Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.Gestohlenen beförderten. Die Räuber, die in den ersten Zeiten 1) Dieselbe Schule des Cartouche, des du Val, des Nicol List, Lips
Tullian und anderer Gaunerkoryphäen jener Zeit ist unverkennbar, nament- lich wenn man die sehr merkwürdige Vorrede des "Schauplatz der Betrüger" (1687) vergleicht. Geſtohlenen beförderten. Die Räuber, die in den erſten Zeiten 1) Dieſelbe Schule des Cartouche, des du Val, des Nicol Liſt, Lips
Tullian und anderer Gaunerkoryphäen jener Zeit iſt unverkennbar, nament- lich wenn man die ſehr merkwürdige Vorrede des „Schauplatz der Betrüger“ (1687) vergleicht. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0112" n="96"/> Geſtohlenen beförderten. Die Räuber, die in den erſten Zeiten<lb/> ſich dort niederließen, waren nicht nur ein ganz anderer Schlag<lb/> Leute als die Räuber in neuern Zeiten, ſondern hatten auch eine<lb/> eigene Raubmethode, die von jener der Räuber unſerer Epoche<lb/> ganz unterſchieden war. Die alten Merſener ſtürmten ſo zum<lb/> Beiſpiel nicht wie die jüngern die Thüren der Beraubten mit<lb/> Gewalt, ſie griffen dieſe nicht perſönlich an, ſie mishandelten ſie<lb/> nicht. Jhr Syſtem war juſt das entgegengeſetzte, ſie ſchlichen ſo<lb/> leiſe, als ſie nur konnten, bei ſchweigender Nacht, vor die Läden und<lb/> Stuben reicher iſolirt wohnender Landbewohner, brachen unver-<lb/> merkt ein, und entſprangen mit dem Geſtohlenen, oft ohne die<lb/> geringſte Spur von ſich zurückzulaſſen. <note place="foot" n="1)">Dieſelbe Schule des Cartouche, des du Val, des Nicol Liſt, Lips<lb/> Tullian und anderer Gaunerkoryphäen jener Zeit iſt unverkennbar, nament-<lb/> lich wenn man die ſehr merkwürdige Vorrede des „Schauplatz der Betrüger“<lb/> (1687) vergleicht.</note> Diebſtähle dieſer Art<lb/> geſchahen in damaliger Zeit ſo häufig, mehrten ſich mit jedem<lb/> Tage, und blieben dabei in ſo einem geheimnißvollen Schleier<lb/> verhüllt, daß allabendlich der gemeine Mann, der in der dortigen<lb/> Gegend ohnehin in der tiefſten Finſterniß lebt, und wie überall<lb/> ſeinen Geiſt ſo gerne mit Wundern nährt, auf den Gedanken<lb/> kam, ſie könnten nicht anders als mit unrechten Dingen verübt<lb/> worden ſein, der Böſe müſſe mit den Spitzbuben gemeinſame<lb/> Sache gemacht und ihnen in Ausführung des Raubes geholfen<lb/> haben. Zur unumſtößlichſten Gewißheit wurde ihm dieſe Jdee,<lb/> als man ihm erzählte, daß gleich nach dem verübten Raube, ſchon<lb/> am andern Morgen, die geſtohlenen Effecten in einer großen Ent-<lb/> fernung, nämlich in dem Dorfe Merſen, bei dieſem oder jenem<lb/> erblickt worden. Unbegreiflich war ihm die Geſchwindigkeit, und<lb/> er glaubte nunmehr feſt und ſteif an Satans Mitwirkung. Traf<lb/> nun der Fall ein, daß irgendwo ein Raub verübt worden, ſo<lb/> machten ſich die Beſtohlenen auf der Stelle auf und reiſten, ohne<lb/> ſich weiter umzuſehen oder ſich die Mühe zu geben, weiteres nach-<lb/> zuforſchen, ſo ſchnell ſie nur konnten, nach dem verrufenen Merſen,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [96/0112]
Geſtohlenen beförderten. Die Räuber, die in den erſten Zeiten
ſich dort niederließen, waren nicht nur ein ganz anderer Schlag
Leute als die Räuber in neuern Zeiten, ſondern hatten auch eine
eigene Raubmethode, die von jener der Räuber unſerer Epoche
ganz unterſchieden war. Die alten Merſener ſtürmten ſo zum
Beiſpiel nicht wie die jüngern die Thüren der Beraubten mit
Gewalt, ſie griffen dieſe nicht perſönlich an, ſie mishandelten ſie
nicht. Jhr Syſtem war juſt das entgegengeſetzte, ſie ſchlichen ſo
leiſe, als ſie nur konnten, bei ſchweigender Nacht, vor die Läden und
Stuben reicher iſolirt wohnender Landbewohner, brachen unver-
merkt ein, und entſprangen mit dem Geſtohlenen, oft ohne die
geringſte Spur von ſich zurückzulaſſen. 1) Diebſtähle dieſer Art
geſchahen in damaliger Zeit ſo häufig, mehrten ſich mit jedem
Tage, und blieben dabei in ſo einem geheimnißvollen Schleier
verhüllt, daß allabendlich der gemeine Mann, der in der dortigen
Gegend ohnehin in der tiefſten Finſterniß lebt, und wie überall
ſeinen Geiſt ſo gerne mit Wundern nährt, auf den Gedanken
kam, ſie könnten nicht anders als mit unrechten Dingen verübt
worden ſein, der Böſe müſſe mit den Spitzbuben gemeinſame
Sache gemacht und ihnen in Ausführung des Raubes geholfen
haben. Zur unumſtößlichſten Gewißheit wurde ihm dieſe Jdee,
als man ihm erzählte, daß gleich nach dem verübten Raube, ſchon
am andern Morgen, die geſtohlenen Effecten in einer großen Ent-
fernung, nämlich in dem Dorfe Merſen, bei dieſem oder jenem
erblickt worden. Unbegreiflich war ihm die Geſchwindigkeit, und
er glaubte nunmehr feſt und ſteif an Satans Mitwirkung. Traf
nun der Fall ein, daß irgendwo ein Raub verübt worden, ſo
machten ſich die Beſtohlenen auf der Stelle auf und reiſten, ohne
ſich weiter umzuſehen oder ſich die Mühe zu geben, weiteres nach-
zuforſchen, ſo ſchnell ſie nur konnten, nach dem verrufenen Merſen,
1) Dieſelbe Schule des Cartouche, des du Val, des Nicol Liſt, Lips
Tullian und anderer Gaunerkoryphäen jener Zeit iſt unverkennbar, nament-
lich wenn man die ſehr merkwürdige Vorrede des „Schauplatz der Betrüger“
(1687) vergleicht.
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