Allgemeine Zeitung. Nr. 142. Augsburg, 21. Mai 1840.Ungarn und der Reichstag. Nieder-Ungarn, Ende April. *) Das Lesen der Allgemeinen Zeitung, welches ich gleichsam zu meinen ersten Lebensbedürfnissen rechne, ist für mich noch unentbehrlicher geworden, seitdem die Redaction Besprechungen über ungarische Zustände die Spalten ihres Blattes häufiger zu öffnen angefangen hat. Von der Thatsache, daß die Redaction der Allg. Zeitung, allen redlichen, wenn auch entgegengesetzten Ansichten sich zu ergänzen, zu berichtigen, zu bekämpfen stets gerne Gelegenheit gegeben hat, ist auch in diesem Falle für die Sache der Wahrheit, welche die allein gute ist, mehr Vortheil zu erwarten. Die Gebrechen unserer Institutionen, die Mißgriffe, welche Regierung und Landstände, oder beide zusammen, als Gesetzgeber begangen haben, die Unterlassungen, die sich die Regierung, die Uebertreibungen die sich die Opposition zu Schulden kommen ließ, aufzudecken, muß ein verdienstvolles Unternehmen genannt werden, und wird auch dieser Kampf nicht in dem Lande, wo er eigentlich entschieden werden muß, geführt, so bewegt er sich doch auf einem gut gewählten Terrain, auf dem Felde der Oeffentlichkeit und in einer deutschen Zeitung, beides geeignet, eine gemäßigte und vielseitige Discussion möglich, und ihre Folgen auch für mein Vaterland ersprießlich zu machen. Dieses Land, in früherer Zeit kaum gekannt, kaum der Aufmerksamkeit der Reisenden und Schriftsteller gewürdigt, ist, wie natürlich, sehr oft falsch beurtheilt worden, und daher kam es, daß es zur Gewohnheit wurde, jede, wenn auch oft ungerechte Verurtheilung ungarischer Zustände und Erscheinungen so ziemlich gleichgültig hinzunehmen und selten etwas zu erwiedern. Seitdem aber an die Verhandlung unserer Angelegenheiten in öffentlichen Versammlungen sich die Besprechung solcher im Weg der Presse häufiger anzureihen angefangen hat und wir gewahr wurden, daß uns auch vom Auslande her mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird, somit gründlichere Urtheile sich über unsere Zustände bilden dürften, sind wir auch gegen den Tadel empfindlicher geworden. Dieß mag insbesondere bei handelnden Personen, die sich durch den ausgesprochenen Tadel persönlich berührt glauben, um so natürlicher befunden werden, als selbst der Verfasser der pia desideria in der Beilage zur Allg. Zeitung Nro. 102 seiner eigenen Empfindlichkeit in einigen gut gelungenen Bonmots hat Luft machen müssen. Freilich sind diese viel höflicher und anständiger als die Frage, die Hr. v. Esaplovics an den Verfasser der pia desideria zu richten für gut befunden hat; inzwischen scheint hier Gleiches mit Gleichem vergolten worden zu seyn, indem der Verfasser auf eine ungehörige Frage des Hr. v. Esaplovics diesem das ungehörige Epitheton eines Compilators gegeben hat. Die Meinungen "des berühmten Reisenden mit der Fürstenkrone" sind Ergebnisse flüchtiger und kurzer Beobachtungen, und ich glaube kaum seine Bescheidenheit zu überschätzen, wenn ich voraussetze, daß er nicht gemeint war, dieselben für etwas mehr auszugeben. Ein Anderes ist es mit den piis desideriis, die einen Mann zum Verfasser haben, der 25 Jahre in Ungarn gelebt hat, der behauptet für uns eine nicht gewöhnliche Sympathie zu fühlen, dessen Meinungen somit aus diesen Gründen einen größern Grad von Gründlichkeit und Bedeutung voraussetzen lassen. Gestatte mir die verehrliche Redaction, über diese, insofern solche in dem angezogenen Blatt enthalten sind, einige Bemerkungen zu machen. Da ich der Ansicht bin, der Gegenstand, der hier verhandelt wird, sey ernster Natur, so werde ich weder dem Verfasser der pia desideria, noch meinem Freunde v. Pulszky, auf das Feld des Witzes und Humors folgen; ich fühle, daß ich hiezu wenig Talent besitze, und die Aussicht, welche die poetische Einbildungskraft des ersteren jedem solchen Unternehmen gestellt hat, durch den fürstlichen Reisenden "mit Einem Griff erdrückt zu werden," ist nicht geeignet, mich dazu einzuladen. Bleiben wir also auf dem Felde der Thatsachen, rufe ich mit dem Verfasser, und hoffe von seiner Billigkeit, er werde nicht verlangen, daß der Leser Behauptungen, die er aufgestellt, aber nicht erwiesen hat, gleich für Thatsachen hinnehmen solle. Vor Allem muß ich dem Verfasser eine Täuschung benehmen. Er irrt vollkommen, wenn er glaubt, die Wirkung seiner desideria wäre eine ungewöhnliche gewesen und ihr Nutzen könne nicht geläugnet werden. Jedem, der die ungarischen Zustände in letzter Zeit seiner Aufmerksamkeit gewürdigt hat, ist bekannt, daß die Bewegungen, deren Zeugen wir sind und noch lange seyn werden, ihren Ursprung in den Ereignissen der Jahre 1822 und 1823 haben, und der Landtag vom Jahr 1825 deren Ausgangspunkt bildet, während die regern Bestrebungen, Nationalität und ihre erste Bedingung, die Nationalsprache, zu heben und ihre Herrschaft zu begründen, als Fortwirkung der im Jahr 1790 begonnenen Tendenzen, in die nämliche Epoche fallen. Der Verfasser, der 25 Jahre in Ungarn gelebt hat, war vielleicht Augenzeuge dieser Bewegung. Jedenfalls läßt sich von ihm, der über ungarische Zustände schreibt, voraussetzen, er habe die Erscheinungen, die seit jener Epoche die ungarische Litteratur darbietet, einiger Aufmerksamkeit gewürdigt. Da findet er die pia desideria in ungarischer Sprache häufig mit gleicher Wahrheit, oft mit gleicher Uebertreibung und meistens mit eben so geringer Schonung vorgetragen. Alles was in den piis desideriis enthalten ist, haben wir uns längst mit gleicher Energie gesagt, und sagen es uns noch tagtäglich. Nicht daran hat es gefehlt, daß wir die Wahrheit nicht gekannt, daß wir vor ihren Lichtstrahlen unsere Augen geflissentlich zugedrückt - an der Leitung zum Ziele, an der Kraft, diesen Bestrebungen eine Richtung zu geben und sie in der einmal gegebenen festzuhalten, an den Mitteln, daß die Gährung eine normale bleibe und keine stürmische werde, hat es gefehlt. Daher die Abnormitäten, die hier und da vorgekommen sind. Die pia desideria haben die Bewegung schon vorgefunden. Haben sie etwa dazu beigetragen, ihr eine Richtung zu geben? Haben sie dazu beigetragen, Vorurtheile zu berichtigen, die Aufregung der Gemüther zu beschwichtigen? Keines kann ernstlich beabsichtigt worden seyn, sonst hätte ein anderer Ton angestimmt werden müssen. Die desideria haben eine Besprechung ungarischer Zustände in öffentlichen Blättern hervorgerufen; das ist der ganze Vortheil, aber auch dieser wäre gewinnreicher geworden, würde nicht die gereizte Stimmung, welche sich von allem Anfang kund gab und fortdauert, befürchten lassen, der Streit würde zu einem ganz persönlichen herabsinken. *) Auf dieses Maaß erlaube ich mir den Nutzen der pia desideria zurück zu führen. Ungewöhnliches Aufsehen haben die pia desideria allerdings erregt, aber dieses *) Von Graf Emil Desewffy. *) Der edle Verfasser dieser Zeilen hatte, als er sie niederschrieb, die zwei letzten Artikel des Verfassers der pia desideria noch nicht gelesen, und den alle Erwartungen übertreffenden glücklichen Ausgang des Landtags noch nicht gekannt. A. d. Red.
Ungarn und der Reichstag. Nieder-Ungarn, Ende April. *) Das Lesen der Allgemeinen Zeitung, welches ich gleichsam zu meinen ersten Lebensbedürfnissen rechne, ist für mich noch unentbehrlicher geworden, seitdem die Redaction Besprechungen über ungarische Zustände die Spalten ihres Blattes häufiger zu öffnen angefangen hat. Von der Thatsache, daß die Redaction der Allg. Zeitung, allen redlichen, wenn auch entgegengesetzten Ansichten sich zu ergänzen, zu berichtigen, zu bekämpfen stets gerne Gelegenheit gegeben hat, ist auch in diesem Falle für die Sache der Wahrheit, welche die allein gute ist, mehr Vortheil zu erwarten. Die Gebrechen unserer Institutionen, die Mißgriffe, welche Regierung und Landstände, oder beide zusammen, als Gesetzgeber begangen haben, die Unterlassungen, die sich die Regierung, die Uebertreibungen die sich die Opposition zu Schulden kommen ließ, aufzudecken, muß ein verdienstvolles Unternehmen genannt werden, und wird auch dieser Kampf nicht in dem Lande, wo er eigentlich entschieden werden muß, geführt, so bewegt er sich doch auf einem gut gewählten Terrain, auf dem Felde der Oeffentlichkeit und in einer deutschen Zeitung, beides geeignet, eine gemäßigte und vielseitige Discussion möglich, und ihre Folgen auch für mein Vaterland ersprießlich zu machen. Dieses Land, in früherer Zeit kaum gekannt, kaum der Aufmerksamkeit der Reisenden und Schriftsteller gewürdigt, ist, wie natürlich, sehr oft falsch beurtheilt worden, und daher kam es, daß es zur Gewohnheit wurde, jede, wenn auch oft ungerechte Verurtheilung ungarischer Zustände und Erscheinungen so ziemlich gleichgültig hinzunehmen und selten etwas zu erwiedern. Seitdem aber an die Verhandlung unserer Angelegenheiten in öffentlichen Versammlungen sich die Besprechung solcher im Weg der Presse häufiger anzureihen angefangen hat und wir gewahr wurden, daß uns auch vom Auslande her mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird, somit gründlichere Urtheile sich über unsere Zustände bilden dürften, sind wir auch gegen den Tadel empfindlicher geworden. Dieß mag insbesondere bei handelnden Personen, die sich durch den ausgesprochenen Tadel persönlich berührt glauben, um so natürlicher befunden werden, als selbst der Verfasser der pia desideria in der Beilage zur Allg. Zeitung Nro. 102 seiner eigenen Empfindlichkeit in einigen gut gelungenen Bonmots hat Luft machen müssen. Freilich sind diese viel höflicher und anständiger als die Frage, die Hr. v. Esaplovics an den Verfasser der pia desideria zu richten für gut befunden hat; inzwischen scheint hier Gleiches mit Gleichem vergolten worden zu seyn, indem der Verfasser auf eine ungehörige Frage des Hr. v. Esaplovics diesem das ungehörige Epitheton eines Compilators gegeben hat. Die Meinungen „des berühmten Reisenden mit der Fürstenkrone“ sind Ergebnisse flüchtiger und kurzer Beobachtungen, und ich glaube kaum seine Bescheidenheit zu überschätzen, wenn ich voraussetze, daß er nicht gemeint war, dieselben für etwas mehr auszugeben. Ein Anderes ist es mit den piis desideriis, die einen Mann zum Verfasser haben, der 25 Jahre in Ungarn gelebt hat, der behauptet für uns eine nicht gewöhnliche Sympathie zu fühlen, dessen Meinungen somit aus diesen Gründen einen größern Grad von Gründlichkeit und Bedeutung voraussetzen lassen. Gestatte mir die verehrliche Redaction, über diese, insofern solche in dem angezogenen Blatt enthalten sind, einige Bemerkungen zu machen. Da ich der Ansicht bin, der Gegenstand, der hier verhandelt wird, sey ernster Natur, so werde ich weder dem Verfasser der pia desideria, noch meinem Freunde v. Pulszky, auf das Feld des Witzes und Humors folgen; ich fühle, daß ich hiezu wenig Talent besitze, und die Aussicht, welche die poetische Einbildungskraft des ersteren jedem solchen Unternehmen gestellt hat, durch den fürstlichen Reisenden „mit Einem Griff erdrückt zu werden,“ ist nicht geeignet, mich dazu einzuladen. Bleiben wir also auf dem Felde der Thatsachen, rufe ich mit dem Verfasser, und hoffe von seiner Billigkeit, er werde nicht verlangen, daß der Leser Behauptungen, die er aufgestellt, aber nicht erwiesen hat, gleich für Thatsachen hinnehmen solle. Vor Allem muß ich dem Verfasser eine Täuschung benehmen. Er irrt vollkommen, wenn er glaubt, die Wirkung seiner desideria wäre eine ungewöhnliche gewesen und ihr Nutzen könne nicht geläugnet werden. Jedem, der die ungarischen Zustände in letzter Zeit seiner Aufmerksamkeit gewürdigt hat, ist bekannt, daß die Bewegungen, deren Zeugen wir sind und noch lange seyn werden, ihren Ursprung in den Ereignissen der Jahre 1822 und 1823 haben, und der Landtag vom Jahr 1825 deren Ausgangspunkt bildet, während die regern Bestrebungen, Nationalität und ihre erste Bedingung, die Nationalsprache, zu heben und ihre Herrschaft zu begründen, als Fortwirkung der im Jahr 1790 begonnenen Tendenzen, in die nämliche Epoche fallen. Der Verfasser, der 25 Jahre in Ungarn gelebt hat, war vielleicht Augenzeuge dieser Bewegung. Jedenfalls läßt sich von ihm, der über ungarische Zustände schreibt, voraussetzen, er habe die Erscheinungen, die seit jener Epoche die ungarische Litteratur darbietet, einiger Aufmerksamkeit gewürdigt. Da findet er die pia desideria in ungarischer Sprache häufig mit gleicher Wahrheit, oft mit gleicher Uebertreibung und meistens mit eben so geringer Schonung vorgetragen. Alles was in den piis desideriis enthalten ist, haben wir uns längst mit gleicher Energie gesagt, und sagen es uns noch tagtäglich. Nicht daran hat es gefehlt, daß wir die Wahrheit nicht gekannt, daß wir vor ihren Lichtstrahlen unsere Augen geflissentlich zugedrückt – an der Leitung zum Ziele, an der Kraft, diesen Bestrebungen eine Richtung zu geben und sie in der einmal gegebenen festzuhalten, an den Mitteln, daß die Gährung eine normale bleibe und keine stürmische werde, hat es gefehlt. Daher die Abnormitäten, die hier und da vorgekommen sind. Die pia desideria haben die Bewegung schon vorgefunden. Haben sie etwa dazu beigetragen, ihr eine Richtung zu geben? Haben sie dazu beigetragen, Vorurtheile zu berichtigen, die Aufregung der Gemüther zu beschwichtigen? Keines kann ernstlich beabsichtigt worden seyn, sonst hätte ein anderer Ton angestimmt werden müssen. Die desideria haben eine Besprechung ungarischer Zustände in öffentlichen Blättern hervorgerufen; das ist der ganze Vortheil, aber auch dieser wäre gewinnreicher geworden, würde nicht die gereizte Stimmung, welche sich von allem Anfang kund gab und fortdauert, befürchten lassen, der Streit würde zu einem ganz persönlichen herabsinken. *) Auf dieses Maaß erlaube ich mir den Nutzen der pia desideria zurück zu führen. Ungewöhnliches Aufsehen haben die pia desideria allerdings erregt, aber dieses *) Von Graf Emil Desewffy. *) Der edle Verfasser dieser Zeilen hatte, als er sie niederschrieb, die zwei letzten Artikel des Verfassers der pia desideria noch nicht gelesen, und den alle Erwartungen übertreffenden glücklichen Ausgang des Landtags noch nicht gekannt. A. d. Red.
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Zeitung, allen redlichen, wenn auch entgegengesetzten Ansichten sich zu ergänzen, zu berichtigen, zu bekämpfen stets gerne Gelegenheit gegeben hat, ist auch in diesem Falle für die Sache der Wahrheit, welche die allein gute ist, mehr Vortheil zu erwarten. Die Gebrechen unserer Institutionen, die Mißgriffe, welche Regierung und Landstände, oder beide zusammen, als Gesetzgeber begangen haben, die Unterlassungen, die sich die Regierung, die Uebertreibungen die sich die Opposition zu Schulden kommen ließ, aufzudecken, muß ein verdienstvolles Unternehmen genannt werden, und wird auch dieser Kampf nicht in dem Lande, wo er eigentlich entschieden werden muß, geführt, so bewegt er sich doch auf einem gut gewählten Terrain, auf dem Felde der Oeffentlichkeit und in einer deutschen Zeitung, beides geeignet, eine gemäßigte und vielseitige Discussion möglich, und ihre Folgen auch für mein Vaterland ersprießlich zu machen. Dieses Land, in früherer Zeit kaum gekannt, kaum der Aufmerksamkeit der Reisenden und Schriftsteller gewürdigt, ist, wie natürlich, sehr oft falsch beurtheilt worden, und daher kam es, daß es zur Gewohnheit wurde, jede, wenn auch oft ungerechte Verurtheilung ungarischer Zustände und Erscheinungen so ziemlich gleichgültig hinzunehmen und selten etwas zu erwiedern. Seitdem aber an die Verhandlung unserer Angelegenheiten in öffentlichen Versammlungen sich die Besprechung solcher im Weg der Presse häufiger anzureihen angefangen hat und wir gewahr wurden, daß uns auch vom Auslande her mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird, somit gründlichere Urtheile sich über unsere Zustände bilden dürften, sind wir auch gegen den Tadel empfindlicher geworden. Dieß mag insbesondere bei handelnden Personen, die sich durch den ausgesprochenen Tadel persönlich berührt glauben, um so natürlicher befunden werden, als selbst der Verfasser der pia desideria in der Beilage zur Allg. Zeitung Nro. 102 seiner eigenen Empfindlichkeit in einigen gut gelungenen Bonmots hat Luft machen müssen. Freilich sind diese viel höflicher und anständiger als die Frage, die Hr. v. Esaplovics an den Verfasser der pia desideria zu richten für gut befunden hat; inzwischen scheint hier Gleiches mit Gleichem vergolten worden zu seyn, indem der Verfasser auf eine ungehörige Frage des Hr. v. Esaplovics diesem das ungehörige Epitheton eines Compilators gegeben hat.</p><lb/> <p>Die Meinungen „des berühmten Reisenden mit der Fürstenkrone“ sind Ergebnisse flüchtiger und kurzer Beobachtungen, und ich glaube kaum seine Bescheidenheit zu überschätzen, wenn ich voraussetze, daß er nicht gemeint war, dieselben für etwas mehr auszugeben. Ein Anderes ist es mit den piis desideriis, die einen Mann zum Verfasser haben, der 25 Jahre in Ungarn gelebt hat, der behauptet für uns eine nicht gewöhnliche Sympathie zu fühlen, dessen Meinungen somit aus diesen Gründen einen größern Grad von Gründlichkeit und Bedeutung voraussetzen lassen. Gestatte mir die verehrliche Redaction, über diese, insofern solche in dem angezogenen Blatt enthalten sind, einige Bemerkungen zu machen. Da ich der Ansicht bin, der Gegenstand, der hier verhandelt wird, sey ernster Natur, so werde ich weder dem Verfasser der pia desideria, noch meinem Freunde v. Pulszky, auf das Feld des Witzes und Humors folgen; ich fühle, daß ich hiezu wenig Talent besitze, und die Aussicht, welche die poetische Einbildungskraft des ersteren jedem solchen Unternehmen gestellt hat, durch den fürstlichen Reisenden „mit Einem Griff erdrückt zu werden,“ ist nicht geeignet, mich dazu einzuladen. Bleiben wir also auf dem Felde der Thatsachen, rufe ich mit dem Verfasser, und hoffe von seiner Billigkeit, er werde nicht verlangen, daß der Leser Behauptungen, die er aufgestellt, aber nicht erwiesen hat, gleich für Thatsachen hinnehmen solle.</p><lb/> <p>Vor Allem muß ich dem Verfasser eine Täuschung benehmen. Er irrt vollkommen, wenn er glaubt, die Wirkung seiner desideria wäre eine ungewöhnliche gewesen und ihr Nutzen könne nicht geläugnet werden. Jedem, der die ungarischen Zustände in letzter Zeit seiner Aufmerksamkeit gewürdigt hat, ist bekannt, daß die Bewegungen, deren Zeugen wir sind und noch lange seyn werden, ihren Ursprung in den Ereignissen der Jahre 1822 und 1823 haben, und der Landtag vom Jahr 1825 deren Ausgangspunkt bildet, während die regern Bestrebungen, Nationalität und ihre erste Bedingung, die Nationalsprache, zu heben und ihre Herrschaft zu begründen, als Fortwirkung der im Jahr 1790 begonnenen Tendenzen, in die nämliche Epoche fallen. Der Verfasser, der 25 Jahre in Ungarn gelebt hat, war vielleicht Augenzeuge dieser Bewegung. Jedenfalls läßt sich von ihm, der über ungarische Zustände schreibt, voraussetzen, er habe die Erscheinungen, die seit jener Epoche die ungarische Litteratur darbietet, einiger Aufmerksamkeit gewürdigt. Da findet er die pia desideria in ungarischer Sprache häufig mit gleicher Wahrheit, oft mit gleicher Uebertreibung und meistens mit eben so geringer Schonung vorgetragen. Alles was in den piis desideriis enthalten ist, haben wir uns längst mit gleicher Energie gesagt, und sagen es uns noch tagtäglich. Nicht daran hat es gefehlt, daß wir die Wahrheit nicht gekannt, daß wir vor ihren Lichtstrahlen unsere Augen geflissentlich zugedrückt – an der Leitung zum Ziele, an der Kraft, diesen Bestrebungen eine Richtung zu geben und sie in der einmal gegebenen festzuhalten, an den Mitteln, daß die Gährung eine normale bleibe und keine stürmische werde, hat es gefehlt. Daher die Abnormitäten, die hier und da vorgekommen sind. Die pia desideria haben die Bewegung schon vorgefunden. Haben sie etwa dazu beigetragen, ihr eine Richtung zu geben? Haben sie dazu beigetragen, Vorurtheile zu berichtigen, die Aufregung der Gemüther zu beschwichtigen? Keines kann ernstlich beabsichtigt worden seyn, sonst hätte ein anderer Ton angestimmt werden müssen. Die desideria haben eine Besprechung ungarischer Zustände in öffentlichen Blättern hervorgerufen; das ist der ganze Vortheil, aber auch dieser wäre gewinnreicher geworden, würde nicht die gereizte Stimmung, welche sich von allem Anfang kund gab und fortdauert, befürchten lassen, der Streit würde zu einem ganz persönlichen herabsinken. <note place="foot" n="*)"><p>Der edle Verfasser dieser Zeilen hatte, als er sie niederschrieb, die zwei letzten Artikel des Verfassers der pia desideria noch nicht gelesen, und den alle Erwartungen übertreffenden glücklichen Ausgang des Landtags noch nicht gekannt. A. d. Red.</p></note> Auf dieses Maaß erlaube ich mir den Nutzen der pia desideria zurück zu führen. Ungewöhnliches Aufsehen haben die pia desideria allerdings erregt, aber dieses<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1129/0009]
Ungarn und der Reichstag.
_ Nieder-Ungarn, Ende April. *) Das Lesen der Allgemeinen Zeitung, welches ich gleichsam zu meinen ersten Lebensbedürfnissen rechne, ist für mich noch unentbehrlicher geworden, seitdem die Redaction Besprechungen über ungarische Zustände die Spalten ihres Blattes häufiger zu öffnen angefangen hat. Von der Thatsache, daß die Redaction der Allg. Zeitung, allen redlichen, wenn auch entgegengesetzten Ansichten sich zu ergänzen, zu berichtigen, zu bekämpfen stets gerne Gelegenheit gegeben hat, ist auch in diesem Falle für die Sache der Wahrheit, welche die allein gute ist, mehr Vortheil zu erwarten. Die Gebrechen unserer Institutionen, die Mißgriffe, welche Regierung und Landstände, oder beide zusammen, als Gesetzgeber begangen haben, die Unterlassungen, die sich die Regierung, die Uebertreibungen die sich die Opposition zu Schulden kommen ließ, aufzudecken, muß ein verdienstvolles Unternehmen genannt werden, und wird auch dieser Kampf nicht in dem Lande, wo er eigentlich entschieden werden muß, geführt, so bewegt er sich doch auf einem gut gewählten Terrain, auf dem Felde der Oeffentlichkeit und in einer deutschen Zeitung, beides geeignet, eine gemäßigte und vielseitige Discussion möglich, und ihre Folgen auch für mein Vaterland ersprießlich zu machen. Dieses Land, in früherer Zeit kaum gekannt, kaum der Aufmerksamkeit der Reisenden und Schriftsteller gewürdigt, ist, wie natürlich, sehr oft falsch beurtheilt worden, und daher kam es, daß es zur Gewohnheit wurde, jede, wenn auch oft ungerechte Verurtheilung ungarischer Zustände und Erscheinungen so ziemlich gleichgültig hinzunehmen und selten etwas zu erwiedern. Seitdem aber an die Verhandlung unserer Angelegenheiten in öffentlichen Versammlungen sich die Besprechung solcher im Weg der Presse häufiger anzureihen angefangen hat und wir gewahr wurden, daß uns auch vom Auslande her mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird, somit gründlichere Urtheile sich über unsere Zustände bilden dürften, sind wir auch gegen den Tadel empfindlicher geworden. Dieß mag insbesondere bei handelnden Personen, die sich durch den ausgesprochenen Tadel persönlich berührt glauben, um so natürlicher befunden werden, als selbst der Verfasser der pia desideria in der Beilage zur Allg. Zeitung Nro. 102 seiner eigenen Empfindlichkeit in einigen gut gelungenen Bonmots hat Luft machen müssen. Freilich sind diese viel höflicher und anständiger als die Frage, die Hr. v. Esaplovics an den Verfasser der pia desideria zu richten für gut befunden hat; inzwischen scheint hier Gleiches mit Gleichem vergolten worden zu seyn, indem der Verfasser auf eine ungehörige Frage des Hr. v. Esaplovics diesem das ungehörige Epitheton eines Compilators gegeben hat.
Die Meinungen „des berühmten Reisenden mit der Fürstenkrone“ sind Ergebnisse flüchtiger und kurzer Beobachtungen, und ich glaube kaum seine Bescheidenheit zu überschätzen, wenn ich voraussetze, daß er nicht gemeint war, dieselben für etwas mehr auszugeben. Ein Anderes ist es mit den piis desideriis, die einen Mann zum Verfasser haben, der 25 Jahre in Ungarn gelebt hat, der behauptet für uns eine nicht gewöhnliche Sympathie zu fühlen, dessen Meinungen somit aus diesen Gründen einen größern Grad von Gründlichkeit und Bedeutung voraussetzen lassen. Gestatte mir die verehrliche Redaction, über diese, insofern solche in dem angezogenen Blatt enthalten sind, einige Bemerkungen zu machen. Da ich der Ansicht bin, der Gegenstand, der hier verhandelt wird, sey ernster Natur, so werde ich weder dem Verfasser der pia desideria, noch meinem Freunde v. Pulszky, auf das Feld des Witzes und Humors folgen; ich fühle, daß ich hiezu wenig Talent besitze, und die Aussicht, welche die poetische Einbildungskraft des ersteren jedem solchen Unternehmen gestellt hat, durch den fürstlichen Reisenden „mit Einem Griff erdrückt zu werden,“ ist nicht geeignet, mich dazu einzuladen. Bleiben wir also auf dem Felde der Thatsachen, rufe ich mit dem Verfasser, und hoffe von seiner Billigkeit, er werde nicht verlangen, daß der Leser Behauptungen, die er aufgestellt, aber nicht erwiesen hat, gleich für Thatsachen hinnehmen solle.
Vor Allem muß ich dem Verfasser eine Täuschung benehmen. Er irrt vollkommen, wenn er glaubt, die Wirkung seiner desideria wäre eine ungewöhnliche gewesen und ihr Nutzen könne nicht geläugnet werden. Jedem, der die ungarischen Zustände in letzter Zeit seiner Aufmerksamkeit gewürdigt hat, ist bekannt, daß die Bewegungen, deren Zeugen wir sind und noch lange seyn werden, ihren Ursprung in den Ereignissen der Jahre 1822 und 1823 haben, und der Landtag vom Jahr 1825 deren Ausgangspunkt bildet, während die regern Bestrebungen, Nationalität und ihre erste Bedingung, die Nationalsprache, zu heben und ihre Herrschaft zu begründen, als Fortwirkung der im Jahr 1790 begonnenen Tendenzen, in die nämliche Epoche fallen. Der Verfasser, der 25 Jahre in Ungarn gelebt hat, war vielleicht Augenzeuge dieser Bewegung. Jedenfalls läßt sich von ihm, der über ungarische Zustände schreibt, voraussetzen, er habe die Erscheinungen, die seit jener Epoche die ungarische Litteratur darbietet, einiger Aufmerksamkeit gewürdigt. Da findet er die pia desideria in ungarischer Sprache häufig mit gleicher Wahrheit, oft mit gleicher Uebertreibung und meistens mit eben so geringer Schonung vorgetragen. Alles was in den piis desideriis enthalten ist, haben wir uns längst mit gleicher Energie gesagt, und sagen es uns noch tagtäglich. Nicht daran hat es gefehlt, daß wir die Wahrheit nicht gekannt, daß wir vor ihren Lichtstrahlen unsere Augen geflissentlich zugedrückt – an der Leitung zum Ziele, an der Kraft, diesen Bestrebungen eine Richtung zu geben und sie in der einmal gegebenen festzuhalten, an den Mitteln, daß die Gährung eine normale bleibe und keine stürmische werde, hat es gefehlt. Daher die Abnormitäten, die hier und da vorgekommen sind. Die pia desideria haben die Bewegung schon vorgefunden. Haben sie etwa dazu beigetragen, ihr eine Richtung zu geben? Haben sie dazu beigetragen, Vorurtheile zu berichtigen, die Aufregung der Gemüther zu beschwichtigen? Keines kann ernstlich beabsichtigt worden seyn, sonst hätte ein anderer Ton angestimmt werden müssen. Die desideria haben eine Besprechung ungarischer Zustände in öffentlichen Blättern hervorgerufen; das ist der ganze Vortheil, aber auch dieser wäre gewinnreicher geworden, würde nicht die gereizte Stimmung, welche sich von allem Anfang kund gab und fortdauert, befürchten lassen, der Streit würde zu einem ganz persönlichen herabsinken. *) Auf dieses Maaß erlaube ich mir den Nutzen der pia desideria zurück zu führen. Ungewöhnliches Aufsehen haben die pia desideria allerdings erregt, aber dieses
*) Von Graf Emil Desewffy.
*) Der edle Verfasser dieser Zeilen hatte, als er sie niederschrieb, die zwei letzten Artikel des Verfassers der pia desideria noch nicht gelesen, und den alle Erwartungen übertreffenden glücklichen Ausgang des Landtags noch nicht gekannt. A. d. Red.
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