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Allgemeine Zeitung. Nr. 140. Augsburg, 19. Mai 1840.

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Ueber das politische und sociale Verhältniß zwischen Deutschland und Frankreich.

Als ich eben meinen dritten Artikel gegen Hrn. Marmier an die Allg. Zeitung abgesendet hatte, *)*) und noch ehe er im Druck erschien, erhielt ich von einem mir unbekannten aber mit vollem Namen unterzeichneten Franzosen einen Brief, von welchem Folgendes eine Uebersetzung ist: "Ein Franzose, welcher ungeachtet seines Alters bis jetzt besser als viele Greise gewußt hat, sich vor Uebertreibung und Fanatismus zu wahren, erlaubt sich, da er eben hört, daß Sie der Verfasser der in der Allg. Zeitung aufgenommenen Artikel sind, in welchen man aus Veranlassung des Marmier so viele Enormitäten über die Franzosen findet, Ihnen folgende Bemerkungen zu machen. Erstlich ist es vollkommen falsch, daß man nach der Revolution vom Julius gefürchtet hätte (ait craint), Ihnen den Krieg zu erklären, eingeschüchtert, wie Sie gesagt haben, durch die Erinnerungen von 1814 und 1815. Wer immer sich 1831, 1832 in Frankreich befunden hat, weiß sehr gut und hat sehr gut gewußt, daß die Franzosen den Krieg wünschten (desiraient), daß sie sich sehnten (aspiraient) die Verträge zu zerreißen, welche die Bourbons angenommen hatten, wenn die kleinlichen Interessen (mesquins interets) der Dynastie Orleans nicht über die der Nation das Uebergewicht bekommen hätten. Zweitens erstaunen Sie an einer Stelle über die Rolle, welche Frankreich für sich in Europa zurückfordern zu wollen scheint, und über den Einfluß, den es nach allen seinen Unfällen in Deutschland ausübt. Das kommt daher, weil Sie immer die wichtigste Thatsache der neuern Geschichte nicht erkannt haben, nämlich die tiefe Spaltung, welche sich zwischen der Regierung und der Nation hervorgethan hat. Nachdem Sie Napoleon gestürzt hatten, glaubten Sie Frankreich zu Boden geworfen zu haben. Sie haben sich schrecklich getäuscht. - Drittens durch euren politischen Verfall erbittert, sprecht ihr Deutschen nur in ungerechten und unwürdigen Ausdrücken von Frankreich. Ihr macht uns klein, ihr behandelt uns als furchtsam, um eure eigene Lethargie zu entschuldigen und eure geheime Furcht zum Schweigen zu bringen. - Mein Herr! Ich sage es Ihnen mit Aufrichtigkeit, die französische Nation ist noch heute, wie ehedem ihr Ritter Bayard, eine Nation ohne Furcht und ohne Tadel. Ihr ergebener Diener u. s. w."

Der Brief ist in meinem Wohnort den 3 Mai unterschrieben, trägt aber das Postzeichen einer zwölf Stunden von ihm entfernten Stadt mit den Zahlen 7/5 d. i. den siebenten Mai. Der Verfasser hat ihn also nicht während seines Aufenthalts in meiner Nähe abgegeben, sondern erst nach seinem Abgang aus der Ferne mir zugeschickt. Da er mir dadurch das Vergnügen genommen hat, mich über den Inhalt seines Schreibens persönlich mit ihm zu verständigen, so ist es ihm vielleicht recht, daß ich es in derselben Zeitung thue, die ihm durch meinen frühern Artikel ein so patriotisches Aergerniß gegeben hat. Damit aber auch die übrigen Leser der Allg. Zeitung an unserer Erörterung ihren Theil haben oder bei ihr einigermaßen ihre Rechnung finden, so soll die Sache so gewendet werden, daß der Inhalt des Briefes zugleich als das Thema zu einem Aufsatz von umfassendem Belange behandelt wird, welchen die Ueberschrift angibt. Dazu aber eignet er sich ganz vorzüglich, weil er die Vorurtheile und falschen Meinungen, welche in Frankreich über das Verhältniß zu uns und über uns selbst genährt und verbreitet und zu Axiomen der internationalen Meinung erhoben werden, in Kurzem, und wie man sagt, in der Nuß zusammen faßt.

Vor Allem aber möchte ich die Gesinnung, welche den Brief eingegeben hat, von meinen deutschen Landsleuten denjenigen zur Beherzigung empfehlen, welche etwa noch nöthig haben, an Fremden zu lernen, wie man sein Vaterland, selbst wenn man mit dessen Regierung nicht eben zufrieden ist, und auch in der Ferne lieben, in jedem Fall für dasselbe denken und empfinden, und seine Sache vertreten soll, wo man glaubt, daß ihm, d. i. seiner Ehre und seinem Interesse zu nahe getreten werde.

Dann aber möchte ich dem Verfasser selbst und andern seiner Landsleute, die etwa gleich ihm von meinen frühern Artikeln verletzt worden sind, bemerklich machen, daß ich mit der französischen Nation, ihrem Werth und der Anerkennung, welche sie in Anspruch nehmen darf, es gar nicht, sondern allein mit den Ansprüchen zu thun gehabt, welche in ihrem Namen und mit Bezug auf ihren allgemeinen Willen von einzelnen Franzosen auf unsere Rechnung erhoben werden, mit jenen Ansprüchen auf politisches und intellectuelles Uebergewicht, hinter welchen die Prätensionen auf materielle und geistige Herrschaft und Gewalt über uns hervorblicken, deren auch mein neuer und offenbar ehrenwerther Gegner in seinen Herzensergießungen sich keineswegs entschlagen hat. Es handelt sich also hier nicht von Angriff, sondern von Abwehr, von Schutz der wichtigsten und ernstesten Dinge gegenüber den Vorurtheilen und Wünschen, zu deren Realisirung den Gegnern große Mittel und eine auf Einheit der Macht gegründete politische Stärke zu Gebote stehen. Niemand aber wird die Obliegenheit für uns verkennen, jener politischen und socialen Begehrlichkeit beim ersten Auftritt mit Nachdruck zu begegnen, und kommt es dabei zu unerfreulichen Erklärungen, so geht es den Gegnern nur nach dem dreitausendjährigen Spruche:

"Welch' ein Wort du geredet, ein solches auch wirst du vernehmen."

Wir haben an sich wenig dagegen, daß die Franzosen ihre Nation mit ihrem Ritter ohne Furcht und Tadel vergleichen, daß sie nach allen Niederlagen vom Niemen bis an die Seine sich nicht für besiegt halten, sondern nur ihren Häuptling; endlich, daß sie behaupten, im Jahr 1830 seyen sie bereit gewesen, die Tractate von 1815 zu zerreißen, d. i. den ihnen zunächst gelegenen Theil ihrer Eroberungen wieder in Beschlag zu nehmen, und nur kleinliche Dynastie-Interessen hätten die Nation von ihrem großherzigen Entschluß abgewendet; aber ganz anders stellt sich die Sache für uns und gegenüber diesen Selbsttäuschungen, wenn man darauf die alten Ansprüche gründet, wenn man, wie auch hier geschieht, behauptet oder andeutet, daß eben, weil im Jahr 1814/1815 Frankreich nicht sey besiegt worden, darum die Tractate von 1815 ein Unrecht seyen, das man an Frankreich geübt, daß es darum nur in sein altes Recht eintrete, wenn es zunächst wieder den Rhein besetze, und daß, wenn es 1830 daran durch kleinliche Interessen der Dynastie gehindert worden, es, wenn jenes Hinderniß aufhört, oder diese Interessen sich mit den Nationalwünschen vereinigen, nicht unterlassen dürfe, und nicht unterlassen werde, nach dem zu greifen,

*) Wir werden denselben demnächst nachliefern. Die Redaction hatte die Aufnahme desselben verzögert, weil es ihr schien, es sey Hrn. Marmier und seiner flüchtigen Arbeit zu viel Ehre angethan, wenn man eine ganze Reihe ernster Widerlegungen gegen ihn ins Feld rücken lasse.
Ueber das politische und sociale Verhältniß zwischen Deutschland und Frankreich.

Als ich eben meinen dritten Artikel gegen Hrn. Marmier an die Allg. Zeitung abgesendet hatte, *)*) und noch ehe er im Druck erschien, erhielt ich von einem mir unbekannten aber mit vollem Namen unterzeichneten Franzosen einen Brief, von welchem Folgendes eine Uebersetzung ist: „Ein Franzose, welcher ungeachtet seines Alters bis jetzt besser als viele Greise gewußt hat, sich vor Uebertreibung und Fanatismus zu wahren, erlaubt sich, da er eben hört, daß Sie der Verfasser der in der Allg. Zeitung aufgenommenen Artikel sind, in welchen man aus Veranlassung des Marmier so viele Enormitäten über die Franzosen findet, Ihnen folgende Bemerkungen zu machen. Erstlich ist es vollkommen falsch, daß man nach der Revolution vom Julius gefürchtet hätte (ait craint), Ihnen den Krieg zu erklären, eingeschüchtert, wie Sie gesagt haben, durch die Erinnerungen von 1814 und 1815. Wer immer sich 1831, 1832 in Frankreich befunden hat, weiß sehr gut und hat sehr gut gewußt, daß die Franzosen den Krieg wünschten (desiraient), daß sie sich sehnten (aspiraient) die Verträge zu zerreißen, welche die Bourbons angenommen hatten, wenn die kleinlichen Interessen (mesquins intérêts) der Dynastie Orleans nicht über die der Nation das Uebergewicht bekommen hätten. Zweitens erstaunen Sie an einer Stelle über die Rolle, welche Frankreich für sich in Europa zurückfordern zu wollen scheint, und über den Einfluß, den es nach allen seinen Unfällen in Deutschland ausübt. Das kommt daher, weil Sie immer die wichtigste Thatsache der neuern Geschichte nicht erkannt haben, nämlich die tiefe Spaltung, welche sich zwischen der Regierung und der Nation hervorgethan hat. Nachdem Sie Napoleon gestürzt hatten, glaubten Sie Frankreich zu Boden geworfen zu haben. Sie haben sich schrecklich getäuscht. – Drittens durch euren politischen Verfall erbittert, sprecht ihr Deutschen nur in ungerechten und unwürdigen Ausdrücken von Frankreich. Ihr macht uns klein, ihr behandelt uns als furchtsam, um eure eigene Lethargie zu entschuldigen und eure geheime Furcht zum Schweigen zu bringen. – Mein Herr! Ich sage es Ihnen mit Aufrichtigkeit, die französische Nation ist noch heute, wie ehedem ihr Ritter Bayard, eine Nation ohne Furcht und ohne Tadel. Ihr ergebener Diener u. s. w.“

Der Brief ist in meinem Wohnort den 3 Mai unterschrieben, trägt aber das Postzeichen einer zwölf Stunden von ihm entfernten Stadt mit den Zahlen 7/5 d. i. den siebenten Mai. Der Verfasser hat ihn also nicht während seines Aufenthalts in meiner Nähe abgegeben, sondern erst nach seinem Abgang aus der Ferne mir zugeschickt. Da er mir dadurch das Vergnügen genommen hat, mich über den Inhalt seines Schreibens persönlich mit ihm zu verständigen, so ist es ihm vielleicht recht, daß ich es in derselben Zeitung thue, die ihm durch meinen frühern Artikel ein so patriotisches Aergerniß gegeben hat. Damit aber auch die übrigen Leser der Allg. Zeitung an unserer Erörterung ihren Theil haben oder bei ihr einigermaßen ihre Rechnung finden, so soll die Sache so gewendet werden, daß der Inhalt des Briefes zugleich als das Thema zu einem Aufsatz von umfassendem Belange behandelt wird, welchen die Ueberschrift angibt. Dazu aber eignet er sich ganz vorzüglich, weil er die Vorurtheile und falschen Meinungen, welche in Frankreich über das Verhältniß zu uns und über uns selbst genährt und verbreitet und zu Axiomen der internationalen Meinung erhoben werden, in Kurzem, und wie man sagt, in der Nuß zusammen faßt.

Vor Allem aber möchte ich die Gesinnung, welche den Brief eingegeben hat, von meinen deutschen Landsleuten denjenigen zur Beherzigung empfehlen, welche etwa noch nöthig haben, an Fremden zu lernen, wie man sein Vaterland, selbst wenn man mit dessen Regierung nicht eben zufrieden ist, und auch in der Ferne lieben, in jedem Fall für dasselbe denken und empfinden, und seine Sache vertreten soll, wo man glaubt, daß ihm, d. i. seiner Ehre und seinem Interesse zu nahe getreten werde.

Dann aber möchte ich dem Verfasser selbst und andern seiner Landsleute, die etwa gleich ihm von meinen frühern Artikeln verletzt worden sind, bemerklich machen, daß ich mit der französischen Nation, ihrem Werth und der Anerkennung, welche sie in Anspruch nehmen darf, es gar nicht, sondern allein mit den Ansprüchen zu thun gehabt, welche in ihrem Namen und mit Bezug auf ihren allgemeinen Willen von einzelnen Franzosen auf unsere Rechnung erhoben werden, mit jenen Ansprüchen auf politisches und intellectuelles Uebergewicht, hinter welchen die Prätensionen auf materielle und geistige Herrschaft und Gewalt über uns hervorblicken, deren auch mein neuer und offenbar ehrenwerther Gegner in seinen Herzensergießungen sich keineswegs entschlagen hat. Es handelt sich also hier nicht von Angriff, sondern von Abwehr, von Schutz der wichtigsten und ernstesten Dinge gegenüber den Vorurtheilen und Wünschen, zu deren Realisirung den Gegnern große Mittel und eine auf Einheit der Macht gegründete politische Stärke zu Gebote stehen. Niemand aber wird die Obliegenheit für uns verkennen, jener politischen und socialen Begehrlichkeit beim ersten Auftritt mit Nachdruck zu begegnen, und kommt es dabei zu unerfreulichen Erklärungen, so geht es den Gegnern nur nach dem dreitausendjährigen Spruche:

„Welch' ein Wort du geredet, ein solches auch wirst du vernehmen.“

Wir haben an sich wenig dagegen, daß die Franzosen ihre Nation mit ihrem Ritter ohne Furcht und Tadel vergleichen, daß sie nach allen Niederlagen vom Niemen bis an die Seine sich nicht für besiegt halten, sondern nur ihren Häuptling; endlich, daß sie behaupten, im Jahr 1830 seyen sie bereit gewesen, die Tractate von 1815 zu zerreißen, d. i. den ihnen zunächst gelegenen Theil ihrer Eroberungen wieder in Beschlag zu nehmen, und nur kleinliche Dynastie-Interessen hätten die Nation von ihrem großherzigen Entschluß abgewendet; aber ganz anders stellt sich die Sache für uns und gegenüber diesen Selbsttäuschungen, wenn man darauf die alten Ansprüche gründet, wenn man, wie auch hier geschieht, behauptet oder andeutet, daß eben, weil im Jahr 1814/1815 Frankreich nicht sey besiegt worden, darum die Tractate von 1815 ein Unrecht seyen, das man an Frankreich geübt, daß es darum nur in sein altes Recht eintrete, wenn es zunächst wieder den Rhein besetze, und daß, wenn es 1830 daran durch kleinliche Interessen der Dynastie gehindert worden, es, wenn jenes Hinderniß aufhört, oder diese Interessen sich mit den Nationalwünschen vereinigen, nicht unterlassen dürfe, und nicht unterlassen werde, nach dem zu greifen,

*) Wir werden denselben demnächst nachliefern. Die Redaction hatte die Aufnahme desselben verzögert, weil es ihr schien, es sey Hrn. Marmier und seiner flüchtigen Arbeit zu viel Ehre angethan, wenn man eine ganze Reihe ernster Widerlegungen gegen ihn ins Feld rücken lasse.
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[1113/0009] Ueber das politische und sociale Verhältniß zwischen Deutschland und Frankreich. Als ich eben meinen dritten Artikel gegen Hrn. Marmier an die Allg. Zeitung abgesendet hatte, *) *) und noch ehe er im Druck erschien, erhielt ich von einem mir unbekannten aber mit vollem Namen unterzeichneten Franzosen einen Brief, von welchem Folgendes eine Uebersetzung ist: „Ein Franzose, welcher ungeachtet seines Alters bis jetzt besser als viele Greise gewußt hat, sich vor Uebertreibung und Fanatismus zu wahren, erlaubt sich, da er eben hört, daß Sie der Verfasser der in der Allg. Zeitung aufgenommenen Artikel sind, in welchen man aus Veranlassung des Marmier so viele Enormitäten über die Franzosen findet, Ihnen folgende Bemerkungen zu machen. Erstlich ist es vollkommen falsch, daß man nach der Revolution vom Julius gefürchtet hätte (ait craint), Ihnen den Krieg zu erklären, eingeschüchtert, wie Sie gesagt haben, durch die Erinnerungen von 1814 und 1815. Wer immer sich 1831, 1832 in Frankreich befunden hat, weiß sehr gut und hat sehr gut gewußt, daß die Franzosen den Krieg wünschten (desiraient), daß sie sich sehnten (aspiraient) die Verträge zu zerreißen, welche die Bourbons angenommen hatten, wenn die kleinlichen Interessen (mesquins intérêts) der Dynastie Orleans nicht über die der Nation das Uebergewicht bekommen hätten. Zweitens erstaunen Sie an einer Stelle über die Rolle, welche Frankreich für sich in Europa zurückfordern zu wollen scheint, und über den Einfluß, den es nach allen seinen Unfällen in Deutschland ausübt. Das kommt daher, weil Sie immer die wichtigste Thatsache der neuern Geschichte nicht erkannt haben, nämlich die tiefe Spaltung, welche sich zwischen der Regierung und der Nation hervorgethan hat. Nachdem Sie Napoleon gestürzt hatten, glaubten Sie Frankreich zu Boden geworfen zu haben. Sie haben sich schrecklich getäuscht. – Drittens durch euren politischen Verfall erbittert, sprecht ihr Deutschen nur in ungerechten und unwürdigen Ausdrücken von Frankreich. Ihr macht uns klein, ihr behandelt uns als furchtsam, um eure eigene Lethargie zu entschuldigen und eure geheime Furcht zum Schweigen zu bringen. – Mein Herr! Ich sage es Ihnen mit Aufrichtigkeit, die französische Nation ist noch heute, wie ehedem ihr Ritter Bayard, eine Nation ohne Furcht und ohne Tadel. Ihr ergebener Diener u. s. w.“ Der Brief ist in meinem Wohnort den 3 Mai unterschrieben, trägt aber das Postzeichen einer zwölf Stunden von ihm entfernten Stadt mit den Zahlen 7/5 d. i. den siebenten Mai. Der Verfasser hat ihn also nicht während seines Aufenthalts in meiner Nähe abgegeben, sondern erst nach seinem Abgang aus der Ferne mir zugeschickt. Da er mir dadurch das Vergnügen genommen hat, mich über den Inhalt seines Schreibens persönlich mit ihm zu verständigen, so ist es ihm vielleicht recht, daß ich es in derselben Zeitung thue, die ihm durch meinen frühern Artikel ein so patriotisches Aergerniß gegeben hat. Damit aber auch die übrigen Leser der Allg. Zeitung an unserer Erörterung ihren Theil haben oder bei ihr einigermaßen ihre Rechnung finden, so soll die Sache so gewendet werden, daß der Inhalt des Briefes zugleich als das Thema zu einem Aufsatz von umfassendem Belange behandelt wird, welchen die Ueberschrift angibt. Dazu aber eignet er sich ganz vorzüglich, weil er die Vorurtheile und falschen Meinungen, welche in Frankreich über das Verhältniß zu uns und über uns selbst genährt und verbreitet und zu Axiomen der internationalen Meinung erhoben werden, in Kurzem, und wie man sagt, in der Nuß zusammen faßt. Vor Allem aber möchte ich die Gesinnung, welche den Brief eingegeben hat, von meinen deutschen Landsleuten denjenigen zur Beherzigung empfehlen, welche etwa noch nöthig haben, an Fremden zu lernen, wie man sein Vaterland, selbst wenn man mit dessen Regierung nicht eben zufrieden ist, und auch in der Ferne lieben, in jedem Fall für dasselbe denken und empfinden, und seine Sache vertreten soll, wo man glaubt, daß ihm, d. i. seiner Ehre und seinem Interesse zu nahe getreten werde. Dann aber möchte ich dem Verfasser selbst und andern seiner Landsleute, die etwa gleich ihm von meinen frühern Artikeln verletzt worden sind, bemerklich machen, daß ich mit der französischen Nation, ihrem Werth und der Anerkennung, welche sie in Anspruch nehmen darf, es gar nicht, sondern allein mit den Ansprüchen zu thun gehabt, welche in ihrem Namen und mit Bezug auf ihren allgemeinen Willen von einzelnen Franzosen auf unsere Rechnung erhoben werden, mit jenen Ansprüchen auf politisches und intellectuelles Uebergewicht, hinter welchen die Prätensionen auf materielle und geistige Herrschaft und Gewalt über uns hervorblicken, deren auch mein neuer und offenbar ehrenwerther Gegner in seinen Herzensergießungen sich keineswegs entschlagen hat. Es handelt sich also hier nicht von Angriff, sondern von Abwehr, von Schutz der wichtigsten und ernstesten Dinge gegenüber den Vorurtheilen und Wünschen, zu deren Realisirung den Gegnern große Mittel und eine auf Einheit der Macht gegründete politische Stärke zu Gebote stehen. Niemand aber wird die Obliegenheit für uns verkennen, jener politischen und socialen Begehrlichkeit beim ersten Auftritt mit Nachdruck zu begegnen, und kommt es dabei zu unerfreulichen Erklärungen, so geht es den Gegnern nur nach dem dreitausendjährigen Spruche: „Welch' ein Wort du geredet, ein solches auch wirst du vernehmen.“ Wir haben an sich wenig dagegen, daß die Franzosen ihre Nation mit ihrem Ritter ohne Furcht und Tadel vergleichen, daß sie nach allen Niederlagen vom Niemen bis an die Seine sich nicht für besiegt halten, sondern nur ihren Häuptling; endlich, daß sie behaupten, im Jahr 1830 seyen sie bereit gewesen, die Tractate von 1815 zu zerreißen, d. i. den ihnen zunächst gelegenen Theil ihrer Eroberungen wieder in Beschlag zu nehmen, und nur kleinliche Dynastie-Interessen hätten die Nation von ihrem großherzigen Entschluß abgewendet; aber ganz anders stellt sich die Sache für uns und gegenüber diesen Selbsttäuschungen, wenn man darauf die alten Ansprüche gründet, wenn man, wie auch hier geschieht, behauptet oder andeutet, daß eben, weil im Jahr 1814/1815 Frankreich nicht sey besiegt worden, darum die Tractate von 1815 ein Unrecht seyen, das man an Frankreich geübt, daß es darum nur in sein altes Recht eintrete, wenn es zunächst wieder den Rhein besetze, und daß, wenn es 1830 daran durch kleinliche Interessen der Dynastie gehindert worden, es, wenn jenes Hinderniß aufhört, oder diese Interessen sich mit den Nationalwünschen vereinigen, nicht unterlassen dürfe, und nicht unterlassen werde, nach dem zu greifen, *) Wir werden denselben demnächst nachliefern. Die Redaction hatte die Aufnahme desselben verzögert, weil es ihr schien, es sey Hrn. Marmier und seiner flüchtigen Arbeit zu viel Ehre angethan, wenn man eine ganze Reihe ernster Widerlegungen gegen ihn ins Feld rücken lasse.

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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 140. Augsburg, 19. Mai 1840, S. 1113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_140_18400519/9>, abgerufen am 27.11.2024.