Allgemeine Zeitung. Nr. 107. Augsburg, 16. April 1840.Noch ein Bruchstück zur Charakterisirung Mehemed Ali's. [irrelevantes Material].... Der nächste Tag war glänzender als die vorhergehenden und doch nicht weniger genußreich für mich. Se. Hoheit hatte mich einladen lassen den Uebungen der Eleven der Cavallerieschule zu Dschiseh, die unter der Leitung des so hoch um Aegypten verdienten Obristen Warin, ehemaligen ersten Adjutanten des Marschalls St. Cyr, steht, beizuwohnen, und Baki Bey's Gondel holte mich um 7 Uhr dahin ab. Als ich in Dschiseh ankam, fand ich schon sämmtliche Consuln, einen ansehnlichen Theil der beau monde Kairo's, und eine große Menge geringerer Zuschauer daselbst versammelt. Obrist Warin führte mich in ein oberes Zimmer seines Hauses, wo ich mich nebst einigen Fremden auch die liebenswürdige Familie Hrn. Bonforts, deren Gesellschaft ich täglich vor allen andern aufsuche, antraf. Hrn. Bonforts Schwester, Madame Chianti, wird in den europäischen Cirkeln Kairo's nur "die schöne Wittwe" [fremdsprachliches Material - fehlt] genannt, und ihre jüngere Schwester rivalisirt mit ihr in blühender Frische. Doch auffallender ist Hrn. Bonforts Cousine Mademoiselle Maritza; dieß ist ein mehr als gewöhnlich reizendes Geschöpf, das in Heiterkeit wie Schmerz den unverkennbaren Stempel eines innigen Gemüths trägt. Es ist aber noch etwas mehr an ihr bemerkbar, das in Worten auszudrücken schwer ist - ich möchte es eine tragische Glorie nennen, die solche Personen wie ein magnetischer, transparenter Schleier umhüllt, und ihrem Andenken dadurch etwas Unvergeßliches beimischt. Die Eigenschaft ist selten, und von allen Frauen, die ich bisher gesehen, war dieser eigenthümliche Zauber bei keiner stärker ausgedrückt, als bei der nie wieder erreichten, größten aller Schauspielerinnen, Miß Oneil. Es ist daher sehr wahr, daß eben für eine dramatische Laufbahn keine Eigenschaft vortheilhafter, des Erfolges sicherer seyn kann, und oft wenn ich die reizende Maritza mit der Stimme einer Pasta, und aller Anlage bei guter Schule und geschickter Leitung einst eine gleich große Künstlerin zu werden, singen hörte, ihre tadellose Gestalt, und ihr schönes tiefbedeutendes Gesicht betrachtete, konnte ich mich kaum des Bedauerns erwehren, daß, ihrem eigenen Wunsche entgegen, durch die alltäglichen gesellschaftlichen Vorurtheile ein so seltner Verein von Eigenschaften seiner zweckmäßigsten Bestimmung, zum Verluste Tausender, entzogen werden sollte. Ich dachte an die St. Simonisten und ihre Träume, von denen es zum Theil Schade ist, daß sie so ganz unrealisirbar sind. Doch alle diese Gedanken wurden jetzt durch die Ankunft Mehemed Ali's unterbrochen, der mit betäubendem Jubelruf und militärischer Musik empfangen, von Muktar Bey und dem neuen Kriegsminister unterstützt, rasch das steile Ufer hinanstieg, sich dann auf ein bereit gehaltenes, dießmal reich geschmücktes Pferd schwang, und sogleich dem Exercierplatz und der dort für ihn bereiteten Tribune zueilte. Man ertheilte mir die Weisung ihm dahin zu folgen. Wie immer auf das freundlichste empfangen, lud er mich ein auf einem Fauteuil rechter Hand des seinigen Platz zu nehmen, um die beginnenden Manöver mit anzusehen. Zur linken des Vicekönigs saß auf einem Rohrstuhl (denn die Orientalen sind wahre Spanier für die Etikette, obgleich sie sie nicht immer nach unsern Convenienzen anwenden) Hr. Lesseps, sonst war kein Fremder zugelassen worden, aber der ganze Hof des Vicekönigs stand um uns her, so daß nur nach vorn der Blick frei blieb. Hr. Lesseps, dessen Anmuth und allgemeiner Beliebtheit ich schon früher erwähnt, wird fast wie ein Sohn von Mehemed Ali betrachtet, da des jungen Consuls Vater durch alle Perioden hindurch, gute und böse, sein treuer Freund blieb, und als Mehemed Ali noch in kleinen Verhältnissen seine Laufbahn erst begann, oft sein weiser Rathgeber, und nicht selten sein Beschützer war. Dazu hatte aber damals, wie noch jetzt, ein europäischer Generalconsul im Orient - durch eine wirklich merkwürdige, freiwillige Unterwerfung der dasigen Fürsten unter europäische Civilisation und deren intellectuelles Uebergewicht - wie es sich ihnen hauptsächlich im mercantilischen Interesse offenbart - viel mehr Gelegenheit und Macht als selbst ein Ambassadeur an den Höfen Europa's. Es ist daher auch etwas Dünkelhaftigkeit, welche man im Allgemeinen diesen Herren, und vielleicht nicht ganz mit Unrecht, vorwirft, ihnen, die in Europa so unbedeutend und hier so wichtig sind, nicht allzu sehr zu verdenken. Der Fehler liegt nicht in den Consuln, sondern in der menschlichen Natur, die sich immer nach den Umständen gestaltet. Um so erfreulicher ist es jedoch, wenn man an einem jungen Mann, der mit seiner Consularwürde ausgezeichnete persönliche Eigenschaften verbindet, und dazu der erklärtesten Gunst des Landesoberhauptes genießt, dennoch nie eine Spur von Arroganz gewahr wird, sondern immer nur den lebhaftesten Wunsch jedem zu gefallen, Viele zu verbinden, und mit seinem Tact das sich Widerstrebendste, dessen es so viel hier gibt, zu einigen und zu versöhnen, wo sich nur die Gelegenheit dazu darbietet. Dieß ist die Rolle, welche Hr. Lesseps hier spielt, und nicht weniger mußte ich der Art seines Benehmens bei dem väterlichen Entgegenkommen des Vicekönigs Gerechtigkeit widerfahren lassen - denn es ist ein angenehmes Schauspiel, wenn man das richtige Gleichgewicht zwischen eigener Würde, Pflicht und individueller Dankbarkeit so vollständig gut festgehalten sieht. Auch bin ich fest überzeugt, daß, obgleich Hr. Lesseps zu jedem höhern diplomatischen Posten sich eignen würde, doch, so lange Mehemed Ali lebt, kein französischer Generalconsul seinem Vaterlande je so nützlich in Aegypten werden kann, wie er es dort seyn würde. Man hat mir eine Anekdote erzählt, die nicht nur die gewandte Freimüthigkeit dieses jungen Mannes auf das treffendste charakterisirt, sondern durch die hohe Person, welche sie betrifft, auch ein allgemeineres Interesse hat. Als Hr. Lesseps im vorigen Jahr in Paris war, frug ihn der König, der zu scharfsichtig ist, um nicht eine große Meinung von Mehemed Ali zu hegen, vertraulich: "Was aber ist eigentlich an Ibrahim?" "Ew. Majestät, erwiederte Lesseps, ich wage es nicht mir ein bestimmtes Urtheil über ihn anzumaßen, da ich ihn zu wenig kenne, aber so viel ist gewiß, daß Niemand besser als Ibrahim sein Privatvermögen zu verwalten weiß, und die Erfahrung lehrt uns, daß Männer, welche dieß gut verstehen, auch als Verwalter der Staaten groß zu werden vermögen." Ich sehe im Geist das kluge und gewinnende Lächeln, mit dem der König der Franzosen diese Antwort aufgenommen haben muß, die ein ganzes Berliner Examen in der Diplomatie aufwiegt, und selbst von einem Russen beneidet werden könnte. Da ich aber einmal auf Anekdoten gekommen bin, so will ich noch eine von Mehemed Ali selbst hinzufügen, die gewiß zu den originellsten gehört, und die ungemeine Natürlichkeit, ja ich möchte wohl mit Recht sagen, die antike Unschuldseinfalt des großen Mannes in das hellste Licht stellt. Als er einst mit Hrn. Lesseps von den Diensten sprach, die Noch ein Bruchstück zur Charakterisirung Mehemed Ali's. [irrelevantes Material].... Der nächste Tag war glänzender als die vorhergehenden und doch nicht weniger genußreich für mich. Se. Hoheit hatte mich einladen lassen den Uebungen der Eleven der Cavallerieschule zu Dschiseh, die unter der Leitung des so hoch um Aegypten verdienten Obristen Warin, ehemaligen ersten Adjutanten des Marschalls St. Cyr, steht, beizuwohnen, und Baki Bey's Gondel holte mich um 7 Uhr dahin ab. Als ich in Dschiseh ankam, fand ich schon sämmtliche Consuln, einen ansehnlichen Theil der beau monde Kairo's, und eine große Menge geringerer Zuschauer daselbst versammelt. Obrist Warin führte mich in ein oberes Zimmer seines Hauses, wo ich mich nebst einigen Fremden auch die liebenswürdige Familie Hrn. Bonforts, deren Gesellschaft ich täglich vor allen andern aufsuche, antraf. Hrn. Bonforts Schwester, Madame Chianti, wird in den europäischen Cirkeln Kairo's nur „die schöne Wittwe“ [fremdsprachliches Material – fehlt] genannt, und ihre jüngere Schwester rivalisirt mit ihr in blühender Frische. Doch auffallender ist Hrn. Bonforts Cousine Mademoiselle Maritza; dieß ist ein mehr als gewöhnlich reizendes Geschöpf, das in Heiterkeit wie Schmerz den unverkennbaren Stempel eines innigen Gemüths trägt. Es ist aber noch etwas mehr an ihr bemerkbar, das in Worten auszudrücken schwer ist – ich möchte es eine tragische Glorie nennen, die solche Personen wie ein magnetischer, transparenter Schleier umhüllt, und ihrem Andenken dadurch etwas Unvergeßliches beimischt. Die Eigenschaft ist selten, und von allen Frauen, die ich bisher gesehen, war dieser eigenthümliche Zauber bei keiner stärker ausgedrückt, als bei der nie wieder erreichten, größten aller Schauspielerinnen, Miß Oneil. Es ist daher sehr wahr, daß eben für eine dramatische Laufbahn keine Eigenschaft vortheilhafter, des Erfolges sicherer seyn kann, und oft wenn ich die reizende Maritza mit der Stimme einer Pasta, und aller Anlage bei guter Schule und geschickter Leitung einst eine gleich große Künstlerin zu werden, singen hörte, ihre tadellose Gestalt, und ihr schönes tiefbedeutendes Gesicht betrachtete, konnte ich mich kaum des Bedauerns erwehren, daß, ihrem eigenen Wunsche entgegen, durch die alltäglichen gesellschaftlichen Vorurtheile ein so seltner Verein von Eigenschaften seiner zweckmäßigsten Bestimmung, zum Verluste Tausender, entzogen werden sollte. Ich dachte an die St. Simonisten und ihre Träume, von denen es zum Theil Schade ist, daß sie so ganz unrealisirbar sind. Doch alle diese Gedanken wurden jetzt durch die Ankunft Mehemed Ali's unterbrochen, der mit betäubendem Jubelruf und militärischer Musik empfangen, von Muktar Bey und dem neuen Kriegsminister unterstützt, rasch das steile Ufer hinanstieg, sich dann auf ein bereit gehaltenes, dießmal reich geschmücktes Pferd schwang, und sogleich dem Exercierplatz und der dort für ihn bereiteten Tribune zueilte. Man ertheilte mir die Weisung ihm dahin zu folgen. Wie immer auf das freundlichste empfangen, lud er mich ein auf einem Fauteuil rechter Hand des seinigen Platz zu nehmen, um die beginnenden Manöver mit anzusehen. Zur linken des Vicekönigs saß auf einem Rohrstuhl (denn die Orientalen sind wahre Spanier für die Etikette, obgleich sie sie nicht immer nach unsern Convenienzen anwenden) Hr. Lesseps, sonst war kein Fremder zugelassen worden, aber der ganze Hof des Vicekönigs stand um uns her, so daß nur nach vorn der Blick frei blieb. Hr. Lesseps, dessen Anmuth und allgemeiner Beliebtheit ich schon früher erwähnt, wird fast wie ein Sohn von Mehemed Ali betrachtet, da des jungen Consuls Vater durch alle Perioden hindurch, gute und böse, sein treuer Freund blieb, und als Mehemed Ali noch in kleinen Verhältnissen seine Laufbahn erst begann, oft sein weiser Rathgeber, und nicht selten sein Beschützer war. Dazu hatte aber damals, wie noch jetzt, ein europäischer Generalconsul im Orient – durch eine wirklich merkwürdige, freiwillige Unterwerfung der dasigen Fürsten unter europäische Civilisation und deren intellectuelles Uebergewicht – wie es sich ihnen hauptsächlich im mercantilischen Interesse offenbart – viel mehr Gelegenheit und Macht als selbst ein Ambassadeur an den Höfen Europa's. Es ist daher auch etwas Dünkelhaftigkeit, welche man im Allgemeinen diesen Herren, und vielleicht nicht ganz mit Unrecht, vorwirft, ihnen, die in Europa so unbedeutend und hier so wichtig sind, nicht allzu sehr zu verdenken. Der Fehler liegt nicht in den Consuln, sondern in der menschlichen Natur, die sich immer nach den Umständen gestaltet. Um so erfreulicher ist es jedoch, wenn man an einem jungen Mann, der mit seiner Consularwürde ausgezeichnete persönliche Eigenschaften verbindet, und dazu der erklärtesten Gunst des Landesoberhauptes genießt, dennoch nie eine Spur von Arroganz gewahr wird, sondern immer nur den lebhaftesten Wunsch jedem zu gefallen, Viele zu verbinden, und mit seinem Tact das sich Widerstrebendste, dessen es so viel hier gibt, zu einigen und zu versöhnen, wo sich nur die Gelegenheit dazu darbietet. Dieß ist die Rolle, welche Hr. Lesseps hier spielt, und nicht weniger mußte ich der Art seines Benehmens bei dem väterlichen Entgegenkommen des Vicekönigs Gerechtigkeit widerfahren lassen – denn es ist ein angenehmes Schauspiel, wenn man das richtige Gleichgewicht zwischen eigener Würde, Pflicht und individueller Dankbarkeit so vollständig gut festgehalten sieht. Auch bin ich fest überzeugt, daß, obgleich Hr. Lesseps zu jedem höhern diplomatischen Posten sich eignen würde, doch, so lange Mehemed Ali lebt, kein französischer Generalconsul seinem Vaterlande je so nützlich in Aegypten werden kann, wie er es dort seyn würde. Man hat mir eine Anekdote erzählt, die nicht nur die gewandte Freimüthigkeit dieses jungen Mannes auf das treffendste charakterisirt, sondern durch die hohe Person, welche sie betrifft, auch ein allgemeineres Interesse hat. Als Hr. Lesseps im vorigen Jahr in Paris war, frug ihn der König, der zu scharfsichtig ist, um nicht eine große Meinung von Mehemed Ali zu hegen, vertraulich: „Was aber ist eigentlich an Ibrahim?“ „Ew. Majestät, erwiederte Lesseps, ich wage es nicht mir ein bestimmtes Urtheil über ihn anzumaßen, da ich ihn zu wenig kenne, aber so viel ist gewiß, daß Niemand besser als Ibrahim sein Privatvermögen zu verwalten weiß, und die Erfahrung lehrt uns, daß Männer, welche dieß gut verstehen, auch als Verwalter der Staaten groß zu werden vermögen.“ Ich sehe im Geist das kluge und gewinnende Lächeln, mit dem der König der Franzosen diese Antwort aufgenommen haben muß, die ein ganzes Berliner Examen in der Diplomatie aufwiegt, und selbst von einem Russen beneidet werden könnte. Da ich aber einmal auf Anekdoten gekommen bin, so will ich noch eine von Mehemed Ali selbst hinzufügen, die gewiß zu den originellsten gehört, und die ungemeine Natürlichkeit, ja ich möchte wohl mit Recht sagen, die antike Unschuldseinfalt des großen Mannes in das hellste Licht stellt. Als er einst mit Hrn. 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Obrist Warin führte mich in ein oberes Zimmer seines Hauses, wo ich mich nebst einigen Fremden auch die liebenswürdige Familie Hrn. Bonforts, deren Gesellschaft ich täglich vor allen andern aufsuche, antraf. Hrn. Bonforts Schwester, Madame Chianti, wird in den europäischen Cirkeln Kairo's nur „die schöne Wittwe“ <foreign xml:lang="gre"><gap reason="fm" unit="words"/></foreign> genannt, und ihre jüngere Schwester rivalisirt mit ihr in blühender Frische. Doch auffallender ist Hrn. Bonforts Cousine Mademoiselle Maritza; dieß ist ein mehr als gewöhnlich reizendes Geschöpf, das in Heiterkeit wie Schmerz den unverkennbaren Stempel eines innigen Gemüths trägt. Es ist aber noch etwas mehr an ihr bemerkbar, das in Worten auszudrücken schwer ist – ich möchte es eine tragische Glorie nennen, die solche Personen wie ein magnetischer, transparenter Schleier umhüllt, und ihrem Andenken dadurch etwas Unvergeßliches beimischt. Die Eigenschaft ist selten, und von allen Frauen, die ich bisher gesehen, war dieser eigenthümliche Zauber bei keiner stärker ausgedrückt, als bei der nie wieder erreichten, größten aller Schauspielerinnen, Miß Oneil. Es ist daher sehr wahr, daß eben für eine dramatische Laufbahn keine Eigenschaft vortheilhafter, des Erfolges sicherer seyn kann, und oft wenn ich die reizende Maritza mit der Stimme einer Pasta, und aller Anlage bei guter Schule und geschickter Leitung einst eine gleich große Künstlerin zu werden, singen hörte, ihre tadellose Gestalt, und ihr schönes tiefbedeutendes Gesicht betrachtete, konnte ich mich kaum des Bedauerns erwehren, daß, ihrem eigenen Wunsche entgegen, durch die alltäglichen gesellschaftlichen Vorurtheile ein so seltner Verein von Eigenschaften seiner zweckmäßigsten Bestimmung, zum Verluste Tausender, entzogen werden sollte. 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Lesseps, sonst war kein Fremder zugelassen worden, aber der ganze Hof des Vicekönigs stand um uns her, so daß nur nach vorn der Blick frei blieb. Hr. Lesseps, dessen Anmuth und allgemeiner Beliebtheit ich schon früher erwähnt, wird fast wie ein Sohn von Mehemed Ali betrachtet, da des jungen Consuls Vater durch alle Perioden hindurch, gute und böse, sein treuer Freund blieb, und als Mehemed Ali noch in kleinen Verhältnissen seine Laufbahn erst begann, oft sein weiser Rathgeber, und nicht selten sein Beschützer war. Dazu hatte aber damals, wie noch jetzt, ein europäischer Generalconsul im Orient – durch eine wirklich merkwürdige, freiwillige Unterwerfung der dasigen Fürsten unter europäische Civilisation und deren intellectuelles Uebergewicht – wie es sich ihnen hauptsächlich im mercantilischen Interesse offenbart – viel mehr Gelegenheit und Macht als selbst ein Ambassadeur an den Höfen Europa's. Es ist daher auch etwas Dünkelhaftigkeit, welche man im Allgemeinen diesen Herren, und vielleicht nicht ganz mit Unrecht, vorwirft, ihnen, die in Europa so unbedeutend und hier so wichtig sind, nicht allzu sehr zu verdenken. Der Fehler liegt nicht in den Consuln, sondern in der menschlichen Natur, die sich immer nach den Umständen gestaltet. Um so erfreulicher ist es jedoch, wenn man an einem jungen Mann, der mit seiner Consularwürde ausgezeichnete persönliche Eigenschaften verbindet, und dazu der erklärtesten Gunst des Landesoberhauptes genießt, dennoch nie eine Spur von Arroganz gewahr wird, sondern immer nur den lebhaftesten Wunsch jedem zu gefallen, Viele zu verbinden, und mit seinem Tact das sich Widerstrebendste, dessen es so viel hier gibt, zu einigen und zu versöhnen, wo sich nur die Gelegenheit dazu darbietet. Dieß ist die Rolle, welche Hr. Lesseps hier spielt, und nicht weniger mußte ich der Art seines Benehmens bei dem väterlichen Entgegenkommen des Vicekönigs Gerechtigkeit widerfahren lassen – denn es ist ein angenehmes Schauspiel, wenn man das richtige Gleichgewicht zwischen eigener Würde, Pflicht und individueller Dankbarkeit so vollständig gut festgehalten sieht. Auch bin ich fest überzeugt, daß, obgleich Hr. Lesseps zu jedem höhern diplomatischen Posten sich eignen würde, doch, so lange Mehemed Ali lebt, kein französischer Generalconsul seinem Vaterlande je so nützlich in Aegypten werden kann, wie er es dort seyn würde. Man hat mir eine Anekdote erzählt, die nicht nur die gewandte Freimüthigkeit dieses jungen Mannes auf das treffendste charakterisirt, sondern durch die hohe Person, welche sie betrifft, auch ein allgemeineres Interesse hat. Als Hr. Lesseps im vorigen Jahr in Paris war, frug ihn der König, der zu scharfsichtig ist, um nicht eine große Meinung von Mehemed Ali zu hegen, vertraulich: „Was aber ist eigentlich an Ibrahim?“ „Ew. Majestät, erwiederte Lesseps, ich wage es nicht mir ein bestimmtes Urtheil über ihn anzumaßen, da ich ihn zu wenig kenne, aber so viel ist gewiß, daß Niemand besser als Ibrahim sein Privatvermögen zu verwalten weiß, und die Erfahrung lehrt uns, daß Männer, welche dieß gut verstehen, auch als Verwalter der Staaten groß zu werden vermögen.“ Ich sehe im Geist das kluge und gewinnende Lächeln, mit dem der König der Franzosen diese Antwort aufgenommen haben muß, die ein ganzes Berliner Examen in der Diplomatie aufwiegt, und selbst von einem Russen beneidet werden könnte. Da ich aber einmal auf Anekdoten gekommen bin, so will ich noch eine von Mehemed Ali selbst hinzufügen, die gewiß zu den originellsten gehört, und die ungemeine Natürlichkeit, ja ich möchte wohl mit Recht sagen, die antike Unschuldseinfalt des großen Mannes in das hellste Licht stellt. Als er einst mit Hrn. Lesseps von den Diensten sprach, die<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0849/0009]
Noch ein Bruchstück zur Charakterisirung Mehemed Ali's.
_ .... Der nächste Tag war glänzender als die vorhergehenden und doch nicht weniger genußreich für mich. Se. Hoheit hatte mich einladen lassen den Uebungen der Eleven der Cavallerieschule zu Dschiseh, die unter der Leitung des so hoch um Aegypten verdienten Obristen Warin, ehemaligen ersten Adjutanten des Marschalls St. Cyr, steht, beizuwohnen, und Baki Bey's Gondel holte mich um 7 Uhr dahin ab. Als ich in Dschiseh ankam, fand ich schon sämmtliche Consuln, einen ansehnlichen Theil der beau monde Kairo's, und eine große Menge geringerer Zuschauer daselbst versammelt. Obrist Warin führte mich in ein oberes Zimmer seines Hauses, wo ich mich nebst einigen Fremden auch die liebenswürdige Familie Hrn. Bonforts, deren Gesellschaft ich täglich vor allen andern aufsuche, antraf. Hrn. Bonforts Schwester, Madame Chianti, wird in den europäischen Cirkeln Kairo's nur „die schöne Wittwe“ _ genannt, und ihre jüngere Schwester rivalisirt mit ihr in blühender Frische. Doch auffallender ist Hrn. Bonforts Cousine Mademoiselle Maritza; dieß ist ein mehr als gewöhnlich reizendes Geschöpf, das in Heiterkeit wie Schmerz den unverkennbaren Stempel eines innigen Gemüths trägt. Es ist aber noch etwas mehr an ihr bemerkbar, das in Worten auszudrücken schwer ist – ich möchte es eine tragische Glorie nennen, die solche Personen wie ein magnetischer, transparenter Schleier umhüllt, und ihrem Andenken dadurch etwas Unvergeßliches beimischt. Die Eigenschaft ist selten, und von allen Frauen, die ich bisher gesehen, war dieser eigenthümliche Zauber bei keiner stärker ausgedrückt, als bei der nie wieder erreichten, größten aller Schauspielerinnen, Miß Oneil. Es ist daher sehr wahr, daß eben für eine dramatische Laufbahn keine Eigenschaft vortheilhafter, des Erfolges sicherer seyn kann, und oft wenn ich die reizende Maritza mit der Stimme einer Pasta, und aller Anlage bei guter Schule und geschickter Leitung einst eine gleich große Künstlerin zu werden, singen hörte, ihre tadellose Gestalt, und ihr schönes tiefbedeutendes Gesicht betrachtete, konnte ich mich kaum des Bedauerns erwehren, daß, ihrem eigenen Wunsche entgegen, durch die alltäglichen gesellschaftlichen Vorurtheile ein so seltner Verein von Eigenschaften seiner zweckmäßigsten Bestimmung, zum Verluste Tausender, entzogen werden sollte. Ich dachte an die St. Simonisten und ihre Träume, von denen es zum Theil Schade ist, daß sie so ganz unrealisirbar sind.
Doch alle diese Gedanken wurden jetzt durch die Ankunft Mehemed Ali's unterbrochen, der mit betäubendem Jubelruf und militärischer Musik empfangen, von Muktar Bey und dem neuen Kriegsminister unterstützt, rasch das steile Ufer hinanstieg, sich dann auf ein bereit gehaltenes, dießmal reich geschmücktes Pferd schwang, und sogleich dem Exercierplatz und der dort für ihn bereiteten Tribune zueilte. Man ertheilte mir die Weisung ihm dahin zu folgen. Wie immer auf das freundlichste empfangen, lud er mich ein auf einem Fauteuil rechter Hand des seinigen Platz zu nehmen, um die beginnenden Manöver mit anzusehen. Zur linken des Vicekönigs saß auf einem Rohrstuhl (denn die Orientalen sind wahre Spanier für die Etikette, obgleich sie sie nicht immer nach unsern Convenienzen anwenden) Hr. Lesseps, sonst war kein Fremder zugelassen worden, aber der ganze Hof des Vicekönigs stand um uns her, so daß nur nach vorn der Blick frei blieb. Hr. Lesseps, dessen Anmuth und allgemeiner Beliebtheit ich schon früher erwähnt, wird fast wie ein Sohn von Mehemed Ali betrachtet, da des jungen Consuls Vater durch alle Perioden hindurch, gute und böse, sein treuer Freund blieb, und als Mehemed Ali noch in kleinen Verhältnissen seine Laufbahn erst begann, oft sein weiser Rathgeber, und nicht selten sein Beschützer war. Dazu hatte aber damals, wie noch jetzt, ein europäischer Generalconsul im Orient – durch eine wirklich merkwürdige, freiwillige Unterwerfung der dasigen Fürsten unter europäische Civilisation und deren intellectuelles Uebergewicht – wie es sich ihnen hauptsächlich im mercantilischen Interesse offenbart – viel mehr Gelegenheit und Macht als selbst ein Ambassadeur an den Höfen Europa's. Es ist daher auch etwas Dünkelhaftigkeit, welche man im Allgemeinen diesen Herren, und vielleicht nicht ganz mit Unrecht, vorwirft, ihnen, die in Europa so unbedeutend und hier so wichtig sind, nicht allzu sehr zu verdenken. Der Fehler liegt nicht in den Consuln, sondern in der menschlichen Natur, die sich immer nach den Umständen gestaltet. Um so erfreulicher ist es jedoch, wenn man an einem jungen Mann, der mit seiner Consularwürde ausgezeichnete persönliche Eigenschaften verbindet, und dazu der erklärtesten Gunst des Landesoberhauptes genießt, dennoch nie eine Spur von Arroganz gewahr wird, sondern immer nur den lebhaftesten Wunsch jedem zu gefallen, Viele zu verbinden, und mit seinem Tact das sich Widerstrebendste, dessen es so viel hier gibt, zu einigen und zu versöhnen, wo sich nur die Gelegenheit dazu darbietet. Dieß ist die Rolle, welche Hr. Lesseps hier spielt, und nicht weniger mußte ich der Art seines Benehmens bei dem väterlichen Entgegenkommen des Vicekönigs Gerechtigkeit widerfahren lassen – denn es ist ein angenehmes Schauspiel, wenn man das richtige Gleichgewicht zwischen eigener Würde, Pflicht und individueller Dankbarkeit so vollständig gut festgehalten sieht. Auch bin ich fest überzeugt, daß, obgleich Hr. Lesseps zu jedem höhern diplomatischen Posten sich eignen würde, doch, so lange Mehemed Ali lebt, kein französischer Generalconsul seinem Vaterlande je so nützlich in Aegypten werden kann, wie er es dort seyn würde. Man hat mir eine Anekdote erzählt, die nicht nur die gewandte Freimüthigkeit dieses jungen Mannes auf das treffendste charakterisirt, sondern durch die hohe Person, welche sie betrifft, auch ein allgemeineres Interesse hat. Als Hr. Lesseps im vorigen Jahr in Paris war, frug ihn der König, der zu scharfsichtig ist, um nicht eine große Meinung von Mehemed Ali zu hegen, vertraulich: „Was aber ist eigentlich an Ibrahim?“ „Ew. Majestät, erwiederte Lesseps, ich wage es nicht mir ein bestimmtes Urtheil über ihn anzumaßen, da ich ihn zu wenig kenne, aber so viel ist gewiß, daß Niemand besser als Ibrahim sein Privatvermögen zu verwalten weiß, und die Erfahrung lehrt uns, daß Männer, welche dieß gut verstehen, auch als Verwalter der Staaten groß zu werden vermögen.“ Ich sehe im Geist das kluge und gewinnende Lächeln, mit dem der König der Franzosen diese Antwort aufgenommen haben muß, die ein ganzes Berliner Examen in der Diplomatie aufwiegt, und selbst von einem Russen beneidet werden könnte. Da ich aber einmal auf Anekdoten gekommen bin, so will ich noch eine von Mehemed Ali selbst hinzufügen, die gewiß zu den originellsten gehört, und die ungemeine Natürlichkeit, ja ich möchte wohl mit Recht sagen, die antike Unschuldseinfalt des großen Mannes in das hellste Licht stellt. Als er einst mit Hrn. Lesseps von den Diensten sprach, die
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