Ehren gemachten Gesang" anführt, zu beurtheilen, wie auch des brieger Organisten und Dichters Wencel Scherffer (+ 1674) Dich- tung in seinen "Geist- und Weltlichen Gedichten", I, 421--23 (zum Briege 1652), welche Hoffmann, a. a. O., S. 339, mit- theilt, woselbst auch Hoffmann S. 341 eins seiner eigenen Lieder gibt, in welchem bei aller poetischer Frische des neuern Dichters die gesuchte ungelenke Einschaltung von Gaunerausdrücken aus den verschiedensten Jahrhunderten dem Kenner der Gaunersprache schon gleich in den ersten Versen auffällig entgegentritt. Das bei Grolman, a. a. O., S. 256 abgedruckte, von dem Vielmetter an Grolman mitgetheilte "Wetterauer Räuberlied" hat zwar eben- falls Frische genug, auch mag es gang und gäbe in der Bande gewesen sein, sicherlich ist es aber nicht in der Bande gedichtet worden, da es mehrere zur Zeit der Bande schon durchaus obsolet gewordene Ausdrücke enthält. Die Gedichte des Manne Fried- rich (Philipp Friedrich Schütz), welche Pfister, a. a. O., S. 33--40, mittheilt, sind nur platte schlechte Reime eines durch Kerkerhaft mürbe und verzagt gemachten rohen Verbrechers, wie man solche Reimereien vielfach bei zum Tode verurtheilten Verbrechern findet, und von denen auch ich mehrere Originalmanuscripte besitze. Mit den "echten von Kochemern selbst verfaßten Gesängen", wie dem "Bollerbayes-Schal", dem "Chessen-Schal", dem "Makel-Schal", "Kochemer-Schal" u. s. w., a. a. O., S. 380 fg., hat Pfister sich so sehr täuschen lassen, daß er sogar mit ihnen beweisen will, "die sogenannten Gauner seien nicht als bloße Vaganten, sondern als eine ganz besondere Menschenrasse zu betrachten!" Ohnehin ist er selbst nicht über den Ursprung der Lieder unter- richtet. Um so mehr sind auch diese Poesien nach dem Maßstabe zu beurtheilen, nach welchem alle diese Erscheinungen zu bemessen sind. Nicht anders ist es endlich auch mit dem von Hermann, a. a. O., S. 115, mitgetheilten matten Mordbrennerliede und Schottenfellerliede. Selbst das S. 117 mitgetheilte Kittenschieber- lied, eine sehr misrathene Uebersetzung des Schiller'schen Räuber- liedes in das Gaunerische, ist äußerst schlecht ausgefallen und nimmt dem Liede allen ursprünglichen poetischen Werth.
Ave-Lallemant, Gaunerthum. I. 14
Ehren gemachten Geſang“ anführt, zu beurtheilen, wie auch des brieger Organiſten und Dichters Wencel Scherffer († 1674) Dich- tung in ſeinen „Geiſt- und Weltlichen Gedichten“, I, 421—23 (zum Briege 1652), welche Hoffmann, a. a. O., S. 339, mit- theilt, woſelbſt auch Hoffmann S. 341 eins ſeiner eigenen Lieder gibt, in welchem bei aller poetiſcher Friſche des neuern Dichters die geſuchte ungelenke Einſchaltung von Gaunerausdrücken aus den verſchiedenſten Jahrhunderten dem Kenner der Gaunerſprache ſchon gleich in den erſten Verſen auffällig entgegentritt. Das bei Grolman, a. a. O., S. 256 abgedruckte, von dem Vielmetter an Grolman mitgetheilte „Wetterauer Räuberlied“ hat zwar eben- falls Friſche genug, auch mag es gang und gäbe in der Bande geweſen ſein, ſicherlich iſt es aber nicht in der Bande gedichtet worden, da es mehrere zur Zeit der Bande ſchon durchaus obſolet gewordene Ausdrücke enthält. Die Gedichte des Manne Fried- rich (Philipp Friedrich Schütz), welche Pfiſter, a. a. O., S. 33—40, mittheilt, ſind nur platte ſchlechte Reime eines durch Kerkerhaft mürbe und verzagt gemachten rohen Verbrechers, wie man ſolche Reimereien vielfach bei zum Tode verurtheilten Verbrechern findet, und von denen auch ich mehrere Originalmanuſcripte beſitze. Mit den „echten von Kochemern ſelbſt verfaßten Geſängen“, wie dem „Bollerbayes-Schal“, dem „Cheſſen-Schal“, dem „Makel-Schal“, „Kochemer-Schal“ u. ſ. w., a. a. O., S. 380 fg., hat Pfiſter ſich ſo ſehr täuſchen laſſen, daß er ſogar mit ihnen beweiſen will, „die ſogenannten Gauner ſeien nicht als bloße Vaganten, ſondern als eine ganz beſondere Menſchenraſſe zu betrachten!“ Ohnehin iſt er ſelbſt nicht über den Urſprung der Lieder unter- richtet. Um ſo mehr ſind auch dieſe Poeſien nach dem Maßſtabe zu beurtheilen, nach welchem alle dieſe Erſcheinungen zu bemeſſen ſind. Nicht anders iſt es endlich auch mit dem von Hermann, a. a. O., S. 115, mitgetheilten matten Mordbrennerliede und Schottenfellerliede. Selbſt das S. 117 mitgetheilte Kittenſchieber- lied, eine ſehr misrathene Ueberſetzung des Schiller’ſchen Räuber- liedes in das Gauneriſche, iſt äußerſt ſchlecht ausgefallen und nimmt dem Liede allen urſprünglichen poetiſchen Werth.
Avé-Lallemant, Gaunerthum. I. 14
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Ehren gemachten Geſang“ anführt, zu beurtheilen, wie auch des
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tung in ſeinen „Geiſt- und Weltlichen Gedichten“, I, 421—23
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theilt, woſelbſt auch Hoffmann S. 341 eins ſeiner eigenen Lieder
gibt, in welchem bei aller poetiſcher Friſche des neuern Dichters
die geſuchte ungelenke Einſchaltung von Gaunerausdrücken aus
den verſchiedenſten Jahrhunderten dem Kenner der Gaunerſprache
ſchon gleich in den erſten Verſen auffällig entgegentritt. Das bei
Grolman, a. a. O., S. 256 abgedruckte, von dem Vielmetter
an Grolman mitgetheilte „Wetterauer Räuberlied“ hat zwar eben-
falls Friſche genug, auch mag es gang und gäbe in der Bande
geweſen ſein, ſicherlich iſt es aber nicht in der Bande gedichtet
worden, da es mehrere zur Zeit der Bande ſchon durchaus obſolet
gewordene Ausdrücke enthält. Die Gedichte des Manne Fried-
rich (Philipp Friedrich Schütz), welche Pfiſter, a. a. O., S. 33—40,
mittheilt, ſind nur platte ſchlechte Reime eines durch Kerkerhaft
mürbe und verzagt gemachten rohen Verbrechers, wie man ſolche
Reimereien vielfach bei zum Tode verurtheilten Verbrechern findet,
und von denen auch ich mehrere Originalmanuſcripte beſitze. Mit
den „echten von Kochemern ſelbſt verfaßten Geſängen“, wie dem
„Bollerbayes-Schal“, dem „Cheſſen-Schal“, dem „Makel-Schal“,
„Kochemer-Schal“ u. ſ. w., a. a. O., S. 380 fg., hat Pfiſter
ſich ſo ſehr täuſchen laſſen, daß er ſogar mit ihnen beweiſen will,
„die ſogenannten Gauner ſeien nicht als bloße Vaganten, ſondern
als eine ganz beſondere Menſchenraſſe zu betrachten!“
Ohnehin iſt er ſelbſt nicht über den Urſprung der Lieder unter-
richtet. Um ſo mehr ſind auch dieſe Poeſien nach dem Maßſtabe
zu beurtheilen, nach welchem alle dieſe Erſcheinungen zu bemeſſen
ſind. Nicht anders iſt es endlich auch mit dem von Hermann,
a. a. O., S. 115, mitgetheilten matten Mordbrennerliede und
Schottenfellerliede. Selbſt das S. 117 mitgetheilte Kittenſchieber-
lied, eine ſehr misrathene Ueberſetzung des Schiller’ſchen Räuber-
liedes in das Gauneriſche, iſt äußerſt ſchlecht ausgefallen und
nimmt dem Liede allen urſprünglichen poetiſchen Werth.
Avé-Lallemant, Gaunerthum. I. 14
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/225>, abgerufen am 01.08.2024.
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