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Allgemeine Zeitung. Nr. 144. Augsburg, 23. Mai 1840.

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des religiösen Sinnes des Züricher Volkes, andrerseits in dem Bedürfniß einer politischen Modification ihren Grund gehabt, und es sey daher eine veränderte Stellung der kirchlichen und der politischen Oberbehörden angestrebt worden, erfahren wir aus jenem Aufsatz: die Regierung sey nicht gestürzt, und die verpönte Geistesrichtung des Clerus sey ebensowenig als die Verfassung modificirt worden. Vielmehr sey nur "Scherrs deutsche Sprachlehre mit tausend Knütteln aus dem Kantou geschlagen worden!" - Und was wird zum Beweis dieser Paradoxa angeführt? 1) Daß Bürgermeister Heß vor wie nach an der Spitze der Regierung geblieben ist. Da aber in Folge des 6 Sept. "der Seminardirector mit seiner Becker'schen Grammatik aus- und das historische Recht einwanderte," so war Hr. Heß vor dem 6 Sept. doch wohl der lebendige Ausdruck jener Grammatik, während sich seit jenem Zeitpunkt das historische Recht in ihm verkörpert!? 2) Daß "kein Pfarrer, wenn auch der neuen Messiasidee zugethan, seine Stelle verloren hat." Aber haben diese letztern wohl auch ihre frühere Stellung behauptet? Doch wofür eine gründliche Widerlegung jener auffallenden, wohl nur scherzhaften Erklärung *) des 6 Septembers? Daß dieselbe durchaus schief ist, geht am unzweideutigsten daraus hervor, daß jene Becker'sche Sprachtheorie, von welcher behauptet wird, sie sey aus dem Kanton geschlagen worden, gegenwärtig noch im ganzen Kanton in Anwendung geblieben, und daß in keiner Zeitung, in keiner Petition, in keinem Vortrag im großen Rath u. s. w. irgend etwas gegen dieselbe eingewendet worden ist! - Was das historische Recht betrifft, welchem jener Correspondent nicht hold zu seyn scheint, oder dessen Anrufung er wenigstens in Zürich für unpassend hält, so ist so viel gewiß, daß mehrere der einflußreichsten Magistratspersonen, welche seit dem 6 Sept. die Leitung der öffentlichen Geschäfte übernommen haben, der sogenannten historischen Schule angehören. Diese werden, so oft es sich de lege ferenda handelt, das Neuzuschaffende an das vorher Bestandene anknüpfen, und nicht dazu Hand bieten, unserm Volksleben durchaus fremde Institutionen in der Schweiz einzupfropfen. - Der Hauptunterschied zwischen der jetzigen Regierung und der früheren ist aber wohl derjenige: daß diese französischen Ursprungs war, und von Frankreich her soufflirt wurde, während jene schweizerischen Ursprungs ist und für deutsches Leben mehr Sympathie empfindet.

Belgien.

Das Wichtigste, was in unsern Kammern seit meinem letzten Briefe vorgekommen, ist der Antrag des Finanzministers auf Autorisation zur Eröffnung eines Anlehens von effectiven 90 Millionen Franken. Die Höhe der Summe hat allgemein überrascht; man wußte zwar, daß der Weiterbau der Eisenbahn und die Consolidation der bisher zu diesem Behufe creirten, und noch nicht getilgten schwebenden Schuld, so wie die Regulirung der von Holland in Folge des Friedenstractats übernommenen jährlichen Rente, ein neues Anlehen nöthig machten, doch dachte man sich die Summe nicht so bedeutend, und war nur auf etwa 60 Millionen gefaßt. Die Vermehrung rührt daher, daß der Finanzminister zugleich alle andern Rückstände, die sich seit der Entstehung der neuen Ordnung noch durch die verschiedenen Jahresrechnungen durchschleppten, so wie überhaupt Alles, was nur irgend noch zu berichtigen war, in Eins zusammengefaßt hat. Sein Vortrag an die Kammer ist daher auch eine den gesammten Finanzstand umfassende Arbeit, aus der wir, da sie jetzt gedruckt vor uns liegt, hier das Wesentliche mittheilen. Wir fangen dabei mit demjenigen an, was sich auf die Eisenbahn bezieht.

Zufolge früherer Gesetze sind auf dieselbe bereits verwendet:

[Tabelle]

Zunächst also hat das neue Anlehen in Beziehung auf die Eisenbahn zu sorgen für die 54 Millionen, welche die noch zu bauenden Strecken kosten sollen, so wie für den Preis der 4000 rheinischen Actien. Hiezu kommt dann noch die Tilgung der zuletzt emittirten zwölf Millionen Tresorscheine, so wie eine Summe von 3,568,192 Fr. 81 C. für gewöhnliche Chausseebauten, was Alles zusammen einen Bedarf von 72,917,792 Fr. 85 C. bildet, der den ersten Abschnitt der geforderten Summe ausmacht. Der zweite Abschnitt besteht aus dem Deficit, das sich am Schlusse der Berichtigung aller frühern Rechnungsjahrgänge ergibt. Aus den Jahren 1830 bis 1837 sind nämlich noch zu berichtigen übrig in Allem:

[Tabelle]

Endlich fehlte auf dem dießjährigen Budget das zweite Semester der in Holland zu zahlenden Rente, dasselbe Semester der auf dem Brüsseler Hülfsbuch der öffentlichen Schuld inscribirten Rente und die halbjährigen Zinsen des Anlehens von 30 Millionen (vom 18 Junius 1836), was zusammen noch eine Summe von 6,041,005 Fr. 28 C. bildet, die mit jener vereinigt

*) Der Redaction schien, die Ironie sey nicht zu verkennen; deßwegen glaubt sie auch einer die Sache ganz ernsthaft nehmenden umfassenden Erklärung des Hrn. Directors Scherr keine Aufnahme gewähren zu können, die sie ihm sonst da, wo er wirklich angegriffen war, nie versagte.

des religiösen Sinnes des Züricher Volkes, andrerseits in dem Bedürfniß einer politischen Modification ihren Grund gehabt, und es sey daher eine veränderte Stellung der kirchlichen und der politischen Oberbehörden angestrebt worden, erfahren wir aus jenem Aufsatz: die Regierung sey nicht gestürzt, und die verpönte Geistesrichtung des Clerus sey ebensowenig als die Verfassung modificirt worden. Vielmehr sey nur „Scherrs deutsche Sprachlehre mit tausend Knütteln aus dem Kantou geschlagen worden!“ – Und was wird zum Beweis dieser Paradoxa angeführt? 1) Daß Bürgermeister Heß vor wie nach an der Spitze der Regierung geblieben ist. Da aber in Folge des 6 Sept. „der Seminardirector mit seiner Becker'schen Grammatik aus- und das historische Recht einwanderte,“ so war Hr. Heß vor dem 6 Sept. doch wohl der lebendige Ausdruck jener Grammatik, während sich seit jenem Zeitpunkt das historische Recht in ihm verkörpert!? 2) Daß „kein Pfarrer, wenn auch der neuen Messiasidee zugethan, seine Stelle verloren hat.“ Aber haben diese letztern wohl auch ihre frühere Stellung behauptet? Doch wofür eine gründliche Widerlegung jener auffallenden, wohl nur scherzhaften Erklärung *) des 6 Septembers? Daß dieselbe durchaus schief ist, geht am unzweideutigsten daraus hervor, daß jene Becker'sche Sprachtheorie, von welcher behauptet wird, sie sey aus dem Kanton geschlagen worden, gegenwärtig noch im ganzen Kanton in Anwendung geblieben, und daß in keiner Zeitung, in keiner Petition, in keinem Vortrag im großen Rath u. s. w. irgend etwas gegen dieselbe eingewendet worden ist! – Was das historische Recht betrifft, welchem jener Correspondent nicht hold zu seyn scheint, oder dessen Anrufung er wenigstens in Zürich für unpassend hält, so ist so viel gewiß, daß mehrere der einflußreichsten Magistratspersonen, welche seit dem 6 Sept. die Leitung der öffentlichen Geschäfte übernommen haben, der sogenannten historischen Schule angehören. Diese werden, so oft es sich de lege ferenda handelt, das Neuzuschaffende an das vorher Bestandene anknüpfen, und nicht dazu Hand bieten, unserm Volksleben durchaus fremde Institutionen in der Schweiz einzupfropfen. – Der Hauptunterschied zwischen der jetzigen Regierung und der früheren ist aber wohl derjenige: daß diese französischen Ursprungs war, und von Frankreich her soufflirt wurde, während jene schweizerischen Ursprungs ist und für deutsches Leben mehr Sympathie empfindet.

Belgien.

Das Wichtigste, was in unsern Kammern seit meinem letzten Briefe vorgekommen, ist der Antrag des Finanzministers auf Autorisation zur Eröffnung eines Anlehens von effectiven 90 Millionen Franken. Die Höhe der Summe hat allgemein überrascht; man wußte zwar, daß der Weiterbau der Eisenbahn und die Consolidation der bisher zu diesem Behufe creirten, und noch nicht getilgten schwebenden Schuld, so wie die Regulirung der von Holland in Folge des Friedenstractats übernommenen jährlichen Rente, ein neues Anlehen nöthig machten, doch dachte man sich die Summe nicht so bedeutend, und war nur auf etwa 60 Millionen gefaßt. Die Vermehrung rührt daher, daß der Finanzminister zugleich alle andern Rückstände, die sich seit der Entstehung der neuen Ordnung noch durch die verschiedenen Jahresrechnungen durchschleppten, so wie überhaupt Alles, was nur irgend noch zu berichtigen war, in Eins zusammengefaßt hat. Sein Vortrag an die Kammer ist daher auch eine den gesammten Finanzstand umfassende Arbeit, aus der wir, da sie jetzt gedruckt vor uns liegt, hier das Wesentliche mittheilen. Wir fangen dabei mit demjenigen an, was sich auf die Eisenbahn bezieht.

Zufolge früherer Gesetze sind auf dieselbe bereits verwendet:

[Tabelle]

Zunächst also hat das neue Anlehen in Beziehung auf die Eisenbahn zu sorgen für die 54 Millionen, welche die noch zu bauenden Strecken kosten sollen, so wie für den Preis der 4000 rheinischen Actien. Hiezu kommt dann noch die Tilgung der zuletzt emittirten zwölf Millionen Tresorscheine, so wie eine Summe von 3,568,192 Fr. 81 C. für gewöhnliche Chausséebauten, was Alles zusammen einen Bedarf von 72,917,792 Fr. 85 C. bildet, der den ersten Abschnitt der geforderten Summe ausmacht. Der zweite Abschnitt besteht aus dem Deficit, das sich am Schlusse der Berichtigung aller frühern Rechnungsjahrgänge ergibt. Aus den Jahren 1830 bis 1837 sind nämlich noch zu berichtigen übrig in Allem:

[Tabelle]

Endlich fehlte auf dem dießjährigen Budget das zweite Semester der in Holland zu zahlenden Rente, dasselbe Semester der auf dem Brüsseler Hülfsbuch der öffentlichen Schuld inscribirten Rente und die halbjährigen Zinsen des Anlehens von 30 Millionen (vom 18 Junius 1836), was zusammen noch eine Summe von 6,041,005 Fr. 28 C. bildet, die mit jener vereinigt

*) Der Redaction schien, die Ironie sey nicht zu verkennen; deßwegen glaubt sie auch einer die Sache ganz ernsthaft nehmenden umfassenden Erklärung des Hrn. Directors Scherr keine Aufnahme gewähren zu können, die sie ihm sonst da, wo er wirklich angegriffen war, nie versagte.
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[1148/0012] des religiösen Sinnes des Züricher Volkes, andrerseits in dem Bedürfniß einer politischen Modification ihren Grund gehabt, und es sey daher eine veränderte Stellung der kirchlichen und der politischen Oberbehörden angestrebt worden, erfahren wir aus jenem Aufsatz: die Regierung sey nicht gestürzt, und die verpönte Geistesrichtung des Clerus sey ebensowenig als die Verfassung modificirt worden. Vielmehr sey nur „Scherrs deutsche Sprachlehre mit tausend Knütteln aus dem Kantou geschlagen worden!“ – Und was wird zum Beweis dieser Paradoxa angeführt? 1) Daß Bürgermeister Heß vor wie nach an der Spitze der Regierung geblieben ist. Da aber in Folge des 6 Sept. „der Seminardirector mit seiner Becker'schen Grammatik aus- und das historische Recht einwanderte,“ so war Hr. Heß vor dem 6 Sept. doch wohl der lebendige Ausdruck jener Grammatik, während sich seit jenem Zeitpunkt das historische Recht in ihm verkörpert!? 2) Daß „kein Pfarrer, wenn auch der neuen Messiasidee zugethan, seine Stelle verloren hat.“ Aber haben diese letztern wohl auch ihre frühere Stellung behauptet? Doch wofür eine gründliche Widerlegung jener auffallenden, wohl nur scherzhaften Erklärung *) des 6 Septembers? Daß dieselbe durchaus schief ist, geht am unzweideutigsten daraus hervor, daß jene Becker'sche Sprachtheorie, von welcher behauptet wird, sie sey aus dem Kanton geschlagen worden, gegenwärtig noch im ganzen Kanton in Anwendung geblieben, und daß in keiner Zeitung, in keiner Petition, in keinem Vortrag im großen Rath u. s. w. irgend etwas gegen dieselbe eingewendet worden ist! – Was das historische Recht betrifft, welchem jener Correspondent nicht hold zu seyn scheint, oder dessen Anrufung er wenigstens in Zürich für unpassend hält, so ist so viel gewiß, daß mehrere der einflußreichsten Magistratspersonen, welche seit dem 6 Sept. die Leitung der öffentlichen Geschäfte übernommen haben, der sogenannten historischen Schule angehören. Diese werden, so oft es sich de lege ferenda handelt, das Neuzuschaffende an das vorher Bestandene anknüpfen, und nicht dazu Hand bieten, unserm Volksleben durchaus fremde Institutionen in der Schweiz einzupfropfen. – Der Hauptunterschied zwischen der jetzigen Regierung und der früheren ist aber wohl derjenige: daß diese französischen Ursprungs war, und von Frankreich her soufflirt wurde, während jene schweizerischen Ursprungs ist und für deutsches Leben mehr Sympathie empfindet. Belgien. _ Brüssel, 14 Mai. Das Wichtigste, was in unsern Kammern seit meinem letzten Briefe vorgekommen, ist der Antrag des Finanzministers auf Autorisation zur Eröffnung eines Anlehens von effectiven 90 Millionen Franken. Die Höhe der Summe hat allgemein überrascht; man wußte zwar, daß der Weiterbau der Eisenbahn und die Consolidation der bisher zu diesem Behufe creirten, und noch nicht getilgten schwebenden Schuld, so wie die Regulirung der von Holland in Folge des Friedenstractats übernommenen jährlichen Rente, ein neues Anlehen nöthig machten, doch dachte man sich die Summe nicht so bedeutend, und war nur auf etwa 60 Millionen gefaßt. Die Vermehrung rührt daher, daß der Finanzminister zugleich alle andern Rückstände, die sich seit der Entstehung der neuen Ordnung noch durch die verschiedenen Jahresrechnungen durchschleppten, so wie überhaupt Alles, was nur irgend noch zu berichtigen war, in Eins zusammengefaßt hat. Sein Vortrag an die Kammer ist daher auch eine den gesammten Finanzstand umfassende Arbeit, aus der wir, da sie jetzt gedruckt vor uns liegt, hier das Wesentliche mittheilen. Wir fangen dabei mit demjenigen an, was sich auf die Eisenbahn bezieht. Zufolge früherer Gesetze sind auf dieselbe bereits verwendet: Zunächst also hat das neue Anlehen in Beziehung auf die Eisenbahn zu sorgen für die 54 Millionen, welche die noch zu bauenden Strecken kosten sollen, so wie für den Preis der 4000 rheinischen Actien. Hiezu kommt dann noch die Tilgung der zuletzt emittirten zwölf Millionen Tresorscheine, so wie eine Summe von 3,568,192 Fr. 81 C. für gewöhnliche Chausséebauten, was Alles zusammen einen Bedarf von 72,917,792 Fr. 85 C. bildet, der den ersten Abschnitt der geforderten Summe ausmacht. Der zweite Abschnitt besteht aus dem Deficit, das sich am Schlusse der Berichtigung aller frühern Rechnungsjahrgänge ergibt. Aus den Jahren 1830 bis 1837 sind nämlich noch zu berichtigen übrig in Allem: Endlich fehlte auf dem dießjährigen Budget das zweite Semester der in Holland zu zahlenden Rente, dasselbe Semester der auf dem Brüsseler Hülfsbuch der öffentlichen Schuld inscribirten Rente und die halbjährigen Zinsen des Anlehens von 30 Millionen (vom 18 Junius 1836), was zusammen noch eine Summe von 6,041,005 Fr. 28 C. bildet, die mit jener vereinigt *) Der Redaction schien, die Ironie sey nicht zu verkennen; deßwegen glaubt sie auch einer die Sache ganz ernsthaft nehmenden umfassenden Erklärung des Hrn. Directors Scherr keine Aufnahme gewähren zu können, die sie ihm sonst da, wo er wirklich angegriffen war, nie versagte.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 144. Augsburg, 23. Mai 1840, S. 1148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_144_18400523/12>, abgerufen am 22.11.2024.