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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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großer Gelindigkeit und Milde der Fall ist -- wieder gut zu
machen, was sie, oder vielmehr ihre schläfrigen Beamten, verdorben
hatten. Nun ging es ans Einziehen und Verhaften, ans Fol-
tern und Hinrichten, mit Strang und Rad. Schrecklich wurde
unter den armen Bocksreitern gehaust, und das Blutvergießen nahm
kein Ende, bis der rächende Arm der Themis erlahmt, der zaube-
rische Räuberverein völlig zerschmolzen schien, bis eine ganze Reihe von
Häusern in Beck durchs Schaffot verödet wurde, und ein großer Theil
von Mersen den entsetzlichen Tod der Missethäter gestorben war."

Je weniger die Justiz im Stande war, jenes mystische Dunkel
aufzuklären, desto weniger kann man eine deutliche zusammenhän-
gende Geschichte dieser Räubergruppe geben. Jene dunkle Dar-
stellung ist die einzige Nachricht, die es außerhalb der schweigsamen
Archive gibt. Desto lebhafter treten aber jene einzelnen Unter-
suchungen als lichte Episoden hervor. Nicht minder interessant
ist die zuweilen deutlich auftauchende Erscheinung einzelner Kory-
phäen, die unter der Aegide schlichter Bürgerlichkeit als Depositare
der Gaunerkunst und als Centralpunkte des Räuberthums er-
scheinen. Ein solcher gaunerischer Stammhalter und Altmeister
war der in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zu
Winoshoot bei Gröningen, später zu Antwerpen, Gent, Brüssel
und Courtray lebende Jakob Moyses, der weniger durch seine

entstand die Bande im Jndre- und Loiredepartement, die nicht minder schreck-
lich hauste. Jm Vardepartement exiftirte eine Räuberbande die keine Macht
zu vertilgen im Stande war. Entsetzlich und unvergeßlich in den Annalen
der Justiz und des Räuberthums bleibt es, zu welchen Mitteln die oberste
Staatsgewalt ihre Zuflucht nahm, um die Räuber zu vernichten. Der Prä-
fect des Vardepartements hatte einen entschlossenen Vertrauten gewonnen,
welcher scheinbar gemeinsame Sache mit den Räubern machte und, unter dem
Vorwande, ihnen einen guten Fang zu verschaffen, sie sämmtlich in ein ab-
gelegenes Haus bei der Gemeinde Aups zu locken wußte, welches vorher unter-
minirt war. Nachdem die Räuber versammelt waren und der Vertraute sich
entfernt hatte, wurde eine Lunte an die Mine gelegt und das Haus in die
Luft gesprengt. Fünfundzwanzig Räuberleichen und funfzehn halbver-
brannte Räuber fielen dabei in die Hände der -- Justiz! Vgl. "Rheinische
Räuberbanden", II, 322 fg.

großer Gelindigkeit und Milde der Fall iſt — wieder gut zu
machen, was ſie, oder vielmehr ihre ſchläfrigen Beamten, verdorben
hatten. Nun ging es ans Einziehen und Verhaften, ans Fol-
tern und Hinrichten, mit Strang und Rad. Schrecklich wurde
unter den armen Bocksreitern gehauſt, und das Blutvergießen nahm
kein Ende, bis der rächende Arm der Themis erlahmt, der zaube-
riſche Räuberverein völlig zerſchmolzen ſchien, bis eine ganze Reihe von
Häuſern in Beck durchs Schaffot verödet wurde, und ein großer Theil
von Merſen den entſetzlichen Tod der Miſſethäter geſtorben war.“

Je weniger die Juſtiz im Stande war, jenes myſtiſche Dunkel
aufzuklären, deſto weniger kann man eine deutliche zuſammenhän-
gende Geſchichte dieſer Räubergruppe geben. Jene dunkle Dar-
ſtellung iſt die einzige Nachricht, die es außerhalb der ſchweigſamen
Archive gibt. Deſto lebhafter treten aber jene einzelnen Unter-
ſuchungen als lichte Epiſoden hervor. Nicht minder intereſſant
iſt die zuweilen deutlich auftauchende Erſcheinung einzelner Kory-
phäen, die unter der Aegide ſchlichter Bürgerlichkeit als Depoſitare
der Gaunerkunſt und als Centralpunkte des Räuberthums er-
ſcheinen. Ein ſolcher gauneriſcher Stammhalter und Altmeiſter
war der in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zu
Winoshoot bei Gröningen, ſpäter zu Antwerpen, Gent, Brüſſel
und Courtray lebende Jakob Moyſes, der weniger durch ſeine

entſtand die Bande im Jndre- und Loiredepartement, die nicht minder ſchreck-
lich hauſte. Jm Vardepartement exiftirte eine Räuberbande die keine Macht
zu vertilgen im Stande war. Entſetzlich und unvergeßlich in den Annalen
der Juſtiz und des Räuberthums bleibt es, zu welchen Mitteln die oberſte
Staatsgewalt ihre Zuflucht nahm, um die Räuber zu vernichten. Der Prä-
fect des Vardepartements hatte einen entſchloſſenen Vertrauten gewonnen,
welcher ſcheinbar gemeinſame Sache mit den Räubern machte und, unter dem
Vorwande, ihnen einen guten Fang zu verſchaffen, ſie ſämmtlich in ein ab-
gelegenes Haus bei der Gemeinde Aups zu locken wußte, welches vorher unter-
minirt war. Nachdem die Räuber verſammelt waren und der Vertraute ſich
entfernt hatte, wurde eine Lunte an die Mine gelegt und das Haus in die
Luft geſprengt. Fünfundzwanzig Räuberleichen und funfzehn halbver-
brannte Räuber fielen dabei in die Hände der — Juſtiz! Vgl. „Rheiniſche
Räuberbanden“, II, 322 fg.
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[98/0114] großer Gelindigkeit und Milde der Fall iſt — wieder gut zu machen, was ſie, oder vielmehr ihre ſchläfrigen Beamten, verdorben hatten. Nun ging es ans Einziehen und Verhaften, ans Fol- tern und Hinrichten, mit Strang und Rad. Schrecklich wurde unter den armen Bocksreitern gehauſt, und das Blutvergießen nahm kein Ende, bis der rächende Arm der Themis erlahmt, der zaube- riſche Räuberverein völlig zerſchmolzen ſchien, bis eine ganze Reihe von Häuſern in Beck durchs Schaffot verödet wurde, und ein großer Theil von Merſen den entſetzlichen Tod der Miſſethäter geſtorben war.“ Je weniger die Juſtiz im Stande war, jenes myſtiſche Dunkel aufzuklären, deſto weniger kann man eine deutliche zuſammenhän- gende Geſchichte dieſer Räubergruppe geben. Jene dunkle Dar- ſtellung iſt die einzige Nachricht, die es außerhalb der ſchweigſamen Archive gibt. Deſto lebhafter treten aber jene einzelnen Unter- ſuchungen als lichte Epiſoden hervor. Nicht minder intereſſant iſt die zuweilen deutlich auftauchende Erſcheinung einzelner Kory- phäen, die unter der Aegide ſchlichter Bürgerlichkeit als Depoſitare der Gaunerkunſt und als Centralpunkte des Räuberthums er- ſcheinen. Ein ſolcher gauneriſcher Stammhalter und Altmeiſter war der in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zu Winoshoot bei Gröningen, ſpäter zu Antwerpen, Gent, Brüſſel und Courtray lebende Jakob Moyſes, der weniger durch ſeine 1) 1) entſtand die Bande im Jndre- und Loiredepartement, die nicht minder ſchreck- lich hauſte. Jm Vardepartement exiftirte eine Räuberbande die keine Macht zu vertilgen im Stande war. Entſetzlich und unvergeßlich in den Annalen der Juſtiz und des Räuberthums bleibt es, zu welchen Mitteln die oberſte Staatsgewalt ihre Zuflucht nahm, um die Räuber zu vernichten. Der Prä- fect des Vardepartements hatte einen entſchloſſenen Vertrauten gewonnen, welcher ſcheinbar gemeinſame Sache mit den Räubern machte und, unter dem Vorwande, ihnen einen guten Fang zu verſchaffen, ſie ſämmtlich in ein ab- gelegenes Haus bei der Gemeinde Aups zu locken wußte, welches vorher unter- minirt war. Nachdem die Räuber verſammelt waren und der Vertraute ſich entfernt hatte, wurde eine Lunte an die Mine gelegt und das Haus in die Luft geſprengt. Fünfundzwanzig Räuberleichen und funfzehn halbver- brannte Räuber fielen dabei in die Hände der — Juſtiz! Vgl. „Rheiniſche Räuberbanden“, II, 322 fg.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/114>, abgerufen am 26.11.2024.