Allgemeine Zeitung. Nr. 153. Augsburg, 1. Juni 1840.Es durchkreuzen sich die Meinungen über die Beweggründe, die den Sultan vermochten, seinen eigenen Schwager von sich zu entfernen. Man kann nur schwer glauben, daß Halil Pascha sich in Einverständnisse mit dem Vicekönig eingelassen haben, oder daß er plötzlich ein Anhänger des alten Systems, ein Feind der Reformen geworden seyn soll. Die Anhänger des Alten, so ist die Meinung von eingeweihten Personen, haben einen der Triumvirn gestürzt. Chosrew und Reschid Pascha werden ihm bald folgen; die Cabale ist mit Dunkel umschleiert, aber bereits in Gang, und die mächtigsten Personen scheinen ihre Rollen dabei zu haben. Ich wage nichts mit Bestimmtheit darüber zu sagen, und bedaure nur mit der ganzen ottomanischen Armee den Verlust eines Mannes, der schon als Jüngling (in den Jahren 1828 und 1829) an allen bedeutenden Schlachten gegen die Russen mit so ausgezeichnetem Ruhm Theil genommen. Durch seine persönliche Tapferkeit und seinen ritterlichen Sinn erwarb er sich die Liebe Mahmuds, in der Armee einen unglaublichen Anhang, und in dieser Rücksicht erscheint seine Dimission als eine unkluge Maaßregel, denn Halil Pascha könnte dem Sultan der gefährlichste Feind werden. - Die zwei Sultaninnen, die in der letzten Woche entbunden worden, sind bald nach ihrer Niederkunft gestorben. Der nach orientalischer Sitte der Sultana-Valide zugestandene Einfluß auf die Staatsgeschäfte war bedroht, da eben diese Sitte auch den Frauen des Sultans, die ihn mit Nachkommenschaft beglücken, directe oder indirecte Einwirkung auf die Regierungshandlungen des Padischahs verleiht. Beide sollen unter verdächtigen Symptomen verschieden seyn. - Der abgesetzte Pascha von Nicomedien, Akif, ist plötzlich verschwunden. Man glaubt, er habe seinen Weg nach Aegypten eingeschlagen, obgleich gut unterrichtete Personen mir versicherten, der Pascha sey des Hochverraths überwiesen und hingerichtet worden. Dieß schnelle heimliche Verfahren würde sich schlecht mit den Kundmachungen von Gülhaneh vereinigen lassen. - Neuerdings soll auf Rhodus ein griechischer Knabe verschwunden seyn; auch dort beginnt mit neuer Wuth die Verfolgung der Juden durch die Christen. Gott behüte, daß wir die Gräuel von Damaskus auf Rhodus erneuert sehen. Es durchkreuzen sich die Meinungen über die Beweggründe, die den Sultan vermochten, seinen eigenen Schwager von sich zu entfernen. Man kann nur schwer glauben, daß Halil Pascha sich in Einverständnisse mit dem Vicekönig eingelassen haben, oder daß er plötzlich ein Anhänger des alten Systems, ein Feind der Reformen geworden seyn soll. Die Anhänger des Alten, so ist die Meinung von eingeweihten Personen, haben einen der Triumvirn gestürzt. Chosrew und Reschid Pascha werden ihm bald folgen; die Cabale ist mit Dunkel umschleiert, aber bereits in Gang, und die mächtigsten Personen scheinen ihre Rollen dabei zu haben. Ich wage nichts mit Bestimmtheit darüber zu sagen, und bedaure nur mit der ganzen ottomanischen Armee den Verlust eines Mannes, der schon als Jüngling (in den Jahren 1828 und 1829) an allen bedeutenden Schlachten gegen die Russen mit so ausgezeichnetem Ruhm Theil genommen. Durch seine persönliche Tapferkeit und seinen ritterlichen Sinn erwarb er sich die Liebe Mahmuds, in der Armee einen unglaublichen Anhang, und in dieser Rücksicht erscheint seine Dimission als eine unkluge Maaßregel, denn Halil Pascha könnte dem Sultan der gefährlichste Feind werden. – Die zwei Sultaninnen, die in der letzten Woche entbunden worden, sind bald nach ihrer Niederkunft gestorben. Der nach orientalischer Sitte der Sultana-Valide zugestandene Einfluß auf die Staatsgeschäfte war bedroht, da eben diese Sitte auch den Frauen des Sultans, die ihn mit Nachkommenschaft beglücken, directe oder indirecte Einwirkung auf die Regierungshandlungen des Padischahs verleiht. Beide sollen unter verdächtigen Symptomen verschieden seyn. – Der abgesetzte Pascha von Nicomedien, Akif, ist plötzlich verschwunden. Man glaubt, er habe seinen Weg nach Aegypten eingeschlagen, obgleich gut unterrichtete Personen mir versicherten, der Pascha sey des Hochverraths überwiesen und hingerichtet worden. Dieß schnelle heimliche Verfahren würde sich schlecht mit den Kundmachungen von Gülhaneh vereinigen lassen. – Neuerdings soll auf Rhodus ein griechischer Knabe verschwunden seyn; auch dort beginnt mit neuer Wuth die Verfolgung der Juden durch die Christen. Gott behüte, daß wir die Gräuel von Damaskus auf Rhodus erneuert sehen. <TEI> <text> <body> <div type="jArticle" n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0008" n="1224"/> Es durchkreuzen sich die Meinungen über die Beweggründe, die den Sultan vermochten, seinen eigenen Schwager von sich zu entfernen. Man kann nur schwer glauben, daß Halil Pascha sich in Einverständnisse mit dem Vicekönig eingelassen haben, oder daß er plötzlich ein Anhänger des alten Systems, ein Feind der Reformen geworden seyn soll. Die Anhänger des Alten, so ist die Meinung von eingeweihten Personen, haben einen der Triumvirn gestürzt. Chosrew und Reschid Pascha werden ihm bald folgen; die Cabale ist mit Dunkel umschleiert, aber bereits in Gang, und die mächtigsten Personen scheinen ihre Rollen dabei zu haben. Ich wage nichts mit Bestimmtheit darüber zu sagen, und bedaure nur mit der ganzen ottomanischen Armee den Verlust eines Mannes, der schon als Jüngling (in den Jahren 1828 und 1829) an allen bedeutenden Schlachten gegen die Russen mit so ausgezeichnetem Ruhm Theil genommen. Durch seine persönliche Tapferkeit und seinen ritterlichen Sinn erwarb er sich die Liebe Mahmuds, in der Armee einen unglaublichen Anhang, und in dieser Rücksicht erscheint seine Dimission als eine unkluge Maaßregel, denn Halil Pascha könnte dem Sultan der gefährlichste Feind werden. – Die zwei Sultaninnen, die in der letzten Woche entbunden worden, sind bald nach ihrer Niederkunft gestorben. Der nach orientalischer Sitte der Sultana-Valide zugestandene Einfluß auf die Staatsgeschäfte war bedroht, da eben diese Sitte auch den Frauen des Sultans, die ihn mit Nachkommenschaft beglücken, directe oder indirecte Einwirkung auf die Regierungshandlungen des Padischahs verleiht. Beide sollen unter verdächtigen Symptomen verschieden seyn. – Der abgesetzte Pascha von Nicomedien, Akif, ist plötzlich verschwunden. Man glaubt, er habe seinen Weg nach Aegypten eingeschlagen, obgleich gut unterrichtete Personen mir versicherten, der Pascha sey des Hochverraths überwiesen und hingerichtet worden. Dieß schnelle heimliche Verfahren würde sich schlecht mit den Kundmachungen von Gülhaneh vereinigen lassen. – Neuerdings soll auf Rhodus ein griechischer Knabe verschwunden seyn; auch dort beginnt mit neuer Wuth die Verfolgung der Juden durch die Christen. Gott behüte, daß wir die Gräuel von Damaskus auf Rhodus erneuert sehen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1224/0008]
Es durchkreuzen sich die Meinungen über die Beweggründe, die den Sultan vermochten, seinen eigenen Schwager von sich zu entfernen. Man kann nur schwer glauben, daß Halil Pascha sich in Einverständnisse mit dem Vicekönig eingelassen haben, oder daß er plötzlich ein Anhänger des alten Systems, ein Feind der Reformen geworden seyn soll. Die Anhänger des Alten, so ist die Meinung von eingeweihten Personen, haben einen der Triumvirn gestürzt. Chosrew und Reschid Pascha werden ihm bald folgen; die Cabale ist mit Dunkel umschleiert, aber bereits in Gang, und die mächtigsten Personen scheinen ihre Rollen dabei zu haben. Ich wage nichts mit Bestimmtheit darüber zu sagen, und bedaure nur mit der ganzen ottomanischen Armee den Verlust eines Mannes, der schon als Jüngling (in den Jahren 1828 und 1829) an allen bedeutenden Schlachten gegen die Russen mit so ausgezeichnetem Ruhm Theil genommen. Durch seine persönliche Tapferkeit und seinen ritterlichen Sinn erwarb er sich die Liebe Mahmuds, in der Armee einen unglaublichen Anhang, und in dieser Rücksicht erscheint seine Dimission als eine unkluge Maaßregel, denn Halil Pascha könnte dem Sultan der gefährlichste Feind werden. – Die zwei Sultaninnen, die in der letzten Woche entbunden worden, sind bald nach ihrer Niederkunft gestorben. Der nach orientalischer Sitte der Sultana-Valide zugestandene Einfluß auf die Staatsgeschäfte war bedroht, da eben diese Sitte auch den Frauen des Sultans, die ihn mit Nachkommenschaft beglücken, directe oder indirecte Einwirkung auf die Regierungshandlungen des Padischahs verleiht. Beide sollen unter verdächtigen Symptomen verschieden seyn. – Der abgesetzte Pascha von Nicomedien, Akif, ist plötzlich verschwunden. Man glaubt, er habe seinen Weg nach Aegypten eingeschlagen, obgleich gut unterrichtete Personen mir versicherten, der Pascha sey des Hochverraths überwiesen und hingerichtet worden. Dieß schnelle heimliche Verfahren würde sich schlecht mit den Kundmachungen von Gülhaneh vereinigen lassen. – Neuerdings soll auf Rhodus ein griechischer Knabe verschwunden seyn; auch dort beginnt mit neuer Wuth die Verfolgung der Juden durch die Christen. Gott behüte, daß wir die Gräuel von Damaskus auf Rhodus erneuert sehen.
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Zitationshilfe: | Allgemeine Zeitung. Nr. 153. Augsburg, 1. Juni 1840, S. 1224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_153_18400601/8>, abgerufen am 27.07.2024. |