Allgemeine Zeitung. Nr. 133. Augsburg, 12. Mai 1840.Daher kam es, daß der chinesisch-russische Handel zu verschiedenen Malen unterbrochen und doch immer wieder eröffnet wurde, weil er bereits beiden Nationen zum Bedürfniß geworden war, obgleich sie immer die Miene annahmen, als gestatteten sie den Russen die Wiedereröffnung des Handels nur als eine große Gnade. "Ich habe mit allen Creaturen Mitleiden, heißt es gewöhnlich in dem deßhalb erlassenen Handschreiben des chinesischen Kaisers, und da die Russen herablassend um die Eröffnung des Handels bitten, so sey er denn eröffnet." Seit dem Jahr 1792 nun ist der Verkehr Rußlands mit China durch keine weitere Störung unterbrochen worden. Denn die Mißhelligkeiten wegen der Anwesenheit der Schiffe des Admirals Krusenstern im Hafen vor Canton im Jahr 1806 drohten nur mit einer solchen Störung, da Krusenstern von dem den Chinesen mißfälligen Versuch, einen Seehandel mit ihnen anzuknüpfen, abstand. Die letzten russischen Missionen nach Peking haben daher auch sehr regelmäßig statt gehabt, im Jahre 1794, 1807, 1820 und die letzte 1830. Und jetzt, wie gesagt, 1840 findet eine neue statt. (Beschluß folgt.) Frankreich. Fehde zwischen der Revue du Progres und dem Charivari. Unter dem Schwall von Fragen an der Tagesordnung, welche die weitgehörten politischen Organe der neuern Zeit, die Tagesblätter, verhandeln, klingt für das Ohr des Verständigen doch immer und trotz allen Sophistereien des persönlichen oder des Parteiinteresses am Ende eine Hauptfrage als Grundton vor. Es ist jene, welche vor mehr als 18 Jahrhunderten die höchste Autorität vernehmen ließ, als spitzfindige Gelehrte jener Zeit (die sich auch hoch über der Menge wähnend, deren geistige Habe vergeudet hatten, indem sie solche als Zahlpfennige ihres gewagten Spieles in tollen Umlauf gesetzt) einen Mann aus dem Volke zum Aburtheilen, d. h. zur Bestätigung ihres eigenen Urtheils vor den weltlichen Richter gebracht hatten. Diese Frage lautete: was ist Wahrheit? und sie war die Abfertigung der Leute, die so viel fragten und denen der Landpfleger den Rücken kehrte. Aber auch der Mann des Volkes hatte keine Lösung dieser Frage auf dem wissenschaftlichen Felde gegeben. Der Knabe hatte einst mit den Schriftgelehrten gesprochen. Der Mann hatte sich von dem hoffnungslosen Wortstreite zum praktischen Leben des Volkes gewandt, welches er an keine seiner politischen Bedrängnisse und Nöthen erinnerte, sondern dem er rathend, heilend, beschwichtigend, tröstend beistand, und er hatte den lehrbedürftigen als erste Lebens- und Wahrheitsregel von seinen Lehrern gesagt: an ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Er war der Mann der neuen Zeit, weil er sagen konnte: ich bin nicht gekommen, um die alten Gesetze zu lösen, um zu zeigen, daß solche falsch waren, sondern um sie zu erfüllen und zu zeigen, was in ihnen Wahres ist. Der vorstehende historische Rückblick ward uns durch einen Streit abgezwungen, in welchem sich in neuester Zeit die Anhänger des Fortschreitens befangen finden, dessen Ausgangs- und Endpunkt vollkommen von obgedachter Frage der damaligen Autorität und der vorstehenden Lehre des Mannes der damals neuern Zeit bezeichnet werden. Auch in den alternden Gesellschaften folgt stets ein junges Geschlecht dem ältern. Was als Losung und Schlachtruf, als Sitte und Streben, die Begeisterung der abziehenden geistigen Nationalgarde war, wird ihr als Spott und Ekelname, als Albernheit und Zerrbild von der jungen Herrschaft nachgerufen, die der heimkehrenden Parade lärmend nachrennt und nach diesem jugendlichen Act des Fortschritts, mannbar und wehrhaft geworden, ihrerseits das sociale Spießbürgerthum fortzusetzen berufen ist. In dem Menschen liegt, so lang er jung ist, neben der Fähigkeit für den Enthusiasmus jene des Auffassens und Genießens des Lächerlichen. Sich selbst aufopfern und von andern gleichfalls Opfer verlangen oder sie verhöhnen, ist das Thun der Jugend, die ohne Erbarmen ist. Das Alter rechnet und klagt, daß es ein Erbarmen ist. Das junge Frankreich hat auf dem Gebiet der Presse für diese doppelte Fähigkeit zwei Organe gefunden: die Revue du Progres, um gläubig die Fortschritte und Opfer zu verzeichnen, welche die neue Zeit bringt; das Charivari, welches eben diesen Fortschritten und Opfern, wie sie gerade erscheinen, die ihm gebührende Katzenmusik darbringt, weil es in den vermeinten jungen Brautleuten immer irgend ein paar alte Bekannte erblickt, die jung und unschuldig thun, weil sie eine neue Trauformel über Unvermögen und Unfruchtbarkeit sprechen ließen. Hr. Louis Blanc, der Redacteur der Revue du Progres, dessen Journal die Censur, jedoch mit der Neuerung, daß die Censoren nicht von der Regierung ernannt, sondern volksthümlich zu wählen seyen, für die erneuterte Gesellschaft in Anspruch nahm, damit das junge Volk nicht durch das Schauspiel verderbt und die neue Autorität verführt werde - ein Begehren, wogegen die Redactoren des Charivari, die sogenannten drei Staatsmänner desselben, die HH. Phat, Luchet und Altaroche, deren Portefeuilles die Schellenkappe, Bratröhre und Casserolle sind, förmlich protestirt und ihre fernere Mitwirkung der Revue du Progres aufgekündet haben - Hr. Louis Blanc schreibt Folgendes an seine alten Mitarbeiter: "Glaubt mir, es ist Zeit jenen erneuerten Lehren des alten Liberalismus den Abschied zu geben, die der gleißnerischen Dictatur des Individuums zum Deckmantel dienen, und die Freiheit zum Zwangsmittel der Tyrannei machen. In einer Gesellschaft, wo die achtbare und verständige Kraft nicht oben steht, findet man überall nichts als Tyrannei. In unserer jetzigen Gesellschaft die wohl viel kränker ist, als es die vor 50 Jahren war, muß man ganz andere Traditionen in Ehren halten als die jenes Liberalismus. Ist das Begehren, daß die Autorität um so schwächer seyn solle als sie demokratischer wird, nicht sehr befremdend? Weshalb ihr an Kraft all das rauben, was wir sie an Majestät, Einsicht und Tugenden gewinnen zu lassen wähnen? Die Autorität herabsetzen und beschränken, wenn es so viele Schwache zu beschützen, so viele im Elend Schmachtende in Zaum zu halten, so vielen kleinen Despotismus auszurotten gilt, wenn es sich mit Einem Worte darum handelt, das Volk von der Unterdrückung zu befreien, heißt, ich sage es ohne Scheu, heißt contrerevolutionär seyn." Welches ist die Antwort der Staatsmänner des Charivari? Sie sagen: "Wir sehen mit Bedauern eine große Spaltung in der demokratischen Partei. In der Art, wie solche die Bedingnisse einer guten Regierung begreift, theilt sich selbe in zwei Schulen. Die eine beherzigt die Bedürfnisse der Autorität, und träumt von einer dictatorischen Gewalt. Die andere beherzigt die Bedürfnisse der Freiheit und will den vollen Sieg des gemeinen Rechts Aller, in Preßfreiheit, persönlichen Freiheit u. s. w. Die eine sucht also den Fortschritt durch die Compression, die andere durch Expansion. Wir sind von der letztern Schule." Das Charivari selbst rüttelt die Schellenkappe in den Worten: "Also müßte eine demokratische, von Allen und für Alle gegründete Regierung am Ende Journal und Bücher wieder einer Daher kam es, daß der chinesisch-russische Handel zu verschiedenen Malen unterbrochen und doch immer wieder eröffnet wurde, weil er bereits beiden Nationen zum Bedürfniß geworden war, obgleich sie immer die Miene annahmen, als gestatteten sie den Russen die Wiedereröffnung des Handels nur als eine große Gnade. „Ich habe mit allen Creaturen Mitleiden, heißt es gewöhnlich in dem deßhalb erlassenen Handschreiben des chinesischen Kaisers, und da die Russen herablassend um die Eröffnung des Handels bitten, so sey er denn eröffnet.“ Seit dem Jahr 1792 nun ist der Verkehr Rußlands mit China durch keine weitere Störung unterbrochen worden. Denn die Mißhelligkeiten wegen der Anwesenheit der Schiffe des Admirals Krusenstern im Hafen vor Canton im Jahr 1806 drohten nur mit einer solchen Störung, da Krusenstern von dem den Chinesen mißfälligen Versuch, einen Seehandel mit ihnen anzuknüpfen, abstand. Die letzten russischen Missionen nach Peking haben daher auch sehr regelmäßig statt gehabt, im Jahre 1794, 1807, 1820 und die letzte 1830. Und jetzt, wie gesagt, 1840 findet eine neue statt. (Beschluß folgt.) Frankreich. Fehde zwischen der Revue du Progrès und dem Charivari. Unter dem Schwall von Fragen an der Tagesordnung, welche die weitgehörten politischen Organe der neuern Zeit, die Tagesblätter, verhandeln, klingt für das Ohr des Verständigen doch immer und trotz allen Sophistereien des persönlichen oder des Parteiinteresses am Ende eine Hauptfrage als Grundton vor. Es ist jene, welche vor mehr als 18 Jahrhunderten die höchste Autorität vernehmen ließ, als spitzfindige Gelehrte jener Zeit (die sich auch hoch über der Menge wähnend, deren geistige Habe vergeudet hatten, indem sie solche als Zahlpfennige ihres gewagten Spieles in tollen Umlauf gesetzt) einen Mann aus dem Volke zum Aburtheilen, d. h. zur Bestätigung ihres eigenen Urtheils vor den weltlichen Richter gebracht hatten. Diese Frage lautete: was ist Wahrheit? und sie war die Abfertigung der Leute, die so viel fragten und denen der Landpfleger den Rücken kehrte. Aber auch der Mann des Volkes hatte keine Lösung dieser Frage auf dem wissenschaftlichen Felde gegeben. Der Knabe hatte einst mit den Schriftgelehrten gesprochen. Der Mann hatte sich von dem hoffnungslosen Wortstreite zum praktischen Leben des Volkes gewandt, welches er an keine seiner politischen Bedrängnisse und Nöthen erinnerte, sondern dem er rathend, heilend, beschwichtigend, tröstend beistand, und er hatte den lehrbedürftigen als erste Lebens- und Wahrheitsregel von seinen Lehrern gesagt: an ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Er war der Mann der neuen Zeit, weil er sagen konnte: ich bin nicht gekommen, um die alten Gesetze zu lösen, um zu zeigen, daß solche falsch waren, sondern um sie zu erfüllen und zu zeigen, was in ihnen Wahres ist. Der vorstehende historische Rückblick ward uns durch einen Streit abgezwungen, in welchem sich in neuester Zeit die Anhänger des Fortschreitens befangen finden, dessen Ausgangs- und Endpunkt vollkommen von obgedachter Frage der damaligen Autorität und der vorstehenden Lehre des Mannes der damals neuern Zeit bezeichnet werden. Auch in den alternden Gesellschaften folgt stets ein junges Geschlecht dem ältern. Was als Losung und Schlachtruf, als Sitte und Streben, die Begeisterung der abziehenden geistigen Nationalgarde war, wird ihr als Spott und Ekelname, als Albernheit und Zerrbild von der jungen Herrschaft nachgerufen, die der heimkehrenden Parade lärmend nachrennt und nach diesem jugendlichen Act des Fortschritts, mannbar und wehrhaft geworden, ihrerseits das sociale Spießbürgerthum fortzusetzen berufen ist. In dem Menschen liegt, so lang er jung ist, neben der Fähigkeit für den Enthusiasmus jene des Auffassens und Genießens des Lächerlichen. Sich selbst aufopfern und von andern gleichfalls Opfer verlangen oder sie verhöhnen, ist das Thun der Jugend, die ohne Erbarmen ist. Das Alter rechnet und klagt, daß es ein Erbarmen ist. Das junge Frankreich hat auf dem Gebiet der Presse für diese doppelte Fähigkeit zwei Organe gefunden: die Revue du Progrès, um gläubig die Fortschritte und Opfer zu verzeichnen, welche die neue Zeit bringt; das Charivari, welches eben diesen Fortschritten und Opfern, wie sie gerade erscheinen, die ihm gebührende Katzenmusik darbringt, weil es in den vermeinten jungen Brautleuten immer irgend ein paar alte Bekannte erblickt, die jung und unschuldig thun, weil sie eine neue Trauformel über Unvermögen und Unfruchtbarkeit sprechen ließen. Hr. Louis Blanc, der Redacteur der Revue du Progrès, dessen Journal die Censur, jedoch mit der Neuerung, daß die Censoren nicht von der Regierung ernannt, sondern volksthümlich zu wählen seyen, für die erneuterte Gesellschaft in Anspruch nahm, damit das junge Volk nicht durch das Schauspiel verderbt und die neue Autorität verführt werde – ein Begehren, wogegen die Redactoren des Charivari, die sogenannten drei Staatsmänner desselben, die HH. Phat, Luchet und Altaroche, deren Portefeuilles die Schellenkappe, Bratröhre und Casserolle sind, förmlich protestirt und ihre fernere Mitwirkung der Revue du Progrès aufgekündet haben – Hr. Louis Blanc schreibt Folgendes an seine alten Mitarbeiter: „Glaubt mir, es ist Zeit jenen erneuerten Lehren des alten Liberalismus den Abschied zu geben, die der gleißnerischen Dictatur des Individuums zum Deckmantel dienen, und die Freiheit zum Zwangsmittel der Tyrannei machen. In einer Gesellschaft, wo die achtbare und verständige Kraft nicht oben steht, findet man überall nichts als Tyrannei. In unserer jetzigen Gesellschaft die wohl viel kränker ist, als es die vor 50 Jahren war, muß man ganz andere Traditionen in Ehren halten als die jenes Liberalismus. Ist das Begehren, daß die Autorität um so schwächer seyn solle als sie demokratischer wird, nicht sehr befremdend? Weshalb ihr an Kraft all das rauben, was wir sie an Majestät, Einsicht und Tugenden gewinnen zu lassen wähnen? Die Autorität herabsetzen und beschränken, wenn es so viele Schwache zu beschützen, so viele im Elend Schmachtende in Zaum zu halten, so vielen kleinen Despotismus auszurotten gilt, wenn es sich mit Einem Worte darum handelt, das Volk von der Unterdrückung zu befreien, heißt, ich sage es ohne Scheu, heißt contrerevolutionär seyn.“ Welches ist die Antwort der Staatsmänner des Charivari? Sie sagen: „Wir sehen mit Bedauern eine große Spaltung in der demokratischen Partei. In der Art, wie solche die Bedingnisse einer guten Regierung begreift, theilt sich selbe in zwei Schulen. Die eine beherzigt die Bedürfnisse der Autorität, und träumt von einer dictatorischen Gewalt. Die andere beherzigt die Bedürfnisse der Freiheit und will den vollen Sieg des gemeinen Rechts Aller, in Preßfreiheit, persönlichen Freiheit u. s. w. Die eine sucht also den Fortschritt durch die Compression, die andere durch Expansion. 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Denn die Mißhelligkeiten wegen der Anwesenheit der Schiffe des Admirals Krusenstern im Hafen vor Canton im Jahr 1806 drohten nur mit einer solchen Störung, da Krusenstern von dem den Chinesen mißfälligen Versuch, einen Seehandel mit ihnen anzuknüpfen, abstand. Die letzten russischen Missionen nach Peking haben daher auch sehr regelmäßig statt gehabt, im Jahre 1794, 1807, 1820 und die letzte 1830. Und jetzt, wie gesagt, 1840 findet eine neue statt.</p><lb/> <p>(Beschluß folgt.)</p><lb/> </div> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">Frankreich.</hi> </head><lb/> <p>Fehde zwischen der Revue du Progrès und dem Charivari.</p><lb/> <p>Unter dem Schwall von Fragen an der Tagesordnung, welche die weitgehörten politischen Organe der neuern Zeit, die Tagesblätter, verhandeln, klingt für das Ohr des Verständigen doch immer und trotz allen Sophistereien des persönlichen oder des Parteiinteresses am Ende eine Hauptfrage als Grundton vor. Es ist jene, welche vor mehr als 18 Jahrhunderten die höchste Autorität vernehmen ließ, als spitzfindige Gelehrte jener Zeit (die sich auch hoch über der Menge wähnend, deren geistige Habe vergeudet hatten, indem sie solche als Zahlpfennige ihres gewagten Spieles in tollen Umlauf gesetzt) einen Mann aus dem Volke zum Aburtheilen, d. h. zur Bestätigung ihres eigenen Urtheils vor den weltlichen Richter gebracht hatten. Diese Frage lautete: was ist Wahrheit? und sie war die Abfertigung der Leute, die so viel fragten und denen der Landpfleger den Rücken kehrte.</p><lb/> <p>Aber auch der Mann des Volkes hatte keine Lösung dieser Frage auf dem wissenschaftlichen Felde gegeben. Der Knabe hatte einst mit den Schriftgelehrten gesprochen. 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Er war der Mann der neuen Zeit, weil er sagen konnte: ich bin nicht gekommen, um die alten Gesetze zu lösen, um zu zeigen, daß solche falsch waren, sondern um sie zu erfüllen und zu zeigen, was in ihnen Wahres ist.</p><lb/> <p>Der vorstehende historische Rückblick ward uns durch einen Streit abgezwungen, in welchem sich in neuester Zeit die Anhänger des Fortschreitens befangen finden, dessen Ausgangs- und Endpunkt vollkommen von obgedachter Frage der damaligen Autorität und der vorstehenden Lehre des Mannes der damals neuern Zeit bezeichnet werden.</p><lb/> <p>Auch in den alternden Gesellschaften folgt stets ein junges Geschlecht dem ältern. 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Das junge Frankreich hat auf dem Gebiet der Presse für diese doppelte Fähigkeit zwei Organe gefunden: die Revue du Progrès, um gläubig die Fortschritte und Opfer zu verzeichnen, welche die neue Zeit bringt; das Charivari, welches eben diesen Fortschritten und Opfern, wie sie gerade erscheinen, die ihm gebührende Katzenmusik darbringt, weil es in den vermeinten jungen Brautleuten immer irgend ein paar alte Bekannte erblickt, die jung und unschuldig thun, weil sie eine neue Trauformel über Unvermögen und Unfruchtbarkeit sprechen ließen.</p><lb/> <p>Hr. Louis Blanc, der Redacteur der Revue du Progrès, dessen Journal die Censur, jedoch mit der Neuerung, daß die Censoren nicht von der Regierung ernannt, sondern volksthümlich zu wählen seyen, für die erneuterte Gesellschaft in Anspruch nahm, damit das junge Volk nicht durch das Schauspiel verderbt und die neue Autorität verführt werde – ein Begehren, wogegen die Redactoren des Charivari, die sogenannten drei Staatsmänner desselben, die HH. Phat, Luchet und Altaroche, deren Portefeuilles die Schellenkappe, Bratröhre und Casserolle sind, förmlich protestirt und ihre fernere Mitwirkung der Revue du Progrès aufgekündet haben – Hr. Louis Blanc schreibt Folgendes an seine alten Mitarbeiter: „Glaubt mir, es ist Zeit jenen erneuerten Lehren des alten Liberalismus den Abschied zu geben, die der gleißnerischen Dictatur des Individuums zum Deckmantel dienen, und die Freiheit zum Zwangsmittel der Tyrannei machen. In einer Gesellschaft, wo die achtbare und verständige Kraft nicht oben steht, findet man überall nichts als Tyrannei. In unserer jetzigen Gesellschaft die wohl viel kränker ist, als es die vor 50 Jahren war, muß man ganz andere Traditionen in Ehren halten als die jenes Liberalismus. Ist das Begehren, daß die Autorität um so schwächer seyn solle als sie demokratischer wird, nicht sehr befremdend? Weshalb ihr an Kraft all das rauben, was wir sie an Majestät, Einsicht und Tugenden gewinnen zu lassen wähnen? Die Autorität herabsetzen und beschränken, wenn es so viele Schwache zu beschützen, so viele im Elend Schmachtende in Zaum zu halten, so vielen kleinen Despotismus auszurotten gilt, wenn es sich mit Einem Worte darum handelt, das Volk von der Unterdrückung zu befreien, heißt, ich sage es ohne Scheu, heißt contrerevolutionär seyn.“</p><lb/> <p>Welches ist die Antwort der Staatsmänner des Charivari? Sie sagen: „Wir sehen mit Bedauern eine große Spaltung in der demokratischen Partei. In der Art, wie solche die Bedingnisse einer guten Regierung begreift, theilt sich selbe in zwei Schulen. Die eine beherzigt die Bedürfnisse der Autorität, und träumt von einer dictatorischen Gewalt. Die andere beherzigt die Bedürfnisse der Freiheit und will den vollen Sieg des gemeinen Rechts Aller, in Preßfreiheit, persönlichen Freiheit u. s. w. Die eine sucht also den Fortschritt durch die Compression, die andere durch Expansion. 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(Beschluß folgt.)
Frankreich.
Fehde zwischen der Revue du Progrès und dem Charivari.
Unter dem Schwall von Fragen an der Tagesordnung, welche die weitgehörten politischen Organe der neuern Zeit, die Tagesblätter, verhandeln, klingt für das Ohr des Verständigen doch immer und trotz allen Sophistereien des persönlichen oder des Parteiinteresses am Ende eine Hauptfrage als Grundton vor. Es ist jene, welche vor mehr als 18 Jahrhunderten die höchste Autorität vernehmen ließ, als spitzfindige Gelehrte jener Zeit (die sich auch hoch über der Menge wähnend, deren geistige Habe vergeudet hatten, indem sie solche als Zahlpfennige ihres gewagten Spieles in tollen Umlauf gesetzt) einen Mann aus dem Volke zum Aburtheilen, d. h. zur Bestätigung ihres eigenen Urtheils vor den weltlichen Richter gebracht hatten. Diese Frage lautete: was ist Wahrheit? und sie war die Abfertigung der Leute, die so viel fragten und denen der Landpfleger den Rücken kehrte.
Aber auch der Mann des Volkes hatte keine Lösung dieser Frage auf dem wissenschaftlichen Felde gegeben. Der Knabe hatte einst mit den Schriftgelehrten gesprochen. Der Mann hatte sich von dem hoffnungslosen Wortstreite zum praktischen Leben des Volkes gewandt, welches er an keine seiner politischen Bedrängnisse und Nöthen erinnerte, sondern dem er rathend, heilend, beschwichtigend, tröstend beistand, und er hatte den lehrbedürftigen als erste Lebens- und Wahrheitsregel von seinen Lehrern gesagt: an ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Er war der Mann der neuen Zeit, weil er sagen konnte: ich bin nicht gekommen, um die alten Gesetze zu lösen, um zu zeigen, daß solche falsch waren, sondern um sie zu erfüllen und zu zeigen, was in ihnen Wahres ist.
Der vorstehende historische Rückblick ward uns durch einen Streit abgezwungen, in welchem sich in neuester Zeit die Anhänger des Fortschreitens befangen finden, dessen Ausgangs- und Endpunkt vollkommen von obgedachter Frage der damaligen Autorität und der vorstehenden Lehre des Mannes der damals neuern Zeit bezeichnet werden.
Auch in den alternden Gesellschaften folgt stets ein junges Geschlecht dem ältern. Was als Losung und Schlachtruf, als Sitte und Streben, die Begeisterung der abziehenden geistigen Nationalgarde war, wird ihr als Spott und Ekelname, als Albernheit und Zerrbild von der jungen Herrschaft nachgerufen, die der heimkehrenden Parade lärmend nachrennt und nach diesem jugendlichen Act des Fortschritts, mannbar und wehrhaft geworden, ihrerseits das sociale Spießbürgerthum fortzusetzen berufen ist.
In dem Menschen liegt, so lang er jung ist, neben der Fähigkeit für den Enthusiasmus jene des Auffassens und Genießens des Lächerlichen. Sich selbst aufopfern und von andern gleichfalls Opfer verlangen oder sie verhöhnen, ist das Thun der Jugend, die ohne Erbarmen ist. Das Alter rechnet und klagt, daß es ein Erbarmen ist. Das junge Frankreich hat auf dem Gebiet der Presse für diese doppelte Fähigkeit zwei Organe gefunden: die Revue du Progrès, um gläubig die Fortschritte und Opfer zu verzeichnen, welche die neue Zeit bringt; das Charivari, welches eben diesen Fortschritten und Opfern, wie sie gerade erscheinen, die ihm gebührende Katzenmusik darbringt, weil es in den vermeinten jungen Brautleuten immer irgend ein paar alte Bekannte erblickt, die jung und unschuldig thun, weil sie eine neue Trauformel über Unvermögen und Unfruchtbarkeit sprechen ließen.
Hr. Louis Blanc, der Redacteur der Revue du Progrès, dessen Journal die Censur, jedoch mit der Neuerung, daß die Censoren nicht von der Regierung ernannt, sondern volksthümlich zu wählen seyen, für die erneuterte Gesellschaft in Anspruch nahm, damit das junge Volk nicht durch das Schauspiel verderbt und die neue Autorität verführt werde – ein Begehren, wogegen die Redactoren des Charivari, die sogenannten drei Staatsmänner desselben, die HH. Phat, Luchet und Altaroche, deren Portefeuilles die Schellenkappe, Bratröhre und Casserolle sind, förmlich protestirt und ihre fernere Mitwirkung der Revue du Progrès aufgekündet haben – Hr. Louis Blanc schreibt Folgendes an seine alten Mitarbeiter: „Glaubt mir, es ist Zeit jenen erneuerten Lehren des alten Liberalismus den Abschied zu geben, die der gleißnerischen Dictatur des Individuums zum Deckmantel dienen, und die Freiheit zum Zwangsmittel der Tyrannei machen. In einer Gesellschaft, wo die achtbare und verständige Kraft nicht oben steht, findet man überall nichts als Tyrannei. In unserer jetzigen Gesellschaft die wohl viel kränker ist, als es die vor 50 Jahren war, muß man ganz andere Traditionen in Ehren halten als die jenes Liberalismus. Ist das Begehren, daß die Autorität um so schwächer seyn solle als sie demokratischer wird, nicht sehr befremdend? Weshalb ihr an Kraft all das rauben, was wir sie an Majestät, Einsicht und Tugenden gewinnen zu lassen wähnen? Die Autorität herabsetzen und beschränken, wenn es so viele Schwache zu beschützen, so viele im Elend Schmachtende in Zaum zu halten, so vielen kleinen Despotismus auszurotten gilt, wenn es sich mit Einem Worte darum handelt, das Volk von der Unterdrückung zu befreien, heißt, ich sage es ohne Scheu, heißt contrerevolutionär seyn.“
Welches ist die Antwort der Staatsmänner des Charivari? Sie sagen: „Wir sehen mit Bedauern eine große Spaltung in der demokratischen Partei. In der Art, wie solche die Bedingnisse einer guten Regierung begreift, theilt sich selbe in zwei Schulen. Die eine beherzigt die Bedürfnisse der Autorität, und träumt von einer dictatorischen Gewalt. Die andere beherzigt die Bedürfnisse der Freiheit und will den vollen Sieg des gemeinen Rechts Aller, in Preßfreiheit, persönlichen Freiheit u. s. w. Die eine sucht also den Fortschritt durch die Compression, die andere durch Expansion. Wir sind von der letztern Schule.“
Das Charivari selbst rüttelt die Schellenkappe in den Worten: „Also müßte eine demokratische, von Allen und für Alle gegründete Regierung am Ende Journal und Bücher wieder einer
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(2016-06-28T11:37:15Z)
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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-06-28T11:37:15Z)
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