Allgemeine Zeitung. Nr. 98. Augsburg, 7. April 1840.in Rußlands Gesinnungen über diese wichtige Frage eine Umwälzung vor sich gegangen ist. Bis in die letzte Zeit hatte Rußland die Einmischung jeder andern Macht in seine Beziehungen zur Türkei zurückgewiesen. Indem es von dieser Politik abgeht, verzichtet es thatsächlich auf den Vertrag von Hunkiar-Skelessi. Dennoch würden wir mit Bedauern Lord Palmerston übereilter Weise in die neue Bahn einlenken sehen, die ihm Rußland andeutet. Läßt er durch seine Animosität gegen Mehemed Ali sich bewegen, den Vorschlag einer gemeinsamen Demonstration Englands und Rußlands zur Bewältigung desselben anzunehmen, so ist unser Bündniß mit Frankreich völlig zerrissen. Frankreich wird zwar kaum einschreiten, um den Pascha zu retten, aber es wird sich vermuthlich anderswo nach Allianzen umsehen. Die gelegentlichen Usurpationen Frankreichs, die Geneigtheit, die es hin und wieder zeigt, gegen die Schwachen den Eisenfresser zu spielen, können wir nicht loben; aber jede ernstliche Erkaltung zwischen England und Frankreich möchte zu leidigen Folgen führen. Das französische Volk kann nicht lange bloß kühl gegen ein anderes bleiben. Bildet es sich auch nur ein, von England planmäßig mit Geringschätzung behandelt zu seyn, so wird es seine Regierung zu Feindseligkeiten zwingen; denn die französische Regierung, das darf man nicht vergessen, kann dem Volksgefühl keinen Widerstand leisten. (M. Chronicle.) Der Courrier Francais, der uns in einer Spalte sagt, daß die französischen und englischen Commissarien ihre Negociationen über einen Handelsvertrag wieder aufzunehmen im Begriffe seyen, gibt in einer andern Spalte Hrn. Thiers den Rath, die französische Marine noch mehr zu verstärken, um nöthigenfalls der üblen Laune Lord Palmerstons die Spitze zu bieten. Es wird in der That für den französischen Minister eine schwere Aufgabe seyn, den Eifer seiner Landsleute für Seekrieg und Colonialeroberung zu zügeln. Die Presse ruft zu Expeditionen gegen Marokko und Tunis auf, und kein französischer Minister wird Fonds zur Vermehrung der Land- und Seemacht zurückweisen, wenn diese Fonds ihm von der Kammer nicht bloß bewilligt, sondern in die Hand gedrückt werden. Nimmt man zu diesen Thatsachen und Symptomen den fast allgemeinen Beifall, mit welchem Hrn. Berryers Philippika gegen England in der Kammer aufgenommen wurde, so können wir diese Stoffanhäufung zu Mißverständniß und Uebelwollen zwischen den beiden Ländern nur beklagen. Die englische Presse ist über das Zerwürfniß mit Neapel wegen des Schwefelmonopols unbegreiflich schweigsam. Das M. Chronicle spricht zwar von Vertheidigungsanstalten, welche der König beider Sicilien auf allen Küstenpunkten seines Reichs treffen lasse, beschränkt sich aber dabei auf die Bemerkung, daß man sie mehr der Wahrscheinlichkeit eines Bruchs mit dem Bey von Tunis, als der Besorgniß vor Feindseligkeiten von Seite Englands zuzuschreiben habe. London, 31 März. In Bezug auf die Entscheidung des Unterhauses über Lord Stanley's Bill (die Registration der Wähler in Irland betreffend) hat O'Connell so eben eine lange Aufforderung an den Herzog von Leinster ergehen lassen, worin er demselben zu beweisen sucht, daß der Augenblick zum Handeln gekommen sey, wenn Irland nicht wieder unter den eifernen Huf der Toryherrschaft sinken solle. Der Herzog und viele andere irische Edelleute und Herren hätten sich gegen die Auflösung der Union erklärt, weil sie gehofft, das vereinigte Parlament würde ihrem Vaterlande sein Recht widerfahren lassen; und er (O'Connell) und seine Freunde hätten es sich gefallen lassen, ihre Bestrebungen um die Auflösung mehrere Jahre lang einzustellen, um dem Parlament Zeit und Gelegenheit zu geben, jene Erwartungen zu erfüllen. Statt dessen häufe es Schmach auf Schmach: nicht genug, daß Irland durch die Reformbill in der Anzahl seiner Vertreter verkürzt worden sey, und in der Stimmenbefähigung hinter England und Schottland habe zurückbleiben müssen; nicht genug, daß man jeden Vorschlag, diese Ungleichheiten zu verbessern, abgelehnt, die Corporationsreform, welche England und Schottland ohne Schwierigkeit erlangt, von Jahr zu Jahr verworfen, habe man jetzt Lord Stanley's Bill angenommen, welche durch Chicanen die nationale Partei vernichten, und das Land in die Fesseln seiner Feinde geben solle. Der Herzog, will er, soll sich jetzt an die Spitze der Bewegung setzen, und er wolle sich mit Freuden ihm, als dem ersten Edelmann des Landes unterordnen, und die Aufregung unter seiner Leitung betreiben. In 14 Tagen spätestens werde er in Dublin seyn, und hoffe bis dahin Alles zu der neuen Bewegung vorbereitet zu finden. Ein Punkt, den er besonders als einen Schimpf gegen Irland hervorhebt, ist, daß der Herzog von Wellington den Lord Melbourne genöthigt, das zweite Verlesen der irischen Corporations-Reformbill beinahe 14 Tage lang aufzuschieben, weil der erklärte Feind Irlands - Lyndhurst und der "phantastische" Lord Brougham bei der Verhandlung zugegen seyn sollten. Indessen gibt man von der ministeriellen Seite aus zu verstehen, die Minister hätten gegen die Bill Stanley's wenig mehr einzuwenden, als daß sie ein Machwerk eines Feindes sey; man will ferner wissen, Stanley selbst werde nicht weiter damit gehen. Das erste wäre ein unwürdiger Grund; er würde die Tories berechtigen, sich allem und jedem, was von der Regierung kommt, zu widersetzen, und letzteres ist nicht wahrscheinlich. Lord Stanley's Vater ist freilich so krank, daß man dessen Tod jede Stunde entgegen sieht; es ist demnach möglich, daß der edle Lord demselben in kurzem im Oberhause nachfolgt; zwar wird seine Partei darum die Bill nicht fallen lassen, aber diese am Ende dennoch verworfen werden. - Die Abgeordneten gegen die Getreidegesetze sind wieder hier versammelt, und haben unter andern Mitteln, die Bewegung gegen dieselben auszudehnen, eine Maßregel ergriffen, welche gar manchen die Augen eröffnen muß. Sie lassen nämlich aus allen Gegenden des Landes Bauernknechte und Taglöhner kommen, und examiniren sie über den Betrag ihres Lohnes und die Mittel ihre Familien zu ernähren, besonders um auszumitteln, ob mit dem Steigen der Brodpreise auch ihr Lohn steige. Hier zeigt es sich nun, daß letzteres meistentheils nicht der Fall ist, daß weder in Folge des Abgangs früherer Unterstützung von den Armensteuern, noch in Folge der hohen Getreidepreise ihr Lohn im geringsten gestiegen ist. Ihre Lage ist in der That eine höchst beklagenswerthe. Dieß muß natürlich die Parlamentsmitglieder zum Schweigen bringen, welche bisher kühnlich behauptet haben, die Abschaffung oder auch nur eine Ermäßigung der Getreidesteuer würde zuvörderst auf den armen Taglöhner fallen. Die Taglöhner aber, welche auf diese Weise hieher gebracht werden, durch die vorgelegten Fragen theils des Umfangs ihres Elendes mehr inne werden, theils eine Ahnung erlangen, daß es nicht nothwendig so schlecht um sie und die Ihrigen stehen müsse, während sie an den Herren, die sie befragt, einen freundlichen Rückhalt zu finden meinen - diese Männer sage ich, kehren gewiß als Apostel gegen die Getreidegesetze zurück, und somit wäre der Krieg ins Feindesland gespielt. Ob nun alles dieses einen bedeutenden Eindruck auf die Gutsherren gemacht hat, muß sich dieser Tage bei der Abstimmung über Hrn. Pryme's Vorschlag zeigen, welcher vermittelnd zwischen beide äußerste Parteien tritt, und statt gänzlicher Abschaffung eine Herabsetzung des Tarifs in Anregung bringt. Lord Melbourne ist freilich noch unbekehrt. in Rußlands Gesinnungen über diese wichtige Frage eine Umwälzung vor sich gegangen ist. Bis in die letzte Zeit hatte Rußland die Einmischung jeder andern Macht in seine Beziehungen zur Türkei zurückgewiesen. Indem es von dieser Politik abgeht, verzichtet es thatsächlich auf den Vertrag von Hunkiar-Skelessi. Dennoch würden wir mit Bedauern Lord Palmerston übereilter Weise in die neue Bahn einlenken sehen, die ihm Rußland andeutet. Läßt er durch seine Animosität gegen Mehemed Ali sich bewegen, den Vorschlag einer gemeinsamen Demonstration Englands und Rußlands zur Bewältigung desselben anzunehmen, so ist unser Bündniß mit Frankreich völlig zerrissen. Frankreich wird zwar kaum einschreiten, um den Pascha zu retten, aber es wird sich vermuthlich anderswo nach Allianzen umsehen. Die gelegentlichen Usurpationen Frankreichs, die Geneigtheit, die es hin und wieder zeigt, gegen die Schwachen den Eisenfresser zu spielen, können wir nicht loben; aber jede ernstliche Erkaltung zwischen England und Frankreich möchte zu leidigen Folgen führen. Das französische Volk kann nicht lange bloß kühl gegen ein anderes bleiben. Bildet es sich auch nur ein, von England planmäßig mit Geringschätzung behandelt zu seyn, so wird es seine Regierung zu Feindseligkeiten zwingen; denn die französische Regierung, das darf man nicht vergessen, kann dem Volksgefühl keinen Widerstand leisten. (M. Chronicle.) Der Courrier Français, der uns in einer Spalte sagt, daß die französischen und englischen Commissarien ihre Negociationen über einen Handelsvertrag wieder aufzunehmen im Begriffe seyen, gibt in einer andern Spalte Hrn. Thiers den Rath, die französische Marine noch mehr zu verstärken, um nöthigenfalls der üblen Laune Lord Palmerstons die Spitze zu bieten. Es wird in der That für den französischen Minister eine schwere Aufgabe seyn, den Eifer seiner Landsleute für Seekrieg und Colonialeroberung zu zügeln. Die Presse ruft zu Expeditionen gegen Marokko und Tunis auf, und kein französischer Minister wird Fonds zur Vermehrung der Land- und Seemacht zurückweisen, wenn diese Fonds ihm von der Kammer nicht bloß bewilligt, sondern in die Hand gedrückt werden. Nimmt man zu diesen Thatsachen und Symptomen den fast allgemeinen Beifall, mit welchem Hrn. Berryers Philippika gegen England in der Kammer aufgenommen wurde, so können wir diese Stoffanhäufung zu Mißverständniß und Uebelwollen zwischen den beiden Ländern nur beklagen. Die englische Presse ist über das Zerwürfniß mit Neapel wegen des Schwefelmonopols unbegreiflich schweigsam. Das M. Chronicle spricht zwar von Vertheidigungsanstalten, welche der König beider Sicilien auf allen Küstenpunkten seines Reichs treffen lasse, beschränkt sich aber dabei auf die Bemerkung, daß man sie mehr der Wahrscheinlichkeit eines Bruchs mit dem Bey von Tunis, als der Besorgniß vor Feindseligkeiten von Seite Englands zuzuschreiben habe. London, 31 März. In Bezug auf die Entscheidung des Unterhauses über Lord Stanley's Bill (die Registration der Wähler in Irland betreffend) hat O'Connell so eben eine lange Aufforderung an den Herzog von Leinster ergehen lassen, worin er demselben zu beweisen sucht, daß der Augenblick zum Handeln gekommen sey, wenn Irland nicht wieder unter den eifernen Huf der Toryherrschaft sinken solle. Der Herzog und viele andere irische Edelleute und Herren hätten sich gegen die Auflösung der Union erklärt, weil sie gehofft, das vereinigte Parlament würde ihrem Vaterlande sein Recht widerfahren lassen; und er (O'Connell) und seine Freunde hätten es sich gefallen lassen, ihre Bestrebungen um die Auflösung mehrere Jahre lang einzustellen, um dem Parlament Zeit und Gelegenheit zu geben, jene Erwartungen zu erfüllen. Statt dessen häufe es Schmach auf Schmach: nicht genug, daß Irland durch die Reformbill in der Anzahl seiner Vertreter verkürzt worden sey, und in der Stimmenbefähigung hinter England und Schottland habe zurückbleiben müssen; nicht genug, daß man jeden Vorschlag, diese Ungleichheiten zu verbessern, abgelehnt, die Corporationsreform, welche England und Schottland ohne Schwierigkeit erlangt, von Jahr zu Jahr verworfen, habe man jetzt Lord Stanley's Bill angenommen, welche durch Chicanen die nationale Partei vernichten, und das Land in die Fesseln seiner Feinde geben solle. Der Herzog, will er, soll sich jetzt an die Spitze der Bewegung setzen, und er wolle sich mit Freuden ihm, als dem ersten Edelmann des Landes unterordnen, und die Aufregung unter seiner Leitung betreiben. In 14 Tagen spätestens werde er in Dublin seyn, und hoffe bis dahin Alles zu der neuen Bewegung vorbereitet zu finden. Ein Punkt, den er besonders als einen Schimpf gegen Irland hervorhebt, ist, daß der Herzog von Wellington den Lord Melbourne genöthigt, das zweite Verlesen der irischen Corporations-Reformbill beinahe 14 Tage lang aufzuschieben, weil der erklärte Feind Irlands – Lyndhurst und der „phantastische“ Lord Brougham bei der Verhandlung zugegen seyn sollten. Indessen gibt man von der ministeriellen Seite aus zu verstehen, die Minister hätten gegen die Bill Stanley's wenig mehr einzuwenden, als daß sie ein Machwerk eines Feindes sey; man will ferner wissen, Stanley selbst werde nicht weiter damit gehen. Das erste wäre ein unwürdiger Grund; er würde die Tories berechtigen, sich allem und jedem, was von der Regierung kommt, zu widersetzen, und letzteres ist nicht wahrscheinlich. Lord Stanley's Vater ist freilich so krank, daß man dessen Tod jede Stunde entgegen sieht; es ist demnach möglich, daß der edle Lord demselben in kurzem im Oberhause nachfolgt; zwar wird seine Partei darum die Bill nicht fallen lassen, aber diese am Ende dennoch verworfen werden. – Die Abgeordneten gegen die Getreidegesetze sind wieder hier versammelt, und haben unter andern Mitteln, die Bewegung gegen dieselben auszudehnen, eine Maßregel ergriffen, welche gar manchen die Augen eröffnen muß. Sie lassen nämlich aus allen Gegenden des Landes Bauernknechte und Taglöhner kommen, und examiniren sie über den Betrag ihres Lohnes und die Mittel ihre Familien zu ernähren, besonders um auszumitteln, ob mit dem Steigen der Brodpreise auch ihr Lohn steige. Hier zeigt es sich nun, daß letzteres meistentheils nicht der Fall ist, daß weder in Folge des Abgangs früherer Unterstützung von den Armensteuern, noch in Folge der hohen Getreidepreise ihr Lohn im geringsten gestiegen ist. Ihre Lage ist in der That eine höchst beklagenswerthe. Dieß muß natürlich die Parlamentsmitglieder zum Schweigen bringen, welche bisher kühnlich behauptet haben, die Abschaffung oder auch nur eine Ermäßigung der Getreidesteuer würde zuvörderst auf den armen Taglöhner fallen. Die Taglöhner aber, welche auf diese Weise hieher gebracht werden, durch die vorgelegten Fragen theils des Umfangs ihres Elendes mehr inne werden, theils eine Ahnung erlangen, daß es nicht nothwendig so schlecht um sie und die Ihrigen stehen müsse, während sie an den Herren, die sie befragt, einen freundlichen Rückhalt zu finden meinen – diese Männer sage ich, kehren gewiß als Apostel gegen die Getreidegesetze zurück, und somit wäre der Krieg ins Feindesland gespielt. Ob nun alles dieses einen bedeutenden Eindruck auf die Gutsherren gemacht hat, muß sich dieser Tage bei der Abstimmung über Hrn. Pryme's Vorschlag zeigen, welcher vermittelnd zwischen beide äußerste Parteien tritt, und statt gänzlicher Abschaffung eine Herabsetzung des Tarifs in Anregung bringt. Lord Melbourne ist freilich noch unbekehrt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0003" n="0779"/> in Rußlands Gesinnungen über diese wichtige Frage eine Umwälzung vor sich gegangen ist. Bis in die letzte Zeit hatte Rußland die Einmischung jeder andern Macht in seine Beziehungen zur Türkei zurückgewiesen. Indem es von dieser Politik abgeht, verzichtet es thatsächlich auf den Vertrag von Hunkiar-Skelessi. Dennoch würden wir mit Bedauern Lord Palmerston übereilter Weise in die neue Bahn einlenken sehen, die ihm Rußland andeutet. Läßt er durch seine Animosität gegen Mehemed Ali sich bewegen, den Vorschlag einer gemeinsamen Demonstration Englands und Rußlands zur Bewältigung desselben anzunehmen, so ist unser Bündniß mit Frankreich völlig zerrissen. Frankreich wird zwar kaum einschreiten, um den Pascha zu retten, aber es wird sich vermuthlich anderswo nach Allianzen umsehen. Die gelegentlichen Usurpationen Frankreichs, die Geneigtheit, die es hin und wieder zeigt, gegen die Schwachen den Eisenfresser zu spielen, können wir nicht loben; aber jede ernstliche Erkaltung zwischen England und Frankreich möchte zu leidigen Folgen führen. Das französische Volk kann nicht lange bloß kühl gegen ein anderes bleiben. Bildet es sich auch nur ein, von England planmäßig mit Geringschätzung behandelt zu seyn, so wird es seine Regierung zu Feindseligkeiten zwingen; denn die französische Regierung, das darf man nicht vergessen, kann dem Volksgefühl keinen Widerstand leisten.</p><lb/> <p>(M. <hi rendition="#g">Chronicle</hi>.) Der Courrier Français, der uns in einer Spalte sagt, daß die französischen und englischen Commissarien ihre Negociationen über einen Handelsvertrag wieder aufzunehmen im Begriffe seyen, gibt in einer andern Spalte Hrn. Thiers den Rath, die französische Marine noch mehr zu verstärken, um nöthigenfalls der üblen Laune Lord Palmerstons die Spitze zu bieten. Es wird in der That für den französischen Minister eine schwere Aufgabe seyn, den Eifer seiner Landsleute für Seekrieg und Colonialeroberung zu zügeln. Die Presse ruft zu Expeditionen gegen Marokko und Tunis auf, und kein französischer Minister wird Fonds zur Vermehrung der Land- und Seemacht zurückweisen, wenn diese Fonds ihm von der Kammer nicht bloß bewilligt, sondern in die Hand gedrückt werden. Nimmt man zu diesen Thatsachen und Symptomen den fast allgemeinen Beifall, mit welchem Hrn. 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Der Herzog und viele andere irische Edelleute und Herren hätten sich gegen die Auflösung der Union erklärt, weil sie gehofft, das vereinigte Parlament würde ihrem Vaterlande sein Recht widerfahren lassen; und er (O'Connell) und seine Freunde hätten es sich gefallen lassen, ihre Bestrebungen um die Auflösung mehrere Jahre lang einzustellen, um dem Parlament Zeit und Gelegenheit zu geben, jene Erwartungen zu erfüllen. Statt dessen häufe es Schmach auf Schmach: nicht genug, daß Irland durch die Reformbill in der Anzahl seiner Vertreter verkürzt worden sey, und in der Stimmenbefähigung hinter England und Schottland habe zurückbleiben müssen; nicht genug, daß man jeden Vorschlag, diese Ungleichheiten zu verbessern, abgelehnt, die Corporationsreform, welche England und Schottland ohne Schwierigkeit erlangt, von Jahr zu Jahr verworfen, habe man jetzt Lord Stanley's Bill angenommen, welche durch Chicanen die nationale Partei vernichten, und das Land in die Fesseln seiner Feinde geben solle. Der Herzog, will er, soll sich jetzt an die Spitze der Bewegung setzen, und er wolle sich mit Freuden ihm, als dem ersten Edelmann des Landes unterordnen, und die Aufregung unter seiner Leitung betreiben. In 14 Tagen spätestens werde er in Dublin seyn, und hoffe bis dahin Alles zu der neuen Bewegung vorbereitet zu finden. Ein Punkt, den er besonders als einen Schimpf gegen Irland hervorhebt, ist, daß der Herzog von Wellington den Lord Melbourne genöthigt, das zweite Verlesen der irischen Corporations-Reformbill beinahe 14 Tage lang aufzuschieben, weil der erklärte Feind Irlands – Lyndhurst und der „phantastische“ Lord Brougham bei der Verhandlung zugegen seyn sollten. Indessen gibt man von der ministeriellen Seite aus zu verstehen, die Minister hätten gegen die Bill Stanley's wenig mehr einzuwenden, als daß sie ein Machwerk eines Feindes sey; man will ferner wissen, Stanley selbst werde nicht weiter damit gehen. Das erste wäre ein unwürdiger Grund; er würde die Tories berechtigen, sich allem und jedem, was von der Regierung kommt, zu widersetzen, und letzteres ist nicht wahrscheinlich. Lord Stanley's Vater ist freilich so krank, daß man dessen Tod jede Stunde entgegen sieht; es ist demnach möglich, daß der edle Lord demselben in kurzem im Oberhause nachfolgt; zwar wird seine Partei darum die Bill nicht fallen lassen, aber diese am Ende dennoch verworfen werden. – Die Abgeordneten gegen die Getreidegesetze sind wieder hier versammelt, und haben unter andern Mitteln, die Bewegung gegen dieselben auszudehnen, eine Maßregel ergriffen, welche gar manchen die Augen eröffnen muß. Sie lassen nämlich aus allen Gegenden des Landes Bauernknechte und Taglöhner kommen, und examiniren sie über den Betrag ihres Lohnes und die Mittel ihre Familien zu ernähren, besonders um auszumitteln, ob mit dem Steigen der Brodpreise auch ihr Lohn steige. Hier zeigt es sich nun, daß letzteres meistentheils nicht der Fall ist, daß weder in Folge des Abgangs früherer Unterstützung von den Armensteuern, noch in Folge der hohen Getreidepreise ihr Lohn im geringsten gestiegen ist. Ihre Lage ist in der That eine höchst beklagenswerthe. Dieß muß natürlich die Parlamentsmitglieder zum Schweigen bringen, welche bisher kühnlich behauptet haben, die Abschaffung oder auch nur eine Ermäßigung der Getreidesteuer würde zuvörderst auf den armen Taglöhner fallen. Die Taglöhner aber, welche auf diese Weise hieher gebracht werden, durch die vorgelegten Fragen theils des Umfangs ihres Elendes mehr inne werden, theils eine Ahnung erlangen, daß es nicht nothwendig so schlecht um sie und die Ihrigen stehen müsse, während sie an den Herren, die sie befragt, einen freundlichen Rückhalt zu finden meinen – diese Männer sage ich, kehren gewiß als Apostel gegen die Getreidegesetze zurück, und somit wäre der Krieg ins Feindesland gespielt. Ob nun alles dieses einen bedeutenden Eindruck auf die Gutsherren gemacht hat, muß sich dieser Tage bei der Abstimmung über Hrn. Pryme's Vorschlag zeigen, welcher vermittelnd zwischen beide äußerste Parteien tritt, und statt gänzlicher Abschaffung eine Herabsetzung des Tarifs in Anregung bringt. Lord Melbourne ist freilich noch unbekehrt.</p> </div> </div><lb/> </body> </text> </TEI> [0779/0003]
in Rußlands Gesinnungen über diese wichtige Frage eine Umwälzung vor sich gegangen ist. Bis in die letzte Zeit hatte Rußland die Einmischung jeder andern Macht in seine Beziehungen zur Türkei zurückgewiesen. Indem es von dieser Politik abgeht, verzichtet es thatsächlich auf den Vertrag von Hunkiar-Skelessi. Dennoch würden wir mit Bedauern Lord Palmerston übereilter Weise in die neue Bahn einlenken sehen, die ihm Rußland andeutet. Läßt er durch seine Animosität gegen Mehemed Ali sich bewegen, den Vorschlag einer gemeinsamen Demonstration Englands und Rußlands zur Bewältigung desselben anzunehmen, so ist unser Bündniß mit Frankreich völlig zerrissen. Frankreich wird zwar kaum einschreiten, um den Pascha zu retten, aber es wird sich vermuthlich anderswo nach Allianzen umsehen. Die gelegentlichen Usurpationen Frankreichs, die Geneigtheit, die es hin und wieder zeigt, gegen die Schwachen den Eisenfresser zu spielen, können wir nicht loben; aber jede ernstliche Erkaltung zwischen England und Frankreich möchte zu leidigen Folgen führen. Das französische Volk kann nicht lange bloß kühl gegen ein anderes bleiben. Bildet es sich auch nur ein, von England planmäßig mit Geringschätzung behandelt zu seyn, so wird es seine Regierung zu Feindseligkeiten zwingen; denn die französische Regierung, das darf man nicht vergessen, kann dem Volksgefühl keinen Widerstand leisten.
(M. Chronicle.) Der Courrier Français, der uns in einer Spalte sagt, daß die französischen und englischen Commissarien ihre Negociationen über einen Handelsvertrag wieder aufzunehmen im Begriffe seyen, gibt in einer andern Spalte Hrn. Thiers den Rath, die französische Marine noch mehr zu verstärken, um nöthigenfalls der üblen Laune Lord Palmerstons die Spitze zu bieten. Es wird in der That für den französischen Minister eine schwere Aufgabe seyn, den Eifer seiner Landsleute für Seekrieg und Colonialeroberung zu zügeln. Die Presse ruft zu Expeditionen gegen Marokko und Tunis auf, und kein französischer Minister wird Fonds zur Vermehrung der Land- und Seemacht zurückweisen, wenn diese Fonds ihm von der Kammer nicht bloß bewilligt, sondern in die Hand gedrückt werden. Nimmt man zu diesen Thatsachen und Symptomen den fast allgemeinen Beifall, mit welchem Hrn. Berryers Philippika gegen England in der Kammer aufgenommen wurde, so können wir diese Stoffanhäufung zu Mißverständniß und Uebelwollen zwischen den beiden Ländern nur beklagen.
Die englische Presse ist über das Zerwürfniß mit Neapel wegen des Schwefelmonopols unbegreiflich schweigsam. Das M. Chronicle spricht zwar von Vertheidigungsanstalten, welche der König beider Sicilien auf allen Küstenpunkten seines Reichs treffen lasse, beschränkt sich aber dabei auf die Bemerkung, daß man sie mehr der Wahrscheinlichkeit eines Bruchs mit dem Bey von Tunis, als der Besorgniß vor Feindseligkeiten von Seite Englands zuzuschreiben habe.
_ London, 31 März. In Bezug auf die Entscheidung des Unterhauses über Lord Stanley's Bill (die Registration der Wähler in Irland betreffend) hat O'Connell so eben eine lange Aufforderung an den Herzog von Leinster ergehen lassen, worin er demselben zu beweisen sucht, daß der Augenblick zum Handeln gekommen sey, wenn Irland nicht wieder unter den eifernen Huf der Toryherrschaft sinken solle. Der Herzog und viele andere irische Edelleute und Herren hätten sich gegen die Auflösung der Union erklärt, weil sie gehofft, das vereinigte Parlament würde ihrem Vaterlande sein Recht widerfahren lassen; und er (O'Connell) und seine Freunde hätten es sich gefallen lassen, ihre Bestrebungen um die Auflösung mehrere Jahre lang einzustellen, um dem Parlament Zeit und Gelegenheit zu geben, jene Erwartungen zu erfüllen. Statt dessen häufe es Schmach auf Schmach: nicht genug, daß Irland durch die Reformbill in der Anzahl seiner Vertreter verkürzt worden sey, und in der Stimmenbefähigung hinter England und Schottland habe zurückbleiben müssen; nicht genug, daß man jeden Vorschlag, diese Ungleichheiten zu verbessern, abgelehnt, die Corporationsreform, welche England und Schottland ohne Schwierigkeit erlangt, von Jahr zu Jahr verworfen, habe man jetzt Lord Stanley's Bill angenommen, welche durch Chicanen die nationale Partei vernichten, und das Land in die Fesseln seiner Feinde geben solle. Der Herzog, will er, soll sich jetzt an die Spitze der Bewegung setzen, und er wolle sich mit Freuden ihm, als dem ersten Edelmann des Landes unterordnen, und die Aufregung unter seiner Leitung betreiben. In 14 Tagen spätestens werde er in Dublin seyn, und hoffe bis dahin Alles zu der neuen Bewegung vorbereitet zu finden. Ein Punkt, den er besonders als einen Schimpf gegen Irland hervorhebt, ist, daß der Herzog von Wellington den Lord Melbourne genöthigt, das zweite Verlesen der irischen Corporations-Reformbill beinahe 14 Tage lang aufzuschieben, weil der erklärte Feind Irlands – Lyndhurst und der „phantastische“ Lord Brougham bei der Verhandlung zugegen seyn sollten. Indessen gibt man von der ministeriellen Seite aus zu verstehen, die Minister hätten gegen die Bill Stanley's wenig mehr einzuwenden, als daß sie ein Machwerk eines Feindes sey; man will ferner wissen, Stanley selbst werde nicht weiter damit gehen. Das erste wäre ein unwürdiger Grund; er würde die Tories berechtigen, sich allem und jedem, was von der Regierung kommt, zu widersetzen, und letzteres ist nicht wahrscheinlich. Lord Stanley's Vater ist freilich so krank, daß man dessen Tod jede Stunde entgegen sieht; es ist demnach möglich, daß der edle Lord demselben in kurzem im Oberhause nachfolgt; zwar wird seine Partei darum die Bill nicht fallen lassen, aber diese am Ende dennoch verworfen werden. – Die Abgeordneten gegen die Getreidegesetze sind wieder hier versammelt, und haben unter andern Mitteln, die Bewegung gegen dieselben auszudehnen, eine Maßregel ergriffen, welche gar manchen die Augen eröffnen muß. Sie lassen nämlich aus allen Gegenden des Landes Bauernknechte und Taglöhner kommen, und examiniren sie über den Betrag ihres Lohnes und die Mittel ihre Familien zu ernähren, besonders um auszumitteln, ob mit dem Steigen der Brodpreise auch ihr Lohn steige. Hier zeigt es sich nun, daß letzteres meistentheils nicht der Fall ist, daß weder in Folge des Abgangs früherer Unterstützung von den Armensteuern, noch in Folge der hohen Getreidepreise ihr Lohn im geringsten gestiegen ist. Ihre Lage ist in der That eine höchst beklagenswerthe. Dieß muß natürlich die Parlamentsmitglieder zum Schweigen bringen, welche bisher kühnlich behauptet haben, die Abschaffung oder auch nur eine Ermäßigung der Getreidesteuer würde zuvörderst auf den armen Taglöhner fallen. Die Taglöhner aber, welche auf diese Weise hieher gebracht werden, durch die vorgelegten Fragen theils des Umfangs ihres Elendes mehr inne werden, theils eine Ahnung erlangen, daß es nicht nothwendig so schlecht um sie und die Ihrigen stehen müsse, während sie an den Herren, die sie befragt, einen freundlichen Rückhalt zu finden meinen – diese Männer sage ich, kehren gewiß als Apostel gegen die Getreidegesetze zurück, und somit wäre der Krieg ins Feindesland gespielt. Ob nun alles dieses einen bedeutenden Eindruck auf die Gutsherren gemacht hat, muß sich dieser Tage bei der Abstimmung über Hrn. Pryme's Vorschlag zeigen, welcher vermittelnd zwischen beide äußerste Parteien tritt, und statt gänzlicher Abschaffung eine Herabsetzung des Tarifs in Anregung bringt. Lord Melbourne ist freilich noch unbekehrt.
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