Kapiteln am Schluß eines jeden derselben ausdrücklich eine "Con- clusio" angehängt ist, fallen diese Conclusionen von Kap. 14. und 15 an weg, und der Text beschränkt sich, nachdem in Kap. 15 das Beispiel der pforzheimer Dutzbetterin angeführt ist, lediglich auf den dürren docirenden Ton, den man zu Anfang aller vorhergehenden Kapitel und in der baseler Rathsbekannt- machung findet. Es ist nicht unmöglich, daß der Liber Vagato- rum gleich dem "Narrenschiff" nicht gleich zuerst vollständig erschie- nen ist; daß seine erste Redaction sich nur auf die dreizehn ersten Kapitel beschränkt hat, und daß die spätern Kapitel mit den "Nota- bilien, die offenbar als aus der baseler Rathsbekanntmachung gezogenen Notizen zu einer weitern Ausarbeitung erscheinen, erst in der jener ersten Originalausgabe unmittelbar folgenden pforz- heimer Ausgabe oder in dem Lieber Vagatorum zum Vorschein gekommen sind. Auch der "Vocabular", der dritte Theil des Liber Vagatorum, ist völlig unabhängig von dem ersten Theil und von den "Notabilien" und erscheint durchaus als selbständige Arbeit, die dem Liber Vagatorum nur beigegeben ist. Die meisten Vocabeln kommen im Text des Liber Vagatorum, namentlich im ersten und zweiten Theil gar nicht vor, und die im Texte vorkommenden Gaunerkunstausdrücke werden in diesem selbst stets erläutert. Am Schlusse der "Notabilien" drängen sich die Gaunerausdrücke mehr; sie scheinen lediglich nach dem Vorbild der baseler Bekanntmachung, die am Schluß den rohen Anfang zu einem Vocabular macht, zu einem entsprechenden Zweck zusammengestellt zu sein, was die Ansicht bestärkt, daß der Vocabular ganz unabhängig vom Liber Vagatorum gearbeitet und zur Erläuterung der damals überhaupt gängigen Gaunerausdrücke demselben angehängt ist.
Ein Kriterium für die außerordentliche Aufnahme, welche der Liber Vagatorum bei seinem ersten Erscheinen fand, ist der Umstand, daß von 1510--29 nicht weniger als acht verschiedene Ausgaben erschienen sind, wozu noch die erste niederdeutsche Ueber- setzung kommt. Die in Betracht so kurzer Zeit erstaunlich zu nennende Anzahl von verschiedenen Auflagen bestärkt die Ansicht, daß die erste baseler Ausgabe rasch vergriffen und vielleicht auch
Kapiteln am Schluß eines jeden derſelben ausdrücklich eine „Con- cluſio“ angehängt iſt, fallen dieſe Concluſionen von Kap. 14. und 15 an weg, und der Text beſchränkt ſich, nachdem in Kap. 15 das Beiſpiel der pforzheimer Dutzbetterin angeführt iſt, lediglich auf den dürren docirenden Ton, den man zu Anfang aller vorhergehenden Kapitel und in der baſeler Rathsbekannt- machung findet. Es iſt nicht unmöglich, daß der Liber Vagato- rum gleich dem „Narrenſchiff“ nicht gleich zuerſt vollſtändig erſchie- nen iſt; daß ſeine erſte Redaction ſich nur auf die dreizehn erſten Kapitel beſchränkt hat, und daß die ſpätern Kapitel mit den „Nota- bilien, die offenbar als aus der baſeler Rathsbekanntmachung gezogenen Notizen zu einer weitern Ausarbeitung erſcheinen, erſt in der jener erſten Originalausgabe unmittelbar folgenden pforz- heimer Ausgabe oder in dem Lieber Vagatorum zum Vorſchein gekommen ſind. Auch der „Vocabular“, der dritte Theil des Liber Vagatorum, iſt völlig unabhängig von dem erſten Theil und von den „Notabilien“ und erſcheint durchaus als ſelbſtändige Arbeit, die dem Liber Vagatorum nur beigegeben iſt. Die meiſten Vocabeln kommen im Text des Liber Vagatorum, namentlich im erſten und zweiten Theil gar nicht vor, und die im Texte vorkommenden Gaunerkunſtausdrücke werden in dieſem ſelbſt ſtets erläutert. Am Schluſſe der „Notabilien“ drängen ſich die Gaunerausdrücke mehr; ſie ſcheinen lediglich nach dem Vorbild der baſeler Bekanntmachung, die am Schluß den rohen Anfang zu einem Vocabular macht, zu einem entſprechenden Zweck zuſammengeſtellt zu ſein, was die Anſicht beſtärkt, daß der Vocabular ganz unabhängig vom Liber Vagatorum gearbeitet und zur Erläuterung der damals überhaupt gängigen Gaunerausdrücke demſelben angehängt iſt.
Ein Kriterium für die außerordentliche Aufnahme, welche der Liber Vagatorum bei ſeinem erſten Erſcheinen fand, iſt der Umſtand, daß von 1510—29 nicht weniger als acht verſchiedene Ausgaben erſchienen ſind, wozu noch die erſte niederdeutſche Ueber- ſetzung kommt. Die in Betracht ſo kurzer Zeit erſtaunlich zu nennende Anzahl von verſchiedenen Auflagen beſtärkt die Anſicht, daß die erſte baſeler Ausgabe raſch vergriffen und vielleicht auch
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Kapiteln am Schluß eines jeden derſelben ausdrücklich eine „Con-
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Kap. 15 das Beiſpiel der pforzheimer Dutzbetterin angeführt
iſt, lediglich auf den dürren docirenden Ton, den man zu Anfang
aller vorhergehenden Kapitel und in der baſeler Rathsbekannt-
machung findet. Es iſt nicht unmöglich, daß der Liber Vagato-
rum gleich dem „Narrenſchiff“ nicht gleich zuerſt vollſtändig erſchie-
nen iſt; daß ſeine erſte Redaction ſich nur auf die dreizehn erſten
Kapitel beſchränkt hat, und daß die ſpätern Kapitel mit den „Nota-
bilien, die offenbar als aus der baſeler Rathsbekanntmachung
gezogenen Notizen zu einer weitern Ausarbeitung erſcheinen, erſt
in der jener erſten Originalausgabe unmittelbar folgenden pforz-
heimer Ausgabe oder in dem Lieber Vagatorum zum Vorſchein
gekommen ſind. Auch der „Vocabular“, der dritte Theil des Liber
Vagatorum, iſt völlig unabhängig von dem erſten Theil und von
den „Notabilien“ und erſcheint durchaus als ſelbſtändige Arbeit, die
dem Liber Vagatorum nur beigegeben iſt. Die meiſten Vocabeln
kommen im Text des Liber Vagatorum, namentlich im erſten
und zweiten Theil gar nicht vor, und die im Texte vorkommenden
Gaunerkunſtausdrücke werden in dieſem ſelbſt ſtets erläutert. Am
Schluſſe der „Notabilien“ drängen ſich die Gaunerausdrücke mehr;
ſie ſcheinen lediglich nach dem Vorbild der baſeler Bekanntmachung,
die am Schluß den rohen Anfang zu einem Vocabular macht,
zu einem entſprechenden Zweck zuſammengeſtellt zu ſein, was die
Anſicht beſtärkt, daß der Vocabular ganz unabhängig vom
Liber Vagatorum gearbeitet und zur Erläuterung der damals
überhaupt gängigen Gaunerausdrücke demſelben angehängt iſt.
Ein Kriterium für die außerordentliche Aufnahme, welche
der Liber Vagatorum bei ſeinem erſten Erſcheinen fand, iſt der
Umſtand, daß von 1510—29 nicht weniger als acht verſchiedene
Ausgaben erſchienen ſind, wozu noch die erſte niederdeutſche Ueber-
ſetzung kommt. Die in Betracht ſo kurzer Zeit erſtaunlich zu
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daß die erſte baſeler Ausgabe raſch vergriffen und vielleicht auch
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/157>, abgerufen am 16.02.2025.
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