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Allgemeine Zeitung. Nr. 113. Augsburg, 22. April 1840.

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gerade so ausgetheilt sind wie jetzt, seit das Land alle die Thiere trägt, welche durch warmes Blut und doppeltes Herz der Leiblichkeit des Menschen am nächsten stehen, und seit der Mensch selbst, nach dem ganzen Naturzusammenhang auf Erden, gelebt haben kann und wahrscheinlich gelebt hat. - Alle diese jüngsten Hebungserscheinungen sind nun aber offenbar wesentlich von derselben Natur, wie jene ältern und ältesten Vorgänge, welche unser Verstand postulirt, um sich von der successiven Ausbildung der Erdrinde und der Gebirge Rechenschaft zu geben. Es ist deutlich, seit der letzten großartigen, durch das Aufsteigen ganzer Gebirgsketten bezeichneten Erschütterung waltet auf Erden im Großen der ewig rastlos und stetig wirkende Neptunismus, wie sichtbar jedesmal auch in früheren zahlreichen Perioden relativer Ruhe. Aber der andere, in seinen Aeußerungen ungleiche, in Paroxysmen wirkende Factor der Erdbildung ist keineswegs verschwunden; er hat sich nur ebbend zurückgezogen, greift aber dabei beständig leise, momentan auch rascher an die Oberfläche herauf. Während das Wasser den Boden der Meere aufhöht und die verticalen Contouren der Gebirge sänftigt, arbeiten auch die Kräfte der Tiefe beständig an Veränderung der horizontalen und verticalen Umrisse der Länder, meist unmerklich, nicht selten aber durch einen schnellern erschütternden Eingriff an ihre alte Macht der Schöpfung durch Zerstörung mahnend. Während an der Oberfläche in der Menschengeschichte ein Mährchen spielt, dessen Anfang vergessen und von dem kein Ende abzusehen ist, athmen tief unter den auf sie gethürmten Massen die Titanen und Giganten in gesundem Schlaf, und fahren nur zuweilen zusammen oder wenden sich gähnend um. Aber Niemand weiß zu sagen, ob sie sich nicht eines Tags mit neugestärkter Kraft in ihrer ganzen Höhe aufrichten werden.

Die Hauptgrundsätze der Erhebungstheorie, wie wir sie im Obigen einem großen Kreise von Lesern faßlich zu machen gesucht haben, sind jetzt so ziemlich von den Gebirgsforschern aller Länder anerkannt, und dienen überall als Leitfaden der Beobachtung. Mit diesen Ansichten wurde der so lange verläugneten sinnlichen Anschauung auf einmal Recht gegeben, und tausend Phänomene in der Erdrinde, welche die frühere Forschung als Räthsel liegen lassen, erklärten sich jetzt von selbst. Aber auf viele Geognosten und Dilettanten wirkte anfangs die schnelle Umkehr der Ideen, wie die Aufhebung des deutschen Reichs auf Staatsmänner und Fürsten. Die ruhige Schichtung ihrer Begriffe wurde dadurch aufs widrigste gewaltsam gestört und verschoben, und sie waren vorläufig sehr geneigt, das rasch aufgestiegene theoretische Gebirge für ein Phantom zu erklären. Goethe kann für den Repräsentanten dieser durch einen Sprung der Wissenschaft unangenehm überraschten Geister gelten; nicht selten spricht er scharf das lästige Gefühl eines ältern Mannes aus, der ein ganzes, wohlgeordnetes Fachwerk gewohnter Vorstellungen sich auf einmal durcheinander geworfen sieht:

Kaum wendet der edle Werner den Rücken,
Zerstört man das Poseidaonische Reich;
Wenn alle sich vor Hephästos bücken,
Ich kann es nicht sogleich.
Ich weiß nur in der Folge zu schätzen;
Schon hab' ich manches Credo verpaßt,
Mir sind alle gleich verhaßt,
Neue Götter und Götzen.

Dem Unbefangenen empfahl sich die neue Theorie zum voraus dadurch, daß sie sich ganz auf Naturanalogien stützt, während der einseitige Neptunismus zu den willkürlichsten Hypothesen seine Zuflucht nehmen mußte. Er bedurfte wiederholter, ganz allgemeiner Convulsionen der Natur, verschiedener Einbrüche des Meers, ohne daß man zu sagen wüßte, woher die Fluth kam und wohin sie wieder ging, nur damit in jener Höhe der Glimmerschiefer, in dieser der Muschelkalk sich niederschlagen konnte. Dagegen die Lehre von der Entstehung alles Gebirgs und Festlands durch Auftreibung spinnt ihre Sätze unmittelbar aus der Geschichte der noch thätigen Vulcane heraus. - Im System der allgemeinen Fluthen sollte ferner jedesmal alles Lebendige rings um die Erde vernichtet und sofort eine neue Schöpfung nach vielfach abgeändertem Plan ins Leben gerufen worden seyn. Aber die Erschütterung durch ein aufsteigendes Festland oder Gebirge mochte auch noch so gewaltig seyn, die ganze Erde konnte sie nicht so betreffen, daß alles organische Leben an ihrer Oberfläche zu Grunde ging. Die Geschlechter der Lebendigen konnten vom Anbeginn im Großen ruhig sich auseinanderwickeln, aussterben, und zugleich mit den Veränderungen der Erdfläche und ihrer klimatischen Verhältnisse sich selbst allmählich umgestalten. Wir haben es früher natürlich gefunden, daß auch bei allgemein Unterrichteten der neue geologische Lehrbegriff mehr oder weniger noch mit neptunistischen Traditionen versetzt ist, und dazu gehören ganz besonders die allgemeinen Erdrevolutionen und in deren Folge die jedesmalige gänzliche Vernichtung der organischen Welt. Es ist aber weniger begreiflich, wie sogar Schriftsteller die letztere ausschweifende Vorstellung neben der Erhebungstheorie, der sie ihren vollen Beifall schenken, festhalten mögen.

Denjenigen, welche der neptunistischen Ansicht ungern und zögernd entsagten, mißfiel an der neuen Lehre besonders das Stürmische, Gewaltsame; ganz unheimlich erschien ihnen das dämonische Aufsteigen der plutonischen Mächte aus der Tiefe, wodurch alles Gebirge im Grunde nichts ist als eine ungeheure Schädelstätte früherer unorganischer und organischer Bildungen.

Basalt, der schwarze Teufelsmohr,
Aus tiefster Hölle bricht hervor,
Zerspaltet Fels, Gestein und Erden,
Omega muß zum Alpha werden.
Und so wär' denn die liebe Welt
Geognostisch auch auf den Kopf gestellt.

War denn aber, wenn man das ganze Relief der Erde von oben herab aus dem Wasser construirte, der Proceß nicht eben so gewaltsam, als wenn man dasselbe bald rascher, bald mählicher sich von unten emportreiben läßt? Im Gegentheil kommt durch den Begriff der Hebung viel mehr Einheit und Ruhe in das ganze Bild der Erdgeschichte. Das leise Werk der Mineralbildung aus Wasser, die Verdichtung der Erdrinde geht ja dabei von Uralters her bis auf den heutigen Tag ununterbrochen seinen ruhigen, gemessenen Gang, nur stellenweise dadurch gestört, daß Stücke oder Strecken des Gebildeten durch die untern Gewalten aus ihrem Lager aufgerüttelt, an Luft und Licht emporgehoben und eben dadurch zum Substrat neuer Schöpfungen des Wassers werden, so daß auch hier, wie sonst im Gang der Natur, Zerstörung als Mutter der Bildung auftritt.

Ja, wenn sich Elie de Beaumonts oben erwähnte Ideen über den Zusammenhang zwischen den Richtungen und dem relativen Alter der Gebirge bestätigten, so wäre dieß ein höchst bedeutsamer Wink aus den uns völlig unbekannten und unzugänglichen Tiefen der Erde: es ließe uns ahnen, daß auch in den großartigsten Gebilden der Erde wie in ihren kleinsten, im Auftreiben der Gebirge wie in den Durchgängen der Krystalle, das Gesetz der Symmetrie, der bestimmten Richtungen und Winkel herrscht. Auch denkt man dabei unwillkürlich an die bekannte, so merkwürdige Symmetrie in der Anordnung der Continente, an die vielen gegen Süden gekehrten Landspitzen, an all die Besonderheiten, die sich in den

gerade so ausgetheilt sind wie jetzt, seit das Land alle die Thiere trägt, welche durch warmes Blut und doppeltes Herz der Leiblichkeit des Menschen am nächsten stehen, und seit der Mensch selbst, nach dem ganzen Naturzusammenhang auf Erden, gelebt haben kann und wahrscheinlich gelebt hat. – Alle diese jüngsten Hebungserscheinungen sind nun aber offenbar wesentlich von derselben Natur, wie jene ältern und ältesten Vorgänge, welche unser Verstand postulirt, um sich von der successiven Ausbildung der Erdrinde und der Gebirge Rechenschaft zu geben. Es ist deutlich, seit der letzten großartigen, durch das Aufsteigen ganzer Gebirgsketten bezeichneten Erschütterung waltet auf Erden im Großen der ewig rastlos und stetig wirkende Neptunismus, wie sichtbar jedesmal auch in früheren zahlreichen Perioden relativer Ruhe. Aber der andere, in seinen Aeußerungen ungleiche, in Paroxysmen wirkende Factor der Erdbildung ist keineswegs verschwunden; er hat sich nur ebbend zurückgezogen, greift aber dabei beständig leise, momentan auch rascher an die Oberfläche herauf. Während das Wasser den Boden der Meere aufhöht und die verticalen Contouren der Gebirge sänftigt, arbeiten auch die Kräfte der Tiefe beständig an Veränderung der horizontalen und verticalen Umrisse der Länder, meist unmerklich, nicht selten aber durch einen schnellern erschütternden Eingriff an ihre alte Macht der Schöpfung durch Zerstörung mahnend. Während an der Oberfläche in der Menschengeschichte ein Mährchen spielt, dessen Anfang vergessen und von dem kein Ende abzusehen ist, athmen tief unter den auf sie gethürmten Massen die Titanen und Giganten in gesundem Schlaf, und fahren nur zuweilen zusammen oder wenden sich gähnend um. Aber Niemand weiß zu sagen, ob sie sich nicht eines Tags mit neugestärkter Kraft in ihrer ganzen Höhe aufrichten werden.

Die Hauptgrundsätze der Erhebungstheorie, wie wir sie im Obigen einem großen Kreise von Lesern faßlich zu machen gesucht haben, sind jetzt so ziemlich von den Gebirgsforschern aller Länder anerkannt, und dienen überall als Leitfaden der Beobachtung. Mit diesen Ansichten wurde der so lange verläugneten sinnlichen Anschauung auf einmal Recht gegeben, und tausend Phänomene in der Erdrinde, welche die frühere Forschung als Räthsel liegen lassen, erklärten sich jetzt von selbst. Aber auf viele Geognosten und Dilettanten wirkte anfangs die schnelle Umkehr der Ideen, wie die Aufhebung des deutschen Reichs auf Staatsmänner und Fürsten. Die ruhige Schichtung ihrer Begriffe wurde dadurch aufs widrigste gewaltsam gestört und verschoben, und sie waren vorläufig sehr geneigt, das rasch aufgestiegene theoretische Gebirge für ein Phantom zu erklären. Goethe kann für den Repräsentanten dieser durch einen Sprung der Wissenschaft unangenehm überraschten Geister gelten; nicht selten spricht er scharf das lästige Gefühl eines ältern Mannes aus, der ein ganzes, wohlgeordnetes Fachwerk gewohnter Vorstellungen sich auf einmal durcheinander geworfen sieht:

Kaum wendet der edle Werner den Rücken,
Zerstört man das Poseidaonische Reich;
Wenn alle sich vor Hephästos bücken,
Ich kann es nicht sogleich.
Ich weiß nur in der Folge zu schätzen;
Schon hab' ich manches Credo verpaßt,
Mir sind alle gleich verhaßt,
Neue Götter und Götzen.

Dem Unbefangenen empfahl sich die neue Theorie zum voraus dadurch, daß sie sich ganz auf Naturanalogien stützt, während der einseitige Neptunismus zu den willkürlichsten Hypothesen seine Zuflucht nehmen mußte. Er bedurfte wiederholter, ganz allgemeiner Convulsionen der Natur, verschiedener Einbrüche des Meers, ohne daß man zu sagen wüßte, woher die Fluth kam und wohin sie wieder ging, nur damit in jener Höhe der Glimmerschiefer, in dieser der Muschelkalk sich niederschlagen konnte. Dagegen die Lehre von der Entstehung alles Gebirgs und Festlands durch Auftreibung spinnt ihre Sätze unmittelbar aus der Geschichte der noch thätigen Vulcane heraus. – Im System der allgemeinen Fluthen sollte ferner jedesmal alles Lebendige rings um die Erde vernichtet und sofort eine neue Schöpfung nach vielfach abgeändertem Plan ins Leben gerufen worden seyn. Aber die Erschütterung durch ein aufsteigendes Festland oder Gebirge mochte auch noch so gewaltig seyn, die ganze Erde konnte sie nicht so betreffen, daß alles organische Leben an ihrer Oberfläche zu Grunde ging. Die Geschlechter der Lebendigen konnten vom Anbeginn im Großen ruhig sich auseinanderwickeln, aussterben, und zugleich mit den Veränderungen der Erdfläche und ihrer klimatischen Verhältnisse sich selbst allmählich umgestalten. Wir haben es früher natürlich gefunden, daß auch bei allgemein Unterrichteten der neue geologische Lehrbegriff mehr oder weniger noch mit neptunistischen Traditionen versetzt ist, und dazu gehören ganz besonders die allgemeinen Erdrevolutionen und in deren Folge die jedesmalige gänzliche Vernichtung der organischen Welt. Es ist aber weniger begreiflich, wie sogar Schriftsteller die letztere ausschweifende Vorstellung neben der Erhebungstheorie, der sie ihren vollen Beifall schenken, festhalten mögen.

Denjenigen, welche der neptunistischen Ansicht ungern und zögernd entsagten, mißfiel an der neuen Lehre besonders das Stürmische, Gewaltsame; ganz unheimlich erschien ihnen das dämonische Aufsteigen der plutonischen Mächte aus der Tiefe, wodurch alles Gebirge im Grunde nichts ist als eine ungeheure Schädelstätte früherer unorganischer und organischer Bildungen.

Basalt, der schwarze Teufelsmohr,
Aus tiefster Hölle bricht hervor,
Zerspaltet Fels, Gestein und Erden,
Omega muß zum Alpha werden.
Und so wär' denn die liebe Welt
Geognostisch auch auf den Kopf gestellt.

War denn aber, wenn man das ganze Relief der Erde von oben herab aus dem Wasser construirte, der Proceß nicht eben so gewaltsam, als wenn man dasselbe bald rascher, bald mählicher sich von unten emportreiben läßt? Im Gegentheil kommt durch den Begriff der Hebung viel mehr Einheit und Ruhe in das ganze Bild der Erdgeschichte. Das leise Werk der Mineralbildung aus Wasser, die Verdichtung der Erdrinde geht ja dabei von Uralters her bis auf den heutigen Tag ununterbrochen seinen ruhigen, gemessenen Gang, nur stellenweise dadurch gestört, daß Stücke oder Strecken des Gebildeten durch die untern Gewalten aus ihrem Lager aufgerüttelt, an Luft und Licht emporgehoben und eben dadurch zum Substrat neuer Schöpfungen des Wassers werden, so daß auch hier, wie sonst im Gang der Natur, Zerstörung als Mutter der Bildung auftritt.

Ja, wenn sich Elie de Beaumonts oben erwähnte Ideen über den Zusammenhang zwischen den Richtungen und dem relativen Alter der Gebirge bestätigten, so wäre dieß ein höchst bedeutsamer Wink aus den uns völlig unbekannten und unzugänglichen Tiefen der Erde: es ließe uns ahnen, daß auch in den großartigsten Gebilden der Erde wie in ihren kleinsten, im Auftreiben der Gebirge wie in den Durchgängen der Krystalle, das Gesetz der Symmetrie, der bestimmten Richtungen und Winkel herrscht. Auch denkt man dabei unwillkürlich an die bekannte, so merkwürdige Symmetrie in der Anordnung der Continente, an die vielen gegen Süden gekehrten Landspitzen, an all die Besonderheiten, die sich in den

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Aber Niemand weiß zu sagen, ob sie sich nicht eines Tags mit neugestärkter Kraft in ihrer ganzen Höhe aufrichten werden. Die Hauptgrundsätze der Erhebungstheorie, wie wir sie im Obigen einem großen Kreise von Lesern faßlich zu machen gesucht haben, sind jetzt so ziemlich von den Gebirgsforschern aller Länder anerkannt, und dienen überall als Leitfaden der Beobachtung. Mit diesen Ansichten wurde der so lange verläugneten sinnlichen Anschauung auf einmal Recht gegeben, und tausend Phänomene in der Erdrinde, welche die frühere Forschung als Räthsel liegen lassen, erklärten sich jetzt von selbst. Aber auf viele Geognosten und Dilettanten wirkte anfangs die schnelle Umkehr der Ideen, wie die Aufhebung des deutschen Reichs auf Staatsmänner und Fürsten. Die ruhige Schichtung ihrer Begriffe wurde dadurch aufs widrigste gewaltsam gestört und verschoben, und sie waren vorläufig sehr geneigt, das rasch aufgestiegene theoretische Gebirge für ein Phantom zu erklären. 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Denjenigen, welche der neptunistischen Ansicht ungern und zögernd entsagten, mißfiel an der neuen Lehre besonders das Stürmische, Gewaltsame; ganz unheimlich erschien ihnen das dämonische Aufsteigen der plutonischen Mächte aus der Tiefe, wodurch alles Gebirge im Grunde nichts ist als eine ungeheure Schädelstätte früherer unorganischer und organischer Bildungen. Basalt, der schwarze Teufelsmohr, Aus tiefster Hölle bricht hervor, Zerspaltet Fels, Gestein und Erden, Omega muß zum Alpha werden. Und so wär' denn die liebe Welt Geognostisch auch auf den Kopf gestellt. War denn aber, wenn man das ganze Relief der Erde von oben herab aus dem Wasser construirte, der Proceß nicht eben so gewaltsam, als wenn man dasselbe bald rascher, bald mählicher sich von unten emportreiben läßt? Im Gegentheil kommt durch den Begriff der Hebung viel mehr Einheit und Ruhe in das ganze Bild der Erdgeschichte. Das leise Werk der Mineralbildung aus Wasser, die Verdichtung der Erdrinde geht ja dabei von Uralters her bis auf den heutigen Tag ununterbrochen seinen ruhigen, gemessenen Gang, nur stellenweise dadurch gestört, daß Stücke oder Strecken des Gebildeten durch die untern Gewalten aus ihrem Lager aufgerüttelt, an Luft und Licht emporgehoben und eben dadurch zum Substrat neuer Schöpfungen des Wassers werden, so daß auch hier, wie sonst im Gang der Natur, Zerstörung als Mutter der Bildung auftritt. Ja, wenn sich Elie de Beaumonts oben erwähnte Ideen über den Zusammenhang zwischen den Richtungen und dem relativen Alter der Gebirge bestätigten, so wäre dieß ein höchst bedeutsamer Wink aus den uns völlig unbekannten und unzugänglichen Tiefen der Erde: es ließe uns ahnen, daß auch in den großartigsten Gebilden der Erde wie in ihren kleinsten, im Auftreiben der Gebirge wie in den Durchgängen der Krystalle, das Gesetz der Symmetrie, der bestimmten Richtungen und Winkel herrscht. Auch denkt man dabei unwillkürlich an die bekannte, so merkwürdige Symmetrie in der Anordnung der Continente, an die vielen gegen Süden gekehrten Landspitzen, an all die Besonderheiten, die sich in den

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 113. Augsburg, 22. April 1840, S. 0899. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_113_18400422/11>, abgerufen am 27.11.2024.