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Allgemeine Zeitung. Nr. 166. Augsburg, 14. Juni 1840.

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Napoleon und die Deputirtenkammer.

Die Abstimmung der Kammer vom 26 Mai ist ein Ereigniß. Debats und Gazette erhoben sich mit unverhohlener Schadenfreude gegen das Ministerium, während umgekehrt der Constitutionnel, in der Regel das Organ der plattesten Spießbürgerlichkeit, die Kammer anbellt, die es da gewagt habe, sich von der Bewegung des Nationalenthusiasmus auszuschließen! Die Sache ist einfach diese: Hr. Thiers, der Patron des Constitutionnel, hat eine kleine Schlappe erlitten, und darum zürnen die Unsterblichen. Wir sind indessen weit entfernt, einen Accent auf die politische Bedeutung dieses Votums zu legen; eine Million mehr oder weniger zu einer Milliarde, eine Reiterstatue mehr oder weniger auf den Plätzen von Paris, das sind in der That zu unbedeutende Dinge, um das Ministerium zu erschüttern. Vielleicht aber gewinnt jenes Votum eine desto außerordentlichere Wichtigkeit, wenn man es als ein Zeugniß zur Sittengeschichte des Jahrhunderts betrachtet. Wir gestehen gern, wir hatten es nicht erwartet; nun da es gekommen, begrüßen wir es als einen Fortschritt mit aufrichtigster Freude. Der ritterliche Heroismus der Franzosen entzündet sich rasch und leicht an der äußerlichen Größe der Persönlichkeiten und ihre erregbare Phantasie pflegt sich gern bei dem dramatischen Reiz, bei dem massenhaften Eindruck der geschichtlichen Resultate zu beruhigen. Und vollends Napoleon, der Mann, der sein Zeitalter erfüllte, mit Einem Worte der "Kaiser"! Schon sein Name übt eine elektrische Macht über die Geister, der tragische Abschluß seines Lebens hat auch die Gegner versöhnt, sein Cultus ist eine Nationalleidenschaft Frankreichs geworden. Und gleichwohl wagt die Kammer, die Ueberschwänglichkeit dieses Enthusiasmus mit ernster Mäßigung zu zügeln, und mehrere ihrer Stimmführer erinnern unbekümmert um ihre Popularität daran, wie die kaiserliche Herrschaft nach innen im Grunde nur eine glänzende Despotie gewesen sey, für die jeder Ausdruck von Theilnahme von den Gesetzgebern eines freien Landes abgelehnt werden müsse. Ermessen Sie an dieser Thatsache, welche tiefe Wurzeln die neue Ordnung der Dinge schon in Frankreich geschlagen habe, und daß wenn auch noch vorerst nicht in den Massen, so doch allmählich in den höherbegabten Geistern, von denen zuletzt die geschichtliche Bewegung ausgehen wird, sich eine durchaus achtungswürdige Besonnenheit des Urtheils, ein gediegenes Begreifen und Festhalten der sittlichen Grundlagen des Staats Bahn zu brechen beginne. Die Kammer hat hier einen höheren Standpunkt eingenommen, einen größern, vorausschauendern Blick bewährt, als die Presse; noch einmal ihre Abstimmung ist ein Ereigniß.

Zwar hat Marschall Clauzel unter andern Ausbrüchen eines verspäteten Bonapartismus gesagt: es gebühre der Freiheit vor allen Dingen gerecht zu seyn gegen den Ruhm. Das ist eine Phrase und nichts weiter. Ernsthaft gesprochen würde es schwer einzusehen seyn, welche Pflichten die Freiheit, die gesetzlich garantirte Ordnung des Bürgerstaats einem Manne gegenüber haben könne, der den Senat seines Landes mit Bajonnetten auseinandersprengte, der keine Personen, nur Instrumente neben sich duldete, der es, freilich mit unermeßlichem Aufwand von Kraft und Kunst, dahin zu bringen gewußt hatte, daß der Terrorismus seines Willens als einziges Gesetz in einem Lande galt, aus dem die Revolution eben erst auch die letzte Spur einer Achtung vor jeder ausschließlichen Autorität hinweggefegt zu haben schien! Will man die Macht der Stimmung, die sich gedrungen fühlt, dem Helden ein Grabmal zu errichten, durchaus personificiren, so sage man wenigstens nicht, es sey die Freiheit, man sage, es sey die Leidenschaft für den Ruhm, die Bewunderung einer Persönlichkeit, wie als Feldherrn und Staatsmann weder die mittlere noch die neuere Zeit einen ähnlichen geboren. Uebrigens wäre heutzutage jede Polemik über das öffentliche Leben des Kaisers überflüssig und widrig; das Außerordentliche in der ganzen Anlage dieses wunderbaren Menschen, die Macht, die Tiefe, den Umfang seines Genie's wird Niemand verkennen, so wenig wie den kolossalen Mißbrauch dieses Genies in den Beziehungen des Herrschers zu seiner Nation, in den Beziehungen dieser Nation zu den übrigen Europa's. Ihm fehlte vielleicht nur Eins, aber das Höchste, das sittliche Maaß. Daß er der Monk der Revolution nicht werden wollte, verübelt ihm Niemand, aber daß er ihr Cromwell ward, das ist sein Fluch. Sonst erscheint der Wunsch des französischen Volkes, die Asche des Helden, der seine Adler siegreich bis in die entferntesten Winkel des Welttheils trug, zu besitzen, gegründet und natürlich; aber es fragt sich noch, auf welchem Grab eine höhere Poesie für den unbefangenen und gedankenvollen Beobachter ruhe, auf dem einsamen unter den Cypressen Longwoods, oder dem feierlichen, von dem Schwarm einer bewundernden Menge umrauschten zu Paris. Man wird ihn nun bei den Invaliden bestatten, man wird ein Denkmal über seiner Asche errichten, man wird dieses Denkmal betrachten, bekränzen, beschreiben, in Kupfer stechen, die Pariser werden es als Statuette auf ihre Oefen und Comptoirpulte stellen und sich zuletzt satt daran sehen, wie an Allem! Dagegen die einsame Todtenruhe zu St. Helena hatte etwas unnennbar Erschütterndes. Auf einem stillen meerumflutheten Felsen schläft der Mann, der die größten Bewegungen angefacht, Europa's größter Sohn ruht tausende von Meilen von Europa entfernt, der Held entfernt von seinen Gefährten, der Kaiser von seinem Frankreich, der Vater von seinem Kinde, das schon in der Taufe gesalbt wurde zum König von Rom! Diese fortdauernde Verbannung selbst im Tode, mahnt sie euch nicht wie die Vollstreckung eines richtenden Götterspruches? An diesem Grabe stehend, begreift ihr nicht, wie das Heroenalter der Geschichte für immer geschlossen und eine neue Zeit in ihr Recht getreten sey, wo die Strömung des allgemeinen Culturlebens jeden Widerspruch des Einzelnen als etwas Unmächtiges mit sich fortschwemmt? Es gehört zu den Zügen von Cäsars Tod, daß er niedersank an der Säule des Pompejus; und also gehört zu Napoleons Leben das Grab von St. Helena. Die Tragödie, deren Held er gewesen, erhielt hier ihren sichtbaren sinnlichen Abschluß; die Geschichte selbst, diese ernste Göttin, um deren stummen Mund so viel Lehren und Klagen zucken, schien die Todtenwacht an seinem Grabe zu halten. In einer seiner größten Oden hat August Platen diese Eindrücke ergreifend niedergelegt:

"Ein zweiter Cäsar lenkte den Gang der Welt,
-
Ein Sohn der Freiheit; aber uneingedenk
Des edlen Ursprungs, einem Geschlechte sich
Aufopfernd, das ihn wankelmüthig
Heute vergötterte, morgen preisgab.
Nun ist sein Name verpönt; Musik erhöht
Ihn nicht auf Wohllautsfittigen; nur sobald
Dein Grab ein Schiff umsegelt, singen
Müde Matrosen von ihm ein Chorlied!
Napoleon und die Deputirtenkammer.

Die Abstimmung der Kammer vom 26 Mai ist ein Ereigniß. Débats und Gazette erhoben sich mit unverhohlener Schadenfreude gegen das Ministerium, während umgekehrt der Constitutionnel, in der Regel das Organ der plattesten Spießbürgerlichkeit, die Kammer anbellt, die es da gewagt habe, sich von der Bewegung des Nationalenthusiasmus auszuschließen! Die Sache ist einfach diese: Hr. Thiers, der Patron des Constitutionnel, hat eine kleine Schlappe erlitten, und darum zürnen die Unsterblichen. Wir sind indessen weit entfernt, einen Accent auf die politische Bedeutung dieses Votums zu legen; eine Million mehr oder weniger zu einer Milliarde, eine Reiterstatue mehr oder weniger auf den Plätzen von Paris, das sind in der That zu unbedeutende Dinge, um das Ministerium zu erschüttern. Vielleicht aber gewinnt jenes Votum eine desto außerordentlichere Wichtigkeit, wenn man es als ein Zeugniß zur Sittengeschichte des Jahrhunderts betrachtet. Wir gestehen gern, wir hatten es nicht erwartet; nun da es gekommen, begrüßen wir es als einen Fortschritt mit aufrichtigster Freude. Der ritterliche Heroismus der Franzosen entzündet sich rasch und leicht an der äußerlichen Größe der Persönlichkeiten und ihre erregbare Phantasie pflegt sich gern bei dem dramatischen Reiz, bei dem massenhaften Eindruck der geschichtlichen Resultate zu beruhigen. Und vollends Napoleon, der Mann, der sein Zeitalter erfüllte, mit Einem Worte der „Kaiser“! Schon sein Name übt eine elektrische Macht über die Geister, der tragische Abschluß seines Lebens hat auch die Gegner versöhnt, sein Cultus ist eine Nationalleidenschaft Frankreichs geworden. Und gleichwohl wagt die Kammer, die Ueberschwänglichkeit dieses Enthusiasmus mit ernster Mäßigung zu zügeln, und mehrere ihrer Stimmführer erinnern unbekümmert um ihre Popularität daran, wie die kaiserliche Herrschaft nach innen im Grunde nur eine glänzende Despotie gewesen sey, für die jeder Ausdruck von Theilnahme von den Gesetzgebern eines freien Landes abgelehnt werden müsse. Ermessen Sie an dieser Thatsache, welche tiefe Wurzeln die neue Ordnung der Dinge schon in Frankreich geschlagen habe, und daß wenn auch noch vorerst nicht in den Massen, so doch allmählich in den höherbegabten Geistern, von denen zuletzt die geschichtliche Bewegung ausgehen wird, sich eine durchaus achtungswürdige Besonnenheit des Urtheils, ein gediegenes Begreifen und Festhalten der sittlichen Grundlagen des Staats Bahn zu brechen beginne. Die Kammer hat hier einen höheren Standpunkt eingenommen, einen größern, vorausschauendern Blick bewährt, als die Presse; noch einmal ihre Abstimmung ist ein Ereigniß.

Zwar hat Marschall Clauzel unter andern Ausbrüchen eines verspäteten Bonapartismus gesagt: es gebühre der Freiheit vor allen Dingen gerecht zu seyn gegen den Ruhm. Das ist eine Phrase und nichts weiter. Ernsthaft gesprochen würde es schwer einzusehen seyn, welche Pflichten die Freiheit, die gesetzlich garantirte Ordnung des Bürgerstaats einem Manne gegenüber haben könne, der den Senat seines Landes mit Bajonnetten auseinandersprengte, der keine Personen, nur Instrumente neben sich duldete, der es, freilich mit unermeßlichem Aufwand von Kraft und Kunst, dahin zu bringen gewußt hatte, daß der Terrorismus seines Willens als einziges Gesetz in einem Lande galt, aus dem die Revolution eben erst auch die letzte Spur einer Achtung vor jeder ausschließlichen Autorität hinweggefegt zu haben schien! Will man die Macht der Stimmung, die sich gedrungen fühlt, dem Helden ein Grabmal zu errichten, durchaus personificiren, so sage man wenigstens nicht, es sey die Freiheit, man sage, es sey die Leidenschaft für den Ruhm, die Bewunderung einer Persönlichkeit, wie als Feldherrn und Staatsmann weder die mittlere noch die neuere Zeit einen ähnlichen geboren. Uebrigens wäre heutzutage jede Polemik über das öffentliche Leben des Kaisers überflüssig und widrig; das Außerordentliche in der ganzen Anlage dieses wunderbaren Menschen, die Macht, die Tiefe, den Umfang seines Genie's wird Niemand verkennen, so wenig wie den kolossalen Mißbrauch dieses Genies in den Beziehungen des Herrschers zu seiner Nation, in den Beziehungen dieser Nation zu den übrigen Europa's. Ihm fehlte vielleicht nur Eins, aber das Höchste, das sittliche Maaß. Daß er der Monk der Revolution nicht werden wollte, verübelt ihm Niemand, aber daß er ihr Cromwell ward, das ist sein Fluch. Sonst erscheint der Wunsch des französischen Volkes, die Asche des Helden, der seine Adler siegreich bis in die entferntesten Winkel des Welttheils trug, zu besitzen, gegründet und natürlich; aber es fragt sich noch, auf welchem Grab eine höhere Poesie für den unbefangenen und gedankenvollen Beobachter ruhe, auf dem einsamen unter den Cypressen Longwoods, oder dem feierlichen, von dem Schwarm einer bewundernden Menge umrauschten zu Paris. Man wird ihn nun bei den Invaliden bestatten, man wird ein Denkmal über seiner Asche errichten, man wird dieses Denkmal betrachten, bekränzen, beschreiben, in Kupfer stechen, die Pariser werden es als Statuette auf ihre Oefen und Comptoirpulte stellen und sich zuletzt satt daran sehen, wie an Allem! Dagegen die einsame Todtenruhe zu St. Helena hatte etwas unnennbar Erschütterndes. Auf einem stillen meerumflutheten Felsen schläft der Mann, der die größten Bewegungen angefacht, Europa's größter Sohn ruht tausende von Meilen von Europa entfernt, der Held entfernt von seinen Gefährten, der Kaiser von seinem Frankreich, der Vater von seinem Kinde, das schon in der Taufe gesalbt wurde zum König von Rom! Diese fortdauernde Verbannung selbst im Tode, mahnt sie euch nicht wie die Vollstreckung eines richtenden Götterspruches? An diesem Grabe stehend, begreift ihr nicht, wie das Heroenalter der Geschichte für immer geschlossen und eine neue Zeit in ihr Recht getreten sey, wo die Strömung des allgemeinen Culturlebens jeden Widerspruch des Einzelnen als etwas Unmächtiges mit sich fortschwemmt? Es gehört zu den Zügen von Cäsars Tod, daß er niedersank an der Säule des Pompejus; und also gehört zu Napoleons Leben das Grab von St. Helena. Die Tragödie, deren Held er gewesen, erhielt hier ihren sichtbaren sinnlichen Abschluß; die Geschichte selbst, diese ernste Göttin, um deren stummen Mund so viel Lehren und Klagen zucken, schien die Todtenwacht an seinem Grabe zu halten. In einer seiner größten Oden hat August Platen diese Eindrücke ergreifend niedergelegt:

„Ein zweiter Cäsar lenkte den Gang der Welt,

Ein Sohn der Freiheit; aber uneingedenk
Des edlen Ursprungs, einem Geschlechte sich
Aufopfernd, das ihn wankelmüthig
Heute vergötterte, morgen preisgab.
Nun ist sein Name verpönt; Musik erhöht
Ihn nicht auf Wohllautsfittigen; nur sobald
Dein Grab ein Schiff umsegelt, singen
Müde Matrosen von ihm ein Chorlied!
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          <p>Zwar hat Marschall Clauzel unter andern Ausbrüchen eines verspäteten Bonapartismus gesagt: es gebühre der Freiheit vor allen Dingen gerecht zu seyn gegen den Ruhm. Das ist eine Phrase und nichts weiter. Ernsthaft gesprochen würde es schwer einzusehen seyn, welche Pflichten die Freiheit, die gesetzlich garantirte Ordnung des Bürgerstaats einem Manne gegenüber haben könne, der den Senat seines Landes mit Bajonnetten auseinandersprengte, der keine Personen, nur Instrumente neben sich duldete, der es, freilich mit unermeßlichem Aufwand von Kraft und Kunst, dahin zu bringen gewußt hatte, daß der Terrorismus seines Willens als einziges Gesetz in einem Lande galt, aus dem die Revolution eben erst auch die letzte Spur einer Achtung vor jeder ausschließlichen Autorität hinweggefegt zu haben schien! Will man die Macht der Stimmung, die sich gedrungen fühlt, dem Helden ein Grabmal zu errichten, durchaus personificiren, so sage man wenigstens nicht, es sey die Freiheit, man sage, es sey die Leidenschaft für den Ruhm, die Bewunderung einer Persönlichkeit, wie als Feldherrn und Staatsmann weder die mittlere noch die neuere Zeit einen ähnlichen geboren. Uebrigens wäre heutzutage jede Polemik über das öffentliche Leben des Kaisers überflüssig und widrig; das Außerordentliche in der ganzen Anlage dieses wunderbaren Menschen, die Macht, die Tiefe, den Umfang seines Genie's wird Niemand verkennen, so wenig wie den kolossalen Mißbrauch dieses Genies in den Beziehungen des Herrschers zu seiner Nation, in den Beziehungen dieser Nation zu den übrigen Europa's. Ihm fehlte vielleicht nur Eins, aber das Höchste, das sittliche Maaß. Daß er der Monk der Revolution nicht werden wollte, verübelt ihm Niemand, aber daß er ihr Cromwell ward, das ist sein Fluch. Sonst erscheint der Wunsch des französischen Volkes, die Asche des Helden, der seine Adler siegreich bis in die entferntesten Winkel des Welttheils trug, zu besitzen, gegründet und natürlich; aber es fragt sich noch, auf welchem Grab eine höhere Poesie für den unbefangenen und gedankenvollen Beobachter ruhe, auf dem einsamen unter den Cypressen Longwoods, oder dem feierlichen, von dem Schwarm einer bewundernden Menge umrauschten zu Paris. Man wird ihn nun bei den Invaliden bestatten, man wird ein Denkmal über seiner Asche errichten, man wird dieses Denkmal betrachten, bekränzen, beschreiben, in Kupfer stechen, die Pariser werden es als Statuette auf ihre Oefen und Comptoirpulte stellen und sich zuletzt satt daran sehen, wie an Allem! Dagegen die einsame Todtenruhe zu St. Helena hatte etwas unnennbar Erschütterndes. Auf einem stillen meerumflutheten Felsen schläft der Mann, der die größten Bewegungen angefacht, Europa's größter Sohn ruht tausende von Meilen von Europa entfernt, der Held entfernt von seinen Gefährten, der Kaiser von seinem Frankreich, der Vater von seinem Kinde, das schon in der Taufe gesalbt wurde zum König von Rom! Diese fortdauernde Verbannung selbst im Tode, mahnt sie euch nicht wie die Vollstreckung eines richtenden Götterspruches? An diesem Grabe stehend, begreift ihr nicht, wie das Heroenalter der Geschichte für immer geschlossen und eine neue Zeit in ihr Recht getreten sey, wo die Strömung des allgemeinen Culturlebens jeden Widerspruch des Einzelnen als etwas Unmächtiges mit sich fortschwemmt? Es gehört zu den Zügen von Cäsars Tod, daß er niedersank an der Säule des Pompejus; und also gehört zu Napoleons Leben das Grab von St. Helena. Die Tragödie, deren Held er gewesen, erhielt hier ihren sichtbaren sinnlichen Abschluß; die Geschichte selbst, diese ernste Göttin, um deren stummen Mund so viel Lehren und Klagen zucken, schien die Todtenwacht an seinem Grabe zu halten. In einer seiner größten Oden hat August Platen diese Eindrücke ergreifend niedergelegt:</p><lb/>
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[1321/0009] Napoleon und die Deputirtenkammer. _ Vom Rhein, 4 Jun. Die Abstimmung der Kammer vom 26 Mai ist ein Ereigniß. Débats und Gazette erhoben sich mit unverhohlener Schadenfreude gegen das Ministerium, während umgekehrt der Constitutionnel, in der Regel das Organ der plattesten Spießbürgerlichkeit, die Kammer anbellt, die es da gewagt habe, sich von der Bewegung des Nationalenthusiasmus auszuschließen! Die Sache ist einfach diese: Hr. Thiers, der Patron des Constitutionnel, hat eine kleine Schlappe erlitten, und darum zürnen die Unsterblichen. Wir sind indessen weit entfernt, einen Accent auf die politische Bedeutung dieses Votums zu legen; eine Million mehr oder weniger zu einer Milliarde, eine Reiterstatue mehr oder weniger auf den Plätzen von Paris, das sind in der That zu unbedeutende Dinge, um das Ministerium zu erschüttern. Vielleicht aber gewinnt jenes Votum eine desto außerordentlichere Wichtigkeit, wenn man es als ein Zeugniß zur Sittengeschichte des Jahrhunderts betrachtet. Wir gestehen gern, wir hatten es nicht erwartet; nun da es gekommen, begrüßen wir es als einen Fortschritt mit aufrichtigster Freude. Der ritterliche Heroismus der Franzosen entzündet sich rasch und leicht an der äußerlichen Größe der Persönlichkeiten und ihre erregbare Phantasie pflegt sich gern bei dem dramatischen Reiz, bei dem massenhaften Eindruck der geschichtlichen Resultate zu beruhigen. Und vollends Napoleon, der Mann, der sein Zeitalter erfüllte, mit Einem Worte der „Kaiser“! Schon sein Name übt eine elektrische Macht über die Geister, der tragische Abschluß seines Lebens hat auch die Gegner versöhnt, sein Cultus ist eine Nationalleidenschaft Frankreichs geworden. Und gleichwohl wagt die Kammer, die Ueberschwänglichkeit dieses Enthusiasmus mit ernster Mäßigung zu zügeln, und mehrere ihrer Stimmführer erinnern unbekümmert um ihre Popularität daran, wie die kaiserliche Herrschaft nach innen im Grunde nur eine glänzende Despotie gewesen sey, für die jeder Ausdruck von Theilnahme von den Gesetzgebern eines freien Landes abgelehnt werden müsse. Ermessen Sie an dieser Thatsache, welche tiefe Wurzeln die neue Ordnung der Dinge schon in Frankreich geschlagen habe, und daß wenn auch noch vorerst nicht in den Massen, so doch allmählich in den höherbegabten Geistern, von denen zuletzt die geschichtliche Bewegung ausgehen wird, sich eine durchaus achtungswürdige Besonnenheit des Urtheils, ein gediegenes Begreifen und Festhalten der sittlichen Grundlagen des Staats Bahn zu brechen beginne. Die Kammer hat hier einen höheren Standpunkt eingenommen, einen größern, vorausschauendern Blick bewährt, als die Presse; noch einmal ihre Abstimmung ist ein Ereigniß. Zwar hat Marschall Clauzel unter andern Ausbrüchen eines verspäteten Bonapartismus gesagt: es gebühre der Freiheit vor allen Dingen gerecht zu seyn gegen den Ruhm. Das ist eine Phrase und nichts weiter. Ernsthaft gesprochen würde es schwer einzusehen seyn, welche Pflichten die Freiheit, die gesetzlich garantirte Ordnung des Bürgerstaats einem Manne gegenüber haben könne, der den Senat seines Landes mit Bajonnetten auseinandersprengte, der keine Personen, nur Instrumente neben sich duldete, der es, freilich mit unermeßlichem Aufwand von Kraft und Kunst, dahin zu bringen gewußt hatte, daß der Terrorismus seines Willens als einziges Gesetz in einem Lande galt, aus dem die Revolution eben erst auch die letzte Spur einer Achtung vor jeder ausschließlichen Autorität hinweggefegt zu haben schien! Will man die Macht der Stimmung, die sich gedrungen fühlt, dem Helden ein Grabmal zu errichten, durchaus personificiren, so sage man wenigstens nicht, es sey die Freiheit, man sage, es sey die Leidenschaft für den Ruhm, die Bewunderung einer Persönlichkeit, wie als Feldherrn und Staatsmann weder die mittlere noch die neuere Zeit einen ähnlichen geboren. Uebrigens wäre heutzutage jede Polemik über das öffentliche Leben des Kaisers überflüssig und widrig; das Außerordentliche in der ganzen Anlage dieses wunderbaren Menschen, die Macht, die Tiefe, den Umfang seines Genie's wird Niemand verkennen, so wenig wie den kolossalen Mißbrauch dieses Genies in den Beziehungen des Herrschers zu seiner Nation, in den Beziehungen dieser Nation zu den übrigen Europa's. Ihm fehlte vielleicht nur Eins, aber das Höchste, das sittliche Maaß. Daß er der Monk der Revolution nicht werden wollte, verübelt ihm Niemand, aber daß er ihr Cromwell ward, das ist sein Fluch. Sonst erscheint der Wunsch des französischen Volkes, die Asche des Helden, der seine Adler siegreich bis in die entferntesten Winkel des Welttheils trug, zu besitzen, gegründet und natürlich; aber es fragt sich noch, auf welchem Grab eine höhere Poesie für den unbefangenen und gedankenvollen Beobachter ruhe, auf dem einsamen unter den Cypressen Longwoods, oder dem feierlichen, von dem Schwarm einer bewundernden Menge umrauschten zu Paris. Man wird ihn nun bei den Invaliden bestatten, man wird ein Denkmal über seiner Asche errichten, man wird dieses Denkmal betrachten, bekränzen, beschreiben, in Kupfer stechen, die Pariser werden es als Statuette auf ihre Oefen und Comptoirpulte stellen und sich zuletzt satt daran sehen, wie an Allem! Dagegen die einsame Todtenruhe zu St. Helena hatte etwas unnennbar Erschütterndes. Auf einem stillen meerumflutheten Felsen schläft der Mann, der die größten Bewegungen angefacht, Europa's größter Sohn ruht tausende von Meilen von Europa entfernt, der Held entfernt von seinen Gefährten, der Kaiser von seinem Frankreich, der Vater von seinem Kinde, das schon in der Taufe gesalbt wurde zum König von Rom! Diese fortdauernde Verbannung selbst im Tode, mahnt sie euch nicht wie die Vollstreckung eines richtenden Götterspruches? An diesem Grabe stehend, begreift ihr nicht, wie das Heroenalter der Geschichte für immer geschlossen und eine neue Zeit in ihr Recht getreten sey, wo die Strömung des allgemeinen Culturlebens jeden Widerspruch des Einzelnen als etwas Unmächtiges mit sich fortschwemmt? Es gehört zu den Zügen von Cäsars Tod, daß er niedersank an der Säule des Pompejus; und also gehört zu Napoleons Leben das Grab von St. Helena. Die Tragödie, deren Held er gewesen, erhielt hier ihren sichtbaren sinnlichen Abschluß; die Geschichte selbst, diese ernste Göttin, um deren stummen Mund so viel Lehren und Klagen zucken, schien die Todtenwacht an seinem Grabe zu halten. In einer seiner größten Oden hat August Platen diese Eindrücke ergreifend niedergelegt: „Ein zweiter Cäsar lenkte den Gang der Welt, – Ein Sohn der Freiheit; aber uneingedenk Des edlen Ursprungs, einem Geschlechte sich Aufopfernd, das ihn wankelmüthig Heute vergötterte, morgen preisgab. Nun ist sein Name verpönt; Musik erhöht Ihn nicht auf Wohllautsfittigen; nur sobald Dein Grab ein Schiff umsegelt, singen Müde Matrosen von ihm ein Chorlied!

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 166. Augsburg, 14. Juni 1840, S. 1321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_166_18400614/9>, abgerufen am 24.11.2024.