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Allgemeine Zeitung. Nr. 100. Augsburg, 9. April 1840.

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zum Anfang der Sitzung aus. Endlich erscheinen einige Deputirte wie einzelne Vorboten, suchen ihre Plätze auf, setzen sich ein paar Minuten, probiren ihre Feder, dämmern dann, wie's scheint, nicht sehr gedankenvoll auf allen Bänken herum, plaudern mit ihren Collegen und grüßen die eintretenden, die schon in Gruppen ankommen. Bald strömen sie schockweise in den Saal, das Summen der Unterhaltung wird immer stärker; Männer von Bedeutung werden bemerkt: der beleibte, fast aufgeblähte Berryer reicht dem langen, hagern, schwarzen Garnier-Pages die freundschaftliche Hand; Hr. Thiers läßt sich auf seiner Schmerzensbank nieder, zahlreiche Freunde umringen ihn sogleich; er redet viel und mit Vielen; seine Bewegungen sind so zwanglos, wie sonst, und ganz in dem Styl der plebejischen Ungebundenheit, die ihm eigen; sein verschlagenes Gesicht aber kann die Unruhe nicht bemeistern, welche die Seele des Ministers bewegt. Endlich gibt der Präsident durch wiederholtes Läuten das Zeichen zum Beginn; die Deputirten begeben sich, bis auf einige Gruppen, die um die Rednerbühne stehen bleiben, sämmtlich auf ihre Plätze, das Getöse nimmt ab, während der Präsident einige Briefe und Bittschriften abliest; völlige Ruhe aber tritt erst ein, als er den Minister der auswärtigen Angelegenheiten zum Sprechen eingeladen.

So lange Hr. Thiers in dem ersten Theile seiner Rede eine lichtvolle Auseinandersetzung von dem Entstehen des Cabinets gab, hörten ihn alle Parteien mit jener aufmerksamen Stille an, die nur von Zeit zu Zeit durch ein dienstfertiges "Sehrgut" oder "Ganzrichtig", wie die Vorträge des Sokrates durch die bewundernden Ausrufe seiner Schüler, unterbrochen wurde. Als es aber an die Darlegung der Politik ging, fiel der Barometer, und die See ward unwillig; die Worte über die Wahlreform erregten einen tobenden Orkan; die Miliz der Centren brach in wildes Geschrei aus, wie ein angeschossenes Thier der Wüste. Was sie riefen, ließ schwer sich unterscheiden, es war wie jenes Allah der Muselmänner, das die Kreuzfahrer für einen abscheulichen Ausdruck heidnischer Barbarei nahmen. Im Ganzen jedoch machte Thiers' Rede einen günstigen Eindruck. Sie war klar, wie alles, was er schreibt und spricht, überredend und geschickt, den Männern des Widerstandes huldigende Achtung und Worte der Beruhigung nicht versagend und in seiner Stimme selbst versöhnend. Wo er aber dem Stolze der Freiheit und des Vaterlandes schmeichelte, wo er auf die Ereignisse sich berief, da ward sein Organ voller und tönender, er spielte fortissimo, seine Gebärden belebten, sein Auge entflammte sich; der kleine Mann wuchs sichtlich. Es schien, als wolle der Zwerg des Königthums zu einem Riesen der Revolution sich emporarbeiten; man sah, daß er vor Allem Demokrat ist, und ein lautes, dichtes Bravo scholl ihm in diesem Moment auch von den demokratischen Bänken entgegen. Das wissen seine Gegner sehr gut; daher auch ihr Mißtrauen und ihr Widerwille.

Hr. Desmousseaux de Givre, der den Angriff von dieser Seite eröffnete, kann zierliche Pfeile schnitzen, und seine Sachen sind sehr angenehm zu lesen; aber auf der Rednerbühne wirkt er weniger: sein Vortrag ist träg und gequetscht, und seine Mimik besteht einzig und allein aus der Monomanie seiner Hand, die über die Marmorplatte vor ihm, auf der die Erfrischungen stehen, hinab ins Leere, wie ein Steuerruder ins Wasser sticht. Hr. Desmousseaux de Givre ward übrigens von der Kammer, wenn auch nicht mit gespannter Achtsamkeit, doch mit Ruhe angehört, was den meisten der andern Sprecher zweiter Ordnung nicht widerfährt. So wie einer von ihnen auf der Rednerbühne anlangt, beginnt sogleich die lärmendste Unterhaltung, wie man sie etwa in einer Gymnasialclasse vor dem Erscheinen des Professors vernehmen kann: ganze Haufen von Deputirten verlassen ihre Bänke und strömen in die Bureaux zurück, andere ergehen sich im Saal; überall sieht man Gruppen in der lautesten, lebhaftesten Erörterung begriffen, kurz, man sollte sich eher auf der Börse, in einem italienischen Parterre, wenn eben kein Matador der Oper singt, oder bei geschlossenen Augen selbst auf dem Markt eher, als in dem Heiligthum der Gesetze glauben. Einige der Redner, die jener unbarmherzigen Gleichgültigkeit verfallen sind, ziehen sich daher bei den ersten Anzeichen des Sturms sogleich von der Bühne zurück; doch gibt es auch solche, die, sey es durch den Eigensinn der Eitelkeit getrieben, sey es, weil sie die Mühe der Vorbereitung nicht verlieren wollen, in den Tumult, unbekümmert darum, ob man sie verstehe oder nicht, hineinreden, und durch die Heftigkeit ihrer vergeblichen Anstrengungen, wie den Eifer ihres Gebärdenspiels den possierlichsten Eindruck von der Welt hervorbringen.

Wie aber Hr. v. Lamartine die Tribune einnimmt, wird die wilde See wieder zahm und still, als hätte das Wort eines göttlichen Gebieters sie berührt. Lamartine, der zarte, schwermüthige, ätherische Sänger, nun der erste Sprecher einer politischen Partei, ist dieß nicht der sprechendste Beweis, daß jetzt alle Wege zur Politik führen, daß Wissenschaft und Kunst, Religion und Litteratur nur verschiedene Ströme sind, die sich alle in denselben Alles verschlingenden Ocean verlieren? Chateaubriand, Lamennais, Guizot, Lamartine sind sie nicht die lebendigen Zeugen dieser Wahrheit? Wenn aber Guizot vor dem Senate noch Professor, wenn Chateaubriand vor dem Hause der edlen Pairs noch der Wanderer in Amerika's Wäldern und an den Gräbern des Orients ist, so trägt auch Lamartine seine Dichterseele in die Schlacht der Meinungen und Parteien. Alles, was wir thun, bringen wir dem Genius unseres Hauptberufs, wie eine leise heimische Betonung in den Gebrauch fremder Idiome. Niemals aber trat wohl das innerste Selbst des poetischen Redners so frei, lebendig und klar hervor, als in der dießmaligen Erörterung, und auch in seinem Aeußern schien es abgebildet. Wenn bei den HH. Bechard und Desmousseaux die entsetzlichsten Dinge von lächelnder Lippe flossen, gaben bei Lamartine Haltung und das ganze Ansehen von den schwermüthigen Gedanken, die ihn bewegten, Zeugniß, wozu noch eine Stimme kam, die durch Heiserkeit verschleiert, und im Anfang fast erstickt war. Seine Rede selbst war allerdings nur verneinend; das wohl gerechte Mißtrauen gegen die Mischung von Herrscher- und Flattersinn in dem Mann, den er bekämpfte, gab ihm ohne Zweifel zu große Besorgniß; allein die Charakterblößen seines Gegners deckte er mit sicherem Blick und schonungsloser Hand seinen Mitbürgern auf, und die geistvolle, energische Meisterschaft seiner Sprache hat wohl unsere Bewunderung niemals mehr verdient. Als er gegen das Ende seines Vortrags sich gegen den anmaßlichen, ungebührlichen Einfluß der Presse erhob, und Hrn. Thiers vor der "Volksgunst schwarz auf weiß" (popularite ecrite), deren Götze er sey, deren Sklave er seyn werde, in dem ernstesten Tone warnte, da schlug der kleine Minister, wie ein Knabe vor den Verweisen seines Vaters, die klugen Augen nieder. Als er mit einigen Worten schneidender Ironie, die auch in die Wendung seiner Hand und den Ausdruck seines Gesichtes überging, auf die geheimen Absichten und Hoffnungen der Opposition hinwies, bezeugte ihm die beifällige Heiterkeit der Versammlung, daß man nicht nur sein Pathos, sondern auch seinen Humor zu würdigen wisse; als er aber die Majestät der Presse in etwas starken Ausdrücken anzutasten wagte, bestrafte ein gellendes Pfeifen von einer Tribune aus den furchtbaren Hochverrath, und erregte in den Reihen der Conservativen

zum Anfang der Sitzung aus. Endlich erscheinen einige Deputirte wie einzelne Vorboten, suchen ihre Plätze auf, setzen sich ein paar Minuten, probiren ihre Feder, dämmern dann, wie's scheint, nicht sehr gedankenvoll auf allen Bänken herum, plaudern mit ihren Collegen und grüßen die eintretenden, die schon in Gruppen ankommen. Bald strömen sie schockweise in den Saal, das Summen der Unterhaltung wird immer stärker; Männer von Bedeutung werden bemerkt: der beleibte, fast aufgeblähte Berryer reicht dem langen, hagern, schwarzen Garnier-Pagès die freundschaftliche Hand; Hr. Thiers läßt sich auf seiner Schmerzensbank nieder, zahlreiche Freunde umringen ihn sogleich; er redet viel und mit Vielen; seine Bewegungen sind so zwanglos, wie sonst, und ganz in dem Styl der plebejischen Ungebundenheit, die ihm eigen; sein verschlagenes Gesicht aber kann die Unruhe nicht bemeistern, welche die Seele des Ministers bewegt. Endlich gibt der Präsident durch wiederholtes Läuten das Zeichen zum Beginn; die Deputirten begeben sich, bis auf einige Gruppen, die um die Rednerbühne stehen bleiben, sämmtlich auf ihre Plätze, das Getöse nimmt ab, während der Präsident einige Briefe und Bittschriften abliest; völlige Ruhe aber tritt erst ein, als er den Minister der auswärtigen Angelegenheiten zum Sprechen eingeladen.

So lange Hr. Thiers in dem ersten Theile seiner Rede eine lichtvolle Auseinandersetzung von dem Entstehen des Cabinets gab, hörten ihn alle Parteien mit jener aufmerksamen Stille an, die nur von Zeit zu Zeit durch ein dienstfertiges „Sehrgut“ oder „Ganzrichtig“, wie die Vorträge des Sokrates durch die bewundernden Ausrufe seiner Schüler, unterbrochen wurde. Als es aber an die Darlegung der Politik ging, fiel der Barometer, und die See ward unwillig; die Worte über die Wahlreform erregten einen tobenden Orkan; die Miliz der Centren brach in wildes Geschrei aus, wie ein angeschossenes Thier der Wüste. Was sie riefen, ließ schwer sich unterscheiden, es war wie jenes Allah der Muselmänner, das die Kreuzfahrer für einen abscheulichen Ausdruck heidnischer Barbarei nahmen. Im Ganzen jedoch machte Thiers' Rede einen günstigen Eindruck. Sie war klar, wie alles, was er schreibt und spricht, überredend und geschickt, den Männern des Widerstandes huldigende Achtung und Worte der Beruhigung nicht versagend und in seiner Stimme selbst versöhnend. Wo er aber dem Stolze der Freiheit und des Vaterlandes schmeichelte, wo er auf die Ereignisse sich berief, da ward sein Organ voller und tönender, er spielte fortissimo, seine Gebärden belebten, sein Auge entflammte sich; der kleine Mann wuchs sichtlich. Es schien, als wolle der Zwerg des Königthums zu einem Riesen der Revolution sich emporarbeiten; man sah, daß er vor Allem Demokrat ist, und ein lautes, dichtes Bravo scholl ihm in diesem Moment auch von den demokratischen Bänken entgegen. Das wissen seine Gegner sehr gut; daher auch ihr Mißtrauen und ihr Widerwille.

Hr. Desmousseaux de Givré, der den Angriff von dieser Seite eröffnete, kann zierliche Pfeile schnitzen, und seine Sachen sind sehr angenehm zu lesen; aber auf der Rednerbühne wirkt er weniger: sein Vortrag ist träg und gequetscht, und seine Mimik besteht einzig und allein aus der Monomanie seiner Hand, die über die Marmorplatte vor ihm, auf der die Erfrischungen stehen, hinab ins Leere, wie ein Steuerruder ins Wasser sticht. Hr. Desmousseaux de Givré ward übrigens von der Kammer, wenn auch nicht mit gespannter Achtsamkeit, doch mit Ruhe angehört, was den meisten der andern Sprecher zweiter Ordnung nicht widerfährt. So wie einer von ihnen auf der Rednerbühne anlangt, beginnt sogleich die lärmendste Unterhaltung, wie man sie etwa in einer Gymnasialclasse vor dem Erscheinen des Professors vernehmen kann: ganze Haufen von Deputirten verlassen ihre Bänke und strömen in die Bureaux zurück, andere ergehen sich im Saal; überall sieht man Gruppen in der lautesten, lebhaftesten Erörterung begriffen, kurz, man sollte sich eher auf der Börse, in einem italienischen Parterre, wenn eben kein Matador der Oper singt, oder bei geschlossenen Augen selbst auf dem Markt eher, als in dem Heiligthum der Gesetze glauben. Einige der Redner, die jener unbarmherzigen Gleichgültigkeit verfallen sind, ziehen sich daher bei den ersten Anzeichen des Sturms sogleich von der Bühne zurück; doch gibt es auch solche, die, sey es durch den Eigensinn der Eitelkeit getrieben, sey es, weil sie die Mühe der Vorbereitung nicht verlieren wollen, in den Tumult, unbekümmert darum, ob man sie verstehe oder nicht, hineinreden, und durch die Heftigkeit ihrer vergeblichen Anstrengungen, wie den Eifer ihres Gebärdenspiels den possierlichsten Eindruck von der Welt hervorbringen.

Wie aber Hr. v. Lamartine die Tribune einnimmt, wird die wilde See wieder zahm und still, als hätte das Wort eines göttlichen Gebieters sie berührt. Lamartine, der zarte, schwermüthige, ätherische Sänger, nun der erste Sprecher einer politischen Partei, ist dieß nicht der sprechendste Beweis, daß jetzt alle Wege zur Politik führen, daß Wissenschaft und Kunst, Religion und Litteratur nur verschiedene Ströme sind, die sich alle in denselben Alles verschlingenden Ocean verlieren? Chateaubriand, Lamennais, Guizot, Lamartine sind sie nicht die lebendigen Zeugen dieser Wahrheit? Wenn aber Guizot vor dem Senate noch Professor, wenn Chateaubriand vor dem Hause der edlen Pairs noch der Wanderer in Amerika's Wäldern und an den Gräbern des Orients ist, so trägt auch Lamartine seine Dichterseele in die Schlacht der Meinungen und Parteien. Alles, was wir thun, bringen wir dem Genius unseres Hauptberufs, wie eine leise heimische Betonung in den Gebrauch fremder Idiome. Niemals aber trat wohl das innerste Selbst des poetischen Redners so frei, lebendig und klar hervor, als in der dießmaligen Erörterung, und auch in seinem Aeußern schien es abgebildet. Wenn bei den HH. Bechard und Desmousseaux die entsetzlichsten Dinge von lächelnder Lippe flossen, gaben bei Lamartine Haltung und das ganze Ansehen von den schwermüthigen Gedanken, die ihn bewegten, Zeugniß, wozu noch eine Stimme kam, die durch Heiserkeit verschleiert, und im Anfang fast erstickt war. Seine Rede selbst war allerdings nur verneinend; das wohl gerechte Mißtrauen gegen die Mischung von Herrscher- und Flattersinn in dem Mann, den er bekämpfte, gab ihm ohne Zweifel zu große Besorgniß; allein die Charakterblößen seines Gegners deckte er mit sicherem Blick und schonungsloser Hand seinen Mitbürgern auf, und die geistvolle, energische Meisterschaft seiner Sprache hat wohl unsere Bewunderung niemals mehr verdient. Als er gegen das Ende seines Vortrags sich gegen den anmaßlichen, ungebührlichen Einfluß der Presse erhob, und Hrn. Thiers vor der „Volksgunst schwarz auf weiß“ (popularité écrite), deren Götze er sey, deren Sklave er seyn werde, in dem ernstesten Tone warnte, da schlug der kleine Minister, wie ein Knabe vor den Verweisen seines Vaters, die klugen Augen nieder. Als er mit einigen Worten schneidender Ironie, die auch in die Wendung seiner Hand und den Ausdruck seines Gesichtes überging, auf die geheimen Absichten und Hoffnungen der Opposition hinwies, bezeugte ihm die beifällige Heiterkeit der Versammlung, daß man nicht nur sein Pathos, sondern auch seinen Humor zu würdigen wisse; als er aber die Majestät der Presse in etwas starken Ausdrücken anzutasten wagte, bestrafte ein gellendes Pfeifen von einer Tribune aus den furchtbaren Hochverrath, und erregte in den Reihen der Conservativen

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zum Anfang der Sitzung aus. Endlich erscheinen einige Deputirte wie einzelne Vorboten, suchen ihre Plätze auf, setzen sich ein paar Minuten, probiren ihre Feder, dämmern dann, wie's scheint, nicht sehr gedankenvoll auf allen Bänken herum, plaudern mit ihren Collegen und grüßen die eintretenden, die schon in Gruppen ankommen. Bald strömen sie schockweise in den Saal, das Summen der Unterhaltung wird immer stärker; Männer von Bedeutung werden bemerkt: der beleibte, fast aufgeblähte Berryer reicht dem langen, hagern, schwarzen Garnier-Pagès die freundschaftliche Hand; Hr. Thiers läßt sich auf seiner Schmerzensbank nieder, zahlreiche Freunde umringen ihn sogleich; er redet viel und mit Vielen; seine Bewegungen sind so zwanglos, wie sonst, und ganz in dem Styl der plebejischen Ungebundenheit, die ihm eigen; sein verschlagenes Gesicht aber kann die Unruhe nicht bemeistern, welche die Seele des Ministers bewegt. Endlich gibt der Präsident durch wiederholtes Läuten das Zeichen zum Beginn; die Deputirten begeben sich, bis auf einige Gruppen, die um die Rednerbühne stehen bleiben, sämmtlich auf ihre Plätze, das Getöse nimmt ab, während der Präsident einige Briefe und Bittschriften abliest; völlige Ruhe aber tritt erst ein, als er den Minister der auswärtigen Angelegenheiten zum Sprechen eingeladen.</p><lb/>
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Endlich gibt der Präsident durch wiederholtes Läuten das Zeichen zum Beginn; die Deputirten begeben sich, bis auf einige Gruppen, die um die Rednerbühne stehen bleiben, sämmtlich auf ihre Plätze, das Getöse nimmt ab, während der Präsident einige Briefe und Bittschriften abliest; völlige Ruhe aber tritt erst ein, als er den Minister der auswärtigen Angelegenheiten zum Sprechen eingeladen. So lange Hr. Thiers in dem ersten Theile seiner Rede eine lichtvolle Auseinandersetzung von dem Entstehen des Cabinets gab, hörten ihn alle Parteien mit jener aufmerksamen Stille an, die nur von Zeit zu Zeit durch ein dienstfertiges „Sehrgut“ oder „Ganzrichtig“, wie die Vorträge des Sokrates durch die bewundernden Ausrufe seiner Schüler, unterbrochen wurde. Als es aber an die Darlegung der Politik ging, fiel der Barometer, und die See ward unwillig; die Worte über die Wahlreform erregten einen tobenden Orkan; die Miliz der Centren brach in wildes Geschrei aus, wie ein angeschossenes Thier der Wüste. Was sie riefen, ließ schwer sich unterscheiden, es war wie jenes Allah der Muselmänner, das die Kreuzfahrer für einen abscheulichen Ausdruck heidnischer Barbarei nahmen. Im Ganzen jedoch machte Thiers' Rede einen günstigen Eindruck. Sie war klar, wie alles, was er schreibt und spricht, überredend und geschickt, den Männern des Widerstandes huldigende Achtung und Worte der Beruhigung nicht versagend und in seiner Stimme selbst versöhnend. Wo er aber dem Stolze der Freiheit und des Vaterlandes schmeichelte, wo er auf die Ereignisse sich berief, da ward sein Organ voller und tönender, er spielte fortissimo, seine Gebärden belebten, sein Auge entflammte sich; der kleine Mann wuchs sichtlich. Es schien, als wolle der Zwerg des Königthums zu einem Riesen der Revolution sich emporarbeiten; man sah, daß er vor Allem Demokrat ist, und ein lautes, dichtes Bravo scholl ihm in diesem Moment auch von den demokratischen Bänken entgegen. Das wissen seine Gegner sehr gut; daher auch ihr Mißtrauen und ihr Widerwille. Hr. Desmousseaux de Givré, der den Angriff von dieser Seite eröffnete, kann zierliche Pfeile schnitzen, und seine Sachen sind sehr angenehm zu lesen; aber auf der Rednerbühne wirkt er weniger: sein Vortrag ist träg und gequetscht, und seine Mimik besteht einzig und allein aus der Monomanie seiner Hand, die über die Marmorplatte vor ihm, auf der die Erfrischungen stehen, hinab ins Leere, wie ein Steuerruder ins Wasser sticht. Hr. Desmousseaux de Givré ward übrigens von der Kammer, wenn auch nicht mit gespannter Achtsamkeit, doch mit Ruhe angehört, was den meisten der andern Sprecher zweiter Ordnung nicht widerfährt. So wie einer von ihnen auf der Rednerbühne anlangt, beginnt sogleich die lärmendste Unterhaltung, wie man sie etwa in einer Gymnasialclasse vor dem Erscheinen des Professors vernehmen kann: ganze Haufen von Deputirten verlassen ihre Bänke und strömen in die Bureaux zurück, andere ergehen sich im Saal; überall sieht man Gruppen in der lautesten, lebhaftesten Erörterung begriffen, kurz, man sollte sich eher auf der Börse, in einem italienischen Parterre, wenn eben kein Matador der Oper singt, oder bei geschlossenen Augen selbst auf dem Markt eher, als in dem Heiligthum der Gesetze glauben. Einige der Redner, die jener unbarmherzigen Gleichgültigkeit verfallen sind, ziehen sich daher bei den ersten Anzeichen des Sturms sogleich von der Bühne zurück; doch gibt es auch solche, die, sey es durch den Eigensinn der Eitelkeit getrieben, sey es, weil sie die Mühe der Vorbereitung nicht verlieren wollen, in den Tumult, unbekümmert darum, ob man sie verstehe oder nicht, hineinreden, und durch die Heftigkeit ihrer vergeblichen Anstrengungen, wie den Eifer ihres Gebärdenspiels den possierlichsten Eindruck von der Welt hervorbringen. Wie aber Hr. v. Lamartine die Tribune einnimmt, wird die wilde See wieder zahm und still, als hätte das Wort eines göttlichen Gebieters sie berührt. Lamartine, der zarte, schwermüthige, ätherische Sänger, nun der erste Sprecher einer politischen Partei, ist dieß nicht der sprechendste Beweis, daß jetzt alle Wege zur Politik führen, daß Wissenschaft und Kunst, Religion und Litteratur nur verschiedene Ströme sind, die sich alle in denselben Alles verschlingenden Ocean verlieren? Chateaubriand, Lamennais, Guizot, Lamartine sind sie nicht die lebendigen Zeugen dieser Wahrheit? Wenn aber Guizot vor dem Senate noch Professor, wenn Chateaubriand vor dem Hause der edlen Pairs noch der Wanderer in Amerika's Wäldern und an den Gräbern des Orients ist, so trägt auch Lamartine seine Dichterseele in die Schlacht der Meinungen und Parteien. Alles, was wir thun, bringen wir dem Genius unseres Hauptberufs, wie eine leise heimische Betonung in den Gebrauch fremder Idiome. Niemals aber trat wohl das innerste Selbst des poetischen Redners so frei, lebendig und klar hervor, als in der dießmaligen Erörterung, und auch in seinem Aeußern schien es abgebildet. Wenn bei den HH. Bechard und Desmousseaux die entsetzlichsten Dinge von lächelnder Lippe flossen, gaben bei Lamartine Haltung und das ganze Ansehen von den schwermüthigen Gedanken, die ihn bewegten, Zeugniß, wozu noch eine Stimme kam, die durch Heiserkeit verschleiert, und im Anfang fast erstickt war. Seine Rede selbst war allerdings nur verneinend; das wohl gerechte Mißtrauen gegen die Mischung von Herrscher- und Flattersinn in dem Mann, den er bekämpfte, gab ihm ohne Zweifel zu große Besorgniß; allein die Charakterblößen seines Gegners deckte er mit sicherem Blick und schonungsloser Hand seinen Mitbürgern auf, und die geistvolle, energische Meisterschaft seiner Sprache hat wohl unsere Bewunderung niemals mehr verdient. Als er gegen das Ende seines Vortrags sich gegen den anmaßlichen, ungebührlichen Einfluß der Presse erhob, und Hrn. Thiers vor der „Volksgunst schwarz auf weiß“ (popularité écrite), deren Götze er sey, deren Sklave er seyn werde, in dem ernstesten Tone warnte, da schlug der kleine Minister, wie ein Knabe vor den Verweisen seines Vaters, die klugen Augen nieder. Als er mit einigen Worten schneidender Ironie, die auch in die Wendung seiner Hand und den Ausdruck seines Gesichtes überging, auf die geheimen Absichten und Hoffnungen der Opposition hinwies, bezeugte ihm die beifällige Heiterkeit der Versammlung, daß man nicht nur sein Pathos, sondern auch seinen Humor zu würdigen wisse; als er aber die Majestät der Presse in etwas starken Ausdrücken anzutasten wagte, bestrafte ein gellendes Pfeifen von einer Tribune aus den furchtbaren Hochverrath, und erregte in den Reihen der Conservativen

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 100. Augsburg, 9. April 1840, S. 0794. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_100_18400409/10>, abgerufen am 21.11.2024.