deutsche Erscheinung und zur unverkennbaren deutschen Jn- dividualität geworden, deren Bestimmung von Anbeginn her gewesen ist, durch die schwersten Prüfungen zum Selbstbe- wußtsein sich abzuklären und zu befestigen, aus den vielen politischen Fluctuationen sich zu retten, und zu erkennen, daß erst mit dem vollendeten Christenthum es ein vollendetes Deutschthum geben kann. Sowie man aber in dieser specifisch-deutschen Jn- dividualität den Hort erblickt, der die gesammte deutsche Existenz aufrecht gehalten hat, so sieht man auch, wie schwere Wunden ihm in den gewaltigen Kämpfen geschlagen sind, die er bestehen mußte, namentlich seitdem die Gewalt der Hierarchie und des Lehnswesens des Mittelalters seine frische Kraft zu lähmen be- gann, seitdem dann der finstere Aberglaube seinen Blick umdüsterte, bis denn nun jetzt der Unglaube und der roheste Materialismus ihm einen neuen Kampf bereitet hat, der hartnäckig und schwer, dessen Ausgang jedoch nicht zweifelhaft ist, solange das klare Be- wußtsein der specifisch-deutschen Jndividualität nicht verloren geht.
Ueberall in diesem schweren Kampfe sieht man die Fürsten und Obern eifrig bemüht, die Schäden und Wunden des Kam- pfes auszugleichen und ihre Spuren zu vertilgen. Die Ge- schichte der deutschen Polizei erscheint wie eine große Kranken- geschichte des Volks, in welcher man erkennt, wie das Siechthum der social-politischen Zustände vom prüfenden Blick der zur Hei- lung berufenen Staatspolizei ebenso oft richtig wie falsch aufge- faßt, mit einer Menge drastischer oder mitigirender Heilmittel behandelt, immer aber nur dann glücklich geheilt worden ist, wenn die natürliche Constitution des siechenden Körpers richtig erkannt und berücksichtigt wurde. Wie wenig und selten das aber geglückt ist, wie viel mehr der prüfende Scharfblick der Polizei getrübt, ja auch diese selbst von dem Miasma finstern Aberglaubens in- ficirt worden ist, das zeigt vor allem die schon im frühesten Mit- telalter deutlich hervortretende merkwürdige Erscheinung, daß das
deutſche Erſcheinung und zur unverkennbaren deutſchen Jn- dividualität geworden, deren Beſtimmung von Anbeginn her geweſen iſt, durch die ſchwerſten Prüfungen zum Selbſtbe- wußtſein ſich abzuklären und zu befeſtigen, aus den vielen politiſchen Fluctuationen ſich zu retten, und zu erkennen, daß erſt mit dem vollendeten Chriſtenthum es ein vollendetes Deutſchthum geben kann. Sowie man aber in dieſer ſpecifiſch-deutſchen Jn- dividualität den Hort erblickt, der die geſammte deutſche Exiſtenz aufrecht gehalten hat, ſo ſieht man auch, wie ſchwere Wunden ihm in den gewaltigen Kämpfen geſchlagen ſind, die er beſtehen mußte, namentlich ſeitdem die Gewalt der Hierarchie und des Lehnsweſens des Mittelalters ſeine friſche Kraft zu lähmen be- gann, ſeitdem dann der finſtere Aberglaube ſeinen Blick umdüſterte, bis denn nun jetzt der Unglaube und der roheſte Materialismus ihm einen neuen Kampf bereitet hat, der hartnäckig und ſchwer, deſſen Ausgang jedoch nicht zweifelhaft iſt, ſolange das klare Be- wußtſein der ſpecifiſch-deutſchen Jndividualität nicht verloren geht.
Ueberall in dieſem ſchweren Kampfe ſieht man die Fürſten und Obern eifrig bemüht, die Schäden und Wunden des Kam- pfes auszugleichen und ihre Spuren zu vertilgen. Die Ge- ſchichte der deutſchen Polizei erſcheint wie eine große Kranken- geſchichte des Volks, in welcher man erkennt, wie das Siechthum der ſocial-politiſchen Zuſtände vom prüfenden Blick der zur Hei- lung berufenen Staatspolizei ebenſo oft richtig wie falſch aufge- faßt, mit einer Menge draſtiſcher oder mitigirender Heilmittel behandelt, immer aber nur dann glücklich geheilt worden iſt, wenn die natürliche Conſtitution des ſiechenden Körpers richtig erkannt und berückſichtigt wurde. Wie wenig und ſelten das aber geglückt iſt, wie viel mehr der prüfende Scharfblick der Polizei getrübt, ja auch dieſe ſelbſt von dem Miasma finſtern Aberglaubens in- ficirt worden iſt, das zeigt vor allem die ſchon im früheſten Mit- telalter deutlich hervortretende merkwürdige Erſcheinung, daß das
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[VIII/0006]
deutſche Erſcheinung und zur unverkennbaren deutſchen Jn-
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wußtſein ſich abzuklären und zu befeſtigen, aus den vielen
politiſchen Fluctuationen ſich zu retten, und zu erkennen, daß erſt
mit dem vollendeten Chriſtenthum es ein vollendetes Deutſchthum
geben kann. Sowie man aber in dieſer ſpecifiſch-deutſchen Jn-
dividualität den Hort erblickt, der die geſammte deutſche Exiſtenz
aufrecht gehalten hat, ſo ſieht man auch, wie ſchwere Wunden
ihm in den gewaltigen Kämpfen geſchlagen ſind, die er beſtehen
mußte, namentlich ſeitdem die Gewalt der Hierarchie und des
Lehnsweſens des Mittelalters ſeine friſche Kraft zu lähmen be-
gann, ſeitdem dann der finſtere Aberglaube ſeinen Blick umdüſterte,
bis denn nun jetzt der Unglaube und der roheſte Materialismus
ihm einen neuen Kampf bereitet hat, der hartnäckig und ſchwer,
deſſen Ausgang jedoch nicht zweifelhaft iſt, ſolange das klare Be-
wußtſein der ſpecifiſch-deutſchen Jndividualität nicht verloren geht.
Ueberall in dieſem ſchweren Kampfe ſieht man die Fürſten
und Obern eifrig bemüht, die Schäden und Wunden des Kam-
pfes auszugleichen und ihre Spuren zu vertilgen. Die Ge-
ſchichte der deutſchen Polizei erſcheint wie eine große Kranken-
geſchichte des Volks, in welcher man erkennt, wie das Siechthum
der ſocial-politiſchen Zuſtände vom prüfenden Blick der zur Hei-
lung berufenen Staatspolizei ebenſo oft richtig wie falſch aufge-
faßt, mit einer Menge draſtiſcher oder mitigirender Heilmittel
behandelt, immer aber nur dann glücklich geheilt worden iſt, wenn
die natürliche Conſtitution des ſiechenden Körpers richtig erkannt
und berückſichtigt wurde. Wie wenig und ſelten das aber geglückt
iſt, wie viel mehr der prüfende Scharfblick der Polizei getrübt, ja
auch dieſe ſelbſt von dem Miasma finſtern Aberglaubens in-
ficirt worden iſt, das zeigt vor allem die ſchon im früheſten Mit-
telalter deutlich hervortretende merkwürdige Erſcheinung, daß das
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. VIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/6>, abgerufen am 08.07.2024.
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