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Allgemeine Zeitung. Nr. 172. Augsburg, 20. Juni 1840.

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Cousin über Graf Santa Rosa.

(Fortsetzung.)

Der Unglückstage gingen mehr und mehr über Frankreich auf. Als das Ministerium Villele an die Stelle des Richelieu'schen getreten war, griff die machthabende Partei in Frankreich selbst nach der Reihe alle Freiheiten und Garantien an, befestigte mehr und mehr ihre alte Allianz mit dem Auslande, und die Polizeien Frankreichs und Piemonts verständigten sich, um die Refugies zu verfolgen und zu beunruhigen. Sie lebten in Paris unter falschen Namen, und im Allgemeinen still und zurückgezogen. Die neue Polizei, unter dem Directorium von Franchet und Laveau, machte sich eine gewissenhafte Aufgabe daraus, der Erbitterung und Furcht des Turiner Hofes zu Hülfe zu kommen; anstatt zu beobachten, wie es Pflicht und Recht gewesen wäre, verfolgte sie. Santa-Rosa erhielt Wind, daß die Polizei ihm auf der Spur sey und daß man ihn festnehmen wolle. War das letztere einmal geschehen, so konnte er an Piemont ausgeliefert, und das bereits ausgesprochene Todesurtheil an ihm und seinen Freunden vollzogen werden. Ich war der Meinung, man müsse den ersten Sturm vorübergehen lassen, und besorgte für Santa-Rosa eine Zufluchtsstätte in Auteuil in dem Landhause eines meiner Freunde, Viguier. Wir richteten uns dort beide ein, und lebten da die ersten Monate von 1822, ohne kaum einen Besuch anzunehmen oder die Gränzen des Gartens zu überschreiten. Ich setzte meine Uebersetzung des Plato fort, er seine Nachforschungen über die constitutionellen Regierungen. Dort, in langen Gesprächen der Winterabende, erzählte mir Santa-Rosa sein ganzes äußeres und inneres Leben, und das wahre Verhältniß, oder wenn man so will, das Geheimniß (le dessous des cartes) der piemontesischen Revolution.

Santa-Rosa wurde am 18 November 1783 in Savigliano, einer Stadt im südlichen Piemont, geboren, und stammt von einer guten Familie, deren Adel aber ganz neu ist. Sein Vater, der Graf v. Santa-Rosa, war beim Militär, machte die ersten Kriege Piemonts gegen die französische Revolution mit, und hatte seinen Sohn Sanctorre von seinem neunten oder zehnten Jahr an bei sich in der Armee. Wäre der Vater am Leben geblieben, so würde die Carriere des Sohnes gemacht gewesen seyn; aber Graf Santa-Rosa fiel in der Schlacht bei Mondovi, an der Spitze des sardinischen Regiments, dessen Oberst er war, und später machten die Siege Napoleons und die Unterwerfung Piemonts der militärischen Carriere des jungen Sanctorre ein Ende. Er zog sich in seine Familie nach Savigliano zurück, und bald hier, bald in Turin machte er mit mehreren Mitschülern, welche seitdem in der Wissenschaft sehr bekannt geworden sind, unter dem berühmten Abbe Valpersga von Caluso sehr glücklich seine classischen Studien. Der Name seiner Familie war in ihrer Provinz so geachtet, und er selbst führte ihn so ehrenvoll, daß er im Alter von 24 Jahren von seinen Mitbürgern zum Bürgermeister von Savigliano gewählt wurde; in dieser Stellung blieb er mehrere Jahre seiner Jugend, und machte sich mit den Civilangelegenheiten vertraut. Aber das war keine Carriere für einen Mann ohne Vermögen. Man beredete ihn, trotz seines Widerstrebens, in die französische Administration einzutreten, welche damals Piemont beherrschte; er wurde Unterpräfect von La Spezia, einem Bezirke Genua's, und bekleidete diese Stelle während der Jahre 1812, 1813 und 1814 bis zur Restauration. Mit Enthusiasmus begrüßte Santa-Rosa die Rückkehr des Hauses Savoyen, und 1815 vertauschte er, in der Meinung, daß die Ankunft Napoleons in Paris, während der 100 Tage, einen langen Krieg erwecken werde, den Civildienst mit dem Kriegsdienst, und machte die kleine Campagne von 1815 als Capitän unter den königlichen Gardegrenadieren mit. Nachdem darauf nach dem Sturze Napoleons Alles zur Ruhe zurückgekehrt war, verließ er noch einmal die Laufbahn der Waffen, um eine andere zu ergreifen, wo seine militärischen und civilistischen Kenntnisse sich glücklich die Hand boten, die der Militärverwaltung. Er trat ins Kriegsministerium, und ward dort mit wichtigen Functionen beauftragt. Damals, wenn ich nicht irre, verheirathete er sich mit einer Dame, die reicher an Ahnen als an Gütern war. Dieser Ehe entsproßten mehrere Kinder. Er genoß großes Ansehen, war sehr gut bei Hofe angeschrieben und zu einer glänzenden Laufbahn bestimmt, als er wahrzunehmen glaubte, daß seit der neapolitanischen Revolution Oesterreich ganz offen nach der Beherrschung Italiens trachte. *) Ich muß mir selbst ein gewissenhaftes Stillschweigen auferlegen über die confidentiellen Bemerkungen, welche Santa Rosa mir anvertraute; aber eines kann, eines muß ich sagen, daß in der strengen Einsamkeit, in welcher wir lebten, Santa Rosa, der zu einem Freunde sprach, dessen politische Meinungen wenigstens ebenso entschieden waren, als die seinigen, mich zwanzigmal versichert hat, daß seine Freunde und er erst sehr spät, in der äußersten Noth, als ihnen klar wurde, daß die piemontesische Regierung ohne Kraft war, um aus sich selbst Oesterreich zu widerstehen, und daß eine militärische Bewegung ohnmächtig seyn würde, wenn sie sich nicht auf eine bürgerliche Bewegung stütze, daß aber zu einer Volksbewegung die Hülfe der geheimen Gesellschaften unerläßlich war, mit diesen in Beziehung getreten seyen. Er beklagte diese Nothwendigkeit, und klagte den Adel und die piemontesischen Grundeigenthümer (gli possidenti) an, das Land und sich selbst zu Grunde gerichtet zu haben, weil sie ihre Pflicht nicht gethan, den König nicht mit lauter Stimme über die Gefahren, in welchen Piemont schwebte, belehrt, und den Patriotismus gezwungen hätten, zu heimlichen Händeln seine Zuflucht zu nehmen. Seine Loyalität widerstrebte jedem Geheimniß, und ohne daß er es mir sagte, sah ich deutlich, daß er bei seinem ritterlichen Sinn eine gewisse innere Scham darüber empfand, daß er nach und nach zu diesem Extrem getrieben worden war. Unaufhörlich wiederholte er mir, die geheimen Gesellschaften sind die Pest Italiens; aber wie soll man sich ihrer entledigen, wenn es keine Publicität, kein Mittel gibt, ungestraft seine Meinung zu sagen? - Er erzählte mir, daß er lange an dem Gedanken festgehalten habe, an keiner Gesellschaft Theil zu nehmen, sich jeder Demonstration zu enthalten, und sich auf große moralische und politische öffentliche Erklärungen zu beschränken, welche fähig seyen, auf die Meinung zu influiren und Italien zu regeneriren, das nannte er eine litterarische Verschwörung. Gewiß würde eine solche nützlicher gewesen seyn, als die traurige Waffenergreifung von 1821. Sein Trost war, nichts für sich selbst gethan, und nur an sein Vaterland gedacht zu haben. Sein gutes Gewissen, im Verein mit seiner natürlichen Energie, bereiteten ihm in unserer Einsiedelei in Auteuil ein ruhiges und beinahe zufriedenes Leben.

Meine schlechte Gesundheit, seine unvorsichtige Freundschaft

*) Ein Glaube, den die spätern Ereignisse zur Genüge widerlegt haben.
Cousin über Graf Santa Rosa.

(Fortsetzung.)

Der Unglückstage gingen mehr und mehr über Frankreich auf. Als das Ministerium Villèle an die Stelle des Richelieu'schen getreten war, griff die machthabende Partei in Frankreich selbst nach der Reihe alle Freiheiten und Garantien an, befestigte mehr und mehr ihre alte Allianz mit dem Auslande, und die Polizeien Frankreichs und Piemonts verständigten sich, um die Réfugiés zu verfolgen und zu beunruhigen. Sie lebten in Paris unter falschen Namen, und im Allgemeinen still und zurückgezogen. Die neue Polizei, unter dem Directorium von Franchet und Laveau, machte sich eine gewissenhafte Aufgabe daraus, der Erbitterung und Furcht des Turiner Hofes zu Hülfe zu kommen; anstatt zu beobachten, wie es Pflicht und Recht gewesen wäre, verfolgte sie. Santa-Rosa erhielt Wind, daß die Polizei ihm auf der Spur sey und daß man ihn festnehmen wolle. War das letztere einmal geschehen, so konnte er an Piemont ausgeliefert, und das bereits ausgesprochene Todesurtheil an ihm und seinen Freunden vollzogen werden. Ich war der Meinung, man müsse den ersten Sturm vorübergehen lassen, und besorgte für Santa-Rosa eine Zufluchtsstätte in Auteuil in dem Landhause eines meiner Freunde, Viguier. Wir richteten uns dort beide ein, und lebten da die ersten Monate von 1822, ohne kaum einen Besuch anzunehmen oder die Gränzen des Gartens zu überschreiten. Ich setzte meine Uebersetzung des Plato fort, er seine Nachforschungen über die constitutionellen Regierungen. Dort, in langen Gesprächen der Winterabende, erzählte mir Santa-Rosa sein ganzes äußeres und inneres Leben, und das wahre Verhältniß, oder wenn man so will, das Geheimniß (le dessous des cartes) der piemontesischen Revolution.

Santa-Rosa wurde am 18 November 1783 in Savigliano, einer Stadt im südlichen Piemont, geboren, und stammt von einer guten Familie, deren Adel aber ganz neu ist. Sein Vater, der Graf v. Santa-Rosa, war beim Militär, machte die ersten Kriege Piemonts gegen die französische Revolution mit, und hatte seinen Sohn Sanctorre von seinem neunten oder zehnten Jahr an bei sich in der Armee. Wäre der Vater am Leben geblieben, so würde die Carrière des Sohnes gemacht gewesen seyn; aber Graf Santa-Rosa fiel in der Schlacht bei Mondovi, an der Spitze des sardinischen Regiments, dessen Oberst er war, und später machten die Siege Napoleons und die Unterwerfung Piemonts der militärischen Carrière des jungen Sanctorre ein Ende. Er zog sich in seine Familie nach Savigliano zurück, und bald hier, bald in Turin machte er mit mehreren Mitschülern, welche seitdem in der Wissenschaft sehr bekannt geworden sind, unter dem berühmten Abbé Valpersga von Caluso sehr glücklich seine classischen Studien. Der Name seiner Familie war in ihrer Provinz so geachtet, und er selbst führte ihn so ehrenvoll, daß er im Alter von 24 Jahren von seinen Mitbürgern zum Bürgermeister von Savigliano gewählt wurde; in dieser Stellung blieb er mehrere Jahre seiner Jugend, und machte sich mit den Civilangelegenheiten vertraut. Aber das war keine Carrière für einen Mann ohne Vermögen. Man beredete ihn, trotz seines Widerstrebens, in die französische Administration einzutreten, welche damals Piemont beherrschte; er wurde Unterpräfect von La Spezia, einem Bezirke Genua's, und bekleidete diese Stelle während der Jahre 1812, 1813 und 1814 bis zur Restauration. Mit Enthusiasmus begrüßte Santa-Rosa die Rückkehr des Hauses Savoyen, und 1815 vertauschte er, in der Meinung, daß die Ankunft Napoleons in Paris, während der 100 Tage, einen langen Krieg erwecken werde, den Civildienst mit dem Kriegsdienst, und machte die kleine Campagne von 1815 als Capitän unter den königlichen Gardegrenadieren mit. Nachdem darauf nach dem Sturze Napoleons Alles zur Ruhe zurückgekehrt war, verließ er noch einmal die Laufbahn der Waffen, um eine andere zu ergreifen, wo seine militärischen und civilistischen Kenntnisse sich glücklich die Hand boten, die der Militärverwaltung. Er trat ins Kriegsministerium, und ward dort mit wichtigen Functionen beauftragt. Damals, wenn ich nicht irre, verheirathete er sich mit einer Dame, die reicher an Ahnen als an Gütern war. Dieser Ehe entsproßten mehrere Kinder. Er genoß großes Ansehen, war sehr gut bei Hofe angeschrieben und zu einer glänzenden Laufbahn bestimmt, als er wahrzunehmen glaubte, daß seit der neapolitanischen Revolution Oesterreich ganz offen nach der Beherrschung Italiens trachte. *) Ich muß mir selbst ein gewissenhaftes Stillschweigen auferlegen über die confidentiellen Bemerkungen, welche Santa Rosa mir anvertraute; aber eines kann, eines muß ich sagen, daß in der strengen Einsamkeit, in welcher wir lebten, Santa Rosa, der zu einem Freunde sprach, dessen politische Meinungen wenigstens ebenso entschieden waren, als die seinigen, mich zwanzigmal versichert hat, daß seine Freunde und er erst sehr spät, in der äußersten Noth, als ihnen klar wurde, daß die piemontesische Regierung ohne Kraft war, um aus sich selbst Oesterreich zu widerstehen, und daß eine militärische Bewegung ohnmächtig seyn würde, wenn sie sich nicht auf eine bürgerliche Bewegung stütze, daß aber zu einer Volksbewegung die Hülfe der geheimen Gesellschaften unerläßlich war, mit diesen in Beziehung getreten seyen. Er beklagte diese Nothwendigkeit, und klagte den Adel und die piemontesischen Grundeigenthümer (gli possidenti) an, das Land und sich selbst zu Grunde gerichtet zu haben, weil sie ihre Pflicht nicht gethan, den König nicht mit lauter Stimme über die Gefahren, in welchen Piemont schwebte, belehrt, und den Patriotismus gezwungen hätten, zu heimlichen Händeln seine Zuflucht zu nehmen. Seine Loyalität widerstrebte jedem Geheimniß, und ohne daß er es mir sagte, sah ich deutlich, daß er bei seinem ritterlichen Sinn eine gewisse innere Scham darüber empfand, daß er nach und nach zu diesem Extrem getrieben worden war. Unaufhörlich wiederholte er mir, die geheimen Gesellschaften sind die Pest Italiens; aber wie soll man sich ihrer entledigen, wenn es keine Publicität, kein Mittel gibt, ungestraft seine Meinung zu sagen? – Er erzählte mir, daß er lange an dem Gedanken festgehalten habe, an keiner Gesellschaft Theil zu nehmen, sich jeder Demonstration zu enthalten, und sich auf große moralische und politische öffentliche Erklärungen zu beschränken, welche fähig seyen, auf die Meinung zu influiren und Italien zu regeneriren, das nannte er eine litterarische Verschwörung. Gewiß würde eine solche nützlicher gewesen seyn, als die traurige Waffenergreifung von 1821. Sein Trost war, nichts für sich selbst gethan, und nur an sein Vaterland gedacht zu haben. Sein gutes Gewissen, im Verein mit seiner natürlichen Energie, bereiteten ihm in unserer Einsiedelei in Auteuil ein ruhiges und beinahe zufriedenes Leben.

Meine schlechte Gesundheit, seine unvorsichtige Freundschaft

*) Ein Glaube, den die spätern Ereignisse zur Genüge widerlegt haben.
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Der Name seiner Familie war in ihrer Provinz so geachtet, und er selbst führte ihn so ehrenvoll, daß er im Alter von 24 Jahren von seinen Mitbürgern zum Bürgermeister von Savigliano gewählt wurde; in dieser Stellung blieb er mehrere Jahre seiner Jugend, und machte sich mit den Civilangelegenheiten vertraut. Aber das war keine Carrière für einen Mann ohne Vermögen. Man beredete ihn, trotz seines Widerstrebens, in die französische Administration einzutreten, welche damals Piemont beherrschte; er wurde Unterpräfect von La Spezia, einem Bezirke Genua's, und bekleidete diese Stelle während der Jahre 1812, 1813 und 1814 bis zur Restauration. Mit Enthusiasmus begrüßte Santa-Rosa die Rückkehr des Hauses Savoyen, und 1815 vertauschte er, in der Meinung, daß die Ankunft Napoleons in Paris, während der 100 Tage, einen langen Krieg erwecken werde, den Civildienst mit dem Kriegsdienst, und machte die kleine Campagne von 1815 als Capitän unter den königlichen Gardegrenadieren mit. Nachdem darauf nach dem Sturze Napoleons Alles zur Ruhe zurückgekehrt war, verließ er noch einmal die Laufbahn der Waffen, um eine andere zu ergreifen, wo seine militärischen und civilistischen Kenntnisse sich glücklich die Hand boten, die der Militärverwaltung. Er trat ins Kriegsministerium, und ward dort mit wichtigen Functionen beauftragt. Damals, wenn ich nicht irre, verheirathete er sich mit einer Dame, die reicher an Ahnen als an Gütern war. Dieser Ehe entsproßten mehrere Kinder. Er genoß großes Ansehen, war sehr gut bei Hofe angeschrieben und zu einer glänzenden Laufbahn bestimmt, als er wahrzunehmen glaubte, daß seit der neapolitanischen Revolution Oesterreich ganz offen nach der Beherrschung Italiens trachte. <note place="foot" n="*)"><p>Ein Glaube, den die spätern Ereignisse zur Genüge widerlegt haben.</p></note> Ich muß mir selbst ein gewissenhaftes Stillschweigen auferlegen über die confidentiellen Bemerkungen, welche Santa Rosa mir anvertraute; aber eines kann, eines muß ich sagen, daß in der strengen Einsamkeit, in welcher wir lebten, Santa Rosa, der zu einem Freunde sprach, dessen politische Meinungen wenigstens ebenso entschieden waren, als die seinigen, mich zwanzigmal versichert hat, daß seine Freunde und er erst sehr spät, in der äußersten Noth, als ihnen klar wurde, daß die piemontesische Regierung ohne Kraft war, um aus sich selbst Oesterreich zu widerstehen, und daß eine militärische Bewegung ohnmächtig seyn würde, wenn sie sich nicht auf eine bürgerliche Bewegung stütze, daß aber zu einer Volksbewegung die Hülfe der geheimen Gesellschaften unerläßlich war, mit diesen in Beziehung getreten seyen. Er beklagte diese Nothwendigkeit, und klagte den Adel und die piemontesischen Grundeigenthümer (gli possidenti) an, das Land und sich selbst zu Grunde gerichtet zu haben, weil sie ihre Pflicht nicht gethan, den König nicht mit lauter Stimme über die Gefahren, in welchen Piemont schwebte, belehrt, und den Patriotismus gezwungen hätten, zu heimlichen Händeln seine Zuflucht zu nehmen. Seine Loyalität widerstrebte jedem Geheimniß, und ohne daß er es mir sagte, sah ich deutlich, daß er bei seinem ritterlichen Sinn eine gewisse innere Scham darüber empfand, daß er nach und nach zu diesem Extrem getrieben worden war. Unaufhörlich wiederholte er mir, die geheimen Gesellschaften sind die Pest Italiens; aber wie soll man sich ihrer entledigen, wenn es keine Publicität, kein Mittel gibt, ungestraft seine Meinung zu sagen? &#x2013; Er erzählte mir, daß er lange an dem Gedanken festgehalten habe, an keiner Gesellschaft Theil zu nehmen, sich jeder Demonstration zu enthalten, und sich auf große moralische und politische öffentliche Erklärungen zu beschränken, welche fähig seyen, auf die Meinung zu influiren und Italien zu regeneriren, das nannte er eine litterarische Verschwörung. Gewiß würde eine solche nützlicher gewesen seyn, als die traurige Waffenergreifung von 1821. Sein Trost war, nichts für sich selbst gethan, und nur an sein Vaterland gedacht zu haben. Sein gutes Gewissen, im Verein mit seiner natürlichen Energie, bereiteten ihm in unserer Einsiedelei in Auteuil ein ruhiges und beinahe zufriedenes Leben.</p><lb/>
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[1369/0009] Cousin über Graf Santa Rosa. (Fortsetzung.) Der Unglückstage gingen mehr und mehr über Frankreich auf. Als das Ministerium Villèle an die Stelle des Richelieu'schen getreten war, griff die machthabende Partei in Frankreich selbst nach der Reihe alle Freiheiten und Garantien an, befestigte mehr und mehr ihre alte Allianz mit dem Auslande, und die Polizeien Frankreichs und Piemonts verständigten sich, um die Réfugiés zu verfolgen und zu beunruhigen. Sie lebten in Paris unter falschen Namen, und im Allgemeinen still und zurückgezogen. Die neue Polizei, unter dem Directorium von Franchet und Laveau, machte sich eine gewissenhafte Aufgabe daraus, der Erbitterung und Furcht des Turiner Hofes zu Hülfe zu kommen; anstatt zu beobachten, wie es Pflicht und Recht gewesen wäre, verfolgte sie. Santa-Rosa erhielt Wind, daß die Polizei ihm auf der Spur sey und daß man ihn festnehmen wolle. War das letztere einmal geschehen, so konnte er an Piemont ausgeliefert, und das bereits ausgesprochene Todesurtheil an ihm und seinen Freunden vollzogen werden. Ich war der Meinung, man müsse den ersten Sturm vorübergehen lassen, und besorgte für Santa-Rosa eine Zufluchtsstätte in Auteuil in dem Landhause eines meiner Freunde, Viguier. Wir richteten uns dort beide ein, und lebten da die ersten Monate von 1822, ohne kaum einen Besuch anzunehmen oder die Gränzen des Gartens zu überschreiten. Ich setzte meine Uebersetzung des Plato fort, er seine Nachforschungen über die constitutionellen Regierungen. Dort, in langen Gesprächen der Winterabende, erzählte mir Santa-Rosa sein ganzes äußeres und inneres Leben, und das wahre Verhältniß, oder wenn man so will, das Geheimniß (le dessous des cartes) der piemontesischen Revolution. Santa-Rosa wurde am 18 November 1783 in Savigliano, einer Stadt im südlichen Piemont, geboren, und stammt von einer guten Familie, deren Adel aber ganz neu ist. Sein Vater, der Graf v. Santa-Rosa, war beim Militär, machte die ersten Kriege Piemonts gegen die französische Revolution mit, und hatte seinen Sohn Sanctorre von seinem neunten oder zehnten Jahr an bei sich in der Armee. Wäre der Vater am Leben geblieben, so würde die Carrière des Sohnes gemacht gewesen seyn; aber Graf Santa-Rosa fiel in der Schlacht bei Mondovi, an der Spitze des sardinischen Regiments, dessen Oberst er war, und später machten die Siege Napoleons und die Unterwerfung Piemonts der militärischen Carrière des jungen Sanctorre ein Ende. Er zog sich in seine Familie nach Savigliano zurück, und bald hier, bald in Turin machte er mit mehreren Mitschülern, welche seitdem in der Wissenschaft sehr bekannt geworden sind, unter dem berühmten Abbé Valpersga von Caluso sehr glücklich seine classischen Studien. Der Name seiner Familie war in ihrer Provinz so geachtet, und er selbst führte ihn so ehrenvoll, daß er im Alter von 24 Jahren von seinen Mitbürgern zum Bürgermeister von Savigliano gewählt wurde; in dieser Stellung blieb er mehrere Jahre seiner Jugend, und machte sich mit den Civilangelegenheiten vertraut. Aber das war keine Carrière für einen Mann ohne Vermögen. Man beredete ihn, trotz seines Widerstrebens, in die französische Administration einzutreten, welche damals Piemont beherrschte; er wurde Unterpräfect von La Spezia, einem Bezirke Genua's, und bekleidete diese Stelle während der Jahre 1812, 1813 und 1814 bis zur Restauration. Mit Enthusiasmus begrüßte Santa-Rosa die Rückkehr des Hauses Savoyen, und 1815 vertauschte er, in der Meinung, daß die Ankunft Napoleons in Paris, während der 100 Tage, einen langen Krieg erwecken werde, den Civildienst mit dem Kriegsdienst, und machte die kleine Campagne von 1815 als Capitän unter den königlichen Gardegrenadieren mit. Nachdem darauf nach dem Sturze Napoleons Alles zur Ruhe zurückgekehrt war, verließ er noch einmal die Laufbahn der Waffen, um eine andere zu ergreifen, wo seine militärischen und civilistischen Kenntnisse sich glücklich die Hand boten, die der Militärverwaltung. Er trat ins Kriegsministerium, und ward dort mit wichtigen Functionen beauftragt. Damals, wenn ich nicht irre, verheirathete er sich mit einer Dame, die reicher an Ahnen als an Gütern war. Dieser Ehe entsproßten mehrere Kinder. Er genoß großes Ansehen, war sehr gut bei Hofe angeschrieben und zu einer glänzenden Laufbahn bestimmt, als er wahrzunehmen glaubte, daß seit der neapolitanischen Revolution Oesterreich ganz offen nach der Beherrschung Italiens trachte. *) Ich muß mir selbst ein gewissenhaftes Stillschweigen auferlegen über die confidentiellen Bemerkungen, welche Santa Rosa mir anvertraute; aber eines kann, eines muß ich sagen, daß in der strengen Einsamkeit, in welcher wir lebten, Santa Rosa, der zu einem Freunde sprach, dessen politische Meinungen wenigstens ebenso entschieden waren, als die seinigen, mich zwanzigmal versichert hat, daß seine Freunde und er erst sehr spät, in der äußersten Noth, als ihnen klar wurde, daß die piemontesische Regierung ohne Kraft war, um aus sich selbst Oesterreich zu widerstehen, und daß eine militärische Bewegung ohnmächtig seyn würde, wenn sie sich nicht auf eine bürgerliche Bewegung stütze, daß aber zu einer Volksbewegung die Hülfe der geheimen Gesellschaften unerläßlich war, mit diesen in Beziehung getreten seyen. Er beklagte diese Nothwendigkeit, und klagte den Adel und die piemontesischen Grundeigenthümer (gli possidenti) an, das Land und sich selbst zu Grunde gerichtet zu haben, weil sie ihre Pflicht nicht gethan, den König nicht mit lauter Stimme über die Gefahren, in welchen Piemont schwebte, belehrt, und den Patriotismus gezwungen hätten, zu heimlichen Händeln seine Zuflucht zu nehmen. Seine Loyalität widerstrebte jedem Geheimniß, und ohne daß er es mir sagte, sah ich deutlich, daß er bei seinem ritterlichen Sinn eine gewisse innere Scham darüber empfand, daß er nach und nach zu diesem Extrem getrieben worden war. Unaufhörlich wiederholte er mir, die geheimen Gesellschaften sind die Pest Italiens; aber wie soll man sich ihrer entledigen, wenn es keine Publicität, kein Mittel gibt, ungestraft seine Meinung zu sagen? – Er erzählte mir, daß er lange an dem Gedanken festgehalten habe, an keiner Gesellschaft Theil zu nehmen, sich jeder Demonstration zu enthalten, und sich auf große moralische und politische öffentliche Erklärungen zu beschränken, welche fähig seyen, auf die Meinung zu influiren und Italien zu regeneriren, das nannte er eine litterarische Verschwörung. Gewiß würde eine solche nützlicher gewesen seyn, als die traurige Waffenergreifung von 1821. Sein Trost war, nichts für sich selbst gethan, und nur an sein Vaterland gedacht zu haben. Sein gutes Gewissen, im Verein mit seiner natürlichen Energie, bereiteten ihm in unserer Einsiedelei in Auteuil ein ruhiges und beinahe zufriedenes Leben. Meine schlechte Gesundheit, seine unvorsichtige Freundschaft *) Ein Glaube, den die spätern Ereignisse zur Genüge widerlegt haben.

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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 172. Augsburg, 20. Juni 1840, S. 1369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_172_18400620/9>, abgerufen am 11.12.2024.