Exiſtenz des Gaunerthums vor die Augen der Polizei trat, ſo wenig begriff ſie den Urſprung und Sitz des Uebels. So kam es, daß bei den offenen Erfolgen des Gaunerthums und bei der Unergründlichkeit ihrer Urheberſchaft der forſchende Blick über den wahren Sitz des Uebels hinwegglitt, in ſchlimmer Verwechſe- lung der farbigen Typen mit der Geſammtmaſſe auf der ver- einzelten exoteriſchen Erſcheinung der Juden und Zigeuner haften blieb, und ſomit das Gaunerthum wie eine ethnographiſche Erſchei- nung betrachtete und behandelte, ohne ſcharf auf die verworfenen chriſtlichen Elemente zu ſehen, zu denen jene durchaus nur ac- ceſſoriſche Beſtandtheile ſich geſchlagen hatten.
Dieſe ſchlimme Verwechſelung, die wie eine Erbſünde der alten Polizei bis auf die neueſte Zeit gerathen iſt, hält auch noch jetzt den Blick der heutigen eifrig ſtrebenden Polizei vielfach be- fangen, ſodaß nicht einmal den meiſten Polizeimännern die voll- ſtändige Kenntniß des Gaunerthums mit ſeiner behenden Kunſt und geheimen Sprache geläufig iſt, während letzteres in allen Schichten des ſocial-politiſchen Lebens mit immer größerer Mäch- tigkeit fortwuchert, das Siechthum dieſes Lebens von Tage zu Tage verſchlimmert, und dabei die Wirkſamkeit der Polizei immer bedenklicher paralyſirt. Dieſe trübe Wahrnehmung war es beſon- ders, welche den Verfaſſer zu vorliegender Arbeit trieb. Als der Entſchluß dazu gefaßt war, kam auch die Verzagniß, ob je ein
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[IX/0007]
an der bloßgelegten Schwäche des ſocial-politiſchen Lebens heran-
wachſende Verbrechen ſo außerordentlich raſch und gewaltig em-
porwuchern und ſich zum förmlichen abſoluten Gewerbe mit eigener
Kunſt und Kunſtſprache zuſammenthun konnte, ohne daß die Po-
lizei begriff, wie dies gewerbliche Verbrechen, das Gaunerthum,
ein ſecundäres Uebel am ſiechenden ſocial-politiſchen
Körper ſelbſt ſei, welches nur dann ausgerottet werden konnte,
wenn die Heilung des ganzen Körpers ſelbſt gelang. So unver-
kennbar die ſich täglich durch eine Unzahl verwegener Verbrechen
manifeſtirende Exiſtenz des Gaunerthums vor die Augen der Polizei
trat, ſo wenig begriff ſie den Urſprung und Sitz des Uebels. So
kam es, daß bei den offenen Erfolgen des Gaunerthums und bei
der Unergründlichkeit ihrer Urheberſchaft der forſchende Blick über
den wahren Sitz des Uebels hinwegglitt, in ſchlimmer Verwechſe-
lung der farbigen Typen mit der Geſammtmaſſe auf der ver-
einzelten exoteriſchen Erſcheinung der Juden und Zigeuner haften
blieb, und ſomit das Gaunerthum wie eine ethnographiſche Erſchei-
nung betrachtete und behandelte, ohne ſcharf auf die verworfenen
chriſtlichen Elemente zu ſehen, zu denen jene durchaus nur ac-
ceſſoriſche Beſtandtheile ſich geſchlagen hatten.
Dieſe ſchlimme Verwechſelung, die wie eine Erbſünde der
alten Polizei bis auf die neueſte Zeit gerathen iſt, hält auch noch
jetzt den Blick der heutigen eifrig ſtrebenden Polizei vielfach be-
fangen, ſodaß nicht einmal den meiſten Polizeimännern die voll-
ſtändige Kenntniß des Gaunerthums mit ſeiner behenden Kunſt
und geheimen Sprache geläufig iſt, während letzteres in allen
Schichten des ſocial-politiſchen Lebens mit immer größerer Mäch-
tigkeit fortwuchert, das Siechthum dieſes Lebens von Tage zu
Tage verſchlimmert, und dabei die Wirkſamkeit der Polizei immer
bedenklicher paralyſirt. Dieſe trübe Wahrnehmung war es beſon-
ders, welche den Verfaſſer zu vorliegender Arbeit trieb. Als der
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. IX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/7>, abgerufen am 08.07.2024.
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