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Allgemeine Zeitung. Nr. 149. Augsburg, 28. Mai 1840.

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Deutsche Emigranten nach englischen Colonien.

Nach dem Plan von Lord John Russell soll das System der Transportation von Sträflingen nach Australien vom 1 August an dahin abgeändert werden, daß sie nicht mehr nach Neusüdwales und Vandiemensland geschickt und dort an die Colonisten in Dienst gegeben werden, sondern sie sollen nach der Insel Norfolk und auf die Halbinsel Tasman in Vandiemensland geschickt werden, um dort nach Weise der französischen Galeeren zu gezwungener Arbeit verwendet zu werden. Vier Jahre Galeerenstrafe sollen als sieben Jahren bisheriger Transportation gleich angesehen werden, und die Sträflinge nach erstandener Zeit in Freiheit seyn, sich in den australischen Colonien niederzulassen. Der Plan erregt große Opposition; aber was auch sein Schicksal seyn mag, so viel ist gewiß, daß das gegenwärtige System abgeschafft wird, was das schon jetzt existirende große Bedürfniß von Arbeitern in den bisherigen Strafcolonien noch erhöhen wird. Dieß ist von nicht unbedeutendem Interesse für Deutschland, und eine Sache, welche aller Ueberlegung werth ist, weil sich auf allen Seiten Symptome zeigen, daß sich die englischen Colonien in allen Welttheilen in kurzer Zeit an Deutschland wenden werden, um Emigranten zu erhalten. Die Abschaffung der Sklaverei, die der Strafcolonien, die plötzliche Gründung ausgedehnter Colonien in Südaustralien, Port Philip, Nordaustralien und Neuseeland, die Auswanderung der holländischen Bauern aus der Capcolonie und eine Menge kleinerer Umstände verbunden, haben auf Einmal ein bisher unerhörtes Bedürfniß von Arbeit in einem großen Theile der Welt erregt. Entschieden hat die englische Colonialadministration sich gegen alle Maaßregeln gesetzt, welche die alten und neuen Colonien vorschlugen, um sich Arbeiter aus England zu verschaffen. Die Bureaux des Ministeriums der Colonien - oder, um es bei seinem rechten Namen zu nennen, der Unterstaatssecretär Stephen, welcher alle Geschäfte in der Hand hat, weil er seit undenklicher Zeit bei dem Ministerium ist, während in den neun letzten Jahren acht Colonialminister auf einander gefolgt sind - wollen nichts von den neuen Emigrationsplanen hören: Hr. Stephen hat die Anerkennung der englischen Souveränetät von Neuseeland verhindert, weigert sich noch heute, mit der neuseeländischen Colonialgesellschaft irgend zu thun zu haben, hat das Cap und Westindien aus der Liste der Colonien gestrichen, auf welche hin die Auswanderung gerichtet werden könne, und daher sehen sich die Colonien und Colonisationsgesellschaften nach Emigranten aus fremden Ländern um, die westindischen um Neger und Hindus, die australischen und das Cap um Deutsche. Der Colonialrath von Neusüdwales hat am 20 November einen ausführlichen Bericht erstattet, in welchem er vorstellt, daß die englische Regierung den Fonds, der aus verkauftem Land herkommt, und der allein zu Beförderung der Emigration in die Colonie verwendet werden sollte, zu den gewöhnlichen Bedürfnissen der Colonie verwende, daß aber der Zufluß von Emigranten unentbehrlich sey, um die Colonie in ihrem Wohlstand zu erhalten, daß daher die Colonie für das Jahr 1840 Schuldscheine zum Belauf von 125,000 Pf. St. creiren solle, für deren Zinsen und Amortissement die Casse der Colonie sorgen werde, und daß so fortgefahren werden soll, bis die Zinsen und das Amortissement 100,000 Pf. St. jährlich erreichen, in welcher Zeit zu hoffen sey, daß der Wohlstand der Colonie so gestiegen seyn werde, daß die gewöhnlichen Einkünfte nicht nur für den Betrag der Zinsen und der Ablösung der Colonialschuld, sondern für die fortdauernde Begünstigung der Einfuhr von neuen Emigranten hinreiche. Ein Journal in Sidney gibt dazu den nöthigen Commentar, indem es sagt, daß, wenn England sich billig gegen die Colonie betragen hätte, es die Pflicht der letztern gewesen seyn würde, sich ausschließend an England um Arbeiter zu wenden; da es aber die Colonie nöthige, sich neben dem Ertrag des Länderverkaufs noch besonders zu besteuern, so habe sie keinen Grund, sich auf England zu beschränken, sondern müsse Emigranten suchen, wo man die besten finde, und dieß sey in Deutschland. Deutsche seyen durch ihre Stätigkeit, Mäßigkeit, ihre Erziehung und Genügsamkeit die besten Colonisten in der Welt, wie man täglich in Amerika sehe, und als Schäfer, Bauern und Handwerker allen andern vorzuziehen. Ein anderes Journal (der Sidney Herald) bemerkt aus Gelegenheit einer Petition von J. Macarthus, in welcher er gegen das Verbot von Weindestillerien protestirt, daß die Colonie nur deutsche Weingärtner einzuführen brauche, um bald Wein jeder Qualität hervorzubringen. Die öffentliche Stimme in Vandiemensland ist dieselbe; aus Süd- und Westaustralien hört man von nichts als Planen, die Zahl der Emigranten zu vermehren, und in der Capcolonie ist es dasselbe. Dort sind seit 18 Monaten 60,000 Sklaven und Hottentotten emancipirt worden und 12,000 holländische Bauern in die Kafferei emigrirt, daher überall laute Klagen über Mangel an Händen, über wüst liegendes Land u. s. w. Das Cap wird neuerer Zeit ein Land der Wollproduction, und das einheimische grobhaarige Schaf wird überall mit feinwolligen Merinos ersetzt. Die Wollausfuhr im Jahr 1816 war 9623 Pfund; im Jahr 1828 war sie erst auf 29,326 Pf. gestiegen; im Jahr 1839 betrug sie 422,506 Pf. und im letzten Jahr über 600,000 Pf.; daher braucht man sorgfältigere Schäfer als bisher. Der Colonialrath hat sich in seinen Sitzungen vom Januar bis zum März mit fast nichts beschäftigt als den Klagen über Mangel an Arbeitern, und in der Capstadt sind viele öffentliche Versammlungen gehalten worden, um die Regierung um Emigranten zu petitioniren.

Von den energischen Versuchen aller westindischen Inseln, sich Arbeiter zu verschaffen, habe ich Ihnen schon mehreremal geschrieben. Es ist überall dieselbe Bewegung; es ist gar nicht zu zweifeln, daß ihre Wirkungen nächstens Deutschland nahe berühren werden, und daher der Mühe wohl werth, darauf vorbereitet zu seyn; denn es wird nicht lange währen, bis Werber aus allen Weltstrichen sich in den deutschen Häfen einfinden werden, um den Emigranten freie Ueberfahrt in die Colonien anzubieten und goldene Berge zu versprechen. Vor Einem und dem größten Uebel dabei hat die Humanität des englischen Gesetzes die Emigranten bewahrt: nämlich kein Contract über Dienst, der vor der Ankunft in einer Colonie abgeschlossen ist, ist gültig. Aber es ist noch viel zu bedenken: Klima, die Bewohner, der Werth des Geldes in jeder Colonie. Fast jede hat ihre eigenen Nachtheile: Westindien hat ein für Nordländer tödtliches Klima, auf dem Cap ist die Bevölkerung sehr gemischt und großentheils barbarisch, sie besteht aus 90,000 Weißen, großentheils rohen holländischen Bauern, 60,000 Hottentotten und 15,000 Kaffern, dazu Neger, Buschmänner und Mulatten aller Art und Farbe; der Arbeitslohn ist nicht sehr hoch, das Klima gesund, aber unstät; in Neusüdwales und Vandiemensland werden die Reste der Strafanstalten und die Masse der aus wirklichen oder ehemaligen Verbrechern bestehenden

Deutsche Emigranten nach englischen Colonien.

Nach dem Plan von Lord John Russell soll das System der Transportation von Sträflingen nach Australien vom 1 August an dahin abgeändert werden, daß sie nicht mehr nach Neusüdwales und Vandiemensland geschickt und dort an die Colonisten in Dienst gegeben werden, sondern sie sollen nach der Insel Norfolk und auf die Halbinsel Tasman in Vandiemensland geschickt werden, um dort nach Weise der französischen Galeeren zu gezwungener Arbeit verwendet zu werden. Vier Jahre Galeerenstrafe sollen als sieben Jahren bisheriger Transportation gleich angesehen werden, und die Sträflinge nach erstandener Zeit in Freiheit seyn, sich in den australischen Colonien niederzulassen. Der Plan erregt große Opposition; aber was auch sein Schicksal seyn mag, so viel ist gewiß, daß das gegenwärtige System abgeschafft wird, was das schon jetzt existirende große Bedürfniß von Arbeitern in den bisherigen Strafcolonien noch erhöhen wird. Dieß ist von nicht unbedeutendem Interesse für Deutschland, und eine Sache, welche aller Ueberlegung werth ist, weil sich auf allen Seiten Symptome zeigen, daß sich die englischen Colonien in allen Welttheilen in kurzer Zeit an Deutschland wenden werden, um Emigranten zu erhalten. Die Abschaffung der Sklaverei, die der Strafcolonien, die plötzliche Gründung ausgedehnter Colonien in Südaustralien, Port Philip, Nordaustralien und Neuseeland, die Auswanderung der holländischen Bauern aus der Capcolonie und eine Menge kleinerer Umstände verbunden, haben auf Einmal ein bisher unerhörtes Bedürfniß von Arbeit in einem großen Theile der Welt erregt. Entschieden hat die englische Colonialadministration sich gegen alle Maaßregeln gesetzt, welche die alten und neuen Colonien vorschlugen, um sich Arbeiter aus England zu verschaffen. Die Bureaux des Ministeriums der Colonien – oder, um es bei seinem rechten Namen zu nennen, der Unterstaatssecretär Stephen, welcher alle Geschäfte in der Hand hat, weil er seit undenklicher Zeit bei dem Ministerium ist, während in den neun letzten Jahren acht Colonialminister auf einander gefolgt sind – wollen nichts von den neuen Emigrationsplanen hören: Hr. Stephen hat die Anerkennung der englischen Souveränetät von Neuseeland verhindert, weigert sich noch heute, mit der neuseeländischen Colonialgesellschaft irgend zu thun zu haben, hat das Cap und Westindien aus der Liste der Colonien gestrichen, auf welche hin die Auswanderung gerichtet werden könne, und daher sehen sich die Colonien und Colonisationsgesellschaften nach Emigranten aus fremden Ländern um, die westindischen um Neger und Hindus, die australischen und das Cap um Deutsche. Der Colonialrath von Neusüdwales hat am 20 November einen ausführlichen Bericht erstattet, in welchem er vorstellt, daß die englische Regierung den Fonds, der aus verkauftem Land herkommt, und der allein zu Beförderung der Emigration in die Colonie verwendet werden sollte, zu den gewöhnlichen Bedürfnissen der Colonie verwende, daß aber der Zufluß von Emigranten unentbehrlich sey, um die Colonie in ihrem Wohlstand zu erhalten, daß daher die Colonie für das Jahr 1840 Schuldscheine zum Belauf von 125,000 Pf. St. creiren solle, für deren Zinsen und Amortissement die Casse der Colonie sorgen werde, und daß so fortgefahren werden soll, bis die Zinsen und das Amortissement 100,000 Pf. St. jährlich erreichen, in welcher Zeit zu hoffen sey, daß der Wohlstand der Colonie so gestiegen seyn werde, daß die gewöhnlichen Einkünfte nicht nur für den Betrag der Zinsen und der Ablösung der Colonialschuld, sondern für die fortdauernde Begünstigung der Einfuhr von neuen Emigranten hinreiche. Ein Journal in Sidney gibt dazu den nöthigen Commentar, indem es sagt, daß, wenn England sich billig gegen die Colonie betragen hätte, es die Pflicht der letztern gewesen seyn würde, sich ausschließend an England um Arbeiter zu wenden; da es aber die Colonie nöthige, sich neben dem Ertrag des Länderverkaufs noch besonders zu besteuern, so habe sie keinen Grund, sich auf England zu beschränken, sondern müsse Emigranten suchen, wo man die besten finde, und dieß sey in Deutschland. Deutsche seyen durch ihre Stätigkeit, Mäßigkeit, ihre Erziehung und Genügsamkeit die besten Colonisten in der Welt, wie man täglich in Amerika sehe, und als Schäfer, Bauern und Handwerker allen andern vorzuziehen. Ein anderes Journal (der Sidney Herald) bemerkt aus Gelegenheit einer Petition von J. Macarthus, in welcher er gegen das Verbot von Weindestillerien protestirt, daß die Colonie nur deutsche Weingärtner einzuführen brauche, um bald Wein jeder Qualität hervorzubringen. Die öffentliche Stimme in Vandiemensland ist dieselbe; aus Süd- und Westaustralien hört man von nichts als Planen, die Zahl der Emigranten zu vermehren, und in der Capcolonie ist es dasselbe. Dort sind seit 18 Monaten 60,000 Sklaven und Hottentotten emancipirt worden und 12,000 holländische Bauern in die Kafferei emigrirt, daher überall laute Klagen über Mangel an Händen, über wüst liegendes Land u. s. w. Das Cap wird neuerer Zeit ein Land der Wollproduction, und das einheimische grobhaarige Schaf wird überall mit feinwolligen Merinos ersetzt. Die Wollausfuhr im Jahr 1816 war 9623 Pfund; im Jahr 1828 war sie erst auf 29,326 Pf. gestiegen; im Jahr 1839 betrug sie 422,506 Pf. und im letzten Jahr über 600,000 Pf.; daher braucht man sorgfältigere Schäfer als bisher. Der Colonialrath hat sich in seinen Sitzungen vom Januar bis zum März mit fast nichts beschäftigt als den Klagen über Mangel an Arbeitern, und in der Capstadt sind viele öffentliche Versammlungen gehalten worden, um die Regierung um Emigranten zu petitioniren.

Von den energischen Versuchen aller westindischen Inseln, sich Arbeiter zu verschaffen, habe ich Ihnen schon mehreremal geschrieben. Es ist überall dieselbe Bewegung; es ist gar nicht zu zweifeln, daß ihre Wirkungen nächstens Deutschland nahe berühren werden, und daher der Mühe wohl werth, darauf vorbereitet zu seyn; denn es wird nicht lange währen, bis Werber aus allen Weltstrichen sich in den deutschen Häfen einfinden werden, um den Emigranten freie Ueberfahrt in die Colonien anzubieten und goldene Berge zu versprechen. Vor Einem und dem größten Uebel dabei hat die Humanität des englischen Gesetzes die Emigranten bewahrt: nämlich kein Contract über Dienst, der vor der Ankunft in einer Colonie abgeschlossen ist, ist gültig. Aber es ist noch viel zu bedenken: Klima, die Bewohner, der Werth des Geldes in jeder Colonie. Fast jede hat ihre eigenen Nachtheile: Westindien hat ein für Nordländer tödtliches Klima, auf dem Cap ist die Bevölkerung sehr gemischt und großentheils barbarisch, sie besteht aus 90,000 Weißen, großentheils rohen holländischen Bauern, 60,000 Hottentotten und 15,000 Kaffern, dazu Neger, Buschmänner und Mulatten aller Art und Farbe; der Arbeitslohn ist nicht sehr hoch, das Klima gesund, aber unstät; in Neusüdwales und Vandiemensland werden die Reste der Strafanstalten und die Masse der aus wirklichen oder ehemaligen Verbrechern bestehenden

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Dieß ist von nicht unbedeutendem Interesse für Deutschland, und eine Sache, welche aller Ueberlegung werth ist, weil sich auf allen Seiten Symptome zeigen, daß sich die englischen Colonien in allen Welttheilen in kurzer Zeit an Deutschland wenden werden, um Emigranten zu erhalten. Die Abschaffung der Sklaverei, die der Strafcolonien, die plötzliche Gründung ausgedehnter Colonien in Südaustralien, Port Philip, Nordaustralien und Neuseeland, die Auswanderung der holländischen Bauern aus der Capcolonie und eine Menge kleinerer Umstände verbunden, haben auf Einmal ein bisher unerhörtes Bedürfniß von Arbeit in einem großen Theile der Welt erregt. Entschieden hat die englische Colonialadministration sich gegen alle Maaßregeln gesetzt, welche die alten und neuen Colonien vorschlugen, um sich Arbeiter aus England zu verschaffen. 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Der Colonialrath von Neusüdwales hat am 20 November einen ausführlichen Bericht erstattet, in welchem er vorstellt, daß die englische Regierung den Fonds, der aus verkauftem Land herkommt, und der allein zu Beförderung der Emigration in die Colonie verwendet werden sollte, zu den gewöhnlichen Bedürfnissen der Colonie verwende, daß aber der Zufluß von Emigranten unentbehrlich sey, um die Colonie in ihrem Wohlstand zu erhalten, daß daher die Colonie für das Jahr 1840 Schuldscheine zum Belauf von 125,000 Pf. St. creiren solle, für deren Zinsen und Amortissement die Casse der Colonie sorgen werde, und daß so fortgefahren werden soll, bis die Zinsen und das Amortissement 100,000 Pf. St. jährlich erreichen, in welcher Zeit zu hoffen sey, daß der Wohlstand der Colonie so gestiegen seyn werde, daß die gewöhnlichen Einkünfte nicht nur für den Betrag der Zinsen und der Ablösung der Colonialschuld, sondern für die fortdauernde Begünstigung der Einfuhr von neuen Emigranten hinreiche. Ein Journal in Sidney gibt dazu den nöthigen Commentar, indem es sagt, daß, wenn England sich billig gegen die Colonie betragen hätte, es die Pflicht der letztern gewesen seyn würde, sich ausschließend an England um Arbeiter zu wenden; da es aber die Colonie nöthige, sich neben dem Ertrag des Länderverkaufs noch besonders zu besteuern, so habe sie keinen Grund, sich auf England zu beschränken, sondern müsse Emigranten suchen, wo man die besten finde, und dieß sey in Deutschland. Deutsche seyen durch ihre Stätigkeit, Mäßigkeit, ihre Erziehung und Genügsamkeit die besten Colonisten in der Welt, wie man täglich in Amerika sehe, und als Schäfer, Bauern und Handwerker allen andern vorzuziehen. Ein anderes Journal (der Sidney Herald) bemerkt aus Gelegenheit einer Petition von J. Macarthus, in welcher er gegen das Verbot von Weindestillerien protestirt, daß die Colonie nur deutsche Weingärtner einzuführen brauche, um bald Wein jeder Qualität hervorzubringen. Die öffentliche Stimme in Vandiemensland ist dieselbe; aus Süd- und Westaustralien hört man von nichts als Planen, die Zahl der Emigranten zu vermehren, und in der Capcolonie ist es dasselbe. Dort sind seit 18 Monaten 60,000 Sklaven und Hottentotten emancipirt worden und 12,000 holländische Bauern in die Kafferei emigrirt, daher überall laute Klagen über Mangel an Händen, über wüst liegendes Land u. s. w. Das Cap wird neuerer Zeit ein Land der Wollproduction, und das einheimische grobhaarige Schaf wird überall mit feinwolligen Merinos ersetzt. Die Wollausfuhr im Jahr 1816 war 9623 Pfund; im Jahr 1828 war sie erst auf 29,326 Pf. gestiegen; im Jahr 1839 betrug sie 422,506 Pf. und im letzten Jahr über 600,000 Pf.; daher braucht man sorgfältigere Schäfer als bisher. 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[1185/0009] Deutsche Emigranten nach englischen Colonien. _ London, 16 Mai. Nach dem Plan von Lord John Russell soll das System der Transportation von Sträflingen nach Australien vom 1 August an dahin abgeändert werden, daß sie nicht mehr nach Neusüdwales und Vandiemensland geschickt und dort an die Colonisten in Dienst gegeben werden, sondern sie sollen nach der Insel Norfolk und auf die Halbinsel Tasman in Vandiemensland geschickt werden, um dort nach Weise der französischen Galeeren zu gezwungener Arbeit verwendet zu werden. Vier Jahre Galeerenstrafe sollen als sieben Jahren bisheriger Transportation gleich angesehen werden, und die Sträflinge nach erstandener Zeit in Freiheit seyn, sich in den australischen Colonien niederzulassen. Der Plan erregt große Opposition; aber was auch sein Schicksal seyn mag, so viel ist gewiß, daß das gegenwärtige System abgeschafft wird, was das schon jetzt existirende große Bedürfniß von Arbeitern in den bisherigen Strafcolonien noch erhöhen wird. Dieß ist von nicht unbedeutendem Interesse für Deutschland, und eine Sache, welche aller Ueberlegung werth ist, weil sich auf allen Seiten Symptome zeigen, daß sich die englischen Colonien in allen Welttheilen in kurzer Zeit an Deutschland wenden werden, um Emigranten zu erhalten. Die Abschaffung der Sklaverei, die der Strafcolonien, die plötzliche Gründung ausgedehnter Colonien in Südaustralien, Port Philip, Nordaustralien und Neuseeland, die Auswanderung der holländischen Bauern aus der Capcolonie und eine Menge kleinerer Umstände verbunden, haben auf Einmal ein bisher unerhörtes Bedürfniß von Arbeit in einem großen Theile der Welt erregt. Entschieden hat die englische Colonialadministration sich gegen alle Maaßregeln gesetzt, welche die alten und neuen Colonien vorschlugen, um sich Arbeiter aus England zu verschaffen. Die Bureaux des Ministeriums der Colonien – oder, um es bei seinem rechten Namen zu nennen, der Unterstaatssecretär Stephen, welcher alle Geschäfte in der Hand hat, weil er seit undenklicher Zeit bei dem Ministerium ist, während in den neun letzten Jahren acht Colonialminister auf einander gefolgt sind – wollen nichts von den neuen Emigrationsplanen hören: Hr. Stephen hat die Anerkennung der englischen Souveränetät von Neuseeland verhindert, weigert sich noch heute, mit der neuseeländischen Colonialgesellschaft irgend zu thun zu haben, hat das Cap und Westindien aus der Liste der Colonien gestrichen, auf welche hin die Auswanderung gerichtet werden könne, und daher sehen sich die Colonien und Colonisationsgesellschaften nach Emigranten aus fremden Ländern um, die westindischen um Neger und Hindus, die australischen und das Cap um Deutsche. Der Colonialrath von Neusüdwales hat am 20 November einen ausführlichen Bericht erstattet, in welchem er vorstellt, daß die englische Regierung den Fonds, der aus verkauftem Land herkommt, und der allein zu Beförderung der Emigration in die Colonie verwendet werden sollte, zu den gewöhnlichen Bedürfnissen der Colonie verwende, daß aber der Zufluß von Emigranten unentbehrlich sey, um die Colonie in ihrem Wohlstand zu erhalten, daß daher die Colonie für das Jahr 1840 Schuldscheine zum Belauf von 125,000 Pf. St. creiren solle, für deren Zinsen und Amortissement die Casse der Colonie sorgen werde, und daß so fortgefahren werden soll, bis die Zinsen und das Amortissement 100,000 Pf. St. jährlich erreichen, in welcher Zeit zu hoffen sey, daß der Wohlstand der Colonie so gestiegen seyn werde, daß die gewöhnlichen Einkünfte nicht nur für den Betrag der Zinsen und der Ablösung der Colonialschuld, sondern für die fortdauernde Begünstigung der Einfuhr von neuen Emigranten hinreiche. Ein Journal in Sidney gibt dazu den nöthigen Commentar, indem es sagt, daß, wenn England sich billig gegen die Colonie betragen hätte, es die Pflicht der letztern gewesen seyn würde, sich ausschließend an England um Arbeiter zu wenden; da es aber die Colonie nöthige, sich neben dem Ertrag des Länderverkaufs noch besonders zu besteuern, so habe sie keinen Grund, sich auf England zu beschränken, sondern müsse Emigranten suchen, wo man die besten finde, und dieß sey in Deutschland. Deutsche seyen durch ihre Stätigkeit, Mäßigkeit, ihre Erziehung und Genügsamkeit die besten Colonisten in der Welt, wie man täglich in Amerika sehe, und als Schäfer, Bauern und Handwerker allen andern vorzuziehen. Ein anderes Journal (der Sidney Herald) bemerkt aus Gelegenheit einer Petition von J. Macarthus, in welcher er gegen das Verbot von Weindestillerien protestirt, daß die Colonie nur deutsche Weingärtner einzuführen brauche, um bald Wein jeder Qualität hervorzubringen. Die öffentliche Stimme in Vandiemensland ist dieselbe; aus Süd- und Westaustralien hört man von nichts als Planen, die Zahl der Emigranten zu vermehren, und in der Capcolonie ist es dasselbe. Dort sind seit 18 Monaten 60,000 Sklaven und Hottentotten emancipirt worden und 12,000 holländische Bauern in die Kafferei emigrirt, daher überall laute Klagen über Mangel an Händen, über wüst liegendes Land u. s. w. Das Cap wird neuerer Zeit ein Land der Wollproduction, und das einheimische grobhaarige Schaf wird überall mit feinwolligen Merinos ersetzt. Die Wollausfuhr im Jahr 1816 war 9623 Pfund; im Jahr 1828 war sie erst auf 29,326 Pf. gestiegen; im Jahr 1839 betrug sie 422,506 Pf. und im letzten Jahr über 600,000 Pf.; daher braucht man sorgfältigere Schäfer als bisher. Der Colonialrath hat sich in seinen Sitzungen vom Januar bis zum März mit fast nichts beschäftigt als den Klagen über Mangel an Arbeitern, und in der Capstadt sind viele öffentliche Versammlungen gehalten worden, um die Regierung um Emigranten zu petitioniren. Von den energischen Versuchen aller westindischen Inseln, sich Arbeiter zu verschaffen, habe ich Ihnen schon mehreremal geschrieben. Es ist überall dieselbe Bewegung; es ist gar nicht zu zweifeln, daß ihre Wirkungen nächstens Deutschland nahe berühren werden, und daher der Mühe wohl werth, darauf vorbereitet zu seyn; denn es wird nicht lange währen, bis Werber aus allen Weltstrichen sich in den deutschen Häfen einfinden werden, um den Emigranten freie Ueberfahrt in die Colonien anzubieten und goldene Berge zu versprechen. Vor Einem und dem größten Uebel dabei hat die Humanität des englischen Gesetzes die Emigranten bewahrt: nämlich kein Contract über Dienst, der vor der Ankunft in einer Colonie abgeschlossen ist, ist gültig. Aber es ist noch viel zu bedenken: Klima, die Bewohner, der Werth des Geldes in jeder Colonie. Fast jede hat ihre eigenen Nachtheile: Westindien hat ein für Nordländer tödtliches Klima, auf dem Cap ist die Bevölkerung sehr gemischt und großentheils barbarisch, sie besteht aus 90,000 Weißen, großentheils rohen holländischen Bauern, 60,000 Hottentotten und 15,000 Kaffern, dazu Neger, Buschmänner und Mulatten aller Art und Farbe; der Arbeitslohn ist nicht sehr hoch, das Klima gesund, aber unstät; in Neusüdwales und Vandiemensland werden die Reste der Strafanstalten und die Masse der aus wirklichen oder ehemaligen Verbrechern bestehenden

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 149. Augsburg, 28. Mai 1840, S. 1185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_149_18400528/9>, abgerufen am 21.11.2024.