Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 130. Augsburg, 9. Mai 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

auf dem Wege zum Marabut aufgeschlagen, seit gestern ist es auf die entgegengesetzte Seite der Stadt nach Ramle, gegen Abukir zu, verlegt. Die Marine des Pascha's sollte am Marabut ausgeschifft werden, und dort in Station bleiben, aber seit drei Tagen ist Gegenbefehl gekommen, und sie verläßt die Schiffe nicht. Die Stimmung der türkischen Flotte, unter der eine dumpfe Gährung herrscht, und die einen plötzlichen Ausbruch befürchten läßt, ist der Grund hiervon. Das tägliche Exercieren auf dem Lande, ein strengerer Dienst als früher, die Entbehrung vieler Freiheiten, deren sich die türkischen Marinesoldaten in Konstantinopel zu erfreuen hatten, verbunden mit der Aussicht, ihre Heimath vielleicht niemals wiederzusehen, reizt die Stimmung der Flotte täglich mehr zur Unzufriedenheit. Daß Mehemed Ali sie dennoch in solchem Zustand erhalten kann, daß wenigstens keine Excesse öffentlich getrieben werden, ist wahrlich zu bewundern und beweist, wie genau er den türkischen Charakter kennt. Ein anderer weniger gewandter Mann als er hätte längst das Uebergewicht über sie verloren, längst schon wären Revolten entstanden, auf die man von gewisser Seite hoffte, als etwas, das nothwendig eintreffen müsse. Und in der That kann Niemand sagen, wohin das Zögern der europäischen Cabinette noch führen kann. Man glaubt hier, daß es im Plan derselben liege, durch diese anscheinende Unthätigkeit, nur unterbrochen durch diplomatische Drohungen, Mehemed Ali zur höchst möglichen Entfaltung seiner Macht, zu einer seine Länder völlig aussaugenden Anstrengung zu verleiten, damit er so sich selbst aufreibe, ohne daß es Europa etwas koste. Eine solche Berechnung hat viel für sich: der jetzige Status quo ist rein ruinirender Art, das Volk und das Land geht auf die Länge der Zeit darüber zu Grunde, und partielle Revolten werden in Folge desselben gewiß nicht ausbleiben; ob man aber Mehemed Ali damit den Hals breche, ist eine andere Frage, eben so wie man durch eine solche Erschöpfung des Landes das türkische Reich stärke, dem zu lieb die Diplomatie, wie sie es ja selbst sagt, alle diese verzweifelten Experimente macht. Mehemed Ali wird sich in dieser Krisis gar nicht um den Zustand des Landes bekümmern; so lange noch ein Mann zu bewaffnen, so lange noch ein Para im Lande zu nehmen ist, so lange wird er seine kriegerische Haltung beibehalten und, wie er oft sagte, das Land seinen Feinden nur als eine unbewohnbare Wüste hinterlassen. Welche unerwarteten Hülfsmittel überdieß ein außerordentlicher Kopf in kritischen Verhältnissen in sich selbst findet, um die plausibelsten Berechnungen seiner Feinde plötzlich zu Schanden zu machen, hat die Geschichte gar oft bewiesen, und auch die Mehemed Ali's ist nicht ohne Beispiele davon Wie sicher rechnete man nicht im vorigen Jahr auf seinen Untergang, und wie ist Alles anders gekommen, als die feinsten diplomatischen Köpfe es vorauszusehen glaubten! Aber es wird noch mancher Lectionen bedürfen, ehe man in den orientalischen Angelegenheiten anders sieht.

auf dem Wege zum Marabut aufgeschlagen, seit gestern ist es auf die entgegengesetzte Seite der Stadt nach Ramle, gegen Abukir zu, verlegt. Die Marine des Pascha's sollte am Marabut ausgeschifft werden, und dort in Station bleiben, aber seit drei Tagen ist Gegenbefehl gekommen, und sie verläßt die Schiffe nicht. Die Stimmung der türkischen Flotte, unter der eine dumpfe Gährung herrscht, und die einen plötzlichen Ausbruch befürchten läßt, ist der Grund hiervon. Das tägliche Exercieren auf dem Lande, ein strengerer Dienst als früher, die Entbehrung vieler Freiheiten, deren sich die türkischen Marinesoldaten in Konstantinopel zu erfreuen hatten, verbunden mit der Aussicht, ihre Heimath vielleicht niemals wiederzusehen, reizt die Stimmung der Flotte täglich mehr zur Unzufriedenheit. Daß Mehemed Ali sie dennoch in solchem Zustand erhalten kann, daß wenigstens keine Excesse öffentlich getrieben werden, ist wahrlich zu bewundern und beweist, wie genau er den türkischen Charakter kennt. Ein anderer weniger gewandter Mann als er hätte längst das Uebergewicht über sie verloren, längst schon wären Revolten entstanden, auf die man von gewisser Seite hoffte, als etwas, das nothwendig eintreffen müsse. Und in der That kann Niemand sagen, wohin das Zögern der europäischen Cabinette noch führen kann. Man glaubt hier, daß es im Plan derselben liege, durch diese anscheinende Unthätigkeit, nur unterbrochen durch diplomatische Drohungen, Mehemed Ali zur höchst möglichen Entfaltung seiner Macht, zu einer seine Länder völlig aussaugenden Anstrengung zu verleiten, damit er so sich selbst aufreibe, ohne daß es Europa etwas koste. Eine solche Berechnung hat viel für sich: der jetzige Status quo ist rein ruinirender Art, das Volk und das Land geht auf die Länge der Zeit darüber zu Grunde, und partielle Revolten werden in Folge desselben gewiß nicht ausbleiben; ob man aber Mehemed Ali damit den Hals breche, ist eine andere Frage, eben so wie man durch eine solche Erschöpfung des Landes das türkische Reich stärke, dem zu lieb die Diplomatie, wie sie es ja selbst sagt, alle diese verzweifelten Experimente macht. Mehemed Ali wird sich in dieser Krisis gar nicht um den Zustand des Landes bekümmern; so lange noch ein Mann zu bewaffnen, so lange noch ein Para im Lande zu nehmen ist, so lange wird er seine kriegerische Haltung beibehalten und, wie er oft sagte, das Land seinen Feinden nur als eine unbewohnbare Wüste hinterlassen. Welche unerwarteten Hülfsmittel überdieß ein außerordentlicher Kopf in kritischen Verhältnissen in sich selbst findet, um die plausibelsten Berechnungen seiner Feinde plötzlich zu Schanden zu machen, hat die Geschichte gar oft bewiesen, und auch die Mehemed Ali's ist nicht ohne Beispiele davon Wie sicher rechnete man nicht im vorigen Jahr auf seinen Untergang, und wie ist Alles anders gekommen, als die feinsten diplomatischen Köpfe es vorauszusehen glaubten! Aber es wird noch mancher Lectionen bedürfen, ehe man in den orientalischen Angelegenheiten anders sieht.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="jArticle" n="2">
          <p><pb facs="#f0008" n="1040"/>
auf dem Wege zum Marabut aufgeschlagen, seit gestern ist es auf die entgegengesetzte Seite der Stadt nach Ramle, gegen Abukir zu, verlegt. Die Marine des Pascha's sollte am Marabut ausgeschifft werden, und dort in Station bleiben, aber seit drei Tagen ist Gegenbefehl gekommen, und sie verläßt die Schiffe nicht. Die Stimmung der türkischen Flotte, unter der eine dumpfe Gährung herrscht, und die einen plötzlichen Ausbruch befürchten läßt, ist der Grund hiervon. Das tägliche Exercieren auf dem Lande, ein strengerer Dienst als früher, die Entbehrung vieler Freiheiten, deren sich die türkischen Marinesoldaten in Konstantinopel zu erfreuen hatten, verbunden mit der Aussicht, ihre Heimath vielleicht niemals wiederzusehen, reizt die Stimmung der Flotte täglich mehr zur Unzufriedenheit. Daß Mehemed Ali sie dennoch in solchem Zustand erhalten kann, daß wenigstens keine Excesse öffentlich getrieben werden, ist wahrlich zu bewundern und beweist, wie genau er den türkischen Charakter kennt. Ein anderer weniger gewandter Mann als er hätte längst das Uebergewicht über sie verloren, längst schon wären Revolten entstanden, auf die man von gewisser Seite hoffte, als etwas, das nothwendig eintreffen müsse. Und in der That kann Niemand sagen, wohin das Zögern der europäischen Cabinette noch führen kann. Man glaubt hier, daß es im Plan derselben liege, durch diese anscheinende Unthätigkeit, nur unterbrochen durch diplomatische Drohungen, Mehemed Ali zur höchst möglichen Entfaltung seiner Macht, zu einer seine Länder völlig aussaugenden Anstrengung zu verleiten, damit er so sich selbst aufreibe, ohne daß es Europa etwas koste. Eine solche Berechnung hat viel für sich: der jetzige Status quo ist rein ruinirender Art, das Volk und das Land geht auf die Länge der Zeit darüber zu Grunde, und partielle Revolten werden in Folge desselben gewiß nicht ausbleiben; ob man aber Mehemed Ali damit den Hals breche, ist eine andere Frage, eben so wie man durch eine solche Erschöpfung des Landes das türkische Reich stärke, dem zu lieb die Diplomatie, wie sie es ja selbst sagt, alle diese verzweifelten Experimente macht. Mehemed Ali wird sich in dieser Krisis gar nicht um den Zustand des Landes bekümmern; so lange noch ein Mann zu bewaffnen, so lange noch ein Para im Lande zu nehmen ist, so lange wird er seine kriegerische Haltung beibehalten und, wie er oft sagte, das Land seinen Feinden nur als eine unbewohnbare Wüste hinterlassen. Welche unerwarteten Hülfsmittel überdieß ein außerordentlicher Kopf in kritischen Verhältnissen in sich selbst findet, um die plausibelsten Berechnungen seiner Feinde plötzlich zu Schanden zu machen, hat die Geschichte gar oft bewiesen, und auch die Mehemed Ali's ist nicht ohne Beispiele davon Wie sicher rechnete man nicht im vorigen Jahr auf seinen Untergang, und wie ist Alles anders gekommen, als die feinsten diplomatischen Köpfe es vorauszusehen glaubten! Aber es wird noch mancher Lectionen bedürfen, ehe man in den orientalischen Angelegenheiten anders sieht.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1040/0008] auf dem Wege zum Marabut aufgeschlagen, seit gestern ist es auf die entgegengesetzte Seite der Stadt nach Ramle, gegen Abukir zu, verlegt. Die Marine des Pascha's sollte am Marabut ausgeschifft werden, und dort in Station bleiben, aber seit drei Tagen ist Gegenbefehl gekommen, und sie verläßt die Schiffe nicht. Die Stimmung der türkischen Flotte, unter der eine dumpfe Gährung herrscht, und die einen plötzlichen Ausbruch befürchten läßt, ist der Grund hiervon. Das tägliche Exercieren auf dem Lande, ein strengerer Dienst als früher, die Entbehrung vieler Freiheiten, deren sich die türkischen Marinesoldaten in Konstantinopel zu erfreuen hatten, verbunden mit der Aussicht, ihre Heimath vielleicht niemals wiederzusehen, reizt die Stimmung der Flotte täglich mehr zur Unzufriedenheit. Daß Mehemed Ali sie dennoch in solchem Zustand erhalten kann, daß wenigstens keine Excesse öffentlich getrieben werden, ist wahrlich zu bewundern und beweist, wie genau er den türkischen Charakter kennt. Ein anderer weniger gewandter Mann als er hätte längst das Uebergewicht über sie verloren, längst schon wären Revolten entstanden, auf die man von gewisser Seite hoffte, als etwas, das nothwendig eintreffen müsse. Und in der That kann Niemand sagen, wohin das Zögern der europäischen Cabinette noch führen kann. Man glaubt hier, daß es im Plan derselben liege, durch diese anscheinende Unthätigkeit, nur unterbrochen durch diplomatische Drohungen, Mehemed Ali zur höchst möglichen Entfaltung seiner Macht, zu einer seine Länder völlig aussaugenden Anstrengung zu verleiten, damit er so sich selbst aufreibe, ohne daß es Europa etwas koste. Eine solche Berechnung hat viel für sich: der jetzige Status quo ist rein ruinirender Art, das Volk und das Land geht auf die Länge der Zeit darüber zu Grunde, und partielle Revolten werden in Folge desselben gewiß nicht ausbleiben; ob man aber Mehemed Ali damit den Hals breche, ist eine andere Frage, eben so wie man durch eine solche Erschöpfung des Landes das türkische Reich stärke, dem zu lieb die Diplomatie, wie sie es ja selbst sagt, alle diese verzweifelten Experimente macht. Mehemed Ali wird sich in dieser Krisis gar nicht um den Zustand des Landes bekümmern; so lange noch ein Mann zu bewaffnen, so lange noch ein Para im Lande zu nehmen ist, so lange wird er seine kriegerische Haltung beibehalten und, wie er oft sagte, das Land seinen Feinden nur als eine unbewohnbare Wüste hinterlassen. Welche unerwarteten Hülfsmittel überdieß ein außerordentlicher Kopf in kritischen Verhältnissen in sich selbst findet, um die plausibelsten Berechnungen seiner Feinde plötzlich zu Schanden zu machen, hat die Geschichte gar oft bewiesen, und auch die Mehemed Ali's ist nicht ohne Beispiele davon Wie sicher rechnete man nicht im vorigen Jahr auf seinen Untergang, und wie ist Alles anders gekommen, als die feinsten diplomatischen Köpfe es vorauszusehen glaubten! Aber es wird noch mancher Lectionen bedürfen, ehe man in den orientalischen Angelegenheiten anders sieht.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_130_18400509
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_130_18400509/8
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 130. Augsburg, 9. Mai 1840, S. 1040. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_130_18400509/8>, abgerufen am 21.11.2024.