Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 92. Augsburg, 1. April 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

entnehmen, allein es mag zur innern Physiologie der Kammer und zur Bemessung der zukünftigen Stellung des Ministers von Werth seyn, die Genesis dieser doppelten Abstimmung etwas näher ins Auge zu fassen, und ich glaube in folgender Darstellung der Wahrheit, sollte sie auch durch keine öffentliche Urkunde documentirt werden, zu folgen. Der Streit, die Lebensfrage waren so gestellt: will die Kammer die von dem Ministerium als Vertrauensvotum begehrten geheimen Gelder bewilligen, und damit zu erkennen geben, daß sie seinem Daseyn und Charakter nicht feindlich entgegentrete? Darauf antwortete im ersten Augenblick aus den verschiedenen Oppositionslagern ein dichtes nachhaltiges Feldgeschrei, das dem Ministerium mit schnellem Sturze drohte. Bald aber trat mehr Ruhe und Bedenken in die Gemüther, und die 221 sprachen also: unterscheiden wir! wir wollen das neue Ministerium Thiers nicht, und wir verweigern ihm ein Votum, das ihm unser Vertrauen ausspräche, allein wir sind zu gut monarchisch gesinnt, wir sind durch unsere früheren Abstimmungen und unsern Charakter als die ächten Conservativen der Kammer zu sehr gebunden, als daß wir in turbulenter Uebertreibung eine Opposition über Bausch und Bogen machen und überhaupt gegen alle geheimen Gelder der Regierung stimmen dürften. Das Ministerium macht seine Existenz oder seinen Fall von der Annahme oder von der Verweigerung seines Gesetzesvorschlages abhängig; treiben wir daher ein Mittel auf, das den Grundsatz der geheimen Gelder rettet, gegen das Ministerium aber als Verweigerung und Mißtrauen gilt, und es nach den parlamentarischen Grundsätzen zum Rückzuge zwingt. Dieser Ausweg ist gefunden durch ein Amendement, das nicht die von Hrn. Thiers geforderte, sondern eine andere, gleichviel um welche Zahl verringerte Summe zuerkennt. Gesagt, gethan; und so geschah es, daß Hr. Dangeville als Sprecher der 221 zum Artikel 1 des ministeriellen Gesetzesvorschlags als Amendement das Begehren stellte, statt 1 Million nur 900,000 Fr. geheimer Gelder zu erlauben. Vielleicht lächeln Ihre ernsten Leser über diese conservative Weisheit, die gar sehr einer betrübten Afterweisheit gleichsieht, und die sich in praxi als eine schülerhafte Verrechnung bewiesen hat. In der That, was geschah? Das Ministerium hatte den Anhängern dieses Mezzo termine gegenüber mit zwei andern Fractionen der Kammer zu thun, deren eine, das linke Centrum und die Linke, unbedingt für das Ministerium und gegen die 221 stimmte, deren andere, die äußerste Rechte und äußerste Linke, in voller Consequenz, gegen alle und jegliche Art von geheimen Geldern, also auch gegen die 900,000 Fr. der Conservativen sich aussprachen. Ganz natürlich also wurde das Amendement von Dangeville mit Trompetenschall von der vereinigten Majorität dieser beiden Fractionen verworfen, so daß die äußerste Linke, durch diesen Zufall und die Gewalt der Umstände, die uns eine Gerechtigkeit zu seyn scheint, in der That, wiewohl nicht in klarbewußter Absicht, zu Gunsten des Ministeriums entscheiden half, ohne ihrer Ueberzeugung, ihrer politischen Fahne untreu zu werden. Auch bei der Hauptabstimmung gegen das ministerielle Project bewahrten sie dieselbe Consequenz. Nicht so die Partei der 221. Alsbald nach der Verwerfung ihres Amendements, das ihre parlamentarische Ehre durch einen schiefen Ausweg retten sollte, trat Zwiespalt und Trennung in ihrem Convent ein, und die Majorität von 86 Stimmen, die das Ministerium erhielt, obschon nunmehr die beiden äußersten Oppositionsparteien gegen dasselbe stimmten, erklärt sich zum Theil durch Sinnesänderungen, durch Uebergänge aus dem Lager der verstümmelten 221 in jenes der Minister. Sie sehen, das gleicht einer ganzen Feldschlacht mit strategischen Massebildungen, Evolutionen und Flankenbewegungen aller Art. Der Charakter, und ich glaube auch die Prognosis des neuen Ministeriums ist hiemit außer Zweifel gestellt. Eine Combination, die, zum erstenmal seit 1830 aus der Opposition, aus der Linken hervorgegangen, und an diese als an ihre Lebensstütze sich anlehnend, in einer so wichtigen und rein politischen Vorfrage, nach so hartnäckigem Kampfe eine Majorität erhalten hat, wie sie seit Jahren gar nicht vorgekommen war, darf mit Zuversicht auf eine noch größere Majorität rechnen, wenn es Gesetze vorlegt, die seine Versprechen bethätigen, die den Stempel aufrichtiger Fürsorge für das öffentliche Wohl, die Interessen der Nation und die in Frage stehenden Arbeiten, Eisenbahnen etc. tragen. Und in der That, wir haben ein mächtiges Argument, das beste von allen, um an die Aufrichtigkeit seiner Absichten zu glauben: die Gewalt der Umstände nämlich und die Nothwendigkeit. Ein Ministerium, das unter so außerordentlichen Constellationen zur Welt kommt, dem man, wie einem Ehrenmann, auf sein Wort glaubt, wenn es gut und rasch zu handeln verspricht, wie könnte es seinem Eide untreu werden, wie möchte es Anderes thun, als was ihm in den Augen Aller Ruhm und Vortheil sichert und sogar die Bedingung seines Fortbestandes ist, da es der Sympathie der Linken nicht entbehren kann? Wir haben übrigens theilweise schon unzweifelhafte Beweise dieses Willens in den vortrefflichen und dankenswerthen Vorschriften, die Cousin in Betreff des öffentlichen Unterrichts - namentlich der Rechtsschulen erlassen hat. (Wir kommen darauf morgen zurück.) Eine neuere Ordonnanz dehnt die Wohlthat der privatdocentlichen Lehrstühle und des erweiterten Umfangs der Lehrgegenstände auch auf die philosophische und philologische Facultät (faculte des lettres) aus. Eine neueste Ordonnanz wird morgen oder übermorgen erscheinen, und auch die faculte des sciences mit den nämlichen Wohlthaten begaben, die den andern Facultäten bereits gegönnt sind. - Man wird unter solchen Auspicien nicht auffallend finden, daß das Ministerium auf die unabhängige Presse, die den Grundsätzen der bisherigen Opposition huldigte, einen großen Einfluß ausübt, und daß sie mit dem Minister-Präsidenten in freundlichem Vernehmen steht. Es bedarf, um das zu erklären, nicht der gehässigen Unterstellungen, die vor einigen Tagen in einem hiesigen Blatte gemacht wurden.

Die gestrige Abstimmung ist ein unermeßliches Ereigniß. Es beginnt eine neue Periode in dem politischen Leben Frankreichs. Das Centrum ist gesprengt, man kann sagen, aufgelöst. Der politische Guerillakrieg hat ein Ende. Künftig werden, wie im ordentlichen Krieg, nur noch zwei große Parteien unter offenen Fahnen gegen einander streiten. Das neue Ministerium hat unverhohlen seinen Ursprung anerkannt, und sein Glaubensbekenntniß abgelegt. Es ist aus der Opposition hervorgegangen, und will seinem Ursprung getreu bleiben. Im Innern will es fortschreiten, in so weit es möglich ist, ohne der Ruhe und Ordnung zu nahe zu treten. Nach außen will es den Frieden erhalten, in so weit es ohne Aufopferung der Würde und der Interessen Frankreichs geschehen kann. Das neue Ministerium hat dieß nicht nur ausdrücklich versichert, es hat auch in diesen Debatten eine Fülle von Einsicht, Klugheit und Talent entwickelt, wie sie ein Ministerium besitzen muß, das so große Dinge ausführen und einer so regsamen Nation imponiren will. Thiers hat aufs neue gezeigt, daß er berufen ist, an der Spitze des talentvollsten Ministeriums zu stehen, das diese Kammer hervorzubringen vermag. Remusat und Jaubert haben sich als Redner und Staatsmänner ausgewiesen. Was aber noch mehr Vertrauen in die Dauer und in die künftigen Leistungen dieses Ministeriums einflößt, ist der wichtige

entnehmen, allein es mag zur innern Physiologie der Kammer und zur Bemessung der zukünftigen Stellung des Ministers von Werth seyn, die Genesis dieser doppelten Abstimmung etwas näher ins Auge zu fassen, und ich glaube in folgender Darstellung der Wahrheit, sollte sie auch durch keine öffentliche Urkunde documentirt werden, zu folgen. Der Streit, die Lebensfrage waren so gestellt: will die Kammer die von dem Ministerium als Vertrauensvotum begehrten geheimen Gelder bewilligen, und damit zu erkennen geben, daß sie seinem Daseyn und Charakter nicht feindlich entgegentrete? Darauf antwortete im ersten Augenblick aus den verschiedenen Oppositionslagern ein dichtes nachhaltiges Feldgeschrei, das dem Ministerium mit schnellem Sturze drohte. Bald aber trat mehr Ruhe und Bedenken in die Gemüther, und die 221 sprachen also: unterscheiden wir! wir wollen das neue Ministerium Thiers nicht, und wir verweigern ihm ein Votum, das ihm unser Vertrauen ausspräche, allein wir sind zu gut monarchisch gesinnt, wir sind durch unsere früheren Abstimmungen und unsern Charakter als die ächten Conservativen der Kammer zu sehr gebunden, als daß wir in turbulenter Uebertreibung eine Opposition über Bausch und Bogen machen und überhaupt gegen alle geheimen Gelder der Regierung stimmen dürften. Das Ministerium macht seine Existenz oder seinen Fall von der Annahme oder von der Verweigerung seines Gesetzesvorschlages abhängig; treiben wir daher ein Mittel auf, das den Grundsatz der geheimen Gelder rettet, gegen das Ministerium aber als Verweigerung und Mißtrauen gilt, und es nach den parlamentarischen Grundsätzen zum Rückzuge zwingt. Dieser Ausweg ist gefunden durch ein Amendement, das nicht die von Hrn. Thiers geforderte, sondern eine andere, gleichviel um welche Zahl verringerte Summe zuerkennt. Gesagt, gethan; und so geschah es, daß Hr. Dangeville als Sprecher der 221 zum Artikel 1 des ministeriellen Gesetzesvorschlags als Amendement das Begehren stellte, statt 1 Million nur 900,000 Fr. geheimer Gelder zu erlauben. Vielleicht lächeln Ihre ernsten Leser über diese conservative Weisheit, die gar sehr einer betrübten Afterweisheit gleichsieht, und die sich in praxi als eine schülerhafte Verrechnung bewiesen hat. In der That, was geschah? Das Ministerium hatte den Anhängern dieses Mezzo termine gegenüber mit zwei andern Fractionen der Kammer zu thun, deren eine, das linke Centrum und die Linke, unbedingt für das Ministerium und gegen die 221 stimmte, deren andere, die äußerste Rechte und äußerste Linke, in voller Consequenz, gegen alle und jegliche Art von geheimen Geldern, also auch gegen die 900,000 Fr. der Conservativen sich aussprachen. Ganz natürlich also wurde das Amendement von Dangeville mit Trompetenschall von der vereinigten Majorität dieser beiden Fractionen verworfen, so daß die äußerste Linke, durch diesen Zufall und die Gewalt der Umstände, die uns eine Gerechtigkeit zu seyn scheint, in der That, wiewohl nicht in klarbewußter Absicht, zu Gunsten des Ministeriums entscheiden half, ohne ihrer Ueberzeugung, ihrer politischen Fahne untreu zu werden. Auch bei der Hauptabstimmung gegen das ministerielle Project bewahrten sie dieselbe Consequenz. Nicht so die Partei der 221. Alsbald nach der Verwerfung ihres Amendements, das ihre parlamentarische Ehre durch einen schiefen Ausweg retten sollte, trat Zwiespalt und Trennung in ihrem Convent ein, und die Majorität von 86 Stimmen, die das Ministerium erhielt, obschon nunmehr die beiden äußersten Oppositionsparteien gegen dasselbe stimmten, erklärt sich zum Theil durch Sinnesänderungen, durch Uebergänge aus dem Lager der verstümmelten 221 in jenes der Minister. Sie sehen, das gleicht einer ganzen Feldschlacht mit strategischen Massebildungen, Evolutionen und Flankenbewegungen aller Art. Der Charakter, und ich glaube auch die Prognosis des neuen Ministeriums ist hiemit außer Zweifel gestellt. Eine Combination, die, zum erstenmal seit 1830 aus der Opposition, aus der Linken hervorgegangen, und an diese als an ihre Lebensstütze sich anlehnend, in einer so wichtigen und rein politischen Vorfrage, nach so hartnäckigem Kampfe eine Majorität erhalten hat, wie sie seit Jahren gar nicht vorgekommen war, darf mit Zuversicht auf eine noch größere Majorität rechnen, wenn es Gesetze vorlegt, die seine Versprechen bethätigen, die den Stempel aufrichtiger Fürsorge für das öffentliche Wohl, die Interessen der Nation und die in Frage stehenden Arbeiten, Eisenbahnen etc. tragen. Und in der That, wir haben ein mächtiges Argument, das beste von allen, um an die Aufrichtigkeit seiner Absichten zu glauben: die Gewalt der Umstände nämlich und die Nothwendigkeit. Ein Ministerium, das unter so außerordentlichen Constellationen zur Welt kommt, dem man, wie einem Ehrenmann, auf sein Wort glaubt, wenn es gut und rasch zu handeln verspricht, wie könnte es seinem Eide untreu werden, wie möchte es Anderes thun, als was ihm in den Augen Aller Ruhm und Vortheil sichert und sogar die Bedingung seines Fortbestandes ist, da es der Sympathie der Linken nicht entbehren kann? Wir haben übrigens theilweise schon unzweifelhafte Beweise dieses Willens in den vortrefflichen und dankenswerthen Vorschriften, die Cousin in Betreff des öffentlichen Unterrichts – namentlich der Rechtsschulen erlassen hat. (Wir kommen darauf morgen zurück.) Eine neuere Ordonnanz dehnt die Wohlthat der privatdocentlichen Lehrstühle und des erweiterten Umfangs der Lehrgegenstände auch auf die philosophische und philologische Facultät (faculté des lettres) aus. Eine neueste Ordonnanz wird morgen oder übermorgen erscheinen, und auch die faculté des sciences mit den nämlichen Wohlthaten begaben, die den andern Facultäten bereits gegönnt sind. – Man wird unter solchen Auspicien nicht auffallend finden, daß das Ministerium auf die unabhängige Presse, die den Grundsätzen der bisherigen Opposition huldigte, einen großen Einfluß ausübt, und daß sie mit dem Minister-Präsidenten in freundlichem Vernehmen steht. Es bedarf, um das zu erklären, nicht der gehässigen Unterstellungen, die vor einigen Tagen in einem hiesigen Blatte gemacht wurden.

Die gestrige Abstimmung ist ein unermeßliches Ereigniß. Es beginnt eine neue Periode in dem politischen Leben Frankreichs. Das Centrum ist gesprengt, man kann sagen, aufgelöst. Der politische Guerillakrieg hat ein Ende. Künftig werden, wie im ordentlichen Krieg, nur noch zwei große Parteien unter offenen Fahnen gegen einander streiten. Das neue Ministerium hat unverhohlen seinen Ursprung anerkannt, und sein Glaubensbekenntniß abgelegt. Es ist aus der Opposition hervorgegangen, und will seinem Ursprung getreu bleiben. Im Innern will es fortschreiten, in so weit es möglich ist, ohne der Ruhe und Ordnung zu nahe zu treten. Nach außen will es den Frieden erhalten, in so weit es ohne Aufopferung der Würde und der Interessen Frankreichs geschehen kann. Das neue Ministerium hat dieß nicht nur ausdrücklich versichert, es hat auch in diesen Debatten eine Fülle von Einsicht, Klugheit und Talent entwickelt, wie sie ein Ministerium besitzen muß, das so große Dinge ausführen und einer so regsamen Nation imponiren will. Thiers hat aufs neue gezeigt, daß er berufen ist, an der Spitze des talentvollsten Ministeriums zu stehen, das diese Kammer hervorzubringen vermag. Remusat und Jaubert haben sich als Redner und Staatsmänner ausgewiesen. Was aber noch mehr Vertrauen in die Dauer und in die künftigen Leistungen dieses Ministeriums einflößt, ist der wichtige

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0004" n="0732"/>
entnehmen, allein es mag zur innern Physiologie der Kammer und zur Bemessung der zukünftigen Stellung des Ministers von Werth seyn, die Genesis dieser doppelten Abstimmung etwas näher ins Auge zu fassen, und ich glaube in folgender Darstellung der Wahrheit, sollte sie auch durch keine öffentliche Urkunde documentirt werden, zu folgen. Der Streit, die Lebensfrage waren so gestellt: will die Kammer die von dem Ministerium als Vertrauensvotum begehrten geheimen Gelder bewilligen, und damit zu erkennen geben, daß sie seinem Daseyn und Charakter nicht feindlich entgegentrete? Darauf antwortete im ersten Augenblick aus den verschiedenen Oppositionslagern ein dichtes nachhaltiges Feldgeschrei, das dem Ministerium mit schnellem Sturze drohte. Bald aber trat mehr Ruhe und Bedenken in die Gemüther, und die 221 sprachen also: unterscheiden wir! wir wollen das neue Ministerium Thiers nicht, und wir verweigern ihm ein Votum, das ihm unser Vertrauen ausspräche, allein wir sind zu gut monarchisch gesinnt, wir sind durch unsere früheren Abstimmungen und unsern Charakter als die ächten Conservativen der Kammer zu sehr gebunden, als daß wir in turbulenter Uebertreibung eine Opposition über Bausch und Bogen machen und überhaupt gegen alle geheimen Gelder der Regierung stimmen dürften. Das Ministerium macht seine Existenz oder seinen Fall von der Annahme oder von der Verweigerung seines Gesetzesvorschlages abhängig; treiben wir daher ein Mittel auf, das den Grundsatz der geheimen Gelder rettet, gegen das Ministerium aber als Verweigerung und Mißtrauen gilt, und es nach den parlamentarischen Grundsätzen zum Rückzuge zwingt. Dieser Ausweg ist gefunden durch ein Amendement, das nicht die von Hrn. Thiers geforderte, sondern eine andere, gleichviel um welche Zahl verringerte Summe zuerkennt. Gesagt, gethan; und so geschah es, daß Hr. Dangeville als Sprecher der 221 zum Artikel 1 des ministeriellen Gesetzesvorschlags als Amendement das Begehren stellte, statt 1 Million nur 900,000 Fr. geheimer Gelder zu erlauben. Vielleicht lächeln Ihre ernsten Leser über diese conservative Weisheit, die gar sehr einer betrübten Afterweisheit gleichsieht, und die sich in praxi als eine schülerhafte Verrechnung bewiesen hat. In der That, was geschah? Das Ministerium hatte den Anhängern dieses Mezzo termine gegenüber mit zwei andern Fractionen der Kammer zu thun, deren eine, das linke Centrum und die Linke, unbedingt <hi rendition="#g">für</hi> das Ministerium und <hi rendition="#g">gegen</hi> die 221 stimmte, deren andere, die äußerste Rechte und äußerste Linke, in voller Consequenz, gegen alle und jegliche Art von geheimen Geldern, also auch gegen die 900,000 Fr. der Conservativen sich aussprachen. Ganz natürlich also wurde das Amendement von Dangeville mit Trompetenschall von der vereinigten Majorität dieser beiden Fractionen verworfen, so daß die äußerste Linke, durch diesen Zufall und die Gewalt der Umstände, die uns eine Gerechtigkeit zu seyn scheint, in der That, wiewohl nicht in klarbewußter Absicht, zu Gunsten des Ministeriums entscheiden half, ohne ihrer Ueberzeugung, ihrer politischen Fahne untreu zu werden. Auch bei der Hauptabstimmung gegen das ministerielle Project bewahrten sie dieselbe Consequenz. Nicht so die Partei der 221. Alsbald nach der Verwerfung ihres Amendements, das ihre parlamentarische Ehre durch einen schiefen Ausweg retten sollte, trat Zwiespalt und Trennung in ihrem Convent ein, und die Majorität von 86 Stimmen, die das Ministerium erhielt, obschon nunmehr die beiden äußersten Oppositionsparteien gegen dasselbe stimmten, erklärt sich zum Theil durch Sinnesänderungen, durch Uebergänge aus dem Lager der verstümmelten 221 in jenes der Minister. Sie sehen, das gleicht einer ganzen Feldschlacht mit strategischen Massebildungen, Evolutionen und Flankenbewegungen aller Art. Der Charakter, und ich glaube auch die Prognosis des neuen Ministeriums ist hiemit außer Zweifel gestellt. Eine Combination, die, zum erstenmal seit 1830 aus der Opposition, aus der Linken hervorgegangen, und an diese als an ihre Lebensstütze sich anlehnend, in einer so wichtigen und rein politischen Vorfrage, nach so hartnäckigem Kampfe eine Majorität erhalten hat, wie sie seit Jahren gar nicht vorgekommen war, darf mit Zuversicht auf eine noch größere Majorität rechnen, wenn es Gesetze vorlegt, die seine Versprechen bethätigen, die den Stempel aufrichtiger Fürsorge für das öffentliche Wohl, die Interessen der Nation und die in Frage stehenden Arbeiten, Eisenbahnen etc. tragen. Und in der That, wir haben ein mächtiges Argument, das beste von allen, um an die Aufrichtigkeit seiner Absichten zu glauben: die Gewalt der Umstände nämlich und die Nothwendigkeit. Ein Ministerium, das unter so außerordentlichen Constellationen zur Welt kommt, dem man, wie einem Ehrenmann, auf sein Wort glaubt, wenn es gut und rasch zu handeln verspricht, wie könnte es seinem Eide untreu werden, wie möchte es Anderes thun, als was ihm in den Augen Aller Ruhm und Vortheil sichert und sogar die Bedingung seines Fortbestandes ist, da es der Sympathie der Linken nicht entbehren kann? Wir haben übrigens theilweise schon unzweifelhafte Beweise dieses Willens in den vortrefflichen und dankenswerthen Vorschriften, die Cousin in Betreff des öffentlichen Unterrichts &#x2013; namentlich der Rechtsschulen erlassen hat. (Wir kommen darauf morgen zurück.) Eine neuere Ordonnanz dehnt die Wohlthat der privatdocentlichen Lehrstühle und des erweiterten Umfangs der Lehrgegenstände auch auf die philosophische und philologische Facultät (faculté des lettres) aus. Eine neueste Ordonnanz wird morgen oder übermorgen erscheinen, und auch die faculté des sciences mit den nämlichen Wohlthaten begaben, die den andern Facultäten bereits gegönnt sind. &#x2013; Man wird unter solchen Auspicien nicht auffallend finden, daß das Ministerium auf die unabhängige Presse, die den Grundsätzen der bisherigen Opposition huldigte, einen großen Einfluß ausübt, und daß sie mit dem Minister-Präsidenten in freundlichem Vernehmen steht. Es bedarf, um das zu erklären, nicht der gehässigen Unterstellungen, die vor einigen Tagen in einem hiesigen Blatte gemacht wurden.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <byline>
            <gap reason="insignificant" unit="chars" quantity="1"/>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 27 März.</dateline>
          <p> Die gestrige Abstimmung ist ein unermeßliches Ereigniß. Es beginnt eine neue Periode in dem politischen Leben Frankreichs. Das Centrum ist gesprengt, man kann sagen, aufgelöst. Der politische Guerillakrieg hat ein Ende. Künftig werden, wie im ordentlichen Krieg, nur noch zwei große Parteien unter offenen Fahnen gegen einander streiten. Das neue Ministerium hat unverhohlen seinen Ursprung anerkannt, und sein Glaubensbekenntniß abgelegt. Es ist aus der Opposition hervorgegangen, und will seinem Ursprung getreu bleiben. Im Innern will es fortschreiten, in so weit es möglich ist, ohne der Ruhe und Ordnung zu nahe zu treten. Nach außen will es den Frieden erhalten, in so weit es ohne Aufopferung der Würde und der Interessen Frankreichs geschehen kann. Das neue Ministerium hat dieß nicht nur ausdrücklich versichert, es hat auch in diesen Debatten eine Fülle von Einsicht, Klugheit und Talent entwickelt, wie sie ein Ministerium besitzen muß, das so große Dinge ausführen und einer so regsamen Nation imponiren will. Thiers hat aufs neue gezeigt, daß er berufen ist, an der Spitze des talentvollsten Ministeriums zu stehen, das diese Kammer hervorzubringen vermag. Remusat und Jaubert haben sich als Redner und Staatsmänner ausgewiesen. Was aber noch mehr Vertrauen in die Dauer und in die künftigen Leistungen dieses Ministeriums einflößt, ist der wichtige<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0732/0004] entnehmen, allein es mag zur innern Physiologie der Kammer und zur Bemessung der zukünftigen Stellung des Ministers von Werth seyn, die Genesis dieser doppelten Abstimmung etwas näher ins Auge zu fassen, und ich glaube in folgender Darstellung der Wahrheit, sollte sie auch durch keine öffentliche Urkunde documentirt werden, zu folgen. Der Streit, die Lebensfrage waren so gestellt: will die Kammer die von dem Ministerium als Vertrauensvotum begehrten geheimen Gelder bewilligen, und damit zu erkennen geben, daß sie seinem Daseyn und Charakter nicht feindlich entgegentrete? Darauf antwortete im ersten Augenblick aus den verschiedenen Oppositionslagern ein dichtes nachhaltiges Feldgeschrei, das dem Ministerium mit schnellem Sturze drohte. Bald aber trat mehr Ruhe und Bedenken in die Gemüther, und die 221 sprachen also: unterscheiden wir! wir wollen das neue Ministerium Thiers nicht, und wir verweigern ihm ein Votum, das ihm unser Vertrauen ausspräche, allein wir sind zu gut monarchisch gesinnt, wir sind durch unsere früheren Abstimmungen und unsern Charakter als die ächten Conservativen der Kammer zu sehr gebunden, als daß wir in turbulenter Uebertreibung eine Opposition über Bausch und Bogen machen und überhaupt gegen alle geheimen Gelder der Regierung stimmen dürften. Das Ministerium macht seine Existenz oder seinen Fall von der Annahme oder von der Verweigerung seines Gesetzesvorschlages abhängig; treiben wir daher ein Mittel auf, das den Grundsatz der geheimen Gelder rettet, gegen das Ministerium aber als Verweigerung und Mißtrauen gilt, und es nach den parlamentarischen Grundsätzen zum Rückzuge zwingt. Dieser Ausweg ist gefunden durch ein Amendement, das nicht die von Hrn. Thiers geforderte, sondern eine andere, gleichviel um welche Zahl verringerte Summe zuerkennt. Gesagt, gethan; und so geschah es, daß Hr. Dangeville als Sprecher der 221 zum Artikel 1 des ministeriellen Gesetzesvorschlags als Amendement das Begehren stellte, statt 1 Million nur 900,000 Fr. geheimer Gelder zu erlauben. Vielleicht lächeln Ihre ernsten Leser über diese conservative Weisheit, die gar sehr einer betrübten Afterweisheit gleichsieht, und die sich in praxi als eine schülerhafte Verrechnung bewiesen hat. In der That, was geschah? Das Ministerium hatte den Anhängern dieses Mezzo termine gegenüber mit zwei andern Fractionen der Kammer zu thun, deren eine, das linke Centrum und die Linke, unbedingt für das Ministerium und gegen die 221 stimmte, deren andere, die äußerste Rechte und äußerste Linke, in voller Consequenz, gegen alle und jegliche Art von geheimen Geldern, also auch gegen die 900,000 Fr. der Conservativen sich aussprachen. Ganz natürlich also wurde das Amendement von Dangeville mit Trompetenschall von der vereinigten Majorität dieser beiden Fractionen verworfen, so daß die äußerste Linke, durch diesen Zufall und die Gewalt der Umstände, die uns eine Gerechtigkeit zu seyn scheint, in der That, wiewohl nicht in klarbewußter Absicht, zu Gunsten des Ministeriums entscheiden half, ohne ihrer Ueberzeugung, ihrer politischen Fahne untreu zu werden. Auch bei der Hauptabstimmung gegen das ministerielle Project bewahrten sie dieselbe Consequenz. Nicht so die Partei der 221. Alsbald nach der Verwerfung ihres Amendements, das ihre parlamentarische Ehre durch einen schiefen Ausweg retten sollte, trat Zwiespalt und Trennung in ihrem Convent ein, und die Majorität von 86 Stimmen, die das Ministerium erhielt, obschon nunmehr die beiden äußersten Oppositionsparteien gegen dasselbe stimmten, erklärt sich zum Theil durch Sinnesänderungen, durch Uebergänge aus dem Lager der verstümmelten 221 in jenes der Minister. Sie sehen, das gleicht einer ganzen Feldschlacht mit strategischen Massebildungen, Evolutionen und Flankenbewegungen aller Art. Der Charakter, und ich glaube auch die Prognosis des neuen Ministeriums ist hiemit außer Zweifel gestellt. Eine Combination, die, zum erstenmal seit 1830 aus der Opposition, aus der Linken hervorgegangen, und an diese als an ihre Lebensstütze sich anlehnend, in einer so wichtigen und rein politischen Vorfrage, nach so hartnäckigem Kampfe eine Majorität erhalten hat, wie sie seit Jahren gar nicht vorgekommen war, darf mit Zuversicht auf eine noch größere Majorität rechnen, wenn es Gesetze vorlegt, die seine Versprechen bethätigen, die den Stempel aufrichtiger Fürsorge für das öffentliche Wohl, die Interessen der Nation und die in Frage stehenden Arbeiten, Eisenbahnen etc. tragen. Und in der That, wir haben ein mächtiges Argument, das beste von allen, um an die Aufrichtigkeit seiner Absichten zu glauben: die Gewalt der Umstände nämlich und die Nothwendigkeit. Ein Ministerium, das unter so außerordentlichen Constellationen zur Welt kommt, dem man, wie einem Ehrenmann, auf sein Wort glaubt, wenn es gut und rasch zu handeln verspricht, wie könnte es seinem Eide untreu werden, wie möchte es Anderes thun, als was ihm in den Augen Aller Ruhm und Vortheil sichert und sogar die Bedingung seines Fortbestandes ist, da es der Sympathie der Linken nicht entbehren kann? Wir haben übrigens theilweise schon unzweifelhafte Beweise dieses Willens in den vortrefflichen und dankenswerthen Vorschriften, die Cousin in Betreff des öffentlichen Unterrichts – namentlich der Rechtsschulen erlassen hat. (Wir kommen darauf morgen zurück.) Eine neuere Ordonnanz dehnt die Wohlthat der privatdocentlichen Lehrstühle und des erweiterten Umfangs der Lehrgegenstände auch auf die philosophische und philologische Facultät (faculté des lettres) aus. Eine neueste Ordonnanz wird morgen oder übermorgen erscheinen, und auch die faculté des sciences mit den nämlichen Wohlthaten begaben, die den andern Facultäten bereits gegönnt sind. – Man wird unter solchen Auspicien nicht auffallend finden, daß das Ministerium auf die unabhängige Presse, die den Grundsätzen der bisherigen Opposition huldigte, einen großen Einfluß ausübt, und daß sie mit dem Minister-Präsidenten in freundlichem Vernehmen steht. Es bedarf, um das zu erklären, nicht der gehässigen Unterstellungen, die vor einigen Tagen in einem hiesigen Blatte gemacht wurden. _ Paris, 27 März. Die gestrige Abstimmung ist ein unermeßliches Ereigniß. Es beginnt eine neue Periode in dem politischen Leben Frankreichs. Das Centrum ist gesprengt, man kann sagen, aufgelöst. Der politische Guerillakrieg hat ein Ende. Künftig werden, wie im ordentlichen Krieg, nur noch zwei große Parteien unter offenen Fahnen gegen einander streiten. Das neue Ministerium hat unverhohlen seinen Ursprung anerkannt, und sein Glaubensbekenntniß abgelegt. Es ist aus der Opposition hervorgegangen, und will seinem Ursprung getreu bleiben. Im Innern will es fortschreiten, in so weit es möglich ist, ohne der Ruhe und Ordnung zu nahe zu treten. Nach außen will es den Frieden erhalten, in so weit es ohne Aufopferung der Würde und der Interessen Frankreichs geschehen kann. Das neue Ministerium hat dieß nicht nur ausdrücklich versichert, es hat auch in diesen Debatten eine Fülle von Einsicht, Klugheit und Talent entwickelt, wie sie ein Ministerium besitzen muß, das so große Dinge ausführen und einer so regsamen Nation imponiren will. Thiers hat aufs neue gezeigt, daß er berufen ist, an der Spitze des talentvollsten Ministeriums zu stehen, das diese Kammer hervorzubringen vermag. Remusat und Jaubert haben sich als Redner und Staatsmänner ausgewiesen. Was aber noch mehr Vertrauen in die Dauer und in die künftigen Leistungen dieses Ministeriums einflößt, ist der wichtige

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_092_18400401
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_092_18400401/4
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 92. Augsburg, 1. April 1840, S. 0732. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_092_18400401/4>, abgerufen am 24.11.2024.