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Allgemeine Zeitung. Nr. 148. Augsburg, 27. Mai 1840.

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und dann hätten die Napoleoniden nach dem Familiengesetz ein Recht darauf gehabt. Die Beisetzung im Hotel der Invaliden ist der glückliche Ausweg, welchen die Regierung eingeschlagen hat, um den Nationalwunsch zu befriedigen, ohne die dynastischen Interessen zu gefährden, oder bei der kaiserlichen Familie noch irgend eine Hoffnung länger bestehen zu lassen. Diese wird dadurch gewiß noch mehr isolirt, als der große Mann es im Leben gewesen seyn würde, wenn er, der nicht bloß Heerführer, sondern auch Gesetzgeber, Verwalter und Staatsmann, und dieß Alles par excellence war, ausschließlich von Kriegern sich umgeben gesehen hätte.

Ganz Paris, und mithin ganz Frankreich, ist in freudiger Bewegung: von dem kaiserlichen Stern, der zwanzig Jahre lang am französischen Himmel leuchtete, soll die verbannte Asche in den französischen Boden zurückkehren. England hat großmüthig auf seinen Gefangenen Verzicht geleistet und den Wunsch ausgedrückt, daß alles Andenken an frühere Feindseligkeiten in der künftigen Gruft des großen Todten versenkt werden möge; ein königlicher Prinz der Franzosen wird selbst unter Segel gehen um das Kleinod von St. Helena abzuholen. Wer wagt es jetzt noch, beim Anblick dieser wunderbaren Thatsache, unserer Zeit den Vorwurf zu machen, daß sie unpoetisch und unreligiös sey, ohne Glauben an Symbole und Reliquien? Wer wagt es noch, uns von einer bereits eingetretenen neugeschichtlichen Epoche gemeiner Wirklichkeitsphilosophie und Vernunftreligion zu erzählen, wenn Frankreich, gerade Frankreich, dieses Vaterland Voltaires, dieser Ursitz spöttischer Unpoesie und realistischen Unglaubens, sich nicht scheut, vor den Augen Europa's seine Verehrung für ein so wenig materielles Sinnbild, ein so wenig sichtbares Erinnerungszeichen seiner militärischen Größe zu bekennen? Auch meine man nicht etwa, daß diese Verehrung nur von einer gewissen kleinen Partei ausgehe, nämlich jener modern-frommen, positiv-religiösen Pariser Coterie, bei der das Messebesuchen a jeaune, das Verachten Voltaire's und das Lesen von Legenden und Wundergeschichten heute gerade Mode geworden ist. Nein, diese Verehrung zeigt sich vielmehr als das unmittelbare, absichtslose Gefühl der ganzen eigentlichen Volksmasse, jener ganzen uns wohlbekannten militärisch-fanatischen, frivolen großen Nation, die, indem sie alles Positiv-religiöse belächelt, doch in jedem Augenblick bereit ist für Kriegsruhm und Nationalehre pour l'honeur et pour la France als Märtyrer in den Tod zu gehen. Möge Europa sich aus der Beobachtung dieses Ereignisses die Ueberzeugung nehmen, daß jene Epoche einer sinnbildlosen utilitätsmäßigen Vernunftherrschaft für die Welt noch keineswegs eingetreten ist, und auch, so lange die Menschen Leiber und Sinne behalten, wohl niemals eintreten wird; die Ueberzeugung, daß die wahren schöpferischen Triebe jenes heiligen Formendienstes, der gegenwärtig in unserm Religions- und Staatsleben so mannichfache Erschütterungen erleidet, die Brust des heutigen Menschengeschlechts noch eben so kräftig bewegen, als sie einst in der des längst vergangenen Geschlechts, welches jene Formen uns überlieferte, Wurzel schlugen. Ja vielleicht darf man sagen, daß es gerade die fortwirkende Kraft dieser Triebe selbst ist, die an dem großen geistigen Baum des Glaubens und der Symbolik eben dadurch, daß sie immer neue Blüthen fordert, die alten Früchte theilweise vertrocknen und abfallen läßt; nach immer frischen, in der Erinnerung lebendigen Gegenständen ihrer Liebe und Anbetung verlangen die Völker, und so lang Frankreich noch keinen neuen Heroen oder Heiligen der Tugend oder der Erkenntniß oder des Christenthums hat, wollen wir es ihm nicht verargen, wenn es sich jenen großen Schatten zum Gegenstand eines militärisch-religiösen Cultus, sein Grab zur Kaaba, und seinen Degen zum Jupitersscepter ([fremdsprachliches Material - fehlt]) nimmt. Ein neues Heroenpantheon, gleichsam eine neue Katakombenwelt, hat sich in Paris geöffnet: man geht jetzt, die kostbarste Reliquie dafür einzuholen; hoffen wir, daß sich an dieses gefeierte Grab dereinst auch heiligere Gräberaltäre anreihen werden. -

Wellington und Melbourne über China.

"Eigentlich kommt Alles auf die Gesinnungen an; wo diese sind, treten auch die Gedanken hervor, und nachdem sie sind, sind auch die Gedanken." Diese Worte unsers großen Meisters bilden den geeignetsten Denkspruch für die in mannichfacher Beziehung vortreffliche Rede des großen Kriegers und Staatsmannes, gehalten am 12 Mai bei Gelegenheit einer Motion des Earl Stanhope über die englisch-chinesischen Wirren. Sie enthält das Beste, das der Sachlage Angemessenste, was bisher in England in wie außerhalb der beiden Häuser über diese vielbesprochene Angelegenheit vorgebracht wurde. Mit Widerwillen wendet sich der edle Herzog - dieß hat er bei mehreren Gelegenheiten gezeigt - weg von den niedrigen Künsten der gemeinen Seelen seiner eigenen Partei, welche, koste was es wolle, mag selbst die Ehre Großbritanniens darüber zu Grunde gehen, ihren Feinden, den am Ruder sitzenden Whigs, eine Falle bereiten wollen. Der Herzog ist festen, geraden Sinnes, und nichts geht ihm über den Ruhm und die Würde seines großen Vaterlandes. Auch liebt er es, wo nur immer die politischen Verhältnisse es gestatten mögen, sich klar und unumwunden auszusprechen. Aus dieser tüchtigen Gesinnung sind nun auch die Vorzüge wie die Mängel der Rede des Feldmarschalls Wellington über die chinesischen Angelegenheiten hervorgegangen. Die Worte eines so hochgestellten, hochgeachteten Mannes sind ein historisches Ereigniß; sie verdienen es beleuchtet zu werden, damit die Nachwelt nach ihrem wahren Werthe sie zu schätzen, damit sie Gegründetes und Grundloses zu sichten wisse.

"Der Opiumhandel *) war der indischen Regierung, wie den beiden Häusern des Parlaments gar wohl bekannt; er war gar wohl bekannt der Regierung Ihrer Majestät, der ostindischen Compagnie und den Ministerien, welche der jetzigen Verwaltung vorhergingen. Ich selbst saß in einem Ausschusse dieses Hauses, wo wie über andere Handelszweige so auch über diesen Erkundigungen eingezogen wurden; es war damals sogar unser vorzüglichstes Bestreben, Mittel zu ersinnen, wie der Opiumhandel auch nach dem Aufhören des Privilegiums der ostindischen Compagnie fortgeführt werden könnte. Man vernahm Zeugen darüber, wie der Handel mit China im Allgemeinen und namentlich der mit Opium eine größere Ausdehnung erhalten könnte; ja in dem Berichte des Ausschusses des andern Hauses ward ausdrücklich der Wunsch ausgesprochen, daß der Opiumhandel fortbestehen möge." Diese denkwürdigen Worte haben den ganzen Lügenkram, sie haben all die gleißnerische Rednerei der hochkirchlichen Herren über den Opiumkrieg mit Einemmal über den Haufen geworfen. Also der fromme, gelehrte Bischof von London und alle seine andern üppig bepfründeten Collegen wußten um diesen "Gifthandel"; der gemüthliche Eiferer für die Sabbathsfeier und für das behagliche Stillleben der Pferde, Ochsen und Esel, dann Sir Robert Inglis, Sir James Graham, Stanley und alle die andern wackern Streithähne für den Ruhm und die Ehre des Herrn der Heerschaaren, sie wußten

*) Der Herzog gebraucht euphemistischer Weise anstatt smuggle das Wort trade.

und dann hätten die Napoleoniden nach dem Familiengesetz ein Recht darauf gehabt. Die Beisetzung im Hotel der Invaliden ist der glückliche Ausweg, welchen die Regierung eingeschlagen hat, um den Nationalwunsch zu befriedigen, ohne die dynastischen Interessen zu gefährden, oder bei der kaiserlichen Familie noch irgend eine Hoffnung länger bestehen zu lassen. Diese wird dadurch gewiß noch mehr isolirt, als der große Mann es im Leben gewesen seyn würde, wenn er, der nicht bloß Heerführer, sondern auch Gesetzgeber, Verwalter und Staatsmann, und dieß Alles par excellence war, ausschließlich von Kriegern sich umgeben gesehen hätte.

Ganz Paris, und mithin ganz Frankreich, ist in freudiger Bewegung: von dem kaiserlichen Stern, der zwanzig Jahre lang am französischen Himmel leuchtete, soll die verbannte Asche in den französischen Boden zurückkehren. England hat großmüthig auf seinen Gefangenen Verzicht geleistet und den Wunsch ausgedrückt, daß alles Andenken an frühere Feindseligkeiten in der künftigen Gruft des großen Todten versenkt werden möge; ein königlicher Prinz der Franzosen wird selbst unter Segel gehen um das Kleinod von St. Helena abzuholen. Wer wagt es jetzt noch, beim Anblick dieser wunderbaren Thatsache, unserer Zeit den Vorwurf zu machen, daß sie unpoetisch und unreligiös sey, ohne Glauben an Symbole und Reliquien? Wer wagt es noch, uns von einer bereits eingetretenen neugeschichtlichen Epoche gemeiner Wirklichkeitsphilosophie und Vernunftreligion zu erzählen, wenn Frankreich, gerade Frankreich, dieses Vaterland Voltaires, dieser Ursitz spöttischer Unpoesie und realistischen Unglaubens, sich nicht scheut, vor den Augen Europa's seine Verehrung für ein so wenig materielles Sinnbild, ein so wenig sichtbares Erinnerungszeichen seiner militärischen Größe zu bekennen? Auch meine man nicht etwa, daß diese Verehrung nur von einer gewissen kleinen Partei ausgehe, nämlich jener modern-frommen, positiv-religiösen Pariser Coterie, bei der das Messebesuchen à jeûne, das Verachten Voltaire's und das Lesen von Legenden und Wundergeschichten heute gerade Mode geworden ist. Nein, diese Verehrung zeigt sich vielmehr als das unmittelbare, absichtslose Gefühl der ganzen eigentlichen Volksmasse, jener ganzen uns wohlbekannten militärisch-fanatischen, frivolen großen Nation, die, indem sie alles Positiv-religiöse belächelt, doch in jedem Augenblick bereit ist für Kriegsruhm und Nationalehre pour l'honeur et pour la France als Märtyrer in den Tod zu gehen. Möge Europa sich aus der Beobachtung dieses Ereignisses die Ueberzeugung nehmen, daß jene Epoche einer sinnbildlosen utilitätsmäßigen Vernunftherrschaft für die Welt noch keineswegs eingetreten ist, und auch, so lange die Menschen Leiber und Sinne behalten, wohl niemals eintreten wird; die Ueberzeugung, daß die wahren schöpferischen Triebe jenes heiligen Formendienstes, der gegenwärtig in unserm Religions- und Staatsleben so mannichfache Erschütterungen erleidet, die Brust des heutigen Menschengeschlechts noch eben so kräftig bewegen, als sie einst in der des längst vergangenen Geschlechts, welches jene Formen uns überlieferte, Wurzel schlugen. Ja vielleicht darf man sagen, daß es gerade die fortwirkende Kraft dieser Triebe selbst ist, die an dem großen geistigen Baum des Glaubens und der Symbolik eben dadurch, daß sie immer neue Blüthen fordert, die alten Früchte theilweise vertrocknen und abfallen läßt; nach immer frischen, in der Erinnerung lebendigen Gegenständen ihrer Liebe und Anbetung verlangen die Völker, und so lang Frankreich noch keinen neuen Heroen oder Heiligen der Tugend oder der Erkenntniß oder des Christenthums hat, wollen wir es ihm nicht verargen, wenn es sich jenen großen Schatten zum Gegenstand eines militärisch-religiösen Cultus, sein Grab zur Kaaba, und seinen Degen zum Jupitersscepter ([fremdsprachliches Material – fehlt]) nimmt. Ein neues Heroenpantheon, gleichsam eine neue Katakombenwelt, hat sich in Paris geöffnet: man geht jetzt, die kostbarste Reliquie dafür einzuholen; hoffen wir, daß sich an dieses gefeierte Grab dereinst auch heiligere Gräberaltäre anreihen werden. –

Wellington und Melbourne über China.

„Eigentlich kommt Alles auf die Gesinnungen an; wo diese sind, treten auch die Gedanken hervor, und nachdem sie sind, sind auch die Gedanken.“ Diese Worte unsers großen Meisters bilden den geeignetsten Denkspruch für die in mannichfacher Beziehung vortreffliche Rede des großen Kriegers und Staatsmannes, gehalten am 12 Mai bei Gelegenheit einer Motion des Earl Stanhope über die englisch-chinesischen Wirren. Sie enthält das Beste, das der Sachlage Angemessenste, was bisher in England in wie außerhalb der beiden Häuser über diese vielbesprochene Angelegenheit vorgebracht wurde. Mit Widerwillen wendet sich der edle Herzog – dieß hat er bei mehreren Gelegenheiten gezeigt – weg von den niedrigen Künsten der gemeinen Seelen seiner eigenen Partei, welche, koste was es wolle, mag selbst die Ehre Großbritanniens darüber zu Grunde gehen, ihren Feinden, den am Ruder sitzenden Whigs, eine Falle bereiten wollen. Der Herzog ist festen, geraden Sinnes, und nichts geht ihm über den Ruhm und die Würde seines großen Vaterlandes. Auch liebt er es, wo nur immer die politischen Verhältnisse es gestatten mögen, sich klar und unumwunden auszusprechen. Aus dieser tüchtigen Gesinnung sind nun auch die Vorzüge wie die Mängel der Rede des Feldmarschalls Wellington über die chinesischen Angelegenheiten hervorgegangen. Die Worte eines so hochgestellten, hochgeachteten Mannes sind ein historisches Ereigniß; sie verdienen es beleuchtet zu werden, damit die Nachwelt nach ihrem wahren Werthe sie zu schätzen, damit sie Gegründetes und Grundloses zu sichten wisse.

„Der Opiumhandel *) war der indischen Regierung, wie den beiden Häusern des Parlaments gar wohl bekannt; er war gar wohl bekannt der Regierung Ihrer Majestät, der ostindischen Compagnie und den Ministerien, welche der jetzigen Verwaltung vorhergingen. Ich selbst saß in einem Ausschusse dieses Hauses, wo wie über andere Handelszweige so auch über diesen Erkundigungen eingezogen wurden; es war damals sogar unser vorzüglichstes Bestreben, Mittel zu ersinnen, wie der Opiumhandel auch nach dem Aufhören des Privilegiums der ostindischen Compagnie fortgeführt werden könnte. Man vernahm Zeugen darüber, wie der Handel mit China im Allgemeinen und namentlich der mit Opium eine größere Ausdehnung erhalten könnte; ja in dem Berichte des Ausschusses des andern Hauses ward ausdrücklich der Wunsch ausgesprochen, daß der Opiumhandel fortbestehen möge.“ Diese denkwürdigen Worte haben den ganzen Lügenkram, sie haben all die gleißnerische Rednerei der hochkirchlichen Herren über den Opiumkrieg mit Einemmal über den Haufen geworfen. Also der fromme, gelehrte Bischof von London und alle seine andern üppig bepfründeten Collegen wußten um diesen „Gifthandel“; der gemüthliche Eiferer für die Sabbathsfeier und für das behagliche Stillleben der Pferde, Ochsen und Esel, dann Sir Robert Inglis, Sir James Graham, Stanley und alle die andern wackern Streithähne für den Ruhm und die Ehre des Herrn der Heerschaaren, sie wußten

*) Der Herzog gebraucht euphemistischer Weise anstatt smuggle das Wort trade.
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[1180/0012] und dann hätten die Napoleoniden nach dem Familiengesetz ein Recht darauf gehabt. Die Beisetzung im Hotel der Invaliden ist der glückliche Ausweg, welchen die Regierung eingeschlagen hat, um den Nationalwunsch zu befriedigen, ohne die dynastischen Interessen zu gefährden, oder bei der kaiserlichen Familie noch irgend eine Hoffnung länger bestehen zu lassen. Diese wird dadurch gewiß noch mehr isolirt, als der große Mann es im Leben gewesen seyn würde, wenn er, der nicht bloß Heerführer, sondern auch Gesetzgeber, Verwalter und Staatsmann, und dieß Alles par excellence war, ausschließlich von Kriegern sich umgeben gesehen hätte. _ Rom, 20 Mai. Ganz Paris, und mithin ganz Frankreich, ist in freudiger Bewegung: von dem kaiserlichen Stern, der zwanzig Jahre lang am französischen Himmel leuchtete, soll die verbannte Asche in den französischen Boden zurückkehren. England hat großmüthig auf seinen Gefangenen Verzicht geleistet und den Wunsch ausgedrückt, daß alles Andenken an frühere Feindseligkeiten in der künftigen Gruft des großen Todten versenkt werden möge; ein königlicher Prinz der Franzosen wird selbst unter Segel gehen um das Kleinod von St. Helena abzuholen. Wer wagt es jetzt noch, beim Anblick dieser wunderbaren Thatsache, unserer Zeit den Vorwurf zu machen, daß sie unpoetisch und unreligiös sey, ohne Glauben an Symbole und Reliquien? Wer wagt es noch, uns von einer bereits eingetretenen neugeschichtlichen Epoche gemeiner Wirklichkeitsphilosophie und Vernunftreligion zu erzählen, wenn Frankreich, gerade Frankreich, dieses Vaterland Voltaires, dieser Ursitz spöttischer Unpoesie und realistischen Unglaubens, sich nicht scheut, vor den Augen Europa's seine Verehrung für ein so wenig materielles Sinnbild, ein so wenig sichtbares Erinnerungszeichen seiner militärischen Größe zu bekennen? Auch meine man nicht etwa, daß diese Verehrung nur von einer gewissen kleinen Partei ausgehe, nämlich jener modern-frommen, positiv-religiösen Pariser Coterie, bei der das Messebesuchen à jeûne, das Verachten Voltaire's und das Lesen von Legenden und Wundergeschichten heute gerade Mode geworden ist. Nein, diese Verehrung zeigt sich vielmehr als das unmittelbare, absichtslose Gefühl der ganzen eigentlichen Volksmasse, jener ganzen uns wohlbekannten militärisch-fanatischen, frivolen großen Nation, die, indem sie alles Positiv-religiöse belächelt, doch in jedem Augenblick bereit ist für Kriegsruhm und Nationalehre pour l'honeur et pour la France als Märtyrer in den Tod zu gehen. Möge Europa sich aus der Beobachtung dieses Ereignisses die Ueberzeugung nehmen, daß jene Epoche einer sinnbildlosen utilitätsmäßigen Vernunftherrschaft für die Welt noch keineswegs eingetreten ist, und auch, so lange die Menschen Leiber und Sinne behalten, wohl niemals eintreten wird; die Ueberzeugung, daß die wahren schöpferischen Triebe jenes heiligen Formendienstes, der gegenwärtig in unserm Religions- und Staatsleben so mannichfache Erschütterungen erleidet, die Brust des heutigen Menschengeschlechts noch eben so kräftig bewegen, als sie einst in der des längst vergangenen Geschlechts, welches jene Formen uns überlieferte, Wurzel schlugen. Ja vielleicht darf man sagen, daß es gerade die fortwirkende Kraft dieser Triebe selbst ist, die an dem großen geistigen Baum des Glaubens und der Symbolik eben dadurch, daß sie immer neue Blüthen fordert, die alten Früchte theilweise vertrocknen und abfallen läßt; nach immer frischen, in der Erinnerung lebendigen Gegenständen ihrer Liebe und Anbetung verlangen die Völker, und so lang Frankreich noch keinen neuen Heroen oder Heiligen der Tugend oder der Erkenntniß oder des Christenthums hat, wollen wir es ihm nicht verargen, wenn es sich jenen großen Schatten zum Gegenstand eines militärisch-religiösen Cultus, sein Grab zur Kaaba, und seinen Degen zum Jupitersscepter (_ ) nimmt. Ein neues Heroenpantheon, gleichsam eine neue Katakombenwelt, hat sich in Paris geöffnet: man geht jetzt, die kostbarste Reliquie dafür einzuholen; hoffen wir, daß sich an dieses gefeierte Grab dereinst auch heiligere Gräberaltäre anreihen werden. – Wellington und Melbourne über China. „Eigentlich kommt Alles auf die Gesinnungen an; wo diese sind, treten auch die Gedanken hervor, und nachdem sie sind, sind auch die Gedanken.“ Diese Worte unsers großen Meisters bilden den geeignetsten Denkspruch für die in mannichfacher Beziehung vortreffliche Rede des großen Kriegers und Staatsmannes, gehalten am 12 Mai bei Gelegenheit einer Motion des Earl Stanhope über die englisch-chinesischen Wirren. Sie enthält das Beste, das der Sachlage Angemessenste, was bisher in England in wie außerhalb der beiden Häuser über diese vielbesprochene Angelegenheit vorgebracht wurde. Mit Widerwillen wendet sich der edle Herzog – dieß hat er bei mehreren Gelegenheiten gezeigt – weg von den niedrigen Künsten der gemeinen Seelen seiner eigenen Partei, welche, koste was es wolle, mag selbst die Ehre Großbritanniens darüber zu Grunde gehen, ihren Feinden, den am Ruder sitzenden Whigs, eine Falle bereiten wollen. Der Herzog ist festen, geraden Sinnes, und nichts geht ihm über den Ruhm und die Würde seines großen Vaterlandes. Auch liebt er es, wo nur immer die politischen Verhältnisse es gestatten mögen, sich klar und unumwunden auszusprechen. Aus dieser tüchtigen Gesinnung sind nun auch die Vorzüge wie die Mängel der Rede des Feldmarschalls Wellington über die chinesischen Angelegenheiten hervorgegangen. Die Worte eines so hochgestellten, hochgeachteten Mannes sind ein historisches Ereigniß; sie verdienen es beleuchtet zu werden, damit die Nachwelt nach ihrem wahren Werthe sie zu schätzen, damit sie Gegründetes und Grundloses zu sichten wisse. „Der Opiumhandel *) war der indischen Regierung, wie den beiden Häusern des Parlaments gar wohl bekannt; er war gar wohl bekannt der Regierung Ihrer Majestät, der ostindischen Compagnie und den Ministerien, welche der jetzigen Verwaltung vorhergingen. Ich selbst saß in einem Ausschusse dieses Hauses, wo wie über andere Handelszweige so auch über diesen Erkundigungen eingezogen wurden; es war damals sogar unser vorzüglichstes Bestreben, Mittel zu ersinnen, wie der Opiumhandel auch nach dem Aufhören des Privilegiums der ostindischen Compagnie fortgeführt werden könnte. Man vernahm Zeugen darüber, wie der Handel mit China im Allgemeinen und namentlich der mit Opium eine größere Ausdehnung erhalten könnte; ja in dem Berichte des Ausschusses des andern Hauses ward ausdrücklich der Wunsch ausgesprochen, daß der Opiumhandel fortbestehen möge.“ Diese denkwürdigen Worte haben den ganzen Lügenkram, sie haben all die gleißnerische Rednerei der hochkirchlichen Herren über den Opiumkrieg mit Einemmal über den Haufen geworfen. Also der fromme, gelehrte Bischof von London und alle seine andern üppig bepfründeten Collegen wußten um diesen „Gifthandel“; der gemüthliche Eiferer für die Sabbathsfeier und für das behagliche Stillleben der Pferde, Ochsen und Esel, dann Sir Robert Inglis, Sir James Graham, Stanley und alle die andern wackern Streithähne für den Ruhm und die Ehre des Herrn der Heerschaaren, sie wußten *) Der Herzog gebraucht euphemistischer Weise anstatt smuggle das Wort trade.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 148. Augsburg, 27. Mai 1840, S. 1180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_148_18400527/12>, abgerufen am 28.11.2024.