sondere Richtung und Form hätten geben können. Treffend zeichnet W. H. Riehl den Zigeuner, wenn er in seiner "Naturgeschichte des Volkes", Bd. 3: "Die Familie", S. 134, sagt: "So fest die Familie sein (des Zigeuners) Volk zusammenhält, so zerbröckelt ihm ihr Absolutismus doch wieder den historischen Begriff des Volks in der Erinnerung an lauter einzelne Familien. Der Zi- geuner rettet Einzelzüge aus seiner Familienüberlieferung oft mit wunderbarem historischen Jnstinct; aber er kann es nicht einmal andeuten, wann sein Volk nach Spanien, nach Europa gekommen ist. Er weiß nicht woher er kommt und wohin er geht. So ver- nichtet das Uebermaß der Familienhaftigkeit den historischen Geist nicht minder, wie auf den kahlen Höhen der Civilisation die Ver- leugnung der Familie denselben auslöscht. Wie könnte der Zi- geuner auch eine Geschichte seines Volks haben, da eine Geschichte der andern Völker so wenig für ihn existirt, als für uns eine Ge- schichte der Hunde? Erst indem ein Volk sich an andere Völker reibt, indem es sein Wesen mit dem ihrigen vergleicht und mißt, wird es sich auch seiner eigenen Volkspersönlichkeit historisch be- wußt. Eine Familien- und Stammestradition, die sich blos in sich selbst versenkt, kann niemals zu einer Volksgeschichte werden."
Jm Uebrigen vergleiche man das treffliche Werk: "Die Zi- geuner in Europa und Asien. Ethnographisch-linguistische Unter- suchung vornehmlich ihrer Herkunft und Sprache, nach gedruckten und ungedruckten Quellen", von Dr. A. F. Pott, ord. Prof. der allgemeinen Sprachwissenschaft an der königl. preuß. Universität Halle-Wittenberg (2 Thle., 1844 und 1845). Es ist das ge- diegenste und gründlichste, was je über das Volk der Zigeuner erschienen ist, und eine reiche Fundgrube schätzbarer linguistischer Bemerkungen, besonders auch in Hinsicht auf Gaunersprachen, über die der Verfasser (II, 1--43), freilich nur in Andeutungen, viel Geistvolles und Treffendes sagt. Jn linguistischer Hinsicht ist jedoch auch sein Vorgänger Graffunder, "Ueber die Sprache der Zigeuner; eine grammatische Skizze" (Erfurt 1835) von großer Bedeutung. Die Literatur ist bis auf den obenangeführten Munster,
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ſondere Richtung und Form hätten geben können. Treffend zeichnet W. H. Riehl den Zigeuner, wenn er in ſeiner „Naturgeſchichte des Volkes“, Bd. 3: „Die Familie“, S. 134, ſagt: „So feſt die Familie ſein (des Zigeuners) Volk zuſammenhält, ſo zerbröckelt ihm ihr Abſolutismus doch wieder den hiſtoriſchen Begriff des Volks in der Erinnerung an lauter einzelne Familien. Der Zi- geuner rettet Einzelzüge aus ſeiner Familienüberlieferung oft mit wunderbarem hiſtoriſchen Jnſtinct; aber er kann es nicht einmal andeuten, wann ſein Volk nach Spanien, nach Europa gekommen iſt. Er weiß nicht woher er kommt und wohin er geht. So ver- nichtet das Uebermaß der Familienhaftigkeit den hiſtoriſchen Geiſt nicht minder, wie auf den kahlen Höhen der Civiliſation die Ver- leugnung der Familie denſelben auslöſcht. Wie könnte der Zi- geuner auch eine Geſchichte ſeines Volks haben, da eine Geſchichte der andern Völker ſo wenig für ihn exiſtirt, als für uns eine Ge- ſchichte der Hunde? Erſt indem ein Volk ſich an andere Völker reibt, indem es ſein Weſen mit dem ihrigen vergleicht und mißt, wird es ſich auch ſeiner eigenen Volksperſönlichkeit hiſtoriſch be- wußt. Eine Familien- und Stammestradition, die ſich blos in ſich ſelbſt verſenkt, kann niemals zu einer Volksgeſchichte werden.“
Jm Uebrigen vergleiche man das treffliche Werk: „Die Zi- geuner in Europa und Aſien. Ethnographiſch-linguiſtiſche Unter- ſuchung vornehmlich ihrer Herkunft und Sprache, nach gedruckten und ungedruckten Quellen“, von Dr. A. F. Pott, ord. Prof. der allgemeinen Sprachwiſſenſchaft an der königl. preuß. Univerſität Halle-Wittenberg (2 Thle., 1844 und 1845). Es iſt das ge- diegenſte und gründlichſte, was je über das Volk der Zigeuner erſchienen iſt, und eine reiche Fundgrube ſchätzbarer linguiſtiſcher Bemerkungen, beſonders auch in Hinſicht auf Gaunerſprachen, über die der Verfaſſer (II, 1—43), freilich nur in Andeutungen, viel Geiſtvolles und Treffendes ſagt. Jn linguiſtiſcher Hinſicht iſt jedoch auch ſein Vorgänger Graffunder, „Ueber die Sprache der Zigeuner; eine grammatiſche Skizze“ (Erfurt 1835) von großer Bedeutung. Die Literatur iſt bis auf den obenangeführten Munſter,
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ſondere Richtung und Form hätten geben können. Treffend zeichnet
W. H. Riehl den Zigeuner, wenn er in ſeiner „Naturgeſchichte
des Volkes“, Bd. 3: „Die Familie“, S. 134, ſagt: „So feſt die
Familie ſein (des Zigeuners) Volk zuſammenhält, ſo zerbröckelt
ihm ihr Abſolutismus doch wieder den hiſtoriſchen Begriff des
Volks in der Erinnerung an lauter einzelne Familien. Der Zi-
geuner rettet Einzelzüge aus ſeiner Familienüberlieferung oft mit
wunderbarem hiſtoriſchen Jnſtinct; aber er kann es nicht einmal
andeuten, wann ſein Volk nach Spanien, nach Europa gekommen
iſt. Er weiß nicht woher er kommt und wohin er geht. So ver-
nichtet das Uebermaß der Familienhaftigkeit den hiſtoriſchen Geiſt
nicht minder, wie auf den kahlen Höhen der Civiliſation die Ver-
leugnung der Familie denſelben auslöſcht. Wie könnte der Zi-
geuner auch eine Geſchichte ſeines Volks haben, da eine Geſchichte
der andern Völker ſo wenig für ihn exiſtirt, als für uns eine Ge-
ſchichte der Hunde? Erſt indem ein Volk ſich an andere Völker
reibt, indem es ſein Weſen mit dem ihrigen vergleicht und mißt,
wird es ſich auch ſeiner eigenen Volksperſönlichkeit hiſtoriſch be-
wußt. Eine Familien- und Stammestradition, die ſich blos
in ſich ſelbſt verſenkt, kann niemals zu einer Volksgeſchichte
werden.“
Jm Uebrigen vergleiche man das treffliche Werk: „Die Zi-
geuner in Europa und Aſien. Ethnographiſch-linguiſtiſche Unter-
ſuchung vornehmlich ihrer Herkunft und Sprache, nach gedruckten
und ungedruckten Quellen“, von Dr. A. F. Pott, ord. Prof. der
allgemeinen Sprachwiſſenſchaft an der königl. preuß. Univerſität
Halle-Wittenberg (2 Thle., 1844 und 1845). Es iſt das ge-
diegenſte und gründlichſte, was je über das Volk der Zigeuner
erſchienen iſt, und eine reiche Fundgrube ſchätzbarer linguiſtiſcher
Bemerkungen, beſonders auch in Hinſicht auf Gaunerſprachen,
über die der Verfaſſer (II, 1—43), freilich nur in Andeutungen,
viel Geiſtvolles und Treffendes ſagt. Jn linguiſtiſcher Hinſicht iſt
jedoch auch ſein Vorgänger Graffunder, „Ueber die Sprache der
Zigeuner; eine grammatiſche Skizze“ (Erfurt 1835) von großer
Bedeutung. Die Literatur iſt bis auf den obenangeführten Munſter,
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/51>, abgerufen am 01.08.2024.
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